Der nachfolgende Text ist bereits zwei Jahre alt. Zu meinem Leidwesen hat er an Relevanz kaum verloren und soll deshalb vor allem in Hinsicht auf die bevorstehende Bundestagswahl nicht in der Schublade verschwinden.


Vor einigen Wochen las ich einen Artikel über die diesjährigen Landtagswahlen in Brandenburg. Aufgrund jüngster Umfragewerte zeichnet sich demnach ab, dass die AfD eine wichtige Rolle in der dortigen Regierungsbildung spielen wird. Ich würde gern behaupten, schockiert zu sein, allerdings wurden bestenfalls leise Hoffnungen darüber gedämpft, dass meine Bundeslandsleute langsam zur Besinnung kommen und sich gegen diese unsäglichen Blender entscheiden.

Viel mehr als dieses mögliche politische Elend beschäftigt mich aber der Gedanke, dass mein erstes Gefühl dabei Scham war. Scham über meine Herkunft, meine Sozialisation. Scham darüber, dass Teile meiner Familie und meiner alten Weggefährten so anders denken als ich. Ich schäme mich auch dafür, selbst geflohen zu sein, Brücken abgebrochen zu haben und Besuche in meine Heimat zu vermeiden, so gut es eben geht.

Ich lebe inzwischen am anderen Ende der Republik, im Westen, wie man in meiner Heimat sagen würde und beobachte aus der Ferne, aus einer anderen Lebensrealität. Doch ich glaube zu verstehen, was die Menschen bewegt, zu wissen, wie sie ticken und warum sie so handeln. Ich erlebe mich selbst häufig dabei, sie zu rechtfertigen, manchmal gedanklich vor Journalisten und ihren Artikeln, in persönlichen Diskussionen oder auf Twitter. Doch nach und nach wächst das Bedürfnis, sich endgültig abzuwenden und nichts mehr zu verteidigen.

Denn selbst nach 28 Jahren Wiedervereinigung ist die Reputation der Region immer noch im Keller. „In der Nähe von Berlin“ wirkt sympathischer als „die brandenburgische Provinz“ und „in Leipzig studiert“ weltmännischer als „Abitur in Elsterwerda“. Doch anstatt zu zeigen, was man kann, Werte wie Ehrlichkeit, Solidarität, Einfallsreichtum und Ehrgeiz in den Vordergrund zu stellen, macht man meistens durch Gejammer, Schuldzuweisungen, Rechtfertigungen, Fremdenfeindlichkeit und Hass von sich reden.

Ich mag vieles an meiner Heimat. Im Sommer jederzeit fünf verschiedene Baggerseen mit dem Fahrrad erreichen zu können. Quadratkilometer weite Kiefernwälder und wahnsinnig viel „Raum für Gegend“. Ich vermisse die verschrobene Herzlichkeit genauso wie die klare Kante, die auch mal wehtun darf. Mir fehlt diese Gemeinschaft, die keiner versteht, der nicht damit aufgewachsen ist.

Doch auch wenn ich woanders niemals finden werde, was meine Heimat so besonders macht. Solange die AfD und ihre Attitüde anklang finden, Minderheiten als Sündenbock herhalten müssen und man sich nicht aus seiner Opferrolle herausfindet, werde ich kein Teil mehr davon sein können und mein Glück in „der Fremde“ suchen müssen.