Mir waren die Zusammenhänge sehr lange nicht bewusst. Eine Freundin hatte mir die Augen geöffnet, mich auf die Dinge hingewiesen, die mir erst wie Zufall vorkamen. Zufall war es allerdings nie. Nicht zufällig waren immer junge Mädchen und Frauen bei ihm. Nicht zufällig hatte er immer das passende Getränk, das passende Essen, die passende Droge für die Mädchen parat. Nicht zufällig waren es Mädchen mit Geldproblemen und solche aus schwierigen Familienverhältnissen. Nicht zufällig wurden die Besucherinnen zwischenzeitlich auch seine Untermieterinnen.Er – mein erster Freier und der Mann, der mich für die weitere Prostitution vorbereitete und mir alle Bedenken bezüglich meiner neuen Nebentätigkeit nahm, er war nicht der lustige und harmlose Alt-68er, für den ich ihn hielt. Er war ein knallhart berechnender Freier, der seine Schritte im Voraus plante, junge Mädchen manipulierte und sich seine eigene Quelle an „jungem Fickfleisch“, wie er uns nannte, erschuf.
Ich war ein perfektes Opfer für ihn. War gerade erst aus einem aus kulturellen Gründen strengen Elternhaus in eine Unistadt gezogen und genoss meine Freiheit. Kontakt zu Jungs waren bis dahin auf ein Minimum beschränkt, mit älteren Männern hatte ich erst gar nichts zu tun. Er faszinierte mich von Anfang an. Er war die entspannte, coole und weltgewandte Vaterfigur, die ich insgeheim suchte – genau das Gegenteil zu meinem eigenen strengen Vater, der kaum zu Gefühlen fähig war. Ich suchte einen Nebenjob und landete in seiner Wohnung. Was ich damals noch nicht wusste - er suchte üblicherweise Studentinnen durch Anzeigen für Nebenjobs und schaute, wie weit sie dann für Geld gehen. Ich fühlte mich sofort wohl bei ihm. Es war eine sehr entspannte WG, wir kifften, tranken und sprachen über Marx, Gott und die Welt. Ich glaube, jedes der Mädchen, die er auf diese Art kennenlernte, fühlte sich ebenso wohl: Er bot eine Zuflucht für uns, ein Ort, an dem alle Probleme weit weg waren und er versorgte uns mit allem, was wir brauchten. Man konnte jederzeit bei ihm auftauchen und hatte eine Decke überm Kopf, was Warmes zu essen und Alkohol, soviel man will. Er hatte immer ein offenes Ohr und verständnisvolle Worte für unsere Probleme – und das trotz des großen Altersunterschieds. Er war so anders als die anderen Männer in seinem Alter, anders als unsere Väter. Seinen liebsten Mädchen bot er an, zu ihm zu ziehen: in ein Zimmer in seiner WG – eine WG mit ihm als Hauptmieter und jungen Frauen als Untermieterinnen.
Ich war bald selbst in der Situation, dass ich seine Hilfe brauchte: ich war pleite, das Bafög wurde mir abgestellt. Er bot mir an, zu ihm zu ziehen, und da ich kein Geld für Miete hatte, schlug er vor „das Angenehme mit dem Nützlichen zu kombinieren“, eine seiner vielen Umschreibungen für Prostitution. Ich sollte erstmal umsonst wohnen, wenn ich zwischendurch „nett zu ihm bin“.
Er war mein erster Freier. Ich hatte glücklicherweise schnell eine Wohnung und musste nicht wirklich zu ihm ziehen. Allerdings prostituierte ich mich ab da immer wieder für ihn. Für ihn und seine Bekannten, an die er mich vermittelte – ältere Männer, Akademiker und „Genossen“. Wie ich später rausfinden sollte, spielten sich diese Herren die jungen Frauen gegenseitig zu. Alles in einer hessischen Stadt. Teils Dozenten an der Uni. Sinn und Zweck dieses Freundschaftsbundes: Niemand musste all zu lange dieselbe ficken, sie sorgten gegenseitig für Nachschub an „Frischfleisch“ und tauschten untereinander die Frauen aus. Ich war zu sehr damit beschäftigt zum einen mein Studium voranzubringen, und zum anderen das Geld dafür aufzutreiben, so dass ich mir keine Gedanken um die Hintergründe dieses Umfeldes machte. Nach der Uni anschaffen, mindestens einmal die Woche, denn viele meiner regelmäßigen Ausgaben konnte ich nur durch Anschaffen stemmen. Versuche meinerseits einen richtigen Nebenjob zu finden, wurden von ihm schlecht geredet mit „Sag mal, bist du blöd? Du kannst in einer Stunde mindestens 100 Euro verdienen und dabei Spaß haben und stattdessen willst du für dasselbe Geld ewig kellnern/putzen/im Callcenter schuften?“ Ich hatte es trotzdem versucht. Mit „echter“ Arbeit meine Rechnungen zu zahlen und zu studieren. Allerdings hatte das Geld nie gereicht, so dass ich irgendwann wieder in der Prostitution war.
