„Ich will nicht, dass unentwegt Anstrengungen zu meiner Rettung unternommen werden, wenn ich nichts davon weiß, in Gefahr zu sein.“ Mit diesem Satz leitet der Philosoph Hans Blumenberg seine Anmerkungen zu dem ein, was er „ein Novum in der Geschichte“ nennt und das darin besteht, dass noch nie so viele „für die anderen ohne deren Auftrag tätig geworden“ sind, wie in der Bibliothek Suhrkamp in dem Band „Die Sorge geht über den Fluss“ von 1987 nachzulesen ist.

Ich weiß nicht, wen Blumenberg im letzten Jahrhundert konkret vor Augen hatte, als er die zu seiner Rettung ohne Untergang Bereiten „auf den Straßen und auf den Bildschirmen, in den Zeitungen und in den Büchern, auf den Kathedern und auf den Kanzeln“ sah, wobei man heute noch die Displays auf den iPhones, iPads und Laptops hinzunehmen müsste. Die zuletzt genannten Geräte haben wie vor ihnen das Telefon – das seit 2007 den Menschen in die Hand gegebene Wunder heißt ja deshalb iPhone, weil damit das Telefon neu erfunden worden ist – zu einer sozialen Vernetzung in der Welt geführt, was den Nutzern offenbar überall gefällt und Vergnügen bereitet, auch wenn sie das Private dem Öffentlichen opfern. Trotzdem befindet sich dabei niemand in Gefahr, aber wie Blumenberg vorhergesehen hat, treten unabhängig davon Retter auf den Plan und entwerfen eine „Soziologie der Entnetzung“, wie ein gerade erschienenes Buch des Sozialwissenschaftlers Urs Stäheli heißt, der Handybesitzern helfen will, sich der geliebten Vernetzung zu entziehen, auch wenn sie noch so fest daran hängen möchten.

Stäheli macht nach, was sein Kollege Hartmut Rosa bereits um 2005 probiert hat, als er den Menschen als Rettung vor der in einer strikt auf Wachstumskurs getrimmten Gesellschaft erforderlichen „Beschleunigung“ des Lebens und Wirtschaftens eine Entschleunigung empfahl, allerdings ohne seinem Buch diesen Titel zu geben. Rosa hielt sich da lieber an den physikalischen Vorgang der kraftvollen Beschleunigung, und auch wenn alle Welt damals einer Verlangsamung des Lebenstempos gegenüber nicht abgeneigt schien, ist heute nirgendwo mehr etwas von Entschleunigung zu lesen. Die Grenzen des Wachstums interessieren inzwischen weniger als das Wachstum der Grenzen. Die Entschleunigung ist eine Täuschung und eine Enttäuschung, und der Entnetzung kann es nicht anders gehen, empfiehlt sie doch eine Kultur, die der menschlichen Natur mit ihrem Verlangen nach Gemeinschaft widerspricht. Um mit einem Klassiker zu spielen: Die Soziologen interpretieren die Welt bloß. Es kommt aber darauf an, die Welt zu verändern. Das ist mit der Vernetzung geschehen. Da gibt es nichts zu retten.

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