In der Schule haben wir gelernt, dass die Welt aus Atomen und Molekülen besteht. Die Beschreibung ist allerdings in etwas so genau, wie zu sagen, dass das Universum aus belebter und unbelebter Materie besteht. Nicht falsch, aber auch nicht wirklich hilfreich.

Wir haben auch gelernt, dass Moleküle aus einzelnen Atomen bestehen. Wie komplex allein dieser Übergang ist, merkt man, wenn man bedenkt, dass es gerade einmal 94 verschiedene Elemente gibt, die das Universum aufbauen. Im Periodensystem finden sich zwar 118, allerdings sind die letzten künstlich erzeugt und teilweise extrem kurzlebig. Das Element Oganesson (Ordnungszahl 118) beispielsweise hat eine Halbwertszeit von ca. einer Millisekunde. Das hält theoretische Chemiker und Physiker natürlich nicht davon ab seinen Aggregatszustand, sowie Schmelz- und Siedepunkt vorherzusagen, aber das ist ohnehin alles schwarze Magie.

Zurück zu den 94 Elementen, die unsere Welt aufbauen. Alles, was wir im Universum finden ist eine Zusammensetzung dieser 94 Elemente, sie sind die Grundbausteine von allem, was ist. Die einzelnen Materialien unterscheiden sich nur in ihrer Zusammensetzung und der Art der Verbindungen der Elemente untereinander.

Die Atome selbst bestehen aus einem positiv geladenen Atomkern und negativ geladenen Elektronen, die um den Kern herumschwirren. Wie stark die Elektronen an das Atom gebunden sind, hängt vom jeweiligen Element ab. Treffen sich mehrere Atome, können sie „verbunden“ werden. Das geschieht durch Wechselwirkungen der Elektronen und Kerne und ist (wie eigentlich alles in der Chemie) ein Hin- und Herschieben der Elektronen.

Bindungen zwischen Atomen unterschiedlicher Elemente kann man vereinfacht in zwei Klassen unterteilen.

Klasse 1: Ionische Bindung

Hier zieht ein Atom Elektronen stark an (rechts im PSE), das andere nur sehr schwach (links im PSE). Das führt dazu, dass das stark anziehende Atom dem Anderen Elektronen entreißt. Aus zwei ungeladenen Atomen werden ein positiv geladenes Ion (Atom, das das Elektron verloren hat) und ein negativ geladenes Ion (Atom, das das Elektron hinzugewonnen hat). Wie wir gelernt haben, ziehen sich unterschiedliche Ladungen (also die zwei Ionen) an und sind mehr oder weniger stark aneinander gebunden. Ohne tiefer in die Theorie einsteigen zu wollen, sei erklärt, dass sich solche ionischen Verbindungen gerne in einer bestimmten Art und Weise anordnen. Sie bilden geordnete Kristalle aus, die wir zum Beispiel in Form von Edelsteinen wie dem Rubin kennen. Die Art, wie sich die Ionen anordnen hat hier eine direkte Auswirkung auf die Geometrie der Kristalle. Ein klassisches Beispiel für eine ionische Verbindung ist Kochsalz, hier liegen Na+ und Cl-Ionen vor.

Klasse 2: Kovalente Bindung

Ist der Unterschied der Elektronegativität (Maß für die Stärke des Elektronenzugs eines Elements) geringer als für die Ausbildung einer ionischen Bindung nötig, können die Atome eine kovalente Bindung eingehen. Hier werden keine Elektronen übertragen, sie werden geteilt. Beide Atome geben dabei Elektronen in den Zwischenraum ab, lassen sie aber nicht vollständig los. Daraus resultiert der klassische Bindungsstrich, den wir in der Schule kennen (und lieben ;) ) gelernt haben. An C-H und C-C Bindungen kann sich vermutlich jeder ganz dunkel erinnern. Der „-“ symbolisiert dabei 2 Elektronen im Zwischenraum der beiden Atome. Die Atome bleiben hier ungeladen, profitieren aber beide vom Elektron des Partners. Das kann man grob damit erklären, dass jedes Atom versucht eine bestimmte Anzahl Elektronen zu besitzen. Wasserstoff beispielsweise ist stabiler, wenn es zwei Elektronen besitzt, besitzt aber als einzelnes Atom nur ein Elektron. Verbinden sich zwei Wasserstoffatome zu einem Wasserstoffmolekül (H-H oder H2) hat jedes Atom praktisch zwei Elektronen zur Verfügung. Deshalb existiert Wasserstoff nur als H2, nicht als H. Ionische Bindungen entstehen aus demselben Grund.