Er war es auch, der mir zeigte, wie man Anzeigen im Internet schaltet, wie zum Beispiel auf Markt.de, auf Quoka und den anderen lokalen online Anzeigenmärkten. Er stellte mir auch die anderen Mädchen vor, die genauso wie ich auf den ersten Blick gewöhnliche Studentinnen waren – manche sogar Schülerinnen – aber hin und wieder eben anschaffen gingen. Er begleitete auch einige von ihnen ins FKK-Club, um ihnen den Sprung in die Club Prostitution zu erleichtern. Es wurde sehr gern gesehen, wenn wir Freundinnen mitbrachten. Er versuchte es auch bei ihnen. Ich brachte niemanden mit, ich wusste, dass meine Umgebung zu „konservativ“ für ihn und seine Gruppe war und ich wollte nicht bei meinen Bekannten aus der Uni unnötig auffallen. Auch Andere brachten nur Mädchen mit, die ähnlich waren: pleite, bereits einiges im Leben erlebt und damit auf eine gewisse Art abgehärtet. Perfekt zu ihn. Auf diese Art lernte er auch eine junge Schülerin von 18 Jahren kennen, die bald zu ihm zog. Sie kam aus sehr schwierigen Familienverhältnissen, Gewalt und Vernachlässigung waren Alltag. Mit Drogen kam sie schon früh in Berührung und lernte ebenso früh, dass Frau für Aufmerksamkeit und Schutz durch Männer eben Gegenleistungen bieten muss. Irgendwann brachte sie auch ihre minderjährige Schwester mit und beide prostituierten sich für ihn. Ich weiß nicht, was aus den Mädchen geworden ist, ich kann nur hoffen, dass sie es irgendwie aus dieser Abwärtsspirale rausgeschafft haben. Wir alle waren in einer Abwärtsspirale, die begann nicht erst bei ihm, aber er hatte die Geschwindigkeit erhöht. Naiv wie wir waren, dachten wir auch, es hätte nur Vorteile bei ihm zu sein, er könnte uns helfen, falls es zum Beispiel Probleme mit Freiern gibt. Dass wir ohne ihn erst gar nicht in dieser Situation wären, das wollten wir nicht wahrhaben. Die kurzen Momente im Rausch und ohne Sorgen nahmen uns die Fähigkeit unsere Situation kritisch zu sehen.
Gefeiert wurde viel bei ihm, einen Anlass brauchte man nicht. Zwischendurch gab es aber auch spezielle Partys – es kamen sowohl einige junge Mädchen wie ich, als auch sonstige Bekannte und eben auch seine „besonderen Kumpels“ zusammen. Scheinbar zufällig die Zusammensetzung. Wie aus spontaner Idee bot er dann an, doch bei der netten Gelegenheit ein paar Scheine zu verdienen und der Freund XY wäre ein ganz Lieber, Behutsamer. Wenn wir dann nach reichlich Alkohol und Drogen das ungute Gefühl einen deutlich älteren Mann über uns rutschen zu lassen durch die Vorfreude auf das Geld und eine Woche sorgenfrei leben austauschten, dann gingen wir in ein für die Party extra errichtetes „Liebeszimmer“: Kondome, Gleitgel, Toys lag parat. Und in einem Nebel aus Räucherstäbchen, Oshosprüchen, Cannabis, und Sekt ließen sich junge Frauen von älteren Männern sexuell benutzen.
„Danach“ saßen wir alle wieder zusammen, Studenten, Schülerinnen, Studentinnen, ältere Akademiker, Hippies, Arbeitslose, KünstlerInnen. Wir feierten, aßen, tranken, konsumierten Drogen, lachten, philosophierten und tanzten zusammen. Und nebenbei hat sich eben die ein oder andere Studentin oder Schülerin prostituiert. Was ist schon dabei?
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