Manche sagen, eine Demenz ist ein einziger Abschied. Ich habe das lange Zeit gar nicht so wahrgenommen. Nach der Diagnose meiner Mama hatte ich zwar große Angst um sie und fühlte eine große Unsicherheit. Dass sie Alzheimer hatte, war für mich ein Schock und irgendwie dachte ich, sie würde bald sterben. Aber dass ich über viele Jahre immer wieder Abschiede erleben würde, das war mir nicht bewusst. Ganz besonders nicht, dass ich mich von vielen Dingen verabschieden müsste, ohne je Abschied nehmen zu können. Wie kann man mit diesen kleinen und den großen Abschieden umgehen? Dabei spielt Trauern und der Umgang mit Traurigkeit eine wichtige Rolle. Aber es gibt auch noch andere Strategien.
„Mama kann nicht mehr…“ oder „… klappt nicht mehr“ – waren häufige Sätze, die in ersten Jahren nach der Diagnose fielen. Besonders bemerkte ich diese Verluste und das Nicht-Können, wenn ich länger nicht bei meinen Eltern gewesen war. Ich erinnere mich, dass ich anfangs oft dachte, dass wir diese Verluste vielleicht beeinflussen könnten. Durch ein anderes, besseres Medikament oder eine gezielte Physiotherapie oder noch mehr Ergotherapie-Stunden. Irgendwie dachte ich, wir müssten nur etwas besser machen oder anders auf Mama eingehen, dann könnte es wieder normal sein.
Selbst vor zwei Jahren, als meine Mama schon kaum mehr sprach, hatte ich noch Hoffnungen. Ich las zu der Zeit viel über Validation und begann mich mit dem Thema Kommunikation zu beschäftigen. Ich begleitete meine Mama zu ihrem Termin beim Neurologen und wollte mit ihm über das Sprechen sprechen. Ich hoffte, er würde Logopädie empfehlen und ein Rezept dafür ausstellen. Aber er schüttelte nur den Kopf und erklärte, dass bei Mama das Sprachzentrum betroffen sei – und auch eine Logopädie ihr Sprechen nicht zurückbringen könnte.
Ich wünschte, ich hätte Mamas Stimme festgehalten
Nach diesem Arzttermin eilte ich zum Bahnhof, um zu meinen Kindern zurückzufahren. Es war eine sehr lange und vor allem sehr traurige Zugfahrt, denn ich war so enttäuscht, dass Mamas Sprechen einfach weg war – und es keine Möglichkeit gab, das zu ändern. Da erst wurde mir bewusst, dass sich schon Wochen, vielleicht auch Monate vorher, etwas verabschiedet hatte.
Ich konnte mich nicht erinnern, wann meine Mama zum letzten Mal meinen Namen gesagt hatte. Ich konnte mich nicht entsinnen, wann wir zum letzten Mal ein Gespräch geführt hatten. Und ich wusste auch nicht, wann wir zum letzten Mal miteinander telefoniert hatten. Dass all das verschwunden war, machte mich sehr traurig. Besonders traurig machte mich aber, dass ich es gar nicht richtig gemerkt hatte. Ich wünschte, ich hätte mich verabschieden können. Vor allem wünschte ich mir damals, ich hätte ihre Stimme festgehalten, auf Videos oder auf Tonaufnahmen.
Demenz ist ein langsamer, schleichender Abschied
Demenz ist ein schleichender Prozess. „Viele der Verluste werden einem im Verlauf nicht bewusst, sondern eher im Rückblick. Das ist typisch, dieser schleichende Verlauf und dieses fluktuierende“, sagt Anja Kälin von Desideria Care in der neuen Podcast-Folge von „Leben, Lieben, Pflegen – Der Podcast zu Demenz und Familie“. Dieser langsame, schleichende Verlauf sei auch der Grund dafür, warum man sich gar nicht verabschieden kann.
Die Abschiede sind selten ein geradliniger Prozess, sondern verlaufen fluktuierend. Genau das erlebe ich aktuell mit dem Treppengehen meiner Mama. Lange Zeit war das überhaupt kein Problem. Dann, vor drei Jahren hatte Mama erste Probleme. Sie blieb immer auf der vorletzten oder letzten Stufe stehen und wollte nicht weitergehen. Danach ging sie eine Zeitlang wieder ohne Probleme. Im vergangenen Jahr hatte sie eine Phase, wo es schlechter wurde, wo sie auch nicht mehr die Treppen hoch gehen konnte. Deshalb haben sich meine Eltern zu einem Umbau entschlossen, denn auch wenn es ein Auf und Ab ist, so ist absehbar, dass sie irgendwann nicht mehr die Treppen gehen kann.
