Arachnophobia ist die Angst vor Spinnen. Ich hab nichts gegen Spinnen. Draußen. In der Größe eines Pusteblumensamens.

Ich finde Springspinnen sogar ganz niedlich. Leider erfüllt „Eratigena artica“, die große Winkelspinne, keine dieser Rahmenbedingungen. Fühlen Sie sich frei, dieses Monster zu googeln, ich verschone Sie hiermit offiziell von einem Bild.

Es ist Sommer 2010. Ich lebe im 3. Stock eines alten Mietshauses mit angesetztem Balkon. Vor einem Jahr habe ich zwei Katzen gekauft. Ich bin hunderte von Kilometern von Zuhause weg und habe gerade meine Dissertation begonnen. Life is good! Ich bin erwachsen!

Auf dem Balkon habe ich ein Katzennetz gespannt und die Katzen genießen es da draußen sehr. Morgens gehe ich ins Labor, Abends spiele ich mit den Katzen und lasse sie auf den Balkon. Er ist verschmust, anhänglich und sabbert, sie niedlich und scheu. Am Lustigsten ist es, wenn sich eine Fliege in die Wohnung verirrt. Dann sagt man dem Kater „Wo ist die Fliege?“ und er geht aufgeregtauf die Jagd nach dem Leckerbissen. Und wenn der zu hoch hängt, stellt er sich darunter und meckert ein typisches „Meh-eh!“, damit man ihn hochhebt und er seinen Leckerbissen einfangen kann.

Eines Abends sitzt der Kater in der Sonne auf dem Balkon.

„Meh-eh!“

Ich gehe raus, um zu schauen, was er da wohl gesichtet hat. Er starrt gebannt oben in die linke Ecke des Katzennetzes. Und da sitzt sie: Eine handtellergroße Winkelspinne. Der Kater schaut mich fordernd an - so ein großer Leckerbissen und er kommt nicht dran. Na los, hilf mir!

Ich erkläre das Tier (also den Kater) offiziell für verrückt und geh wieder rein. Keine zehn Pferde bringen mich in die Nähe dieses Monsters, auch wenn ich einen Kater als Waffe habe!

Diese Entscheidung sollte der größte Fehler eines Sommers werden. Ich hatte drei Fenster und eine Balkontür. Irgendwann fiel mir an einem der Fenster eine weitere Winkelspinne auf. Leider war ich sehr beschäftigt mit der Dissertation und eh den ganzen Tag weg, so dass ich mich darum nicht weiter kümmern konnte. Naja. Die würde schon weggehen. Und die zweite im anderen Eck auch. Aber vorsichtshalber lüftete ich das entsprechende Zimmer nicht mehr direkt, sondern ließ das Fenster lieber zu. Luft kam ja bei offener Türe über die anderen Räume herein. Und so blieben die drei Spinnen wenigstens draußen. Ich taufte die Winkelspinne oben am Katzennetz spaßhalber Sieglinde. Der Kater hatte sich damit abgefunden, dass das nicht sein Leckerbissen war.

Das angenehme an diesen Viechern ist ja, dass die sich höchst selten bewegen. Solange man also weiß, dass Sieglindes Töchter Nummer 1, 2, 3, 4 und 5 immer noch in trauter Gemeinsamkeit am Fenster im Hinterzimmer kleben und Spinne 6 und 7 immer noch außen am Küchenfenster, kann man sie einigermaßen ignorieren.

Gut. Küche lüften geht jetzt auch nicht mehr, aber was soll‘s? Das Wohnzimmer liegt ja im Durchgangszimmer zwischen Küche und Hinterzimmer. Mit offenen Türen geht es also.

Also… Terassen- und Wohnungstür auf, Durchzug! Passt.

Aber: Wirklich nur die Türen, den die Winkelspinnen 8, 9 und 10 am Wohnzimmerfenster wollen ja auch in Ruhe gelassen werden.

Was?

Also bitte!

Ich habe doch kein Problem mit Spinnen, wir leben hier glücklich nebeneinander her: Ich lasse alles zu und störe sie nicht und  bleib drinnen, sie bleiben draußen. Die Katzen können notfalls Vermittler spielen. Die gehen nämlich immer noch sehr gerne auf den Balkon.

Ich? Nein, ich nicht. Überhaupt habe ich lieber alle Fenster und Türen zu. Von den Spinnen 11, 12 und 13 an der Terassentür hat sich neulich eine direkt über mir abgeseilt. Seitdem lasse ich nur noch die Katzen schnell raus und rein, und lasse die Terassentür sonst zu.

