Der Kapitalismus ist im 21. Jahrhundert omnipräsent. Er verwandelte sich nicht nur in das herrschende, sondern mittlerweile in das einzige sozioökonomische System der Welt - und das, obwohl er in seiner jetzigen Form noch vergleichsweise jung ist. Wie kam es zu dieser präzedenzlosen Expansion?

Die Ausbreitung des Kapitalismus ist historisch beispiellos und umso erstaunlicher angesichts der Tatsache, dass er in seiner heutigen Form als dynamisches und allumfassendes Steuerungsprinzip noch vergleichsweise jung ist. Noch die zweite Hälfte des vergangenen Jahrhunderts war wirtschaftspolitisch von der Systemfrage geprägt, die ihren Höhepunkt im epochalen Konflikt zwischen staatlich gelenkter Zentralverwaltungs- und kapitalistischer Marktwirtschaft im Kalten Krieg fand, doch der Zusammenbruch der Sowjetunion besiegelte schließlich den Siegeszug und die Expansion des Kapitalismus. Über die konkreten Anfänge dieses heute ubiquitären Systems herrscht allerdings Uneinigkeit. Dies ist einerseits der Tatsache geschuldet, dass es in der wirtschaftlichen und sozialen Realität selten eindeutige Zäsuren gibt; andererseits variiert die Antwort je nach definitorischer Auslegung des Kapitalismus. Laut klassischer Definition handelt es sich dabei sowohl um ein Wirtschaftssystem, in dem sich die Produktionsmittel überwiegend in privater Hand befinden und der Handel größtenteils über Märkte stattfindet; als auch um eine bis heute anhaltende Epoche in der Wirtschaftsgeschichte. Traditionell wird die Entstehung dieses Systems in die Hochphase der Industrialisierung im 19. Jahrhundert verortet, doch die heutige Forschung geht von einem längeren Anlauf aus, der über die frühe Neuzeit bis hin ins Mittelalter und gar in die Antike zurückreicht. In seiner Entwicklung gibt es allerdings große regionale Unterschiede und zeitliche Verschiebungen, was eine historische Periodisierung besonders kontrovers macht und einer linearen Erzählung deutlich widerspricht. Dennoch lassen sich viele Ereignisse und Entwicklungen festhalten, die wegweisend waren für die Entstehung des wohl faszinierendsten Wirtschaftssystems aller Zeiten.

Frühformen

Einige typisch kapitalistische Eigenschaften lassen sich bereits sehr früh und über den gesamten Globus verteilt finden; eingebettet in verschiedene Wirtschaftsformen, die davon unterschiedlich stark beeinflusst wurden.

Vor über 2000 Jahren prägte Aristoteles bereits den Begriff der Chrematistik und kritisierte die Geldvermehrung zwecks der Anhäufung von Reichtum (und nicht im Sinne des Tauschs). Die Akkumulation von Kapital ist ein Phänomen, das fast so alt ist wie das (Münz-)Geld selbst, doch es hatte zu Aristoteles Zeit kaum gesellschaftliche Bedeutung, da der Großteil der damaligen Wirtschaft von ihr unberührt blieb.

Auch das Gewinnstreben, das den Kapitalismus zweifelsohne ausmacht, findet sich bereits im Fernhandel der griechisch-römischen Antike wieder, denn bei den Kaufleuten war es ohnehin sehr ausgeprägt und gleichzeitig wurde es durch das finanzielle Interesse von Trägern politischer Macht noch begünstigt. Es wog allerdings insgesamt die Subsistenzwirtschaft vor und das Streben nach Reichtum wurde (noch) nicht in das Bestreben übersetzt, Kapital zu schaffen.

Etwas später nahm die Bedeutung des Kapitals allerdings zu, denn der sich von Indien aus ausbreitende Buddhismus stand kommerziellen Aktivitäten positiv gegenüber. Allmählich wurden die buddhistischen Klöster in China im 8. Jahrhundert zu Zentren der Kapitalbildung und -anlage, der Kreditvergabe und der gewinnbringenden Anlage von Kapital in landwirtschaftlichen und gewerblichen Betrieben. In der handelsfreundlichen Sung-Dynastie zwischen dem 10. Und 13. Jahrhundert wurde schließlich der Seehandel des zuvor bereits lebhaften Chinas weiter ausgebaut und die Bedeutung von Geld- und Marktbeziehungen nahm erheblich zu. In einigen Regionen Chinas entwickelte sich bis zum 13. Jahrhundert die traditionelle Subsistenzwirtschaft in eine auf überregionalen Export setzende Ökonomie weiter, die Luxusgüter ebenso produzierte wie unterschiedliche gewerbliche Gebrauchswaren. Diese Dynamik konnte sich allerdings in den folgenden Jahrhunderten nicht fortsetzen, denn die Ming-Dynastie wandte sich u.a. aus internen Machtverschiebungen wirtschaftlich nach innen und konzentrierte sich eher auf die politische Verteidigung vor den Mongolen und parallel gewann das immer vorhandene Misstrauen gegen Kommerz und Kapitalakkumulation die Oberhand.