Übrig bleiben Metalle und Legierungen, die eine andere Bindung besitzen. Aus Gründen des Umfangs sei nur gesagt, dass hier die Atome ihre Elektronen abgeben, die dann quasi als Wolke durch das Stück Metall „wabern“.

Dass aus diesen simplen Grundbausteinen so unglaublich viele unterschiedliche Materialen aufgebaut werden können, liegt an der schier grenzenlosen Möglichkeit diese Bausteine zu kombinieren. Allein die Verbindungen, die Kohlenstoff mit sich selbst und anderen Elementen bildet, füllt einen ganzen Fachbereich der Chemie, die Organik. Bereits vermeintlich kleine Unterschiede haben große Auswirkungen. Wenn an Ethan (C2H6) ein Sauerstoff angebracht wird, wird Ethanol (C2H6O) erhalten. Das eine wird mit Erdgas verbrannt, das andere ist ein beliebter Getränkezusatz. Wird Ethanol in der Mitte halbiert, wird Methanol erhalten (CH4O). Obwohl nur eine CH3-Gruppe verschwunden ist, ist Methanol giftig für uns und die größte Gefahr bei gepanschtem Schnaps. Es stellt den größten Anteil der bei der alkoholischen Gärung entstehenden sogenannten Fuselalkohole, daher der Ausdruck „billiger Fusel“. Es ändert sich also nicht nur der Aufbau, sondern auch die chemischen und physikalischen Eigenschaften, wenn kleine Änderungen vorgenommen werden. Das lässt sich schön an den Beispielen einer gesättigten Kohlenwasserstoffkette und Thalidomid zeigen. Kohlenwasserstoffe heißen Kohlenwasserstoffe, weil sie nur aus Kohlenstoff und Wasserstoff bestehen. „Gesättigt“ heißt hier, dass jedes Kohlenstoffatom mit der maximalen Anzahl Wasserstoffatome versorgt, also „abgesättigt“ ist. Die Sprache der Chemie klingt oft kompliziert, ist aber erstaunlich oft selbsterklärend (die Herkunft der Trivialnamen „Schleimzucker“ und „Spermin“ zeigen das recht deutlich). Gesättigte Kohlenwasserstoffe lassen sich mit der Formel CnH2n+2 beschreiben. Für n Kohlenstoffatome sind 2n+2 Wasserstoffatome enthalten. Geht man diese Reihe von n=1 bis n=19 durch, startet man bei Methan und endet bei Nonadecan. Methan ist gasförmig, genauso wie Ethan (n=2), Propan (n=3) und Butan (n=4). Bei Pentan (n=5) ändert sich das aber, ab hier sind die Stoffe flüssig und ab Nonadecan (n=19) sind sie bei Raumtemperatur fest. Simples aneinanderreihen der Grundbausteine hat bereits in diesem einfachen Beispiel einen starken Einfluss auf die physikalischen Eigenschaften, wie z.B. den Schmelzpunkt.

Um die chemischen Eigenschaften zu verändern, braucht es derart große Änderungen nicht einmal, da reichen bereits viel Kleinere. Das zeigt uns das Beispiel Thalidomid (besser bekannt unter dem Handelsnamen Contergan). Die Summenformel für Thalidomid lautet C13H10N2O4. Allerdings finden wir damit nicht heraus, wie die Struktur des Moleküls ist. Eine Hand lässt sich mit H1F5 (H für Handfläche; F für Finger) beschreiben. Aber damit wissen wir nicht, ob eine rechte oder eine linke Hand gemeint ist. Beide haben dieselbe Summenformel, verhalten sich aber wie Bild und Spiegelbild zueinander, sind also nicht gleich. Ein linker Handschuh passt nicht auf eine rechte Hand und umgekehrt. Bei Thalidomid gibt es genau dasselbe auch, es gibt zwei Verbindungen, die sich wie Bild und Spiegelbild zueinander verhalten (in der Chemie nennt man das „Enantiomere“). Ein Enantiomer wirkt sedierend, das andere fruchtschädigend. Leider können sich diese Formen, anders als unsere Hände, bei Thalidomid ineinander umwandeln, es ist also nicht möglich das sedierende Enantiomer herauszufiltern.

Diese zwei Beispiele zeigen, wie selbst kleine Unterschiede große Auswirkungen haben können und wie es möglich ist, dass unser Universum aus gerade einmal 94 Grundeinheiten besteht.

Damit sind wir wieder beim Fazit meines letzten Artikels: Je genauer man etwas kennt, umso unfassbarer wird es.

In diesem Sinne:

#staycurious

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