Immer wieder kommt die Traurigkeit
Mir war lange Zeit nicht bewusst, wie traurig mich die Alzheimererkrankung meiner Mama und die damit verbundenen Verluste machten. Ich dachte, ich dürfte nicht so traurig sein. Immerhin war ich ja gesund. Ich hatte Angst, ich würde meine Mama (und meinen Papa) noch trauriger machen, wenn ich meine Gefühle zeigen würde. Nach einem langen Gespräch mit Anja verstand ich, dass ich traurig sein durfte und dass es ganz normal sei. „Bei einer Demenz laufen zwei Trauerprozesse ab: bei dem Betroffenen selber und bei den Angehörigen“, erklärte sie. Beide Prozesse seien normal und wichtig.
„Wir verbinden mit Trauer eine negative Reaktion. Es ist schmerzvoll, aber ein gesunder Trauerprozess ist Ressource. Die Trauer ermöglicht es, in inneres Gleichgewicht zu kommen und einen Umgang mit der Demenz zu finden“, erläuterte Anja. „Es geht nicht darum, die Trauer loszuwerden. Die Trauer geht nicht weg. Sie wird dir erhalten bleiben. Es geht darum, sie Anzug erkennen und wertzuschätzen als etwas, das dazugehört.“ Diese Erkenntnis war für mich, irgendwie, traurig, aber auch befreiend.
Wie kann man gut mit Abschied und Trauer umgehen?
„Als Angehöriger ist es wichtig, die Aufgabe der Trauerbegleitung zu übernehmen“, sagte Anja. Aber wie kann man das tun? Ich erinnere mich an Situationen, in denen meine Mama im Flur stand und bitterlich weinte – und wie schwer es mir fiel, sie zu trösten. Ich fand keine Wort und wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich umarmte sie. Am allerbesten gelang es aber Papa, sie zu beruhigen. „Nicht kleinreden oder schönsprechen“, lautete Anjas Rat. Denn das trägt dazu bei, dass man sich nicht verstanden und angenommen fühlt. „Das Annehmen und Akzeptieren der Trauer ist aber wichtig“, sagte Anja.
Was kann helfen, mit der Trauer klarzukommen? Für den Podcast haben wir verschiedene Möglichkeiten gesammelt. Das können sein:
- weinen
- körperliche Nähe
- in der Natur sein
- sich auf den Boden legen und erden
- Sport machen und sich bewegen
- seine Gefühle und Gedanken aufschreiben
- mit anderen sprechen
In diesem Worksheet findet ihr noch einmal alle Ideen, um mit Abschied und Trauer umzugehen. Dort findet ihr auch ausreichend Platz, um eure eigenen Strategien zu ergänzen.
Ein Perspektivwechsel kann helfen
Manchmal wünschte ich, ich hätte mich auf die vielen kleinen Abschiede irgendwie vorbereiten können. Ich stelle mir vor, dass mir das den Umgang damit erleichtert hätte. Aber bin mir unsicher, ob das so ist. Ich bin nicht besonders gut im Loslassen und im Abschiednehmen auch nicht.
Was mir tatsächlich hilft, ist ein Perspektivwechsel. Weniger an das Ganze und an Früher zu denken, sondern mehr das Hier und Jetzt sehen. Das fällt mir oft noch schwer, klappt aber schon immer besser. Meine Vorbilder dabei sind meine Kinder, denen es oft viel besser gelingt, im Hier und Jetzt zu sein und meine Mama so anzunehmen, wie sie ist, ohne viel zu trauern.
Ich bin traurig, dass meine Mama nicht mehr da ist, wie ich sie kannte. Aber ich auch froh, dass sie da ist – und das hilft mir dann doch wieder durch die Abschiede. Ich versuche all die schönen Momente, die ich mit ihr noch erleben darf, tief in mir drinnen fest zu verankern. Manche Menschen schreiben schöne Erlebnisse auch in ein Glas und bewahren sie dort. Oder halten das Erlebte auf Papier fest. Welche Strategie auch immer ihr findet, ich wünsche euch alles Gute dabei!
#Alzheimerundwir - Der Blog
Ich freue mich über jede und jeden, die meinen Blog "Alzheimer und wir" besuchen, in den ich sehr viel Herzblut stecke. Darin nehme ich euch mit auf unseren Weg mit der Alzheimererkrankung meiner Mama. Denn wenn eine Person die Diagnose Alzheimer oder Demenz erhält, sind vor allem auch die Angehörigen mit betroffen und müssen immer wieder neue Lösungen finden. Auf meinem Blog zeige ich euch unseren Weg und gebe Tipps und Ratschläge, die auch anderen helfen können
Ansonsten findet ihr mich auf den folgenden Social-Media-Plattformen:
Instagram: https://www.instagram.com/peggyelf/
Facebook: https://www.facebook.com/peggyelf
Pinterest: https://www.pinterest.de/peggyelf