Bis zum Ende des Mittelalters war der Kapitalismus weitgehend auf Teile des Handels und der Finanzen beschränkt. Konkrete Anfänge dieses Handels- bzw. Kaufmannskapitalismus lassen sich schwer konkret datieren, allerdings können das 7. – 11. Jahrhundert in Arabien, das 10. – 14. Jahrhundert in China und das 12. – 15. Jahrhundert in Europa als Phasen des beschleunigten Ausbaus beschrieben werden. Es gab (zeitlich und regional mit deutlichen Unterschieden) einen intensiven Marktbezug und die starke Gewinnorientierung der Kaufleute, eine große Bedeutung von Investition und Akkumulation mit Einsatz von Krediten und Orientierung am Profit sowie teilweise die dynamische Ausstrahlung der kapitalistischen Entwicklung über den Bereich des Fernhandels hinaus. Daher können die geschilderten Phänomene durchaus als kapitalistisch gelten, auch wenn der Großteil der Wirtschaft davon unberührt blieb und kapitalistische Prinzipien bisher nicht die Produktion gesteuert und die Arbeit organisiert haben. Insgesamt waren die frühkapitalistischen Ausprägungen aber nur minderheitliche Phänomene, während Wirtschaft und Gesellschaft grundsätzlich nach nicht-kapitalistischen Prinzipien funktionierten. Es dominierten Subsistenz- und Hauswirtschaft, Interaktionen ohne Marktbezug, nicht ökonomische Formen von Abhängigkeit und Herrschaft sowie in Europa der Feudalismus mit einer ausgeprägten Ständegesellschaft.

Expansion

Zwischen dem 16. Und dem 18. Jahrhundert fand allerdings eine fundamentale Erweiterung des Kapitalismus statt; sowohl räumlich expansiv, als auch in die Sphäre der Produktion übergreifend und schließlich im Hinblick auf seine gesamtgesellschaftliche Bedeutung.

Der Aufstieg des Kapitalismus, die Machtentfaltung der Territorialstaaten und die in den Kolonialismus mündende europäische Expansion bedingten sich gegenseitig. Mit der Vereinigten Ostindischen Kompanie entstand 1602 erstmals eine Kapitalgesellschaft, die als Monopolunternehmen weitreichende quasistaatliche Kompetenzen erhielt. Sie durfte die niederländischen Handelsgeschäfte führen und erhielten die Befugnis, Krieg zu führen, Verträge zu schließen und Land in Besitz zu nehmen und markierte damit den Übergang zwischen kapitalistischem Geschäft und Kriegsführung bzw. Machtentfaltung. Kontrollierten europäische Mächte um 1500 noch etwa 7% des Territoriums der Welt, so stieg dieser Anteil bis 1775 auf 35%. Gründe für diese Expansion waren neben Machtstreben und christlich-missionarischen Zielsetzungen auch ökonomische Interessen; der immer intensivere Fernhandel brachte große Gewinne und erhebliche Nachfragewirkungen hervor und war gleichzeitig ein entscheidender Motor der exportorientierten Plantagenwirtschaft in den Kolonien, aus deren Profit sich wiederum die spätere Industrialisierung speisen sollte.

Der Zusammenhang zwischen dem Machtstreben der Monarchen und der Ausbreitung des Kapitalismus wird auch am Beispiel des entstehenden Finanzkapitalismus deutlich, der als Vehikel für die innere Staatsbildung diente und sich durch den wachsenden Kreditbedarf des sich ausdehnenden Handels und der Nachfrage nach Vermittlungs- und Transferleistungen, Ausbau der Länder, und den Bedarf an finanziellen Mitteln für Kriege und wachsende Repräsentationsbedürfnisse immer weiter ausdehnte.

