Berlin 19.05.2020

Franziska Giffey zieht Konsequenzen und tritt vom Amt zurück - Doch was war passiert?

Die SPD-Politikerin war seit 2018 Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Ein Jahr später sprach die Freie Universität Berlin (FU) eine Rüge gegen die Ministerin aus, doch nach einiger Kritik zog die Hochschule diese zurück und unterzog den Fall einer erneuten Prüfung. 27 Plagiate zählte die FU Berlin in der Arbeit. Zusätzlich verbissen sich die Plagiatswächter von vroniplag an der Doktorarbeit.

Zusätzlich fand man an 22 weiteren Stellen deutliche Textübernahmen oder Paraphrasen, ohne die Quelle dafür anzugeben. Texte wurden so sinngemäß  übernommen - auch wenn diese so nicht EINS zu EINS abgeschrieben wurden. Im "Schlussbericht des Gremiums zur Überprüfung der Dissertation von Frau Dr. Franziska Giffey" hieß es dazu: „Im Gremium bestand Konsens darüber, dass diese 27 Textstellen den Tatbestand der 'objektiven Täuschung' erfüllen“, zudem befand man „dass die in der Arbeit festgestellten Mängel auch einen systematischen Charakter haben“.

Nach dem Resümee hätte man eher eine ernsthafte Konsequenz erwartet, jedoch kam Giffey mit einer einfachen Rüge davon. Das Problem an diesem Vorgehen: Nach dem Hochschulgesetz von Berlin ist dies nicht erlaubt. Die eigentliche Folge wäre die Aberkennung des Doktortitels gewesen. So sieht es das Gesetz vor. Nur bemühte man sich einiger halbgaren Argumente, dass sich dieser Fall "von klassischen Plagiatsfällen unterscheide". Nach der Veröffentlichung dieses Berichtes durch Student*innen (ASTA) gab es einen großen Protest aus Kreisen der Opposition und der Studenten. Die Folge waren drei Gutachten, welche sich mit der Frage beschäftigten: War die Rüge zulässig?

Zwei Beurteilungen, beide nicht von der Hochschule beauftragt, gelangten zum Schluss: Die Rüge sei nicht rechtmäßig. In der Folge sah sich die FU zu einem Aufrollen des Falles gezwungen. Schon bei Semesterarbeiten gilt eine Null-Toleranz-Politik, so verwundert eine erneute Überprüfung nicht.

Oft äußerten sich Medien jedoch sehr wohlwollend gegenüber Franziska Giffey, was durchaus überraschte. So wurde oft nur von wagen Mängeln gesprochen oder kleineren Fehler - als wenn es der Aufregung nicht wert sei. So bagatellisierten Medien, wie „Welt“, FAZ, RTL, t-online und andere, es als  "Zitierfehler“, oder „unsauberes Arbeiten“, oder als „geschummelt haben“. Dabei stellte dieses Vorgehen von der Politikerin ein betrügerisches wissenschaftliches Fehlverhalten dar und ist bei anderen (politischen) Persönlichkeiten oft und auch zurecht angeprangert worden. Der rbb brachte so gar noch eine besondere Form der Ausrede hervor: „Die andere Lesart ist, dass hier eine Vollzeit-Politikerin und 2009, als sie die Arbeit schrieb, Mutter eines Kleinkinds lediglich an der einen oder anderen Stelle nicht ganz sauber zitiert hat.“ Eine Abwertung gegenüber allen Studentinnen, welche als Mutter und ganz sauber eine Arbeit schreiben.

Mehr Informationen zum Medienkomplex bei diesem Thema finden sich bei Übermedien, welche schon am 14.Mai einen Artikel veröffentlichten https://uebermedien.de.

Interessant wird es auch, wenn man sich anschaut: Was Vertreter der SPD zu anderen Plagiatsfällen sagten. So bezeichnete man Herrn Gutenberg auch einmal als "Ladendieb", so verlangte Thomas Oppermann (†) ,damals Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion, die strafrechtliche Aufarbeitung und sagte:  "Die Staatsanwaltschaft muss in so einem Fall ein öffentliches Interesse bejahen". Weiter fügte er im Interview mit der Süddeutschen Zeitung an: "Das ist vorsätzlicher Diebstahl und dafür gibt es keine Entschuldigung." Opperman unterwarf den CSU Politiker auch dem Vergleich mit einem Kleinkriminellen und fügte hinzu: "Wenn Guttenberg als Lügner im Kabinett bleiben kann, dann würde sich das demokratische System in Deutschland verändern". Oppermann sprach damals nicht nur für sich selbst, sondern für seine Partei. Die Vorwürfe waren schwer und die Doktorarbeit war nicht zuhalten. Bei Giffey gibt es erneut einen Fall von "vorsätzlicher Täuschung", diesmal jedoch in den Reihen der Sozialdemokraten.

