In diesem Garten wuchs alles wie es wollte und das offensichtlich schon seit Jahren. Die Tür zum Geräteschuppen war fast mit dem Rahmen verwachsen und so hatte ich alle Mühe sie zu öffnen. Ein beherzter Ruck gab den Blick durch Spinnweben in das Innere frei. Die Gartengeräte, ebenfalls mit dem Timbre vergangener Jahre überzogen, versprachen einen schnellen Muskelaufbau bei planmässiger Benutzung, denn keines hatte ein Elektrokabel oder einen Benzintank. „Oh Jeh“ dachte ich noch als ich eine alte Sense sah und magisch von ihr angezogen wurde. Die Griffe wiesen Spuren der Benutzung und das Schneideblatt einige kleine Kerben auf. Der Flugrost verlieh der Meisterin der Halmkürzung allerdings etwas trauriges und so blickte ich mich um, ob ich den Wetzstein, der ihr wieder ihre alte Schärfe wiedergeben könnte, finden würde. Es reizte mich sie zu benutzen um mit gleichmässigen Schwung und meditativen Seitwärtsbewegungen die mehreren hundert Quadratmeter Rasenfläche auf eine Länge zu bringen, die es irgendwann möglich macht den Spindelrasenmäher einzusetzen. Dieser schien mehr Rost gefangen zu haben als die Sense und ich konnte schon aus der Entfernung erahnen, dass es etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen wird aus ihm wieder ein leises Rasseln herauszuholen. Auf einem kleinen Regal lag neben einer Dose Schneckenkorn ein Wetzstein auf dem die Spuren des Sensenblatts deutlich zu erkennen waren. Er lag gut in der Hand und der vorige Benutzer muss auch ein Rechtshänder gewesen sein, denn die Schleifspuren verliefen im richtigen schrägen Winkel zum Blatt der Sense. Ich entdeckte ein paar Ziegenlederhandschuhe und einen verstaubten Strohhut, der mich zu einer echten Landschaftsgärtnerin krönte. Mit Sense und Schleifstein begab ich mich zu dem Teil des Gartens der aussah, als wäre dort mal eine gepflegte Rasenfläche gewesen. So zog ich die Handschuhe an, drehte die Sense auf den Kopf, sodass ich jetzt das Blatt in Augenhöhe hatte. Den oberen Griff, der sich nun am Boden befand, stabilisierte ich mit dem Fuß und begann den Wetzstein über die Vorderseite des Blattes zu ziehen, indem ich ihn mit einer leichten Abwärtsbewegung gegen die Schneide drückte. Mit gleichmäßigen Zügen zog ich den Stein zweimal von links nach rechts über die Vorderseite, legte den Wetzstein dann auf der Rückseite an und zog erneut zweimal von links nach rechts. Der erste Flugrost löste sich und wenige Millimeter blankes Metall kamen zum Vorschein. Mein Handgelenk wurde mit jedem Zug lockerer und bekam einen eigenen Schwung, als hätte ich nichts anderes in meinem bisherigen Leben gemacht als Sensen zu schärfen. Mehrmals zog ich die Vorder- und Rückseite ab, rupfte dann einen etwas dickeren, vertrockneten Grashalm aus und machte einen ersten Schneidetest. Der Halm hatte noch nicht ganz die Klinge berührt, da war er auch schon ein Stück kürzer. Stolz drehte ich die Sense wieder um und fasste sie bei den Griffen; sie hatten einen guten Abstand im Verhältnis zu meiner Körpergröße und so schwang ich die Sense mit einer leichten Hüftdrehung rechts an mir vorbei nach hinten, dann horizontal von rechts nach links wieder nach vorne und lies das Sensenblatt etwa 5 cm über dem Boden in die Kniehohen Grashalme sausen. Die Halme kippten lautlos zur linken Seite um und ein leichter Halbkreis zeichnete sich gegenüber den hohen Gräsern ab. Ich trat zwei Fuß breit nach rechts und wiederholte den Vorgang bis ich am rechten Rasenrand angekommen war, der durch eine drei Meter hohe Kirschlorbeerhecke begrenzt wurde. Zufrieden ging ich zurück zum Ausgangspunkt und betrachtete dabei den etwa 30 Meter langen Streifen erlegter Grashalme. Wie ein Vollprofi holte ich den Wetzstein aus der Hosentasche, zog ihn lässig dreimal vorne und hinten über die Sensenklinge, liess ihn wieder in die Tasche gleiten und begann mit Schwung die nächste Lage Halme zu kappen. Zu Beginn noch abgelenkt durch die extreme Konzentration die Sense im richtigen Winkel und angemessener Höhe anzusetzen, bekam ich langsam Routine und versuchte nun eine entspanntere Körperhaltung einzunehmen. Das gleichmässige drehen des Oberkörpers, den festen Stand und das leichte Beugen des rechten Knies. Kurz vor dem Ende der zweiten Bahn bemerkte ich die zaghafte Bildung kleiner Schweißperlen auf der Stirn, die vom Innenband des Strohhutes aufgesogen wurden. Abgestützt auf der Sense sah ich mir die Gesamtfläche an. Sie maß gut 30 x 40 Meter; ich hatte gerade mal 30 von 1200 Quadratmetern geschafft und fing schon an zu schwitzen. Zwei Bahnen ergaben einen Meter, der war in zehn Minuten erledigt, was bedeutete dass ich für die restlichen 78 Bahnen rund sechseinhalb Stunden brauchen würde.
Am nächsten Morgen bemerkte schon bei der ersten Bewegung meiner Gliedmaßen, dass ich ungeübte, bewegungsarme Dichterin für den gestrigen Fleiß mit heutigen Muskelschmerzen belohnt werde. Ich drehte mich auf die Seite zu der ich mein Bett verlassen wollte und zwar so, wie es Bandscheibengeschädigte von ihrer Physiotherapeutin gezeigt bekommen und schon saß ich aufrecht. Solange ich die Arme nicht anhob war alles gut, aber so konnte ich ja nicht auf der Bettkante verweilen. In aufrechter Position einige Schritte laufend bekam ich einen Eindruck wie sich eine neunzigjährige wohl fühlen könnte, wenn sie eingerostet ist und kam nach einer gefühlten Ewigkeit in der Küche an. Als ich beim Kaffeekochen aus dem Fenster sah verschwanden alle Schmerzen schlagartig, denn vor meinen müden Augen erstreckte sich eine golfanlagenähnliche Rasenfläche. So rieb ich mich nach der Dusche mit Franzbranntwein ab, setze mich in einen bequemen Liegestuhl auf die Terrasse und betrachtete bis zum Abend stolz den Grund meines Muskelkaters. Am darauffolgenden Tag rief ich im Baumarkt an und bestellte einen Aufsitzrasenmäher.
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