Endlich!

Endlich dürfen wir Hausärzte impfen und Zack!, gewinnt das Impfen an Tempo. Hätte ja keiner ahnen können, haha.

Natürlich muss jetzt abgewartet werden, inwieweit die Lieferungen aufrecht erhalten werden können und ob es nicht mal wieder irgendwelche ministerpräsidialen Änderungen der Impfstrategie geben wird.

Erste Stimmen sagen, dass die Impfzentren jetzt eigentlich nicht mehr benötigt werden und nun ja alles der Hausarzt machen kann. Das sehe ich nicht so. Meines Erachtens nach benötigen wir gerade alle Kapazitäten, die wir aufbringen können, zumal wir ja nicht wissen, ob wir nicht in absehbarer Zeit schon Auffrischungsimpfungen verabreichen müssen. Das ist nur ein Gedankenspiel, ich weiß nichts darüber. Aber ich spekuliere mal wild in den Raum, dass es so sein könnte.

Wie dem auch sei, nun impfe ich also an zwei Fronten: in der Praxis und im ländlichen Impfzentrum. Und ich muss sagen, dass mir das Arbeiten in den Impfzentren den Glauben an die Menschlichkeit in Zeiten der Krise zurückgegeben hat.

Wenn man sich viel in den sozialen Netzwerken bewegt, bekommt mal einige Meinungen zu lesen und hat manchmal den Eindruck, dass die ganze Welt (wenn nicht gar das ganze Universum) nur aus Querdenkern, Impfverweigerern und hasserfüllten Menschen besteht. Und mit den hasserfüllten Menschen meine ich nicht nur Querdenker, sondern auch diejenigen, die auf der Gegenseite zetern. Ein gemäßigtere Ausdrucksweise täte vielen gut, von welcher Seite auch immer. Die Pandemie radikalisiert manche Menschen, was ich sehr problematisch finde.

Ich denke da an die Jugendlichen, die sich morgens in der Schule sehen und in einem Klassenzimmer sitzen (müssen), aber nachmittags beschimpft werden, wenn sie gemeinsam im Freien auf der Halfpipe oder im Park miteinander Zeit verbringen.

Oder an die junge Mutter, die ihre Kinder nicht alleine zuhause lassen kann und zum Einkaufen mitnimmt, dafür aber massiv angegangen wird.

Und natürlich meine ich damit auch die Querdenker, die sogar Menschen beschimpfen, die einfach nur Masken tragen und sich und ihre Familie schützen wollen.

Im Impfzentrum ist das alles ganz weit weg. Es herrscht eine kollegiale, motivierte Atmosphäre und die Impflinge, wie zu impfende Personen so schön genannt werden, sind in den meisten Fällen freundlich und dankbar.

Darüber möchte ich hier berichten.

Einmal Abstand halten, bitte!

Ein rüstiger 90-jähriger Mann kommt zu seiner zweiten Impfung in meine Kabine. Noch im Gehen krempelt er den Ärmel hoch und setzt sich auf den Stuhl.

„Guten Morgen!“, sagt er laut und gut gelaunt, seine Begleitung nickt mir freundlich zu.

„Guten Morgen!“, antworte ich. „Sie kommen ja zu Ihrer zweiten Impfung. Haben Sie die erste gut vertragen?“

„Ja, alles bestens“, antwortet er.

„Und heute geht es Ihnen auch gut und mit der Impfung sind Sie einverstanden?“

Er nickt, also schreite ich zur Tat.

Nachdem die Impfung verabreicht wurde, schlüpft er in seine Jacke, dreht sich noch einmal zu mir um uns sagt plötzlich:

„Also wissen Sie, nach der ersten Impfung hatte ich ja doch Probleme!“

Mir wird es heiß und kalt. Habe ich etwas vergessen? Warum sagt er das erst jetzt?

„Was war denn los?“, frage ich, gehe aber davon aus, dass es sich nur um eine leichte (übliche) Impfreaktion handelt.

„Ich sollte doch vorne im Wartebereich Abstand halten…“, beginnt er.

„Ja?“

„Aber…“, fährt er fort.

Ich höre gebannt zu.

„Das war ja so früh morgens, da war ja noch niemand!!“

Laut lache ich auf, wende mich ihm zu und frage: „Soll ich vielleicht mit nach vorne kommen und mit Ihnen warten? Damit Sie Abstand halten können?“

Er nickt, grinst und bestätigt: „Ich bitte darum. Es muss doch alles seine Ordnung haben!“

Dann geht er kleinschrittig und lachend aus meiner Kabine, winkt uns noch einmal kurz zu und geht in den Wartebereich, um ordnungsgemäß Abstand zu halten.

