Die jüngste Entscheidung eines Zoos, einzelne Paviane einzuschläfern, hat eine Welle der Empörung ausgelöst. Die emotional geführten Diskussionen sind angesichts der Betroffenheit verständlich. Doch diese Maßnahme wirft komplexe ethische und artenschutzfachliche Fragen auf, die sich nicht mit einem einfachen „Das darf man nicht!“ beantworten lassen.

Der betreffende Tiergarten in Nürnberg engagiert sich seit Jahrzehnten in der Erhaltungszucht einer seltenen Pavianunterart (Guinea-Pavian), die in freier Wildbahn vom Aussterben bedroht ist. Da diese Tiere in europäischen Zoos kaum vertreten sind, ist ein Austausch mit anderen Einrichtungen nahezu unmöglich. Nürnberg spielt in diesem Kontext eine entscheidende Rolle bei der Sicherung der genetischen Vielfalt dieser Art.

In einem geschlossenen System wie einem Zoo fehlt jedoch die natürliche Regulation durch Fressfeinde oder Umweltstress. Die Population vermehrt sich unter optimalen Bedingungen kontinuierlich, was schnell an räumliche und soziale Grenzen stößt. Inzucht, Überpopulation und aggressives Verhalten in zu großen Gruppen sind die unausweichliche Folge. Gehegeerweiterungen können eine solche Situation nur vorübergehend entschärfen und das Problem aufschieben. Bei kontinuierlichem Wachstum ist jeder zusätzlich gewonnene Platz lediglich ein kurzfristiger Puffer, und die Ausweichgehege wären in wenigen Jahren überfüllt.

Verhütungsmaßnahmen bei Pavianen, wie die „Pille“ oder Kastrationen, sind keine praktikable Option. Sie führen entweder zu dauerhafter Unfruchtbarkeit oder zu schweren Verhaltensstörungen bei den Tieren, da die Elternschaft einen wichtigen sozialen Stellenwert in der Gruppe besitzt. Eine Haltung ohne Jungtiere würde die soziale Struktur der Pavian-Gruppe insgesamt beeinträchtigen. Angebote von außen, Paviane aufzunehmen, die nach einem Aufruf des Zoos eingingen, erwiesen sich bei näherer Prüfung als unseriös. Es fehlte entweder an einer artgerechten Haltung oder am Verständnis für die komplexen Anforderungen dieser hochsozialen Tiere. Ein Angebot dieser Art wurde vom Wales Ape & Monkey Sanctuary (WAMS) an die Medien statt den Zoo gerichtet, woraufhin sich der Zoo mit der Frage nach den Haltungsbedingungen gemeldet hatte. Diese Frage war auch berechtigt, denn sie ist Vorraussetzung für eine Abgabe - zudem steht das WAMS bei Experten und Besuchern bezüglich der Haltungsbedingungen konstant in der Kritik. Eine Antwort dazu hatte das WAMS mit dem Hinweis, die Frage an sich sei beleidigend, nicht gegeben. Verständlich, dass der Zoo in diesem Fall eine Abgabe nicht verantworten wollte. Er durfte das schlichtweg gar nicht: Auf EU, Bundes- und Landesebene und auf Ebene der Zoogesellschaften muss der Zoo eine Abgabe in eine artgerechte Haltung sicherstellen. Das Great Ape Projekt (GAP) und das WAMS weigerten sich, den Fragebogen zu eben diesen Haltungsbedingungen überhaupt zurückzusenden. Wie soll der Zoo seiner Verpflichtung da denn irgendwie nachkommen?

Ahnungslose Zungen im Internet mögen behaupten, dass ein Fragebogen, der die Haltungsbedingungen im Detail abklopft, reine Schikane statt Vorschrift sei, aber eine solche Behauptung ändert nichts an der EU Direktive 1999/22/EC, dem Tierschutzgesetz und den Gesetzen der Landesregierung zur Umsetzung der EU Vorgaben. Ferner würde der Zoo mit einer Abgabe ohne eine solche Prüfung gegen die Regeln der nationalen und internationalen Gesellschaften verstoßen, in denen er Mitglied ist, darunter VdZ, EAZA und WAZA. Das kann er sich im Sinne der Reputation, Zusammenarbeit und finanziellen Unterstützung absolut nicht leisten. Auch ethisch ist eine Abgabe von Tieren in eine inadäquate Haltung oder eine gar ungeprüfte Haltung nicht zu vertreten - egal wer für die Kosten der Umsiedlung aufkommt. Und ja, obwohl eine böse Zunge im Internet behauptet hat, dass die Frage nach den Zuchtplänen bedeutet, das eine Zucht verlangt sei, und das - sofern man der deutschen Sprache mächtig ist - keine logische Schlussfolgerung ist, ist es gut möglich, dass Zuchtabsichten bei Guinea-Pavianen zur artgerechten Haltung zwingend dazu gehören. Wie oben beschrieben hängen die Gruppendynamik, die mentale Gesundheit und der Frieden in der Gruppe signifikant von vorhandenem Nachwuchs ab. Dass es sich bei den getöteten Pavianen um kinderlose/nicht-säugende Tiere und un die Aggressoren innerhalb der Gruppe handelte, die man vielleicht gerade nicht gemeinsam in einen Käfig stecken sollte, weist darauf hin, dass „Wir nehmen die zwölf, die getötet werden sollen“ ohnehin eine ziemlich unbedachte Aussage wäre. Vielmehr hätte in einem komplett neuen Ansatz genau überlegt werden müssen, wie man die vorhandene Paviangruppe in zwei stebile Gruppen hätte trennen könnte. Dies bleibt nach wie vor irrelevant, da ohnehin keine artgerechte Haltung angeboten wurde.

