Es ist etwa einen Monat her, als es in Ost-Jerusalem zu einer kumulativen Radikalisierung kam, die in einen mehrtägigen, militärischen Konflikt zwischen Israel und Palästina mündete. Besonders aus deutscher Perspektive scheint der sogenannte “Nahostkonflikt” selten eine rationale und objektive zu sein, sondern speist sich aus moralischen und teils paternalistischen Elementen, die unter anderem auch innenpolitische, zwischen den politischen Tendenzen stehende Differenzen aufgreift. Die Existenz des Staats Israel, gegründet 1948 als letztliche Konsequenz des Vernichtungsantisemitismus der deutschen Faschist*innen, steht hier einer palästinensischen Autonomiebehörde gegenüber, die sich selbst 1988 als Staat ausrief. Der Unterschied ist hier jedoch die Ausprägung einer staatlichen Gewalt; diese ist in Palästina eingeschränkt respektive durch die faktische Besatzung durch Israel kaum zu delegieren. Die Frage einer Existenz wird hierbei seit Ausrufung des Staates Israel auf eben Israel gemünzt, die sich auf zwei Faktoren referieren lässt: die postulierte Notwendigkeit ausgelöst durch den Antisemitismus einerseits und geostrategische Interessen durch andere imperialistische Mächte andererseits. Wie eine Existenz von einem Staat abstrahiert werden kann, und wie sich das begründen lässt oder nicht, lässt sich erst diskutieren, wenn man die Funktion eines Staates beleuchtet.
Ein Staat ist, das wird bereits im Politikunterricht gelehrt, ein Gewaltmonopol. Diese Gewalt ist jedoch keine über alle Elementen stehende, sondern sie stützt sich auf ein Interesse, das durch das Monopol geschützt werden muss. Die heute als Staat titulierte Instanz geht auf die Französische Revolution 1789-1799 zurück, die einerseits das Zeitalter des Feudalismus sowie teils die Macht der Kirche und des Monarchismus überwand, und andererseits gestützt auf das Bürger*innentum und des aufklärerischen Charakters eine Institution schuf, die das Interesse der nun herrschenden Klasse zu verteidigen weiß. Der Staat des 21. Jahrhunderts ist hernach ein bürgerlicher Staat, der sich selbst als letzte Instanz versteht und dadurch, um seinem eigenen Schicksal zu entgehen, eine Existenz propagiert, die nicht mehr als ein vager Schutzmechanismus gegenüber anderer Interessen ist. Denn der bürgerliche Staat, dessen Gewaltmonopol vom bürgerlichen Interesse abstrahiert wird, ist nicht nur ein sozialer, sondern auch ein ökonomischer Apparat, dessen hauptsächliche Funktion die Wahrung und Gewährleistung dieser Faktoren ist, die in ihm kumulieren.
Spricht man also von einem Existenzrecht eines bestimmten Staates, ist nicht die Rede davon, dass dieser Gewaltapparat pro forma ein naturgesetzliches Recht hat, zu existieren, sondern er zieht seine Legitimität letztlich zirkulär aus einer eigenen Existenz: das Recht, das ich bin, wird davon abstrahiert, weil ich bin. Wendet man diese Argumentation auf Menschen oder andere Lebewesen an, funktioniert das durchaus. Allerdings ist ein Staat kein Lebewesen, sondern die Kontrollinstanz und Macht über Menschen. Die Geschichte der Menschheit zeigt auf, dass Staaten in unterschiedlicher Ausprägung eine wichtige Rolle spielten, doch diese wurden erst durch die Notwendigkeit des Menschen, ausgehend von der neolithischen Revolution und der vermehrt patriarchalen Entwicklung, durch Mehrproduktion und Entscheidungsgewalt über die Verfügung, relevant. Das heißt: der Staat ist ein Produkt ökonomischer Interessen, mehr: der Frage, wer über Produktionsmittel und deren Erzeuge entscheidet. Das ist letztlich eine hinreichende Bedingung, jedoch entwickelte sich die Institution zu einem hochkomplexen Apparat, der über die ökonomischen Interessen hinweg besteht.
Ist der Staat also in der Lage, den Anspruch zu erheben, Recht auf seine Existenz zu haben? Nein, denn: die Entwicklung von Gesellschaften und der Ausprägung von Staaten folgt keiner mechanischen Formel, sondern ist immer und ausschließlich Produkt dialektischer und vielschichtiger Bewegungsgesetze. Würde man das anders betrachten, müsse man zu dem Entschluss kommen, dass Sezessionsbestrebungen ebenfalls den Anspruch erheben dürfen, und hernach sich Staaten von Staaten abspalten, denn ein etwaiges Recht fuße nicht nur auf eine bereits bestehende Existenz. Dass dem so nicht ist, beweist ein tagtäglicher Blick auf das Weltgeschehen. Nun bleibt noch die Frage, ob ein Staat seine Existenz darauf begründen könnte, als Vertretung von Menschen, beziehungsweise Schutzmacht von Menschen, zu dienen. Dort würde man wieder zum Anfang kommen und das Faktum aufwerfen, dass Staaten keine notwendige Instanz sind, um Interessen von Menschen, so auch ihre eigentliche Existenz, zu verteidigen. In letzter Konsequenz ist es vielmehr so, dass ein Staat, der immer ein Klassenstaat sein muss, die Existenz von Menschen, die nicht der Klasse angehören, die der Staat verteidigt, nur unzureichend verteidigt. Hinweise auf Rassismus, besonders in Industriestaaten oder das Sterben im Mittelmeer legen mehr als deutlich Zeugnis davon ab.
Um auf den Beginn zurückzukommen, die diese Frage erst aufwirft: hat Israel ein Existenzrecht? Nein, hat es nicht. Allerdings haben israelische und arabische Menschen, die in Israel wohnen, ein unabdingbares Existenzrecht. Der bürgerliche Staat Israel ist kein besonderer Staat, der sich von anderen abhebt, sondern verteidigt dieselben Interessen, wie jeder andere Klassenstaat auch. Die Überwindung dieses Gewaltmonopols, als eine staaten- und klassenlose Gesellschaft, garantiert erst das Recht für ausnahmslos alle Menschen, existieren zu dürfen. Dass Staaten nicht einfach so verschwinden, sondern selbst in einem revolutionären Akt absterben müssen, macht aus heutiger Sicht Staaten notwendig, um sie letztlich selbst zu verneinen. Daher kann ipso facto kein Existenzrecht definiert werden, wenn dieses Recht verwirken kann, will man den Begriff der Existenz nicht verwässern. Sie existieren und spielen eine ökonomische und soziale Rolle, die aus verschiedenen Erhebungen ihre Notwendigkeit ziehen, wodurch jedoch eben kein Recht auf eine Existenz gefordert werden kann. Wird solch ein Recht postuliert, das sich in seiner Unumstößlichkeit definiert, kommt man in einen selbstnegierenden, zirkulären Schluss. Der Staat ist Gewaltmonopol einer herrschenden Klasse, der nur in diesem eng gesetzten Rahmen seine Legitimation erklären kann, ohne den Anspruch erheben zu können, ein objektiv ableitbares Recht zu pachten. Er ist ein Werkzeug, um ein Existenzrecht des Einzelnen zu verteidigen, ohne sich selbst darauf auszuruhen, denn: das vollständige Existenzrecht des Menschen ist erst dann erreicht, wenn der Staat nicht mehr ist.
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