Die Entstehung der Protoindustrie

Um 1750 war der Kapitalismus also mit seinen globalen Verflechtungen als Handels- und Finanzkapitalismus in Westeuropa etabliert, ohne dass eine kapitalistische Umgestaltung der Produktionssphäre stattgefunden hätte. Das wichtigste Einfallstor des Kapitalismus in die Welt des Gewerbes befand sich schließlich im Bereich der protoindustriellen Hausindustrie und Heimarbeit.

Dort fand allmählich eine Symbiose von handwerklicher Heimarbeit einerseits und Kaufmannskapital, überlokaler Marktorientierung und kapitalistischer Dynamik andererseits in den verschiedensten Formen statt, wodurch die lokale Produktion erstmals in größerem Maßstab mit überlokalem Kapitalismus verbunden wurde. Die erste Protoindustrie entstand bereits zwischen dem 16. Und 18. Jahrhundert auf dem Land, wo einige Kaufleute sich die Unterbeschäftigung und Arbeitsbereitschaft in den klein- und unterbäuerlichen Schichten zunutze machten und von den niedrigen Lohnkosten profitierten. Die Verleger gaben den Angehörigen der ländlichen Unterschicht Aufträge, schossen Rohstoffe vor und nahmen ihnen hergestellte Produkte ab, um sie auf dem überlokalen Markt zu verkaufen. Damit trugen die zu Verlegern gewordenen Kaufleute besonders im Textilbereich zur Entstehung einer ländlichen Industrie bei. Im Zuge dessen nahmen sie Einfluss auf die Produktion, während die unmittelbaren Produzenten als Handwerker, Hausindustrielle oder Heimarbeiter eine gewisse Selbstständigkeit erhielten, tatsächlich aber in unterschiedlichen Formen von der Kapitalseite abhängig wurden und sich allmählich dem Status des für den Kapitalismus typischen Lohnarbeiters annäherten.

Das protoindustrielle System verlagerte ein Stück Kapitalismus in eine insgesamt noch vorkapitalistische Welt. Es blieb zwar in vielem sehr traditionell und nennenswerter Fortschritt und Wachstum blieben größtenteils aus, doch die Protoindustrie stülpte dennoch die Produktionsverhältnisse um und wies in die Zukunft: die großen wegweisenden Erfindungen der späteren industriellen Revolution waren Reaktionen auf die Ergebnisse und Engpässe des protoindustriellen Textilgewerbes und die Arbeiter gerieten erfahrbar in die Abhängigkeit der Märkte und ihrer Schwankungen.

Industrialisierung und Durchbruch

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Die Industrialisierung stellte schließlich die konkrete historische Phase der Durchsetzung des Kapitalismus in alle Sphären des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens dar und gilt als Grenzziehung zum Feudalismus. Ansätze zur kapitalistischen Durchdringung von Handel, Finanzwesen und Landwirtschaft und Gewerbe gab es in nahezu allen europäischen Ländern, aber insbesondere in England verdichteten sich die kapitalistischen Prinzipien in einer Art und Weise, dass der Kapitalismus im Zuge der industriellen Revolution schließlich zum dominanten Steuerungsprinzip wurde.

Sie begann ab 1760 mit der Mechanisierung der Textilindustrie, die über verschiedene Innovationen, angefangen mit dem Schnellwebstuhl im Jahr 1733, einsetzte, und bis zum Ende des Jahrhunderts die Produktivität dieser Branche extrem steigerte. Die Bedeutung der Water Frame (1769) und der Spinning Mule (1779) (zwei Weiterentwicklungen der Spinnmaschine) waren deshalb so groß, weil hierdurch Produktionsprozesse dauerhaft von natürlichen Kraftquellen abgelöst werden konnten.

Es gibt keine eindeutige Antwort auf die Frage, warum die industrielle Revolution ausgerechnet in England ihren Anfang nahm, doch das überzeugendste Argument liefern die englischen Löhne, die zu dieser Zeit aus verschiedenen Gründen die höchsten der Welt waren. Daher rentierte es sich erstmalig, die neuen Maschinen in der Textilbranche einzusetzen, um Arbeitskräfte und damit die hohen Lohnkosten einzusparen. Dazu kam, dass es in Nordengland ein hohes Vorkommen der zwei zu der Zeit wichtigsten Rohstoffe gab; Kohle und Eisenerz. Aufgrund dieser Kombination aus teuren Arbeitskräften und billiger Energie war es profitabel, Menschen durch Maschinen zu ersetzen, wodurch die Industrialisierung schließlich in den Textilfabriken Englands eingeleitet wurde. Zunächst war die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Mechanisierung dieser einzelnen Branche bescheiden, doch parallel fand eine weitere bahnbrechende Entwicklung statt: Die Dampfkraft wurde entdeckt. Damit wurde Kohle schließlich zum ersten Mal nicht nur zur Erzeugung von Wärme, sondern auch zur Gewinnung von Bewegungsenergie genutzt, die die Maschinen antrieb. Der Kapitalismus wurde fossil und dieser radikale technische Sprung hob ihn auf die nächste Entwicklungsstufe, denn Kapital wurde neben Arbeit zum wichtigsten Produktionsfaktor und Boden verlor zunehmend an Bedeutung, da die natürlichen Grenzen der Produktion aufgehoben wurden und von Jahr zu Jahr mehr produziert werden konnte.