Aktuell gibt es viel Beifall für die Spitzenkandidatin der Berliner SPD, weil sie zurücktrat - ganze drei Jahre nach bekannt werden der Vorwürfe. Eine Rettung im letzten Moment? Viel zu verlieren hat Franziska Giffey aktuell nicht. Die Kandidatur in Berlin ist sicher und nach einigen Medienberichten möchte sie an den Vorhaben festhalten. Eine erfolgreiche Kandidatur als Bürgermeisterin von Berlin ist möglich und schien bis zuletzt auch sicher. Dennoch muss man anerkennen, dass die Volksvertreterin um die Abberufung bat und somit praktisch zurückgetreten ist. Fraglich nur, wie ernst die Reue genau ist? Bleibt sie im Bundestag oder nicht?

Letztes Jahr verzichtete Giffey schon auf das Tragen des Titels, dazu schrieb ich damals: "Rettung oder Untergang?" Ihr Vorstoß kam jedoch nicht bei allen gut an. Neben Kritik von anderen politischen Parteien kam es so auch zu einer massiven Kritik der Bürger*innen und Rücktrittsforderungen wurden laut.
Giffeys Ambitionen waren letztes Jahr schon kein großes Geheimnis und die Strategen versuchten die Rettung. "Die Rettung ein Betrügerin? Oder wie kann man das Urteil der Prüfer mit "der Tatbestand der objektiven Täuschung“ sei erfüllt sonst verstehen?", fand sich auf dem OBIausHV-Blog. Die SPD musste sich die Frage stellen: Wollen wir so jemanden an der Spitze? In Berlin bejahte man es und wählte sie zur Vorsitzenden. SPDler aus der gesamten Republik sicherten Unterstützung zu. Ganz vorneweg natürlich
die Berliner SPD:

Wie dies nun beim Wähler ankommen mag? Das werden wir noch in diesem Jahr sehen können.
Wie es Karl Lauterbach einst bei Karl Theodor Guttenberg so schön sagte: "sagen wir mal notorischen Schwindler" sein untragbar. 2019 sagte er über Giffey: "eines unserer größten Talente" , nachdem das Verfahren an der FU zu Ende war.

Kritik aus dein eigen Reihen gibt es - auch wenn diese eher leise ausfällt. Heinz Buschkowsky, erklärte der  „Bild-Zeitung“ gegenüber, Giffeys Verzicht komme „viel zu spät, um mit Anstand aus der Nummer rauszukommen“. So bleibe ihr nur noch eines übrig, „die Konsequenzen zu ziehen, die sie selbst vor gut einem Jahr angekündigt hat“.

Die CDU jedenfalls bestand auf eine Prüfung: „In der Causa Giffey ist im Interesse der Integrität unseres Wissenschaftssystems eine abschließende Überprüfung und Bewertung unerlässlich“, sagte Karin Prien (Vorsitzende des CDU-Bundesfachausschusses Bildung, Forschung und Innovation) 2020 der DPA.

Monika Hermann von den Grünen und Bezirksbürgermeisterin aus Friedrichshain-Kreuzbergs argumentierte im November 2020 mit der früheren Vorgehensweise der SPD.

Später legte Hermann noch nach: „Beim politischen Gegner mit allem, was geht, draufhauen und bei sich selbst solch lächerliche Winkelzüge abfeiern. Da fehlt 2 mal Anstand.“

Was bleibt?

Am Ende bleiben einige Fragen und wie man im Schwaben Ländle so gerne sagt "etwas Gschmäckle". Und Parteien scheinen die eigenen Wertvorstellungen gerne zu vergessen, wenn es um Personen aus dem eigen Dunstkreis geht. Auch die CDU würde wahrscheinlich wieder ähnlich agieren, sollte es einen neuen Fall K.T Gutenberg geben. Den Parteien wäre gut daran gelegen, wenn sie für alle den gleichen Maßstab benutzen würden. Niemand steht über den Dingen. Frau Giffey hätte es gutgetan schon früher Stellung zu beziehen und aktiv zu werden, jedoch wurde zu lange versucht am Titel festzuhalten. Der Schaden ist für die Parteienlandschaft schon länger dar, schon als Gutenbergs "Schummelei" auffiel, fühlten sich Leute zurecht "verascht".
Ein Titel ist für einen Politiker nicht wichtig, jedoch wenn dieser geführt und auf Plakaten gerne gezeigt wurde, stellt dieser wissenschaftliche Betrug - auch eben ein Betrug an die wählende Bevölkerung dar. Ob die Wähler*innen es verzeihen, kann man erst nach der Berlin-Wahl beobachten. Jedoch kann ein Vertrauensschaden bleiben und jeder Vorfall zerstört erneut einen kleinen Teil des Vertrauens. Der ständige Tropfen höhlt den Stein.

#euerOBIausHV


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