Die Auswirkungen körperlicher wie psychischer Gewalt (zwischen Elternteilen, aber auch zwischen Elternteilen und Kindern) auf die elterliche Sorge bzw. den Umgang zwischen den Eltern und dem Kind werden nicht nur online, sondern häufig genug auch in Real Life leider völlig falsch dargestellt.

Ein kleiner Gerichtsbericht mit einpaar rechtlichen Einordnungen:

Vater (V) und Mutter (M) besaßen bei Geburt des Kindes (K) die gemeinsame elterliche Sorge. Sowohl vor als auch nach Geburt des K nahmen beide Eltern Drogen. V kombinierte Cannabis mit Amphetaminen, während M ausschließlich Cannabis in geringen Mengen konsumierte.

Immer wenn V übertrieben hatte, kam es zu körperlichen Auseinandersetzungen mit M, die immer wieder in polizeilichen Einsätzen mündeten. Als K 2 Jahre alt war (und schlief), verprügelte V die M so stark, dass ihn die Polizei vorläufig festnahm und der Wohnung verwies.

Trotz der bald stattgefundenen Versöhnung der Eltern verurteilte ich V wegen Körperverletzung und noch ein paar anderen Delikten zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten. Darüber hinaus ordnete ich gemäß § 64 StGB die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt an.

Das nächste Mal traf ich auf diese Familie etwa 1,5 Jahre später als Familienrichter. Das Jugendamt (JA) meldete sich nach der Inobhutnahme des K. M sei immer wieder aufgrund des stark erhöhten Drogenkonsums unzurechnungsfähig und habe des Öfteren Halluzinationen. K sei nicht ordnungsgemäß versorgt, nicht in der Kita und zeige bereits jetzt vielfältige Auffälligkeiten und Unterentwicklungen.

Die Beziehung zwischen M und V war zu diesem Zeitpunkt aufgrund der Unterbringung und des damit einhergehenden Streits bereits beendet.

Als die Beiden mitsamt Verfahrensbeiständin (VB) und der Mitarbeiterin des JA in meiner Anhörung saßen, waren die Fronten demnach entsprechend verhärtet:
M, die im Rahmen der Anhörung zugegeben hat, sich nicht ordnungsgemäß um das Kind kümmern zu können, hatte Sorgen, dass das Kind zum V kommt, da sie Angst vor dessen Gewalttätigkeit hatte. Diese Sorgen teilte auch das Jugendamt, sodass es einen Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie und lediglich begleiteten Umgang mit V befürwortete.

V, der im Verlauf der letzten anderthalb Jahre recht unregelmäßigen Kontakt zu K pflegte, konnte zeigen, dass er neben einer Entwöhnung und der anschließenden Therapie bezüglich seiner Drogensucht auch 2 Kurse bezogen auf seine Aggressionen mit Erfolg abgeschlossen hatte.

Die VB war in der Lage, sich mit der Klinik sowie den jeweiligen Kursleiterinnen in Verbindung zu setzen und die Angaben des V zu bestätigen. Darüber hinaus führte sie einen Besuch in der neuen Wohnung des V durch und bestätigte, dass K dort aufgenommen werden könnte.

Welche Lösung haben wir also gefunden?

Zunächst wurden die Umgänge des V mit K intensiviert (erst begleitet, dann unbegleitet), sodass man in den nächsten Monaten eine sehr gute Vater-Kind-Beziehung beobachten konnte. Dazu nahm V in dieser Zeit an einem Elterntraining teil.

Parallel dazu versank die M immer weiter in ihre Drogensucht und war weder für das Jugendamt noch für das Gericht zu erreichen.
V hingegen übte seine Umgänge regelmäßig  aus und stellte einen Antrag auf Installation einer Familienhilfe für den Fall der Rückführung.

Nach insgesamt ca. 7 Monaten in der Pflegefamilie konnte K in den Haushalt des - mittlerweile allein sorgeberechtigten - V wechseln, wo K sich weiterhin befindet. K geht mittlerweile in die Schule und die Familienhilfe konnte bereits vor ca. 1 Jahr beendet werden.