Die zur gleichen Zeit erfundene Eisenbahn trieb diese Entwicklung weiter voran: Anders als in der Textilindustrie wurde nun Kapital im großen Stil benötigt, denn es wurden nicht nur Eisenbahnen gebaut, sondern auch Maschinenfabriken hochgezogen, weitere Kohlegruben erschlossen und Großstädte errichtet. Letztere entstanden insbesondere, da die Feudalordnung beseitigt wurde, wodurch die ehemals Leibeigenen zwar frei von Unterdrückung waren, allerdings auch keinen Zugriff mehr auf die Produktionsmittel ihrer ehemaligen Leibherren hatten und auf der Suche nach Arbeit vom Land in die Stadt zogen. Die Produktionsmittel besaß nun eine neue gesellschaftliche Schicht, die im Feudalismus noch unterdrückt worden war und jetzt nach Arbeitern suchte: das Bürgertum. In dieser Phase kann bereits vom Entstehen kapitalistischer Gesellschaften gesprochen werden, denn die Gesellschaft war nun vom Kapital dominiert.

Im Zuge dieser Verstädterung und der Revolutionierung von Verkehr, Transport und Kommunikation gewann auch der Handel immer weiter an Gewicht und der Industriekapitalismus veränderte die Gesellschaft von Grund auf: Die Fabrik löste die Agrarwirtschaft und das Handwerk als Hauptarbeitsfeld ab und das neue industrialisierte Gewerbe beeinflusste viele weitere Sektoren; darunter die Landwirtschaft, z.B. durch neue Anbaumethoden; das Verkehrswesen, z.B. durch die Dampfschifffahrt; oder den Bereich der Kommunikation, z.B. durch den Telegrafen. Die gesamtgesellschaftliche Arbeitsteilung differenzierte sich im Zuge dessen immer weiter aus und es kam insgesamt zu einer präzedenzlosen Steigerung der Produktivität aller Produktionsfaktoren.

Simpson's Gloves Pty Ltd, Richmond, circa 1932

Auch die Arbeitsbeziehungen wurden im Zuge dessen kapitalistisch, denn Lohnarbeit auf vertraglicher Ebene wurde durch die Industrialisierung zum Massenphänomen. Trotz prekären Arbeitsbedingungen und Ausbeutung kam es durch die Industrialisierung erstmals zu nennenswertem Fortschritt und Wirtschaftswachstum, das zwar ungleich verteilt war und konjunkturell schwankte, aber zu einer Verbesserung der Lebensverhältnisse führte, die sich u.a. an Realverdienstzugewinnen und erheblich verbesserter Versorgung zeigte.

Durch die Kapitalakkumulation durch neue Fabriken, Maschinen und Bergwerke kam es zur Gründung von immer mehr Großunternehmen und schließlich zur Systematisierung der Unternehmenskultur; was eine größere Auswahl an Gütern und eine Zunahme an Wahlmöglichkeiten zufolge hatte. Damit entstand allmählich auch die moderne Konsumgesellschaft, denn das Wirtschaftswachstum hatte eine Massenkaufkraft zufolge, die für die Entwicklung des Kapitalismus elementar war: Erst die Nachfrage der Arbeitnehmer hat neue Produkte und Wachstumsschübe ermöglicht, die durch den Lebensstil der Wohlhabenden allein niemals ausgelöst worden wären.

Die Epoche des Kapitalismus

Im Zeitalter der Industrialisierung war der Kapitalismus in Europa schließlich zum dominierenden wirtschaftlichen Regulierungsmechanismus geworden. In seinen Krisenjahren 1873 und 1929 zeigte sich, was seine industrielle von früheren kapitalistischen Varianten unterschied: Er beeinflusste gleichzeitig Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Kultur auf intensive Art und Weise, während er in früheren Jahrhunderten ein Inseldasein geführt hatte und in nicht-kapitalistische Strukturen und Mechanismen eingebettet war. Dynamisiert durch die Industrialisierung erreichte der Kapitalismus schließlich weltweite Dimensionen, denen sich heute kaum ein Land bzw. eine Volkswirtschaft entziehen kann.

