Es ist wie immer, das Pfeifen im dunklen Walde eines Realisten, der die Wahlumfragen kennt und selbstverständlich alle Argumente, warum die Piratenpartei keine Chancen hat. Dennoch gibt es diesen Moment, wo der Traum des Idealisten da ist. Ich täte es mir wohl nicht an zu kandidieren, wenn nicht die Möglichkeit bestünde. Selbstverständlich weiss ich über die ganzen soziologischen Dynamiken und weiß, dass der Hype ausgeblieben ist. Selbstverständlich weiß ich, dass es unwahrscheinlich ist. Selbstverständlich kenne ich die Hochrechnungen. Und selbstverständlich kenne ich die Konkurrenz. Selbstverständlich weiß ich, dass wir keine Presse haben. Selbstverständlich kenne ich alle diese Fakten. Und selbstverständlich weiß ich auch, dass der Wähler nur zu einem klitzekleinen Teil die Piraten in Erwägung zieht. Ich bin nicht blöd. Dennoch gibt es da diesen klitzeklitzekleinen theoretischen Moment in der Wahlkabine bei dem der Wähler die vollkommene Macht hat. Niemand schreibt ihm vor, wo er sein Kreuz zu setzen hat. Und sei es nur, dass er spontan sich für die Piraten entscheidet. Niemand verbietet ihm oder ihr die Piratenpartei zu wählen und niemand sagt ihm oder ihr in dem Moment dass es verboten wäre die Piraten zu wählen. Und wenn in diesem Moment nur genügend Menschen es für ein gute Idee halten die Piraten zu wählen dann ist in diesem Moment alle Prognosen, Hochrechnungen und Vorhersagen für die Katz. Das ist die freie geheime Wahl, die trotz aller soziologischen Effekte einem jedem Bürger möglich ist.
Die Wahlkabine wird somit zu einem Ort der Freiheit. Dennoch wie ich ja oben schon schrieb, bin ich Realist genug um zu wissen, dass diese Freiheit nicht existiert. Die alte philosophische Frage, wie frei der Mensch wirklich ist taucht also für mich bei jeder Wahl konkret immer wieder auf. Mein Verstand sagt mir, dass diese Freiheit theoretisch existiert. In der Praxis existiert sie dann nicht. Es ist ja nicht so, dass ich nicht schon jahrelang in der Politik tätig bin. Meine erste Kandidatur war mit 18 Jahren, damals kandidierte ich für die FDP. Die Erfahrung nicht gewählt zu werden, habe ich schon ziemlich lange. Ein Wahlkampf besteht immer darin seine Position hervorzuheben. Bei allem Zuspruch, den ich in den diversen Wahlkämpfen durchaus erfahren hatte, hat sich das nie in Stimmen niedergeschlagen. Es gab dann nach dem Abhalten der Wahlen schon mal ein Stich in das Herz, wenn du angeschieben wirst mit "Sehr geehrter Herr Landtagsabgeordneter..." und du gerade eben erst von der fünf Prozent Hürde meilenweit entfernt warst. In diesen Momenten stehe ich kopfschüttelnd vor der Welt. 2013 hatte ich einen Wahlkampf mit einem Speeddating, bei dem ich regelrecht über die Kompetenz und die Informiertheit besser gesagt Uninformiertheit des CSU-Kandidaten erschrocken war. Mir standen bei manchen seiner Aussagen die Haare zu Berge. Es hat natürlich nichts daran geändert, dass er gewählt wurde und ich nicht.
In solchen Momenten frage ich mich, ob so etwas wie Freiheit überhaupt existiert. Sind die emotionalen und soziologischen Effekte nicht weit weit stärker. Eine Dokumentation über indische Tempelaffen, welche vollversorgt sind, liess mich häufig darüber nachdenken, ob die Menschheit in ihrem soziologischen Verhalten doch mehr Affe als Mensch ist. Die Rationalität und Vernunft wie auch die Zivilisation nur eine dünn aufgesetzte Schicht ist, die im Großen und Ganzen keine Rolle spielt. Eine menschliche Freiheit nur bei sehr wenigen menschlichen Individuen existiert und der Großteil der Menschen in einer biologischen Determiniertheit gefangen ist. In diesen gesellschaftlichen Dynamiken besteht dann am Tag der Wahl keine Freiheit. Die Entscheidung wird nach gruppendynamischen äffischen Konzepten getroffen. Die Mehrheit der Gruppe und der soziologische Zusammenhalt ist wichtiger als die tatsächlichen rationalen Fakten. Es käme einem Wunder gleich, wenn am Tag der Wahl der Wähler einfach die Piratenpartei wählen würde, weil das Programm der Partei gefällt. Die Kriterien sind letztlich vollkommen andere, die nichts mit dem Angebot zu tun haben.
Sind wir frei? Sind wir wirklich frei denkende Menschen oder sind wir nicht eher Affen, die den Silberrücken über alles schätzen und uns um den jeweiligen Silberrücken gruppieren? Tatsächlich ist vieles für unser Überleben heute an diese Frage geknüpft, denn die rationale Wissenschaft hat uns schon längst gesagt, was wir tun müssten. Der Großteil hat daran aber gar kein Interesse. Die Rationalität des menschlichen Handelns ist letztlich ein Märchen. Auch die Freiheit scheint eine reine Illusion zu sein. In Wirklichkeit ist die Mehrheit in einem Determinismus gefangen und kann sich gar nicht frei entscheiden.
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