Am Fenster im Treppenhaus sind zum Beispiel gar keine Spinnen. Wenn ich also die Wohnungstür und dieses Fenster auflasse, dann kommt auch Luft rein. Und die Nachbarn sind ja eh nie da. Kann die Wohnungstür ruhig mal offen bleiben. Die Katzen? Nee, die trauen sich nicht ins Treppenhaus, danke der Nachfrage.

Irgendwann kündigte sich Besuch an - meine Mutter wollte vorbei kommen. Zeit, die Wohnung auf Hochglanz zu putzen!

Ja, die Wohnung. Fenster und Balkon lassen wir mal außen vor. So Fenster, die nur von innen geputzt sind, das hat ja auch nicht jeder. Und der beutellose „Dirt Devil“ ist zwar ein echt beschissener Staubsauger, aber er tut seinen Dienst in meiner kleinen, leicht stickigen Wohnung. Annähernd katzenhaarfrei bereite ich Mama ein Bett in Spinnenraum 1 und mir das Sofa in Spinnenraum 3. Nein! Spinnenfreiraum, denn die 14 possierlichen, 2-Euro-Stück großen Tierchen mit ihren acht fingerlangen Krabbelbeinen sind ja draußen.

Alles super 👍🏼!

Ich sag es mal so: Mama hat gar nichts gegen schlecht geputzte Fenster. Sie würde halt gerne mal lüften oder auf den Balkon - so zum Frühstücken oder so. Es ist schließlich Sommer.

Ja, ok, Mutter, ich verstehe dich schon, aber es gibt GRENZEN!!! Und die Grenze hier heißt 16 Winkelspinnen, die mich belagern und vermutlich einen nächtlichen Angriff planen.

Wir sind hier schließlich im Stellungskrieg, Sieglinde lebt nicht mehr und alle Verhandlungen mit der Bitte, sich doch eine Etage tiefer zu begeben, waren bisher erfolglos. Du kannst doch nicht einfach hier herein marschieren, Mama, das Kommando übernehmen und diese instabile Pattsituation gefährden!

Mutter hat genug. Sie hat ein Auge auf den Dirt Devil geworfen und das Rohr bereits in der Hand.

„MUTTER, DAS DING HAT KEINEN BEUTEL UND BEFINDET SICH AUF DER FALSCHEN SEITE DER FENSTER! DU KANNST DOCH NICHT-"

Oh doch, sie kann!

Ich flüchte mich panisch in den (fensterlosen) Flur. Der Dirt Devil beginnt bedrohlich zu röhren.

Es macht 16 mal „plopp.“ Es ist passiert. Die Spinnen sind durch rohe Sauggewalt in die Wohnung gesogen worden. Zwar sind sie jetzt im Dirt Devil, aber wie lange noch?!!

Mutter schaut mich triumphierend vor vier offenen Fenstern und einer Balkontür an. Eine kühle Brise weht, und sie strahlt. Die Katzen wetzen rein und raus, die neue Freiheit am „Tag der offenen Terrassentür“ genießen.

Mutter bringt den Staubsauger raus und entleert ihn in der Mülltonne. Ich putze den Balkontisch und decke das Frühstück.

Eigentlich ganz cool, so ein Balkon im Sommer.

Nicht ganz so cool wie meine Mutter, aber das ist ja auch eine echt hohe Messlatte.

Ach ja, den Dirt Devil habe ich übrugend verschrottet. Nein, nicht wegen der Spinnen, die haben das wohl tatsächlich nicht überlebt. Aber das war auch das Einzige, wofür das Ding gut war, so dass man ihn Spider Devil hätte nennen können. Damit konnte er ja umgehen - mit Dreck eher nicht. Der neue Staubsauger von Miele kann dagegen tatsächlich saugen und hat auch einen Beutel. Allerdings habe ich ihn nie an Spinnen ausgetestet.

Sollte mir je wieder eine Sieglinde unterkommen, sie wird keine Gelegenheit mehr haben, im Kreise ihrer Nachkommen am hohen Alter zu versterben.

Und der Kater? Der ist jetzt 15 und schaut Spinnen mit dem Arsch nicht mehr an. Wir wohnen jetzt übrigens in einem 300 Jahre alten Haus mit alter, ausgebauter Scheune und Holzfenstern. Draußen gibt es sehr viele Spinnen - aber in der Größe von Pusteblumensamen.

Und wenn sich das ändern sollte, hole ich einfach meine Mutter! Die alte Heldin macht dir sicher mit ihrem Gehstock oder dem Rollator platt.

Und liebe Spinnenfreunde: Ja, ich weiß. 🤷🏼‍♀️

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