Zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am Donnerstag, dem 27. Januar, fordert Jürgen Dusel, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, endlich eine offizielle Anerkennung für die Opfer der Nationalsozialisten, welche im Rahmen der "Euthanasie"-Programme umgebracht wurden.

Ein Text über die Opfer der "Euthanasie", die Geschichte und Hoffnung auf Anerkennung als Opfer der Nationalsozialisten.

Im Oktober 1939 erließ Hitler die Anordnung zur Ausrottung von aus seiner Sicht "lebensunwerten Lebens", doch die systematische Massentötung von behinderten Menschen war bereits in Gange. Zynischerweise war damals die Rede von einem "Gnadentod". In Wirklichkeit wurden tausende Menschen von den Anhängern des Nationalsozialismus umgebracht. Angefangen hat dieser Massenmord häufig mit den Kindern, teilweise auch durch den Entzug der Nahrung. Während man also von "Gnadentod" sprach und den Vorgang mit dem Begriff "Euthanasie" beschönigte, versuchte man die Opfer mit Medikamenten, medizinischen Tests oder durch Verweigerung von Nahrungsgabe zu töten.

Bis heute sind diese Menschen nicht offiziell als Opfer des Nationalsozialismus anerkannt

Hoffnung setzt Dusel dabei in den Koalitionsvertrag der Regierungsfraktionen, denn dieser lasse "hoffen, denn er verspricht genau dies. Ich werde mich dafür einsetzen, dass dieser überfällige Schritt rasch vollzogen wird", so Dusel.

Im Rahmen der Aktion T4 wurden mehr als 70.000 Morde begangen und dies ausgerechnet in Heil- und Pflegeanstalten. Im Deutschen Reich wurden unter der Naziführung insgesamt 200.000 Menschen ermordet und das meist in verdeckten Aktionen. Europaweit wird von 300.000 Tötungen ausgegangen. Hinzukommen etwa 400.000 Opfer von Zwangssterilisierungen.

Der Gedenktag sei auch eine "Mahnung für das Heute und Morgen", so Dusel weiter: "Wir müssen und wollen aus dem Geschehenen Lehren für unser heutiges Leben ziehen. Das sind wir den Opfern und ihren Angehörigen schuldig."

Die Nazis wollten alle Kranken ausrotten

"Reichsleiter Bouhler und Dr. med. Brandt sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankenzustandes der Gnadentod gewährt werden kann."
                                  "Euthanasie"-Ermächtigung Adolf Hitlers, Oktober 1939

Hitler höchstpersönlich unterzeichnete diesen Auftrag zur Menschenvernichtung, was ein Novum darstellt. Bei keinem anderen Massenmord findet sich sonst die persönliche Unterschrift. Behinderte und psychisch erkrankte Menschen wurden unter dem Label "Euthanasie-Programm" massenweise ermordet.

Später wurde der Erlass auf den 1. September 1939 zurückdatiert, wahrscheinlich um einen Zusammenhang zum Kriegsbeginn herstellen zu können. In der Berliner Tiergartenstraße 4 wurde die Zentralverwaltung für die die Selektion der Opfer eingerichtet. Per Meldebogen wurde die Verwaltung informiert und kümmerte sich anschließend um den Abtransport in eine der berüchtigten Vernichtungsanstalten: Brandenburg, Bernburg, Grafeneck, Hadamar, Hartheim und Sonnenstein.
Die Morde wurden später unter dem Namen T4 bekannt, welche wegen der Zentralverwaltung so benannt wurden.

Die Meldebögen wurden gegen Ende 1939 an alle für die Nazis infrage kommenden Pflegeheime und Anstalten des Reiches versendet. In den Bögen wurde über Krankengeschichte, Aufenthaltsdauer, Arbeitsfähigkeit und gegebenenfalls auch über Heilungsaussichten von Patienten nachgefragt.
Die auf diese Weise angefragten Anstalten und Heime wussten zumindest anfangs nichts über die dahinterstehenden Absichten.

Über den Tod der Menschen entschieden von Anfang an Ärzte

Mindestens drei und in Ausnahmefällen, etwa wegen Zweifeln, vier Gutachter mussten die Bewertung vornehmen. Mit einem einfachen Plus- oder Minuszeichen entschieden diese über Leben oder Tod. Nach der Selektion kamen die Opfer über Zwischenstationen in die Vernichtungsfabriken. Der Aufenthalt in diesen zum Massenmord ausgebauten Tötungsanstalten war meist nur von kurzer Dauer. Mindestens 40 Ärzte waren daran beteiligt, jedoch müssen es deutlich mehr gewesen sein. Aus dem erhaltenen Dokument, der internen Ärzteliste, lassen sich jedenfalls genau diese Ärzte ablesen.

Kinder gehörten zu den ersten Opfern und die ersten Täter waren Ärzte.

Auch nachdem Hitler am 24. August 1941 offiziell den Befehl gab, die Aktion T4 zu beenden, sowie die "Erwachseneneuthanasie" in den Tötungsanstalten einzustellen, wurde weiterhin gemordet. Die Ermordung von Kindern im Rahmen der sogenannten "Kinder-Euthanasie" wurde nie eingestellt und ebenso gab es dezentralen Tötungen von behinderter Erwachsenen in einzelnen Anstalten und Heimen. Später wurde in Bernburg, Hartheim und Sonnenstein weiter gemordet, diesmal im Rahmen der "Aktion 14f13". Die auch als "Invaliden- oder Häftlings-Euthanasie" bezeichnete Selektion von KZ-Häftlingen, welche als "krank", "alt" oder "nicht mehr arbeitsfähig" eingestuft wurden, ging bis 1944.

Von insgesamt 438 „Euthanasie“-Strafverfahren, welche bis 1999 eingeleitet wurden, endeten nur 6,8 Prozent mit rechtskräftigen Urteilen.² Viele Verfahren wurden wegen Verhandlungsunfähigkeit eingestellt, andere wurden trotz Beteiligung an den Morden (wie Kurt Borm) freigesprochen, entgingen durch Selbsttötung der Bestrafung oder wurden nach kurzer Haft begnadigt.

Wegen der Pandemie wird in diesem Jahr keine öffentliche Kranzniederlegung am Gedenkort T4 in der Berliner Tiergartenstraße stattfinden. Morgen früh veröffentlicht Jürgen Dusel eine Videobotschaft und wird im Laufe des Tages in aller Stille einen Kranz niederlegen.

Quellen:
Eigene Recherchen
Original Dokumente im Bundesarchiv und privaten Archiven
Reichsgesetzblatt I S. 529
Bundeszentrale für politische Bildung
Jürgen Dusel, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen
Vancouver Holocaust Education Centre

²Jürgen Schreiber: Schuld ohne Sühne. Die juristische Aufarbeitung der nationalsozialistischen „Euthanasie“ in der Bundesrepublik Deutschland.
In:  Tatkomplex NS-Euthanasie. Die ost- und westdeutschen Strafurteile seit 1945, Amsterdam 2001, ISBN 978-90-8964-072-7.

Nach Angaben von gedenkort-t4.eu:

Historische Dokumente zu diesem Thema:

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