Er sei in seine Musik verliebt, gestand Marcel Proust in einem Brief an Gabriel Fauré. Diese gerne zitierte Bemerkung offenbart durchaus mehr als es zunächst den Anschein hat. Denn sie verweist auf die spezifische Qualität von Faurés Musik, die tatsächlich weniger in einem heroisch transformativen Pitch oder einer formalen ästhetisch Meisterschaft liegt, die Begeisterung oder Bewunderung auslösen würde, sondern in jenem hintergründig geheimnisvollen Modus, der Gefühle auslöst, die denen der Verliebtheit ähneln.

Es sind die ersten Jahre der Belle Époque mit den frühen Ausläufern des Impressionismus in den Gemälden von Édouard Manet und Pierre-Auguste Renoir, in denen das Licht von Draußen, das „plein air“, allmählich die dunklen Farben der Romantik verdrängt. Damit verbunden war eine frühlingshafte Brise von Öffnung, von Freiheit und Freizügigkeit. Eine Atmosphäre der Verheißung, von neuen Farben, Klängen und Düften lag in der Luft.

Eben jenes Fluidum der Verheißung, das auch ein wesentliches Ingredienz der Verliebtheit ist, prägt Faurés frühe Werke. Es ist daher vielleicht auch kein Zufall, dass sein ästhetischer Durchbruch mit einer heftigen Verliebtheit einherging. Er ging zu dieser Zeit bei Pauline Viardot-García, einer der großen Sängerinnen des 19. Jahrhunderts, die sich von der Bühne zurückgezogen hatte doch einen berühmten künstlerischen Salon führte, ein und aus und verliebte sich unsterblich in deren Tochter Marianne. Die Verlobung wurde bekannt gegeben, die Welt stand ihm offen und die Zukunft erschien in leuchtenden Farben.

Frucht dieser Verliebtheit war seine erste Violinsonate op. 13 (1876) (die auch in Prousts „Recherche“ einen Auftritt hat), die sofort einschlug und ihn als Komponisten bekannt machte. Doch dann löste Marianne plötzlich die Verlobung auf, was Fauré später als das größte Trauma seines Lebens bezeichnet hat. Und tatsächlich kann man nicht umhin festzustellen, dass damit irgendetwas in ihm zerbrach. Zwar machte er als Komponist durchaus Karriere doch in gewisser Weise blieb die erste Violinsonate sein einziges echtes Meisterwerk.

Die Welt der Salons

Auch wenn in den ästhetischen Kosmos von Prousts „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ gewiss zahlreiche Eindrücke des zu dieser Zeit vibrierenden französischen Musiklebens eingegangen sind, so sind doch die ersten Bände, die die letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts abdecken, ganz unverkennbar von eben diesem Flair geprägt, das Gabriel Faurés Musik in besonderem Maße kennzeichnet.

1845 als Sohn eines Schuldirektors in den Pyrenäen geboren, arbeitete er sich durch Fleiß und persönlichen Charme in den Pariser Musikbetrieb und die Pariser Gesellschaft hoch, und war um die 30 zu einem der Lieblinge der Proustschen Salons geworden. Gutaussehend und als hervorragender Pianist bezauberte er Männer und Frauen mit seinem Flair, das sich auch gleichermaßen in seinem sehr individuellen Klavierspiel wiederspiegelte.

Fauré bewegte sich im innersten Herzen der Pariser Salons. Neben Pauline Viardot-García und Marie Clerc waren es vor allem Winnaretta Singer und die Gräfin Greffulhe (Vorbilder von Prousts Madame Verdurin und Herzogin von Guermantes), mit denen er engsten Umgang pfegte. Man muss sich die Pariser Salons der Belle Époque als die elitären sozialen Netzwerke ihrer Zeit vorstellen, nach deren Teilhabe alles, was Rang und Namen hatte, strebte.

Damit verbunden war ein verstärktes Interesse an Kunst und Kultur. Das künstlerische Mäzenatentum wurde zu einem regelrechten Fetisch, bei dem sich die hochvermögenden Salondamen gegenseitig zu übertreffen versuchten. Das künstlerische Gravitationszentrum dieser Welt war Robert de Montesquiou (Cousin der Gräfin Greffuhle und Vorbild von Prousts Monsieur de Charlus), der für diese Epoche die Rolle spielte, die später Serge Djagilew in der Epoche vor dem ersten Weltkrieg spielte.

