Die Menschheit bläst derzeit jährlich riesige Mengen von CO2 in die Atmosphäre. Genauer: 37 Gigatonnen oder 37 Milliarden Tonnen. Das entspricht der Emission von 3008 Braunkohle-Großkraftwerken vom Typ "Schwarze Pumpe". Wenn das politisch verabredete Ziel erreicht werden soll, die Klimaerwärmung  auf 1,5 bis maximal zwei Grad zu begrenzen, müsste der weltweite CO2 Ausstoß spätestens bis 2050 auf Null gefahren werden; und danach sind sogar negative Emissionen nötig, um die Erwärmung zu begrenzen – wir müssen CO2 aus der Atmosphäre zurückholen. Allein mit Aufforstung von Wäldern kann das nicht gelingen, erforderlich werden großtechnische Lösungen.

Wenn man also an dem Ziel festhalten will, ist es höchste Eisenbahn für eine massive Umsteuerung.  Doch die gesellschaftliche und politische Debatte zum Klimaschutz erinnert irgendwie an den BREXIT: Manche wollen das 1.5 bis zwei Grad Ziel als unerreichbar aufgeben, andere einen geregelten Ausstieg aus dem Kohlenstoffregime erreichen und  andere ein hartes Aufschlagen hinnehmen.  Wir erleben eine Mischung aus Nicht-Ernstnehmen, Schreckensmalerei und symbolischem Aktionismus. Aber ernsthafte erfolgversprechende Bemühungen, die erforderliche Halbierung der weltweiten Emissionen noch vor 2030 oder 2035 zu erreichen, gibt es kaum.

Und je dramatischer wir über vermeintliche Folgen des Klimawandels schreiben, je stärker wir Ängste schüren, um so schriller werden die Diskussionsbeiträge. So twitterte die Bundestagsabgeordnete Bärbel Höhn vor einigen Tagen "die nächsten Wochen soll kalte Polarluft unser Wetter bestimmten. Ein Zeichen, dass die Golfstromwirkung nicht mehr funktioniert." Eine sachliche Basis für diese Behauptung gibt es nicht. Und wenn der Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach einen Zusammenhang zwischen einem Tsunami in Indonesien und dem Klimawandel twittert, dann kann man sich eigentlich nur an den Kopf fassen. Seriös ist das nicht. Doch mit der inflationären Verbreitung solcher Behauptungen verliert das gute Klimaargument Anerkennung und Unterstützung.

Der moralische Zeigefinger scheint mir in der Klimadebatte so unangemessen wie realitätsfern. Nicht wenige in Deutschland predigen Verzicht auf vieles, angeblich dem Klima zuliebe. Wenn wir Deutschen mit gutem Beispiel vorangehen, so die Logik, dann können wir Menschen in den emissionsintensiven Ländern bewegen, uns zu folgen. Doch wenn man mit Bewohnern etwa Chinas spricht, und nicht nur die Verlautbarungen der Regierungen liest, wird man schnell davon überzeugt, dass das nicht funktioniert. Diese Menschen wollen Verbesserungen in der Luftqualität, und ansonsten die gleichen oder sogar mehr Annehmlichkeiten im Leben haben, als wir sie seit Jahrzehnten genießen.

Klimakrise wird für andere Zwecke instrumentalisiert

Andere wiederum meinen, dass symbolische Akte, wie Schulstreiks, zu einer Stärkung der Moral führen würden, so dass die Welt endlich einseht, dass nordeuropäische Schüler es besser wissen als die politischen Eliten in den USA, China, Indien, Brasilien oder Nigeria, was im Interesse der Menschen ihrer Länder steht.

Und schließlich gibt es noch jene, die finden, dass eine Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit auf deutschen Autobahnen der "Klimakrise" Einhalt gebieten würde. Wenn man sich den Umfang der so erreichten Minderungen (dadurch, dass nur ein Bruchteil der Autos dann nicht mehr 180 sondern 130 km/h fährt) vor Augen führt, ist klar, dass diese Maßnahme zum Klimaschutz unwirksam ist. Vielmehr ist es bloß eine Wiederholung einer alten, unveränderten Forderung aus den 1970er und 1980er Jahren, allerdings diesmal mit dem Verweis auf das Klima und nicht wie damals auf den sauren Regen und den Wald. Mit anderen Worten – es geht dabei gar nicht um das Klima; vielmehr wird das Klimathema für einen anderen Zweck instrumentalisiert.

Was tun? Ich schlage zwei Änderungen gesellschaftlicher Praxis vor

Zunächst müssen wir Klimawissenschaftler uns ändern.  Wir müssen aufhören, nur Sorge vor den Trivialisierungen der Klimaskeptiker zu haben, und auch den Schreckensmalern und ihren dummen Aussagen wie den beiden oben genannten Tweets aktiv entgegentreten. Wenn Maßnahmen wie eine Geschwindigkeitsbegrenzung keinen relevanten Beitrag zur CO2-Reduktion beitragen, dann sollten wir das laut und deutlich sagen. Um nicht falsch verstanden zu werden – es gibt gute Gründe für Tempo 130 auf deutschen Autobahnen, weniger Unfälle etwa oder weniger Staus. Klimaschutz gehört nicht dazu.

Zum anderen sollte sich unser Umgang mit der Option Technik ändern.  Technische Intelligenz ist eine der wenigen Ressourcen unseres Landes. Und sie ist auch der entscheidende Hebel, den wir in Deutschland haben, um einen nennenswerten Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Denn von den weltweit 37 Gigatonnen, verantworten wir bloß 0,8 Gigatonnen, also fast nichts. Auch der gerade vorgeschlagene Kompromiss zum Kohleausstieg ändert nichts an der Tatsache, dass der deutsche Beitrag zur weltweiten CO2-Reduktion eher gering ist.

Wir sollten jedoch versuchen, technische Entwicklungen anzustoßen, die es wirtschaftlich attraktiv erscheinen lassen, emissionsfrei zu leben. So dass nicht nur unsere eigenen 0,8 Gigatonnen verschwinden, sondern anderswo Modernisierung so gestaltet wird, dass auch wesentliche Gewinne in der CO2-Bilanz erzielt werden. Wir könnten diese neuen Produkte zu "open access" machen, wenn wir noch altruistischer sein wollen.

Also – um auf BREXIT zurückzukommen –  wenn ein geregelter Ausstieg aus der Nutzung fossiler Brennstoffe politisches Ziel bleiben soll, dann bitte realistisch werden und nicht romantischen Träumen über unsere moralische Zugkraft anhängen oder dumme Räuberpistolen verbreiten. Den Klimawandel, insbesondere seine Größenordnung, ernst nehmen und uns nicht in unwirksamen Kleinklein verlieren, weil es sonst einen harten Aufschlag geben wird. Aber sich auf den harten Aufschlag vorbereiten – durch laufende Anpassung an die Risiken und deren Änderungen insbesondere in der Dritten Welt. Wenn man dann noch die Geschwindigkeit auf den Autobahnen begrenzen will – bitte gern, aber dann mit einer wahrhaftigen Begründung, nicht mit dem Klima.


Dieser Beitrag wurde zum ersten Mal veröffentlicht am 28. Januar 2019 unter https://www.stern.de/panorama/wissen/natur/hans-von-storch---klimawandel-ernst-nehmen---dummen-aussagen-aktiv-entgegentreten--8550822.html.

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