Das Osterkörbchen

Eine ältere Dame kommt zu ihrer ersten Impfung. Es ist Ostern und in ihrer Hand hält sie zum Einen die Unterlagen für die Impfung (Impfausweis, Aufklärungsbogen, Termine, medizinische Vorbefunde), zum Anderen ein kleines Osterkörbchen, in dem sich ein Berg Ostereier und  kleine, niedliche Schokoladenhäschen türmen.

„Guten Morgen, Ihre Unterlagen können Sie mir schon mal geben“, begrüße ich sie.

„Mooment!“ Sie kommt auf mich zu. „Erstmal müssen Sie in das Körbchen greifen. Dreimal darf jeder, es ist doch Ostern!“

Das lasse ich mir nicht nehmen, ich freue mich über diese liebevolle Aufmerksamkeit und nehme mir zwei Eierliköreier und ein Häschen. Ostern ist der Tag, an dem man einen Hauch Eierlikör bei der Arbeit gönnen darf.

Die Dame geht zur Kollegin am Computer und sie darf ebenfalls dreimal zugreifen, und ich finde die Vorstellung bezaubernd, dass die Dame von Personal zu Personal ging, angefangen vom Sicherheitspersonal über die Anmeldung bis hin zu uns in den Impfkabinen, und uns alle mit Schokolade versorgte.

Die Impfung selbst ist schließlich unspektakulär und schnell verimpft, sie bedankt sich dafür und wir danken für die kulinarische Versorgung. Dann geht sie in den Wartebereicht, wo den nächsten Kollegen eine Freude gemacht wird.

Ein Flirt bei der Arbeit

Es werden ja aktuell noch hauptsächlich die alten Menschen geimpft, und so ist mein nächster Kandidat auch wieder ein alter Herr. Er kommt in Begleitung seines Sohnes und soll heute die zweite Impfung erhalten.

Er verliert keine Zeit und krempelt im Stehen den Ärmel hoch, positioniert sich vor mir und schaut mich erwartungsvoll an.

„Haben Sie die erste Impfung gut vertragen?“, frage ich wie üblich.

„Jaja, ach, das ist doch alles halb so wild!“ Er winkt ab und lächelt.

„Wollen Sie sich nicht hinsetzen?“, frage ich ihn.

„Ich falle schon nicht um“, antwortet er.

„Okay. Und sonst fange ich Sie auf“, sage ich grinsend und auch, wenn man das hinter der FFP2-Maske nicht gut sieht, hört er es aus meiner Stimme und schaut mir direkt in die Augen.

„Na, dann falle ich vielleicht doch lieber um!“

Das Flirten hat er jedenfalls nicht verlernt und ich muss ein bisschen kichern. Die alten Herren haben es doch manchmal faustdick hinter den Ohren.

Nachdem ich eine Minute später die Impfung verabreicht habe, breite ich die Arme aus und lache: „Falls Sie noch umfallen wollen, müssen Sie sich beeilen.“

Der Charmeur beugt sich vor: „Wissen Sie, wenn mein Sohn nicht dabei wäre, würd ich’s ja machen. Aber er verpetzt mich daheim bestimmt.“

Der werte Sohn ist im Gegensatz zu seinem Vater etwas spaßbefreit und nickt, eine Augenbraue ganz weit in den Himmel gezogen. Der alte Herr und ich hatten unsere Freude, der Sohn hat das Schäkern wohl ein bisschen zu ernst genommen.

Kollegial und miteinander

Es ist getan, die Schicht ist vorbei. Zu meiner Freude treffe ich zwei ehemalige Kollegen und wir halten noch einen kleinen Schwatz. Ich verabschiede mich von „meiner“ Pflegekraft, die heute mit mir im Dienst war.

Bisher habe ich so viele Menschen kennenlernen dürfen, die allesamt hochmotiviert, kollegial und engagiert sind. Und nun impfen wir Hausärzte ja zusätzlich in der Praxis, was insbesondere den kaum mobilen, alten Patienten zugute kommt. Und auch alle Hausärzte sind mit ganzem Herzen dabei.

Am gestrigen Tag konnten „wir Hausärzte“ über 300.000 Impfungen durchführen und damit gemeinsam mit den Impfzentren den Tagesrekord knacken.

Ich hoffe, dass wir das Tempo gemeinsam beibehalten können. Ich sage jetzt nicht, man hätte uns ja von Anfang an einbinden können.

Aber… man hätte uns ja von Anfang an einbinden können.