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„Wie geht es weiter? Was kommt als Nächstes?“ Die Virologen sind sich uneinig, die Wirtschaftsforscher ebenso, Verschwörungstheorien blühen. Wir haben keine eindeutigen Modelle, um aus dem wirren Geschehen verlässliche Vorhersagen zu ziehen. Wir können jedoch die Psychologie als Hilfsdisziplin bemühen. Sie hält Prognosen bereit und eröffnet uns Handlungsräume.

Die Psychologie benennt Grundmuster, wie Menschen mit Krisen umgehen. Ein gängiges Phasenmodell im Überblick: Schock – Verleugnung, Angst – Wut, Depression – Trauer, Interesse – Aufbruch, Integration des Neuen. Dieses Modell stellt auf Individuen ab, lässt sich jedoch auch auf Kollektive anwenden. Wo stehen wir in dieser Krise?

Noch ziemlich am Anfang. Jeder hat sein Tempo – je nach persönlichem Erleben. Kollektiv sind wir im Übertritt vom Schock in die Phase der großen Emotionen. Die Krise wird zum Alltag. Die Diagnose mittels Verleugnung zu reduzieren greift immer weniger. Das gute Wetter der ersten Wochen hilft. Aber wir müssen uns darauf einstellen, dass es düsterer wird. Durchtauchen ist keine Option, wir werden uns stellen müssen. Es wird wehtun.

Angst, Aggression und Wut werden zunehmen. Parallel zur Zahl der Toten, Arbeitslosen und Unternehmenspleiten. Die Suche nach den Schuldigen wird sich intensivieren. Die Krise bekommt mehr Gesicht. Sie wird konkret, auch für das eigene Leben.

Krise dauert. Im September 2008 begann mit der Lehman-Pleite die Finanzkrise. Erst im Februar 2009 überwogen in Österreich jene Stimmen, die eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage im eigenen Betrieb erwarteten. Dieses Mal geht es schneller, schlagartig. Und doch braucht es seine Zeit, bis die Tragödie ankommt.

In den nächsten Monaten wird zunehmend Pessimismus die individuellen Zukunftserwartungen dominieren. Politische Kräfte werden den Zorn und die wallende Wut bewirtschaften. Noch beeindrucken die Regierenden durch entschlossene Maßnahmen und ernten den „Rally ’round the flag“-Effekt. Dieser beschert ihnen kurzfristig Popularität. Die Kritik an den Einschnitten ist sehr gedämpft. Dieser Effekt wird über die Zeit abnehmen und sich vielerorts ins Gegenteil verkehren. Mittelfristig hat die Krise das Potenzial, die politische Spielanlage aus den Angeln zu heben.

Die kollektiven Dynamiken sind das eine, das eigene Leben das andere. Für beide Sphären hilft es, sich solche Phasenmodelle zu vergegenwärtigen, um Bewegungsspielraum für das eigene Sein und Tun zu gewinnen: Emotionen dürfen sein, Trauer wird kommen. Und vorübergehen. Der persönliche Umgang mit der Krise wird uns mal besser von der Hand gehen, mal schlechter. Aber nie sind wir nur hilflose Opfer, immer bleibt Spielraum für individuelles Gestalten. Und vor allem die Gewissheit: Irgendwann wird es vorbei sein.

Irgendwann wird der Aufbruch regieren, auch in unserem Leben. So abgedroschen es klingen mag in Zeiten wie diesen: Alles wird gut – immer wieder.