Der Zoo stand nun also vor einem typischen Dilemma: Soll die Haltung und Zucht aufgegeben und der Fortbestand der Art aufs Spiel gesetzt werden? Soll zugesehen werden, wie sich die Tiere gegenseitig verletzen oder gar töten, nur um menschlicher Empörung aus dem Weg zu gehen, indem man die Entscheidung hinauszögert, bis die Tiere sich selbst verletzen oder töten? Oder soll man versuchen, einzelne Tiere mit veterinärer Unterstützung zu töten, um die Gruppe insgesamt zu schützen und das Zuchtprogramm fortsetzen zu können?

Die Entscheidung zur Euthanasie wurde sicherlich nicht leichtfertig getroffen. Sie war kein Ausdruck von Gleichgültigkeit oder ästhetischen Präferenzen. Im Gegenteil: Tierpflegerinnen und Tierpfleger, die täglich mit diesen Tieren arbeiten, leiden oft am meisten unter solchen Entscheidungen – auch wenn sie diese aus fachlicher Überzeugung mittragen. Der Schmerz über das Einzelschicksal ist real, ebenso wie das Wissen um die Verantwortung gegenüber der gesamten Art.

Ein Blick in die Vergangenheit zeigt ähnliche Entscheidungen in anderen Tiergärten. Im Jahr 2008 erlangte der Zoo Magdeburg internationale Bekanntheit, als drei Tigerwelpen eingeschläfert wurden. Der Grund: Sie waren nicht reinrassig, da der Vater sich später als Mischling erwies. Diese Jungtiere waren somit aus genetischer Sicht nicht für Zuchtprogramme geeignet. Auch hier stellte sich die Frage: Sollten diese Tiere über Jahre oder Jahrzehnte hinweg gepflegt und betreut werden – anstelle von drei Tieren für die Erhaltungszucht? Oder sollte man ihnen ein kurzes, aber friedliches Leben ermöglichen und sie dann einschläfern, um langfristig Ressourcen zu schonen und die Zuchtlinien klar zu halten?

Obwohl dieser Fall juristische Konsequenzen hatte, wurden die Entscheidungen der damaligen Zooleitung artenschutzfachlich gestützt. In der Haltung großer Tiere wie Tiger gibt es weltweit nur begrenzt Platz. Drei Tigerjunge ohne genetische Relevanz würden auf Jahre hinweg anderen Tigern mit Zucht- oder Rettungsperspektiven diesen wenigen Platz wegnehmen. Dies kann, so paradox es klingen mag, im Gesamtkontext eine weniger verantwortliche Entscheidung sein als die kontrollierte Euthanasie.

Es zeigt sich ein wiederkehrendes Muster: Emotionale Reaktionen auf den Verlust einzelner Tiere stehen einem nüchternen Blick auf die langfristigen Folgen gegenüber. Der einzelne Pavian oder Tiger ist sichtbar, individuell, er hat ein Gesicht und vielleicht sogar einen Namen. Er ist vielleicht sogar sehr niedlich, was uns emotional nicht kalt lassen kann (und auch nicht darf!). Die Tiere, die durch das Aussterben einer Art nie geboren werden, bleiben hingegen abstrakt. Das erschwert es, Entscheidungen zu akzeptieren, die das Wohl der Gruppe oder der Art über das des Individuums stellen.

Die Frage, ob man Euthanasie im Artenschutz grundsätzlich rechtfertigen kann, ist schwer zu beantworten. Sie lässt sich nicht lösen, indem man kategorisch Ja oder Nein sagt. Vielmehr verlangt sie eine Abwägung von Verantwortung, Tierwohl, biologischen Realitäten und ethischen Grundsätzen. Es ist nicht unmoralisch, solche Entscheidungen zu kritisieren – im Gegenteil, die Diskussion darüber ist notwendig. Aber sie sollte sich auf fundierte Informationen stützen und nicht auf vereinfachte Vorwürfe.

Wer konkrete, durchdachte Vorschläge hat, wie man mit solchen Situationen besser umgehen kann – etwa durch innovative Haltungskonzepte, finanzierbare Zuchtalternativen oder tragfähige Kooperationen mit anderen Einrichtungen –, sollte diese an die betroffenen Zoos richten. Denn dort ist man sich der Tragweite solcher Entscheidungen meist sehr bewusst und hat schon viele Möglichkeiten abgeklopft und abgewogen. Dort ist man sicher offen für Lösungen, die über bloße Empörung hinausgehen.


(Vielen Dank an Karl Wilhelm aka Gondlir für das Lektorat.)

Dir gefällt, was DailyKaffee schreibt?

Dann unterstütze DailyKaffee jetzt direkt: