Ihr ausgemergelter Körper, die dünnen Arme in einer Geste der Hilflosigkeit und Erschöpfung auf ihrer Brust liegend, ihren Kopf zur Seite gedreht, ist es ihr Blick in eine scheinbare weit weg liegende Ferne, der berührt. Ihr Gesichtsausdruck ist ernst, auf eine unbeschreibliche Weise abgeklärt, er strahlt ungebrochene Würde aus, ebenso, wie die Hinnahme von Scheitern. Ihr Gesicht so filigran, wie das eines verblassenden Engels.

Amal Hussain, Copyright: Tyler Hicks, New York Times
Amal Hussain, Copyright: Tyler Hicks, New York Times

Es war das Foto von Tyler Hicks, einem Pulitzerpreis-und darüberhinaus mehrfach preisgekrönten Fotojournalisten der 7-jährigen Amal Hussain in einer Reportage der New York Times, das erstmals das Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit auf die Situation der Kinder im Jemen warf.

Die am 26. März 2015 gestartete USA- und UK-gestützte Militärintervention der von Saudi Arabien geführten Koalition zur Wiedereinsetzung des vor den Houthis (Answar Allah) geflüchteten - und international anerkannten - Übergangspräsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi dauerte da bereits drei Jahre an.
Drei Jahre Bombardement, und Blockade ohne Aussicht auf militärischen Erfolg.

Amal wurde in Saada, mitten in die Hochburg der Houthis (Ansar Allah) im bergigen Norden Jemens an der Grenze zu Saudi Arabien hineingeboren. Permanente Luftangriffe zwangen die Familie bereits früh, zu Beginn der Militärintervention 2015 zur Flucht aus den Bergen in ein Flüchtlingslager rund sechseinhalb Kilometer von Aslam und 145 Kilometer von der Hauptstadt Sanaa entfernt.

Drei Jahre lebten die Hussains als sogenannte innerstaatlich Vertriebene (internally displaced people, IDP) in einem winzigen, provisorischen Haus - verglichen mit den Hütten aus Plastikfolie und Stroh, die die internen Flüchtlingslager zumeist dominieren, zumindestens eine kleine Erleichterung - allerdings ohne Zugang zu sauberem Wasser, von der Hand in den Mund, angewiesen auf humanitäre Hilfe wie mittlerweile mehr als 24 Mio. Jemeniten oder 80% der Bevölkerung.  

Hunger und Mangelernährung, unter denen nach Schätzungen der UN mittlerweile fast 600.000 jemenitischen Kinder leiden, und die auch Amal ins Gesundheitszentrum von Aslam gebracht haben, sind nur unzureichend mit der Armut des Landes zu erklären, oder durch Katastrophen verursacht. Sie sind vielmehr eine Folge der militärischen Intervention und es ist zulässig, sie als eine menschengemachte Folgewirkung zu bezeichnen.

Neben dem Bombardement und der Zerstörung der Infrastruktur, darunter zivile Einrichtungen, wie Spitäler, Wasserversorgungen, Schulen, Felder, Fischerboote, hat in erster Linie die über den Jemen verhängte Blockade zum Zusammenbruch der Wirtschaft geführt. Einbehaltene Gehälter, Inflation, horrend steigende Preise für Lebensmittel und Kraftstoff haben für Familien den Kauf von Nahrungsmitteln vielfach unerschwinglich gemacht. Hunger ist die Folge.

Hunger, unter dem auch Amal jahrelang gelitten hat. Ihr Zustand war im Herbst 2018 durch ständiges Erbrechen und Durchfall, typische Auswirkungen von Unterernährung, so kritisch geworden, dass ihre von Dengue-Fieber geschwächte Mutter, keinen anderen Ausweg mehr sah, als sie in das nahegelegene Gesundheitszentrum von Aslam zu bringen. Zwanzig Tage bemühte sich Dr. Makkiah Mahdi Amals Zustand zu verbessern, alle zwei Stunden erhielt der viel zu kleine, ausgemergelte Körper lebensrettende Nahrung in Form von Milch, die Amal oftmals wieder erbrach.  

Ghaleb Alsudmy, ein humanitärer Aktivist, der mit seiner Kampagne "Food and Medicine for Yemen" Kindern wie Amal versucht, vor Ort zu helfen, traf sie im Oktober 2018, wenige Tage vor ihrem Tod.  

Ghaleb Alsudmy im Gesundheitscenter Aslam mit Amal Hussain, Oktober 2018

Am 23. Oktober 2018 wurde Amal Hussain, immer noch krank, aus dem Gesundheitszentrum Aslam entlassen. Man riet ihrer Mutter Mariam Ali Hussain, sie in ein 24 Kilometer entferntes Krankenhaus der Ärzte ohne Grenzen, besser ausgestattet, mit einem Röntgengerät, nach Abs, zu bringen.

Die Familie war nicht in der Lage, das Geld dafür aufzubringen, sie sah keinen anderen Ausweg und nahm Amal mit zurück nach Hause. Drei Tage später, am 26. Oktober 2018 war sie tot.
Eine Woche nach Veröffentlichung der Reportage, eine Woche, nachdem ihr Bild um die Welt ging, bei der New York Times unzählige Anfragen nach ihrem Zustand und Angebote zur humanitären Hilfe eingingen.

Hier liegt Amal Hussain begraben. Copyright: Ghaleb Alsudmy
Hier liegt Amal Hussain begraben. Copyright: Ghaleb Alsudmy

Bis zum heutigen Tag sind nach Schätzungen von Hilfsorganisationen rund 85,000 Kinder unter fünf Jahren Opfer der Kriegswaffe Hunger geworden.    

Amal Hussain steht seither symbolisch für alle Kinder, die in dieser größten humanitären Katastrophe weltweit - wie die UN die Situation im Jemen beschreibt - im zehn Minuten-Abstand an den Folgen der Unterernährung oder einer behandelbaren Krankheit sterben.

Amal heisst "Hoffnung" auf arabisch - das Gesicht der Kinder Jemens ist die Hoffnung. Hoffnung auf Frieden.