Warum erzähle ich hier und heute diese Geschichte?
Nun ja sie ist meines Erachtens wichtig für den richtigen Blickwinkel auf das Verhältnis der (behaupteten/erwiesenen) Gewalt zur elterlichen Sorge bzw. zum Umgang:

In allen Kindschaftssachen ist es Aufgabe des Gerichts, eine möglichst präzise Kindeswohl-Prognose für die weitere Entwicklung des Kindes zu erstellen. Ausgangspunkt dieser Prognose ist selbstredend der (nachgewiesene) Sachstand zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung.


Gewalt zwischen Partnern, aber natürlich auch zwischen Eltern und Kindern, spielt hierbei eine herausragende Rolle: Selbstverständlich ist der Schutz des Kindeswohls vor psychischer/physischer Gewalt die primäre Maxime, die vonseiten aller Verfahrensbeteiligten zu beachten ist.

Gleichzeitig müssen eben ALLE Umstände des Einzelfalls genauso Berücksichtigung finden wie die (Grund-)Rechte der Kindeseltern. Insoweit muss der Staat in Anbetracht der den Eltern obliegenden Pflichten und Rechte zur Erziehung der Kinder sicherstellen, dass sich die Prognose nicht nur auf die Erkenntnisse aus der Vergangenheit, sondern auch auf die Möglichkeiten betreffend die Zukunft stützt.
Eine pauschale Unterstellung, ein Schläger werde stets weiter - und insbesondere auch das Kind - schlagen, ist weder wissenschaftlich fundiert noch rechtlich zulässig.

Das Gericht hat vielmehr, ggf. unter Hinzuziehung sachverständiger Hilfe, zu ermitteln, unter welchen Voraussetzungen das Kindeswohl bei möglichst geringem Eingriff in die Elternrechte sichergestellt werden kann. Hierbei kann es richtig und wichtig sein, Vergangenheit Vergangenheit sein zu lassen und allen Beteiligten eine völlig neue Perspektive zu eröffnen.


Aus diesen Gründen sind viele Forderungen der sog. MIAs wie die der sog. Väterrechtler so rechtlich falsch wie gefährlich:

Keinesfalls darf man jede Behauptung der Gewalt bereits dazu ausreichen lassen, in die elterliche Sorge oder das Umgangsrecht eines Elternteils einzugreifen; genauso wenig wie jeder tatsächliche Gewaltakt zwingend einen staatlichen Eingriff in die Elternrechte erfordert.

Auf der anderen Seite dürfen Gerichte die (erwiesene) Gewalt zwischen Eltern (und Kindern) weder bagatellisieren noch außer Betracht lassen, wenn sie die Frage der elterlichen Sorge oder des Umgangs zu beurteilen haben.
Sie dürfen und müssen diese Frage erörtern und gewichten.

Dies bedeutet allerdings nicht, dass sie die Gewichtung so vornehmen müssen, wie es Mamas und/oder Papas genehm ist. Die Gerichte haben eine am Kindeswohl orientierte Grundrechtsprüfung vorzunehmen. Und, ja, diese Entscheidung kann durchaus auch (in beiden Instanzen) falsch ausfallen.

Aber eine solche rechtstaatliche Entscheidung ist immer noch besser als 99,9% der Handhabungs- und Lösungsvorschläge der MIAs und der Väterrechtler zusammen, die vor lauter subjektiven Starrsinn bereit sind, den Rechtsstaat und die Grundrechte vieler Beteiligter auszublenden.

Last but not least und bevor der Shitstorm beginnt: Wer
gleich wieder behauptet, dass JEGLICHE Gewalt, die ein Kind mitbekommt, zwingend Eingriffe in die elterliche Sorge bzw. das Umgangsrecht erfordere, soll wissenschaftlich fundierte Quellen angeben oder ganz leise sein.