Zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Organstreitverfahren der AfD-Bundestagsfraktion zur Wahl eines Vizepräsidenten des Deutschen Bundestages hat der Parlamentarische Geschäftsführer und Justiziar der AfD-Bundestagsfraktion, Stephan Brandner, erklärt, dass seine Partei von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sowohl zeitlich als auch inhaltlich überrascht wurde. Er wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass man den Eindruck hatte, dass das Bundesverfassungsgericht bezüglich der anstehenden Entscheidung sehr unterschiedliche und widersprüchliche Signale ausgesendet hatte. Längerfristig angekündigt war eine Entscheidung in der Sache des AfD-Fraktionsmitglied Fabian Jacobi für 10:30 Uhr. Dann erreichte den Bevollmächtigten der AfD um kurz nach 11 Uhr eine Mail des Bundesverfassungsgerichts, in der für 12:30 Uhr eine Entscheidung in der Fraktionsklage angekündigt wurde, die dann aber bereits um kurz nach 12 Uhr veröffentlicht war.

In der Sache ist die Entscheidung des Gerichts nach Meinung der AfD nicht nachvollziehbar und unverständlich. Die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, die festlegt, dass jede Fraktion einen Vizepräsidenten stellt, scheint nicht das Papier wert zu sein, auf dem sie gedruckt wurde. Auch der eindeutige und einstimmige Beschluss des Bundestags vom 24.10.2017 (Drs. 19/3), in dem festgestellt wurde, dass jede Fraktion einen Vizepräsidenten stellt, wird gänzlich ignoriert. Das war heute alles andere als eine Sternstunde für die Demokratie und das Bundesverfassungsgericht. Ein schlechter Tag für Deutschland.

Formal wird man die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht angreifen können, da es in der Tat nicht sein kann, dass Abgeordnete des Bundestages auf ein bestimmtes Abstimmungsverhalten festgelegt werden können. Auch wenn dies faktisch über den sogenannten Fraktionszwang erfolgt. Denn der Zwang der Fraktionen ihrer angeblich freien und nur ihrem Gewissen folgenden Abgeordneten bedeutet nichts anderes, als dass den Abgeordneten vorgegeben wird, wie sie in einzelnen Fragen zu entscheiden haben. Dies wird auch der Grund sein, dass es bisher nicht möglich gewesen ist, demokratisch gewählten Abgeordneten eine freie Tätigkeit als Abgeordnete ausüben zu können, indem man sie durch Verfahrenstechnik einfach von der Arbeit des Bundestages fernhält. Es ist auch eine Verhöhnung der Bürger, die eine Partei in den Bundestag gewählt haben und die dann feststellen müssen, dass ihre gewählten Abgeordnete in ihrer parlamentarischen Arbeit blockiert werden.

Was man dem Bundesverfassungsgericht, das in der letzten Zeit bemerkenswert ständig nur im Sinne der Regierungsmeinung entschieden hat, vorwerfen muss, ist die Art und Weise, wie dieser Beschluss offensichtlich zustande gekommen ist. So soll es noch nicht einmal eine mündliche Anhörung der Beteiligten gegeben haben. Allein ein solches Verfahren könnte eine Missachtung von Abgeordneten erkennen lassen, die man vielleicht, ohne es gleich auszusprechen, ohnehin am liebsten aus dem Bundestag entfernen möchte, aber zur Zeit leider noch keine rechtliche Handhabe hat, dies in die Tat umzusetzen.

Das Bundesverfassungsgericht, das auch in anderen Fällen Hinweise gegeben hat, wie man eine Rechtssituation in der Zukunft lösen könnte, hätte vielleicht darauf aufmerksam machen können, dass bei dem jetzt zu entscheidenden Sachverhalt eine widersinnige Regelung besteht, die man durch Änderung der Rechtslage sehr schnell hätte auflösen können. Wenn einerseits gewollt ist, dass alle im Bundestag vertretende Parteien im Präsidium des Bundestages vertreten sein sollen, dann hätte man anderseits eben nicht festlegen sollen, dass die Kandidaten jeweils mit einer bestimmten Mehrheit der Abgeordneten gewählt werden müssen. Wahrscheinlich haben sich die Väter der damaligen Entscheidung der jetzt existierenden Vorschriften nicht vorstellen können, dass im Bundestag einmal eine Situation eintreten könnte, wo Mainstream-Parteien in einer Art Volksfront alles unternehmen, eine missliebige politische Opposition auszuschalten.

Die gleiche Vorgehensweise ist auch bei der Finanzierung der Partei-Stiftungen zu beobachten. Mit allen technischen Tricks, man könnte schon ein faschistoides Verhalten erkennen, wird der Parteistiftung der AfD eine Finanzierung verweigert, obwohl sie genau wie die anderen im Bundestag vertretenen Parteien, zumindest einen moralischen Anspruch hätte, mit den anderen Parteien gleichbehandelt zu werden.

Nicht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist also ein Armutszeugnis einer politischen Kultur, sondern das Verhalten der anderen Parteien im Bundestag. Es grenzt schon an den Grad der Lächerlichkeit, dass die Linken, die mit Ach und Krach über drei Direktmandate in den Bundestag gekommen sind und deren Führung mit verfassungsfeindlichen Organisationen und Gedanken verbunden zu sein scheint, eine Vizepräsidentin im Bundestag stellen können, während der AfD eine solche Position verweigert wird. Es ist keine Sternstunde der Demokratie, wenn man gewaltsam eine Partei, die von den Bürgern gewählt wurde, an der parlamentarischen Arbeit ausgrenzt und kein Zeichen eines demokratischen Verhaltens. Es ist aber auch deshalb keine Sternstunde, weil solche faschistischen Verhaltensweisen zu einer Spaltung führen und auf Dauer eine Demokratie zerstören. Das ist das eigentliche Problem, das von den Mainstream-Parteien offensichtlich nicht gesehen wird, das aber schwere negative Folgen für unser (noch) demokratisches Staatswesen haben könnte.

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