Werte Damen und Herren,

ich hoffe, Sie verzeihen mir, wenn ich so direkt frage:
Sind Sie dumm?
Mir fällt es sehr schwer, zu glauben, dass Sie dumm sind.

Immerhin haben viele von Ihnen es irgendwie zum Abitur gebracht, haben oft ein mehr oder weniger sinnvolles Studium abgeschlossen und sind in einflussreiche Positionen in der Politik gekommen.
Sicher, das allein muss nichts bedeuten.
Das können sogar Dumme schaffen, das wurde in der Vergangenheit mehrfach eindrucksvoll bewiesen. Aber es gibt ja noch weitere Gründe, an Ihrer Dummheit zu zweifeln.
So schaffen Sie es regelmäßig und offenbar ohne Begleitung, ihren Platz in von Kameras umzingelten Sitzgruppen und an Stehpulten zu finden und haben begriffen, dass Sie in das dicke Ende des Mikros sprechen müssen, um von allen Aufmerksamkeitswilligen gehört zu werden.
Sie können von Zettelchen ablesen, die Ihnen hinter der Bühne zugesteckt wurden und sind oft in der Lage, die darauf notierten Fachbegriffe und Fremdworte fast fehlerfrei und nicht selten an der richtigen Stelle ein Satzes auszusprechen.
Ganz dumm können Sie also nicht sein.

Aber, wenn Sie nicht dumm sind, was sind Sie dann?
Was sind Sie, wenn Sie bei solchen Gelegenheiten Dinge sagen wie:
»Aus irgendeinem Grund ist das Klimathema plötzlich ein weltweites Thema geworden.«
Aus irgendeinem Grund?
Welcher könnte das wohl sein?

Vielleicht hilft uns da ein anderes Zitat:
»Schneestürme, Überschwemmungen, Dürrekatastrophen.
Nicht nur das Wetter sondern das gesamte Klima scheint in Unordnung geraten. Das war das Thema für 100 Meteorologen die in Genf zur Welt-Klimakonferenz zusammentrafen. Messungen haben gezeigt, dass der CO2 Anteil der Erdatmosphäre ständig ansteigt. Dieser Anstieg ist die Folge des wachsenden Verbrauchs von Erdöl, Erdgas und Kohle in Industrie und Haushalten.
Zudem wird das Abholzen tropischer Wälder, wie zur Zeit in Brasilien, Auswirkungen auf das gesamte Weltklima haben.
Ein Verschwinden des arktische Meereises wird zu einer Verlagerung der Klimagürtel um 500 - 800 km nach Norden und damit zu wesentlich trockenerem Klima im ganzen Mittelmeergürtel führen.
Mögliche Folgen für Wasserversorgung und Ernten sind unübersehbar.«

Hm.
Klingt für mich nicht nach irgendeinem Grund.
Klingt für mich nach einer Menge ziemlich konkreter Gründe.
Und da ging es ja nur um die Folgen für Süd- und Mitteleuropa.
Fragt man sich, wie dann erst die Auswirkungen auf Regionen sein mögen, in denen die oben angedrohten Folgen längst Normalität sind, ahnt man vielleicht, wieso dieses Thema so plötzlich weltweit interessant ist.
Und man ahnt, warum auch auf dem afrikanischen Kontinent Kinder und Jugendliche Freitags auf die Strasse gehen, statt in die Schule.
Sicher nicht, weil sie, wie einige von Ihnen nicht müde werden zu suggerieren, verzogene Wohlstandsgören wären, die keine Lust auf Unterricht haben.
Das könnte man nur glauben, wenn man dumm ist.
Und das sind Sie ja nicht, richtig?
Aber natürlich kommen diese Informationen ja jetzt ziemlich plötzlich zu Tage.

Apropos plötzlich: Die oben zitierte Passage stammt aus der Tagesschau im Februar 1979. Da fand nämlich die erste Weltklimakonferenz statt. Und seitdem 28 weitere Male. Mit immer den selben, stetig düsterer werdenden Prognosen.
43 Jahre. Das ist natürlich sehr plötzlich.

