Die Bundesregierung, die nach der Wahl diesen September an die Macht kommt, wird die letzte sein, die noch aktiv die Weichen stellen kann um uns, unseren Kindern und Enkelkindern eine Welt zu ermöglichen in der allen die katastrophalsten Folgen der menschgemachten Klimakrise gerade so erspart werden. Uns bleiben bei jetzigem CO2 Ausstoß noch etwa 12 Jahre auf eine 50/50 Chance die Erwärmung auf 1.5°C zu begrenzen. Das wäre nicht schön, aber wir könnten es bewältigen. Die klimatischen Folgen darüber hinaus werden katastrophal für uns alle.

Nicht nur die Auswirkungen der Klimakrise wie Hochwasser, Dürre, Ernteausfälle werden uns alle betreffen, sondern auch wie unser ganz normaler Alltag aussehen wird.

Fragt Ihr Euch auch manchmal, ob es Errungenschaften geben wird die für uns alle innovativ, ungewöhnlich und evtl. seltsam neu sind, die aber in 50 oder 100 Jahren absolut normal sein werden? Elektroautos, Wasserstoffwirtschaft oder sogar Flugtaxen? Vielleicht aber auch einfach nur mehr Fahrräder?

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Fahrrad vor dem russischen Forschungseisbrecher Akademik Treshnikov. ©Thomas Ronge.

Heutzutage nicht wegzudenken, gehört das Fahrrad seit jeher zu unserem Straßenbild. Sporttreibende auf Rennrädern, Rider die uns um zwei Uhr nachts noch Döner bringen, die Post und andere Lieferdienste auf e-bikes, Familien die ihren Wocheneinkauf am Stau vorbei im Lastenrad durch die Stadt fahren, und viele viele Menschen auf ihrem täglichen Arbeitsweg.

Rider im Regen. Joshua Lawrence – unsplash.

Was heute so normal ist, dass es uns kaum mehr auffällt, verdanken wir einer beispiellosen Katastrophe. Dem Jahr ohne Sommer.

Im April 1815 fand mit der Eruption des indonesischen Mount Tambora der stärkste je gemessene Vulkanausbruch zu Menschengedenken statt.

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Vulkanausbruch am Stromboli. ©Thomas Ronge

Der Knall der Eruption war noch mehr als 2500 km weit zu hören, das wahrscheinlich lauteste Geräusch der modernen Geschichte. Während des Ausbruchs wurden ca. 41 km3 an Gestein mit einem Gewicht von etwa 10 Milliarden Tonnen ausgestoßen1. Asche- und Feuerregen, sogar ein Tsunami in Indonesien waren die direkten, regionalen Folgen. Die Eruptionssäule reichte über 40 km hoch in die Stratosphäre2. Die meisten Partikel hielten sich dort nur wenige Wochen. Feinste Aschepartikel und Schwefeldioxid (SO2) jedoch, bildeten einen Schleier der sich über Monate bis Jahre in der Atmosphäre gehalten hat2. Das SO2 reagiert in der Atmosphäre zu feinsten Tröpfchen Schwefelsäure, die sehr effektiv Sonnenlicht reflektieren und abschirmen.

Aschesäule über dem Mount Sinabung, Indonesien. Yosh Ginsu – unsplash.

Den Effekt dieser Mischung aus feinster Asche und Schwefelaerosolen haben Maler wie Caspar David Friedrich mit seinem Bild „Frau vor untergehender Sonne“ festgehalten.

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Frau vor untergehender Sonne. Caspar David Friedrich 1818. Wikimedia, gemeinfrei.

Doch nicht nur malerische Sonnenuntergänge, sondern auch massivste Wetteränderungen waren die Folge dieses atmosphärischen Cocktails. Die Partikel schirmten so viel Sonnenenergie ab, dass es im Juni 1816 in New York zu schneien begann und auch in Europa wurde es außergewöhnlich kalt2. 1816 ging als „Jahr ohne Sommer“ in die Geschichtsbücher ein. Im Jahr 1816 und den Folgejahren kam zu großflächigen Ernteausfällen, Hungersnöten, sogar zu zahlreichen Ausbrüchen von Typhus und anderen Krankheiten2. In der Not wurden zahlreiche Nutztiere geschlachtet und auch für Pferdefutter reichte die magere Ernte nicht aus. Doch ohne Pferde als Transportmittel wurden alltägliche Wege langsamer und beschwerlicher.

Hier betritt der Held unserer Geschichte die Bühne. Karl Freiherr von Drais.

Der Forstbeamte und Tüftler war auf der Suche nach einem Ersatz für seine Pferde um einfach und schnell seine Forstinspektionen durchzuführen3. Im Jahr 1817 stellt der Erfinder dann seine Lösung, einen Vorläufer unseres heutigen Drahtesels vor. Die Laufmaschine, auch Draisine genannt.

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Von Drais‘ Laufmaschine. Wikimedia, gemeinfrei.

Die Laufmaschine wurde schnell zum Exportschlager und ging als Dandy-Horse um die Welt3. Der Erfolg war gar so groß, dass einige Städte das „Radfahren“ komplett untersagten, New York City und Philadelphia es 1819 zumindest auf den Bürgersteigen verboten3.

Nach einigen Jahren erholte sich das weltweite Wetter und auch die Laufmaschine kam etwas außer Mode, war jedoch nie vergessen. In den 1850ern und 60ern kamen die ersten Pedale an die Laufmaschine4. Nach und nach näherte sich die Form und Funktion immer mehr dem heutigen Fahrrad an.

Radfahrende in Amsterdam. ©Norali Nayla – unsplash.

Heutzutage spielt nicht nur das Wetter, sondern das ganze Klima verrückt. Schuld daran ist diesmal kein Vulkan, nicht die Sonne, sondern einzig und allein wir Menschen. Um die Klimakrise zu bewältigen sind größte Anstrengungen von Nöten. Aber vielleicht kann das bescheidene Fahrrad auch jetzt wieder eine kleine, aber wichtige Rolle spielen.

Wir sollten die Krise auch als Chance betrachten um überholte, veraltete und kostspielige Systeme durch Innovationen zu ersetzen. Ich frage mich wer unser*e nächste „von Drais“ sein wird? Welche Innovation wird so selbstverständlich, so weitverbreitet, dass bald schon niemand mehr weiß, dass ihr Ursprung in der Klimakrise lag?

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Fahrrad mit Schwerlastanhänger. Ideal zum Transport auch großer Ladung. ©Thomas Ronge.

1Stothers, R. (1984). The Great Tambora Eruption in 1815 and Its Aftermath. Science. 224 (4654): 1191–1198.

2Oppenheimer, C. (2003). Climatic, environmental and human consequences of the largest known historic eruption: Tambora volcano (Indonesia) 1815. Progress in Physical Geography. 27 (2): 230–259.

3Alter, L. (2018). How the Eruption of Mount Tambora 200 Years Ago Led to the Invention of the Bicycle. Treehugger.com

4Poll, H.  in: Germanisches Nationalmuseum.

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