Hast du viel Glück in deinem Leben? Oder wirst du vom Pech verfolgt? Die eigene Antwort auf diese Frage hat einen erstaunlich großen Einfluss darauf, ob sie korrekt ist.
Eine chinesische Weisheitsgeschichte erzählt von einem Bauern und seinem Sohn, die nur ein einziges altes Pferd für die Feldarbeit hatten. Eines Tages entfloh das Pferd in die Berge. Als daraufhin alle Nachbarn des Bauern Pech bedauerten, antwortete der Bauer:
„Pech? Glück? Wer weiß?“
Eine Woche später kehrte das Pferd mit einer Herde Wildpferde aus den Bergen zurück, und diesmal gratulierten die Nachbarn dem Bauern zu seinem Glück. Seine Antwort:
„Glück? Pech? Wer weiß?“
Als der Sohn versuchte, eines der Wildpferde zu zähmen, fiel er vom Rücken des Pferdes und brach sich ein Bein. Jeder hielt das für großes Pech. Nicht jedoch der Bauer, der nur sagte: „Pech? Glück? Wer weiß?“
Ein paar Wochen später marschierte die Armee des Kaisers ins Dorf und zog jeden tauglichen jungen Mann zum Kriegsdienst ein. Als sie den Bauernsohn mit seinem gebrochenen Bein sahen, ließen sie ihn zurück.
Glück und Pech sind zum Teil Zufall
In gewisser Weise bezeichnen Worte wie “Glück”, “Unglück” oder “Pech” lediglich zufällige Ereignisse, die uns im jeweiligen Moment entweder gelegen oder ungelegen kommen. Mit “Schicksal” meinen wir oft Zufälle, die uns bedeutungsvoll erscheinen.
Aus dieser Perspektive sind Glück und Unglück lediglich Spielarten oder Interpretationen von Zufall - und Zufälle unterliegen nicht unserer Kontrolle.
Man kann sich also durchaus fragen, ob es sich überhaupt lohnt, über Glück nachzudenken. Ausgehend vom Blickwinkel, dass Glück nur ein naher Verwandter des Zufalls ist, erscheint das nur wenige Schritte von dem Unsinn rund um “The Secret” [1] entfernt zu sein.
Tatsächlich lohnt sich aber ein genauerer Blick auf das Thema Glück. Denn mit demselben Wort bezeichnen wir auch ein Merkmal unseres Lebens: Manch einer von uns scheint “mehr Glück im Leben” zu haben - oder “vom Pech verfolgt” zu sein.
Glück mit Starthilfe
Im Jahr 2011 führte der fantastische Illusionist und Aufklärer Derren Brown ein Experiment in einer britischen Kleinstadt namens Todmorden (Nein, ich denke mir das nicht aus!) durch.
Er streute mithilfe einer Fernsehreporterin das Gerücht, das Streicheln einer Hundestatue in der Stadt brächte Glück.
Für die fiktive Fernsehreportage dieser Reporterin wurden mehrere Protagonisten mit verschiedenen Einstellungen zu Glück und Unglück über längere Zeit begleitet und immer wieder interviewt.
Im Laufe der drei Monate, die das Experiment andauerte, erzählten einige dieser insgesamt sieben Personen von mehreren glücklichen Ereignissen, die sich kurze Zeit nach dem Streicheln der Hundestatue ereignet hätten.
- Einige davon (bspw. einen lukrativen spontanen Auftritt eines bekannten Komikers, der Hilfe mit seiner Reifenpanne brauchte) hatten Brown und sein Team absichtlich herbeigeführt.
- Andere (wie kleine Lotteriegewinne) hatten sich von selbst ergeben.
- Wieder andere (wie überdurchschnittliche Erfolge beim Glücksspiel auf dem Jahrmarkt) schienen durch den zunehmenden Glauben der beobachteten Personen an ihr eigenes Glück befördert zu werden.
Die Ausnahme war Wayne, der örtliche Metzger.
Wayne war davon überzeugt, vom Pech verfolgt zu sein. Er streichelte zwar den Hund, rechnete aber nicht damit, dass sich daraufhin irgendetwas Positives ereignen würde.
Man kann Derren Brown und seinem Team nicht vorwerfen, sie hätten es nicht probiert: Selbst einen 50 Pfund-Schein, der unmittelbar in Waynes Laufweg gelegt wurde, übersah der pessimistische Fleischermeister:
Es brauchte erst ein Werbefahrzeug mit einer Telefonnummer und dem Text “WAYNE! RUF DIESE NUMMER AN!”, das direkt an ihm vorbei fuhr, um an Waynes Pechsträhne etwas zu ändern. Offenbar sorgte seine Grundeinstellung dafür, dass er gar nicht erst nach Gelegenheiten für einen glücklichen Moment Ausschau hielt.
Das schien der entscheidende Unterschied zwischen Wayne und den anderen Protagonisten zu sein:
Die Idee, durch das Statue-Streicheln sozusagen Glück getankt zu haben, verlieh einigen Einwohnern von Todmorden eine zuversichtliche und positive Grundstimmung. Sie verhielten sich hilfsbereit und aufgeschlossen, ließen sich von Menschen ansprechen und für Ideen gewinnen.
Das ganze Experiment und die erstaunliche Auflösung rund um Waynes Sinneswandel kann man hier anschauen. [2]
Glück und Pech sind zum Teil Einstellungssache
Derren Browns Experiment bestätigt die Forschungsergebnisse von Prof. Richard Wiseman, die er bereits 2004 in seinem Buch “The Luck Factor” zusammenführte.
Wiseman hatte zahlreiche, zum Teil sehr ähnlich gelagerte Experimente mit Menschen durchgeführt, die sich für besonders glücklich oder unglücklich hielten. [3]
Im Ergebnis hat er vier entscheidende Unterschiede zwischen den vom Glück und den vom Pech verfolgten Probanden identifiziert (Interview-Ausschnitt):
Im Gegensatz zu ihren unglücklichen Gegenparts zeichnen sich Menschen, die sich für besonders glücklich halten, dadurch aus, dass sie
- mehr Gelegenheiten ergreifen, die sich ihnen bieten,
- ihrer Intuition vertrauen,
- eine optimistische Grundeinstellung haben und
- ein hohes Maß an Resilienz bei Rückschlägen zeigen.
In gewisser Hinsicht kann also jeder von uns mehr glückliche Momente in seinem Leben finden. Wir müssen nur anfangen, nach ihnen zu suchen und uns nicht davon beirren lassen, wenn wir sie nicht sofort finden.
Fußnoten
[1] Das Gesetz der Anziehung. Mindestens ist es unvollständiger Rat, mehrheitlich ist es abergläubischer Quatsch: “Radikale Vertreter des Gesetzes der Anziehung gehen davon aus, dass sämtliche Wünsche „manifestiert“ werden können. Diese Annahme basiert auf einem Gerechte-Welt-Glaube und ist wissenschaftlich nicht erwiesen.” (Wiki)
[2] Spoiler-Alarm: Beeindruckt von den diversen verpassten Gelegenheiten für Geld- oder Sachgewinne, erklärte sich Wayne im Rahmen der großen Auflösung des Experiments bereit, seine gesamten Ersparnisse bei einem Würfelspiel zu setzen - und er gewinnt.
Unerfreulicher plot twist: Wayne wurde im Jahr 2015 von gleich zwei Autos erfasst und verstarb wenige Meter vor seiner Fleischerei. (Quelle)
[3] In diesem Interview mit Ali Abdaal erläutert Prof. Wiseman einige der Experimente und die vier o.g. Faktoren für mehr Glück.
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