Montesquiou war es, der Fauré mit den Gedichten Paul Verlaines bekannt machte und zahlreiche Projekte initiierte, wie die Pavane op. 50, für deren ursprünglicher Chorfassung er den Text verfasst hatte, und die in einer aufwändigen antikisierten Inszenierung dargebracht werden sollte. Doch waren es vor allem die Liederzyklen nach Paul Verlaine, „Mélodies de Venise“ op. 58 und „La bonne chanson“ op. 61, die ästhetisch von größter Bedeutung waren und, wie Claude Debussy und Maurice Ravel selbst bekannten, entscheidende Türen für den musikalischen Impressionismus geöffnet hatte.

Fauré, der in diesen Jahren immer wieder nach Deutschland gereist war um die späten Werke Richard Wagners zu hören, gelang in diesen Liedern, ebenso wie in der Klaviermusik dieser Zeit, die noch ganz an die von Chopin geprägten Genres von Nocturnes, Impromptus und Barcarolles angelehnt war, die harmonischen Errungenschaften Wagners für die französische Kunst zu destillieren. Eben diese Ingredienzien, dieser neue harmonische Duft, verleiht dieser Musik einen überraschenden magischen Flair, der Proust und die Welt der Salons bezauberte.

Der Fluch des Conservatoire

1883 heiratete Fauré Marie Frémiet, mit der er zwei Kinder hatte. Der Legende nach hatte die Salondame Marguerite Baugnies, die der Meinung war, dass Fauré endlich heiraten müsse, sie aus verschiedenen Kandidatinnen, die sie für geeignet hielt, ausgelost. Trotz zahlreicher Affären, unter anderem mit Emma Bardac (der späteren Ehefrau von Claude Debussy) und der Pianistin Marguerite Hasselmans, lebte er mit ihr durchaus harmonisch zusammen, da man sich auf ein pragmatisches Miteinander verständigt hatte.

Doch gerade als Faurés institutionelle Karriere Fahrt aufnahm, verlor sich der künstlerische  Zauber. 1896 wurde er Kompositionslehrer am Pariser Conservatoire, 1905 dessen Leiter, nach einem denkwürdigen Skandal um seinen Schüler Maurice Ravel. Dieser war im Wettbewerb um den Rompreis, die höchste Auszeichnung des Conservatoire, vorzeitig ausgeschieden. Allen war klar, dass Ravel, der bereits einige Meisterwerke wie das Streichquartett, „Jeu d’eau“ und „Mirroirs“ geschrieben hatte und auch in den Salons hoch im Kurs stand, von mittelmäßigen Karrieristen, die ihm als Künstler nicht das Wasser reichen konnten, mit formalistischen Gründen abgekanzelt worden war.

Mit der Jahrhundertwende hatte sich auch das ästhetische Klima geändert und nach dem Skandalerfolg von Debussys „Pelléas et Mélisande“ waren Debussy und Ravel, später Igor Strawinsky, die Künstler der Stunde, die gerade durch ihr Renegatentum die alte bürgerlich geprägte Welt des Conservatoires als veraltet und verstaubt dastehen ließen. Auch in den späteren Bänden von Prousts „Recherche“ wird dieser ästhetische Umbruch thematisiert, der auch eine soziologische Komponente hatte, da die bürgerliche Winnaretta Singer (steinreiche Erbin eines amerikanischen Nähmaschinenherstellers) gewissermaßen über die adelige, rückwärtsgewandte Konkurrenz gesiegt hatte.

In gleichem Maße wie Faurés handwerkliche Meisterschaft immer weiter zunahm, schien der künstlerische Funke immer mehr zu entweichen. Faurés späte Kompositionen sind voll von interessanten Details und meisterhaftem Gewebe, doch das magische Equilibrium scheint verloren.

Seine späte Oper „Pénélope“, in der er in gewisser Weise sein Lebenstrauma der verlorenen großen Liebe und einer Odysseus Existenz als unsteter Wanderer zwischen den Welten verarbeitet, hat denn vor allem einen sehr speziellen resignativen Reiz. Zwar starb er 1924 als wohlhabender und hochgeehrter Mann samt Staatsbegräbnis, doch seine späten Briefe sind voll von der Trauer ein halberfüllten Lebens. Dass jener magischen Zauber, der Faurés Leben für einige Jahre illuminiert hatte, nicht zur großen Liebe seines Lebens geworden war.

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