Es ist schon sehr erstaunlich, mit welchen Reaktionen ein Autor rechnen muss, wenn er eine Meinung vertritt, die nicht der allgemeinen Hauptmeinung der Gesellschaft entspricht.

Am Beispiel eines Kommentars, den ich sowohl auf meiner eigenen Internetseite als auch auf der Plattform „Publikum.net“ veröffentlichte, konnte ich eindrucksvoll wahrnehmen, auf welchem Niveau sich eine Kultur des miteinander Streitens zu befinden scheint.

Vorab möchte ich feststellen, dass ich sowohl aufgrund der akademischen Ausbildung, als auch aufgrund meiner beruflichen Tätigkeit auf der Ebene von Geschäftsführungen gewohnt bin, dass eine vernünftige Streitkultur notwendig ist, um eine Entwicklung – das betrifft alle Bereiche, also sowohl eine gesellschaftliche Entwicklung als auch die Entwicklung von neuen Gesetzen, Produkten etc. – positiv voranzubringen. Das Nachplappern einer vorgegebenen Meinung hat noch nie zu positiven Veränderungen geführt.

Der Kommentar „Die Panzerentscheidung ist eine Katastrophe und ein weiterer Schritt zum Weltkrieg“ ist eine Meinung eines Bürgers dieses Landes, der der einen Hälfte der Bevölkerung angehört, die eine weitere Ausweitung des Krieges in der Ukraine ablehnen. Es gibt einen anderen Teil von Bürgern, die genau die gegenteilige Auffassung vertreten. Es ist nicht das erste Mal, dass es in Deutschland eine Polarisierung der Bevölkerung bei einem zentralen politischen Thema gegeben hat. Vielleicht werden sich einige Bürger an die Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der Ostpolitik des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt und von Egon Bahr erinnern. Auch damals gab es erbitterte Auseinandersetzungen in der Bevölkerung, die bis in die einzelnen Familien hineinstrahlten. Aber die öffentlichen Medien berichteten seinerzeit ausführlich über beide kontroversen Auffassungen. Es kamen Vertreter beider politischen Auffassungen zu Wort, so dass sich jeder seine eigene Meinung bilden konnte.

In akademischen Kreisen war es möglich, sehr kontrovers, aber in einem Stil der gegenseitigen Achtung und mit Respekt des Gegenübers zu diskutieren.

Wenn man die Entwicklung der letzten Jahre – eigentlich beginnt dies mit der Ära Merkel – betrachtet, so konnte man immer mehr feststellen, dass eine immer stärkere Einheitsmeinung in allen Medien kommuniziert wurde und politische Gegenmeinungen kaum wahrgenommen werden konnten. Die Debatten im Bundestag waren langweilig, es konnte der Eindruck entstehen, als wenn alle im Bundestag vertretenen Parteien einer Meinung seien. Wesentliche Beschlüsse – ich denke an die gesamten Währungsbeschlüsse, die den Euro betrafen – wurden innerhalb von Tagen abgeschlossen. Die Abgeordneten hatten oft nur zwei bis drei Wochen Zeit, entsprechende Beschlussvorlagen zu studieren.

Die Vorgabe einer politisch korrekten Ausdrucksweise verhinderte in immer stärkerem Maße, dass in Diskussionen auch unterschiedliche Meinungen vertreten wurden.

Wenn man sich die Zuschriften ansieht, die aufgrund meines Kommentars auf der Internetseite Publikum.net zu lesen sind, dann spiegeln diese - leider in der Mehrzahl anonym erfolgten -Entgegnungen ein Klima der Intoleranz, der Missachtung einer Person, die nicht die eigene Meinung wiedergegeben hat, wider und zeigen eine Unkultur in einer sachlichen Auseinandersetzung. Ich will gar nicht auf Einlassungen von anonymen Schreibern eingehen, die wahrscheinlich gar nicht bemerkt haben, dass sie sich einer möglichen Strafanzeige ausgesetzt haben. Unter den Zuschriften fanden sich auch solche, die durchaus die Qualität einer Nötigung und schweren Beleidigung hatten, auf die – auch wenn die Zuschriften anonym erfolgten – eine Reaktion des Betroffenen möglich wäre. Ich nehme diese Zuschriften nur insoweit ernst, als sie zeigen, wie verkommen sich unsere Gesprächskultur teilweise entwickelt hat.

Was ich mir mit meinem Kommentar gewünscht habe – einige Zuschriften zeigten, dass es auch noch Leute gibt, die sich eine vernünftige Streitkultur erhalten haben – war, dass eine Diskussion entsteht, welche Aspekte es gibt, um der gegenwärtigen fürchterlichen Entwicklung in der Ukraine, die eben nicht nur die Ukraine, sondern Europa in seiner Gesamtheit, betrifft, entgegen wirken zu können. Um seine solche Diskussion zu führen, ist es wichtig, dass man erstens aus einem eigenen Fundus des Wissens über die Gesamtzusammenhänge argumentiert und zweitens Anstand und Respekt gegenüber dem Diskussionspartner nicht vermissen lässt.

Das Praktizieren einer guten Streitkultur sollte bereits in der Schule den Schülern vermittelt werden, weil nur dann verhindert wird, dass sich Bürger eines Tages nicht nur verbal die Köpfe einschlagen.

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