Diese Entwicklung hörte im 20. Jahrhundert nicht auf, denn es veränderten und entwickelten sich immer mehr Sektoren. Die Organisationsform der Unternehmen wandelte sich von der Eigentümer- zur Managerführung; an Stelle des Kapitalisten trat der Manager, was dazu führte, dass die Finanzierung über den Kapitalmarkt und damit die Organisationsform der Kapitalgesellschaft zwingend wurden. Parallel entwickelte sich auch der Finanzkapitalismus in einer völlig neuen, expansiven und allumfassenden Form weiter, die sich in der Entstehung von Investmentbanken, Investitionsfonds, außerbörslichen Private-Equity-Gesellschaften und anderen Kapitalbeteiligungsunternehmen zeigte. Auch die Arbeit veränderte sich fortlaufend: Durch die Produktivitätsfortschritte, das Wirtschaftswachstum und staatliche Intervention wandelte sich das Lohnarbeitsverhältnis unter härtester Ausbeutung zum Normalarbeitsverhältnis mit Versicherungsschutz, Arbeitnehmerrechten und modernen Arbeitszeiten.

Die ganze Geschichte der kapitalistischen Wirtschaft war auch immer begleitet von Kritik und Prognosen über ihr baldiges Ende. Das zeigte sich auch daran, dass es immer wieder politische Konstellationen gegeben hat, in denen der Gegensatz zwischen (mehr) Staat und (mehr) Markt die Hauptkontroverse der Wirtschaftspolitik ausmachte. Auch die Prognosen über die zukünftige Entwicklung des Kapitalismus bleiben kontrovers, denn insbesondere die (globale) Verteilungsgerechtigkeit des Wohlstands und die Eignung des Kapitalismus, die Erderwärmung langfristig auf 2°C zu begrenzen, bilden den Kern der Kapitalismuskritik im 21. Jahrhundert.

Was bringt die Zukunft?

Den Kapitalismus hat niemand geplant oder vorausgesehen. Gemäß der anfangs entwickelten Definition entstand er im Zuge der Industrialisierung, als einige Textilfabrikanten und Grubenbesitzer effizienter und konkurrenzfähiger werden wollten und erstmals Maschinen statt menschlicher Arbeitskraft einsetzten. Die Folgen waren gewaltig, denn der Kapitalismus entwickelte sich in den folgenden Jahrhunderten zu einem allumfassenden Steuerungsmechanismus, der Fortschritt und Wachstum auslöste. Dennoch finden sich viele kapitalistische Phänomene, die dessen systemische Entstehung begünstigten, bereits sehr früh in der Wirtschaftsgeschichte.

Der Kapitalismus ist ein sehr dynamisches und wandlungsfähiges System; was sich auch daran zeigt, dass viele Themen der Kapitalismuskritik, die früher im Mittelpunkt standen, heute eher an den Rand gerückt sind, wie beispielsweise die Verelendung der Arbeiterklasse. Zumindest im wohlhabenden Teil der Welt hat die „Arbeiterfrage“ aufgehört, die Gesellschaft zu spalten und um die Kritik an der Entfremdung der Arbeit im Kapitalismus ist es recht still geworden, seit Gestaltungsspielraum und Kreativität auf Arbeitsmärkten hochgehalten werden. Das kapitalistische System konnte viel Kritik durch Anpassung unterlaufen, doch gleichzeitig zeigt sich, dass Kapitalismuskritik oft ein mächtiger Motor seiner Entwicklung war.

Die Geschichte des Kapitalismus ist zweifelsohne faszinierend, doch mindestens genauso spannend ist die Beschäftigung mit seiner Zukunft und den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts: Kann es nachhaltiges Wirtschaftswachstum geben, dass die Klimakatastrophe eindämmt oder gar abwendet? Kann der Nord-Süd-Konflikt aufgehoben werden? Wie steht es um die Verteilung des Wohlstands und die sich daraus ergebenden Folgen für die Demokratie? Und welche langfristigen Folgen hat der existenzielle Zwang, unter dem viele Arbeitnehmer/-innen ihre Arbeitskraft verkaufen müssen? Zumindest eines ist klar: Die Geschichte des Kapitalismus ist noch lange nicht zu Ende.