Eine polemische Analyse des Problems der ‘eigenen Meinung’.

Wie die biblische Heuschreckenplage überfallen postfaktische Meinungen das Zwischennetz der Menschlichkeit. So cyberflanieren Schwurbler quer durchs Internet und laden ihren E-Müll überall ab, wo die Vernunft versucht, den Boden unter den Füßen zu wahren. Solche Oberflächentheoretiker missverstehen das Recht auf die freie Meinungsäußerung oft mit einem absurden «Recht darauf Recht zu haben». Werden ihre Meinungen mit Fakten konfrontiert, herausgefordert, wird dem Gegenüber meist das Fachwissen abgesprochen, es wird persönlich beleidigt, gedroht und am Ende werden Verschwörungstheorien ausgekramt wie «du wirst von Lobby XY bezahlt, weil isso!».

Natürlich geht es mir in gewisser Weise ähnlich: Ich habe meine eigene Meinung und ich beanspruche das Recht, sie gegen jeden Konsens, jede Mehrheit, überall und immer zu verteidigen. Und jeder, der das nicht akzeptiert, kann eine Nummer ziehen und sich hinten anstellen, um mir den Buckel runter zu rutschen. Doch ich beanspruche niemals, dass meine Meinung nicht von Fakten korrigiert oder zumindest geschwächt werden kann. Ja, ich lasse mich überzeugen, denn mir ist bewusst, dass ich ebenso leicht getäuscht werden kann wie jeder andere Mensch. Jeder kann seine eigene Meinungen haben, keiner jedoch seine eigenen Fakten.

Zwar provoziert mich auch die Dummheit, doch nichts ist schlimmer als ein lausiges Argument, im Inter-, wie im Outernet. Schlimmer als jede Beleidigung ist mein ganz persönliches Argumentations-Kryptonit:

«Lass mir meine Meinung!»

Diese Äußerung ist die Kapitulation in jeder Diskussion, sie ist eine geistige Sterbehilfe, Schablonengeschwafel der Qualität «Warum liegt hier eigentlich Stroh?»:

Wenn irgendein Floskelfreak in einem Anfall öffentlichen Aussprechens wieder irgendeinen Schimmelkäse schwurbelt und auf ein Gegenargument mit geballter Tippkraft nur ein «Lass’ mir meine Meinung» entgegenbringen kann, versteht er den Unterschied zwischen Toleranz und Akzeptanz nicht (das sind meist die gleichen Menschen, die den Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität nicht kennen). Der giftige Subtext dieser Aussage ist nichts anderes als «meine Meinung ist genau so wichtig und richtig wie die ihr gegensätzlichen Fakten» und es ist gleichzeitig die ungerechtfertigte Anschuldigung, dass die Meinung nicht toleriert würde. Solches Verbalgemüse ist die Firewall der eigenen zweifelhaften Scheinwelt. Sie ist False Balance und erstickt jeden Diskurs im Keim. Es hat nichts, überhaupt nichts, mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung zu tun. Ja, ich lass’ dir deine Meinung, aber ich stimme dir nicht zu. Denn Ja, du darfst sagen, dass Homöopathie spezifisch wirksam ist, dass Elvis noch lebt oder die Sonne um die Erde wandert. Aber du hast keinen Anspruch darauf, dass dir Recht gegeben wird, dass deine Meinung nicht angezweifelt wird oder gar unkommentiert bleibt, denn alle (!) haben das Recht, ihre Meinung zu sagen - das musst du tolerieren.

Heul doch!

[Rant off]


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