Deswegen vernimmt man aus Ihren Kreisen wohl auch Äußerungen wie:
»Wir müssen besser darin werden, den jungen Menschen zu erklären, warum das mit dem Klimaschutz so schnell nicht geht.«

Richtig.
Wenn Sie und Ihresgleichen in irgendetwas etwas besser werden müssen, dann sicherlich darin.
Denn wenn Sie und Ihre Vorgänger es in über vier Jahrzehnten noch nicht mal geschafft haben, auch nur halbwegs plausibel erklären zu können, warum Maßnahmen gegen den Klimawandel mehr Zeit brauchen, als der Klimawandel selbst, wie könnte man dann von Ihnen erwarten, besagte Maßnahmen in solch kurzer Zeit auch noch umzusetzen?
Das ist wirklich zu viel verlangt.
Also, muss es wohl sein.
Denn sonst würden Sie so etwas ja wohl kaum sagen.
Sie sind ja nicht dumm.
Aber ganz offenbar denken Sie, wir seien es.

Wie kämen Sie sonst dazu, uns immer wieder weismachen zu wollen, Deutschland wäre nur eine winzig kleine Wirtschaftsmacht, deren Anteil an der Umweltverschmutzung global betrachtet unglaublich gering sei?
Oder immer wieder darauf zu verweisen, dass das meiste an CO2 und anderen Umweltgiften ja ohnehin im außereuropäischen Raum verursacht wird?
Vor allem in Schwellenländern und Ländern der dritten Welt die ja sowieso machen, was sie wollen.

Dass Deutschland als wirtschaftsstärkstes Land Europas und weltweit viertgrößte Volkswirtschaft Gesetze beschließen könnte, die auch andere Länder zum Handeln zwingen, wenn sie mit uns weiter Geschäfte machen wollen, besitzt ja keine echte Relevanz, richtig?
Als nicht dummer Mensch, könnte man außerdem einwenden, dass ein erheblicher Teil der umweltverschmutzenden Industrieanlagen in besagten Schwellenländern für Konzerne produzieren, mit denen Deutschland und Europa fleissig Handel treiben, bzw. die sogar bei uns ihren Sitz haben.
Und dass in diesen Ländern deshalb für uns produziert wird, weil dort nicht nur die Löhne sehr gering sind, sondern Umweltschutzauflagen praktisch nicht existieren.
Und wenn, dann werden sie weder umgesetzt noch kontrolliert.
Das wirkt sich günstig auf die Produktionskosten und damit auf die Gewinne aus.
Und das wiederum ist gut für die Renditen der Investoren.
Die kennen Sie.
Das sind die Leute mit den kleinen Lederköfferchen mit den Parteispenden und den fürstlich vergüteten Jobs, die Ihnen nach Ende Ihrer politischen Karriere angeboten werden.

Seien wir doch ehrlich.

Die meisten von Ihnen sind vieles:
Träge, gierig, machtbesessen, bestechlich und verlogen, wahrscheinlich jedoch nicht dumm.
Und was sie eigentlich sagen ist Folgendes:
Für uns ist es bequemer und auch lukrativer, wenn wir einfach weitermachen wie bisher und mal schauen, wie weit wir damit kommen.

Nicht mehr weit.
Das müsste selbst dem Dümmsten inzwischen klar sein.
Wir jedenfalls haben das alles schon längst verstanden.
Wir sind ja nicht dumm.


(Geschrieben für und erstmals gelesen beim Fridays For Future Poetry Slam »Impulse für die Zukunft«, Freiburg, 21.05.2022)


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Und sei es nur für Ihr Interesse und Ihre Aufmerksamkeit.

Bleiben Sie stabil.

Mit Grüßen, Ihr


Und im Übrigen bin ich der Meinung, dass der Faschist Björn Höcke bei jeder sich bietenden Gelegenheit als eben solcher benannt werden muss.
#TausendMalGesagt

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