Mit dem bevorstehenden Start von „Hogwarts Legacy“ ist JK Rowling wieder mal in aller Munde und allen Twitter Accounts. Hauptsächlich geht es dabei um Transphobie und ob man das Spiel nun kaufen sollte oder nicht. Darüber reden wir noch ein anderes Mal, doch heute ist das hier nicht das Thema - ich würde mich freuen, wenn die Tatsache,  dass es hier nur um die Antisemitismus-Vorwürfe geht, auch in den Kommentaren Berücksichtigung finden würde.

Gerade aufgrund der Kobold-lastigen Handlung (dazu später mehr) wird in Bezug auf Hogwarts Legacy auch das Thema Antisemitismus wieder einmal ausgerollt. Dabei geht es primär um die Gringotts-Bank-verwaltenden Kobolden (Goblins), deren Aussehen und Eigenschaften an Karikaturen über Juden aus dem Dritten Reich erinnern sollen.

Was ist dran am Antisemitismus von JK Rowling und am Antisemitismus in den Harry Potter Bänden? Es wird viel geredet und wenig belegt. Das ändern wir heute und stellen uns folgende Fragen:

  1. Sind die Gringotts-Kobolde eine antisemitische Darstellung?
  2. Woher kam die Anschuldigung?
  3. Sehen Vertreter des Judentums diese Darstellung als antisemitisch?
  4. Kann man JK Rowling als antisemitisch bezeichnen?
  5. Vor welchem Hintergrund müssen wir die Kobolde in Harry Potter noch bewerten?
  6. Wie wird Antisemitismus in Harry Potter generell behandelt?
  7. Welches Bild wird von Kobolden in Harry Potter gezeichnet?

Sind die Gringotts-Kobolde eine antisemitische Darstellung?

Bringen wir uns erstmal auf einen einheitlichen Wissensstand: Die Kobolde, die die Zaubererbank Gringotts betreiben, werden in „Harry Potter und der Stein der Weisen” am Beispiel eines Kobolds wie folgt beschrieben:

»The goblin was about a head shorter than Harry. He had a swarthy, clever face, a pointed beard and, Harry noticed, very long fingers and feet.«

[Der Kobold war etwa einen Kopf kleiner als Harry. Er hatte ein dunkelhäutiges, schlaues Gesicht, einen spitzen Bart, und, wie Harry bemerkte, sehr lange Finger und Füße.]

...und Hagrid bemerkt zudem:

»[Harry:] ‘Goblins?’
‘Yeah – so yeh’d be mad ter try an’ rob it, I’ll tell yeh that. Never mess with goblins, Harry. Gringotts is the safest place in the world fer anything yeh want ter keep safe – ’cept maybe Hogwarts.
«

[„Kobolde?“
„Ja - also wärste verrückt sie [die Gringottsbank] auszurauben, das sag’ ich dir. Leg’ dich nie mit Kobolden an, Harry. Gringotts ist der sicherste Ort der Welt für alles was du sicher aufbewahren willst - außer vielleicht Hogwarts.“]

Weiter werden Kobolde in diesem Band nur in ihren Tätigkeiten beschrieben. Das Zitat »Clever as they come, goblins, but not the most friendly of beasts.« („Verdammt klug, Kobolde, aber nicht die freundlichsten Kreaturen.”) kommt ausschließlich im Film vor. Und die Beschreibung »hooked nose« (Hakennase) wird im Band ausschließlich für Prof. Dumbledore verwendet. Im „Feuerkelch“ werden noch die „dunklen, geneigten Augen“ der Kobolde erwähnt.

Bis zum letzten Band, in welchem der Gringotts-Kobold Griphook erscheint, haben die Kobolde zunächst keine nennenswerte Bedeutung. Griphooks Aussehen wird auch nicht näher beschrieben - bis auf die spitzen Ohren. Griphook wird aber aus unserer Sicht eindeutig als clever, hinterhältig, nicht vertrauenswürdig, Zauberer-verabscheuend, leicht sadistisch und möglicherweise gierig dargestellt (letzteres bezieht sich ausschließlich auf das Schwert von Gryffindor, mehr dazu später). Zudem betreiben die Kobolde, wie allgemein bekannt, in der Welt von Harry Potter die Zaubererbank und sind damit zwangweise mit Gold, Reichtum und potentiell Gier assoziiert.

Wir wollen auch nicht ignorieren, dass JK Rowling an der Gestaltung der Filme stärker beteiligt war als Autoren es normalerweise sind und wir daher die Darstellungen im Film nicht gänzlich unabhängig von den Büchern betrachten können. Ist die Beschreibung der Kobolde in den Büchern auch eher spärlich, die Umsetzung im Film muss natürlich jedes Detail darstellen:

Gringotts Kobold aus dem Film „Harry Potter und der Stein der Weisen" (2001)

Insgesamt erwecken die Kobolde den Eindruck potentiell gieriger, misstrauischer und mies gelaunter Kreaturen, die nicht vertrauenserweckend erscheinen. Zumindest der erste Kobold, mit dem Harry interagiert, sieht nahezu furchteinflößend aus. Andere Kobolde sehen tatsächlich etwas annehmbarer, wenn auch seltsam aus:

“Madam Lestrange, would you mind presenting your Wand?" („Madame Lestrange, würde es Ihnen etwas ausmachen, uns Ihren Zauberstab zu zeigen?")

Aber gut, warum der Eindruck des gierigen, wenig vertrauenswürdigen Bankiers hier entsteht, ist doch ziemlich eindeutig - und das wiederum erinnert an die Karikaturen im Dritten Weltkrieg, die Juden darstellen sollen.

Ein dicker Mann im Anzug sitzt auf einem Sack Geld. Daunter steht: Der Gott der Juden ist das Geld. Und um Geld zu verdienen, begeht er die größten Verbrechen. Er ruht nicht eher, bis er auf seinem großen Geldsack liegen kann, bis er zum König des Geldes geworden ist.
Illustration eines Juden aus einem Propaganda-Buch für Kinder 1938

Oder, wer es visuell ähnlicher mag, wende sich an die Amerikaner des späten 19. Jahrhunderts:

Darstellung eines Männchens in schäbigem Anzug, welches durch den vergrößerten Kopf und die Hakennase koboldartig aussieht. Große Hände und ein gieriger Blick sowie ein großer Goldring sollen die Gier des Juden darstellen. Oben links befinden sich drei goldene Kugeln, , das Zeichen der Pfandleiher.
US-Amerikanische Darstellung eines stereotypischen Juden. R.W. Bell Manufacturing Company, Buffalo, ca. 1890. 

Ich denke, hiermit haben wir die Parallelen zwischen antisemitischen Judendarstellungen und Gringotts-Kobolden sowohl in Aussehen als auch Eigenschaften ausreichend dargestellt. Eine Ähnlichkeit lässt sich hier nicht leugnen.

Trotzdem sind wir es der Analyse schuldig, uns mit dem Mythos Kobold allgemein zu beschäftigen - das heisst, da wir uns bei Rowling im englischsprachigen Raum befinden, dem Mythos Goblin.

Tatsächlich ist es nämlich so, dass JK Rowling das kleine, hutzelige, miesepetrige und teilweise auch gierige Männchen nicht selbst erfunden hat. Das Wort goblin war zunächst ein loser Begriff in der Britischen und Germanischen Folklore (auch wenn es in anderen Kulturen ähnliche Wesen gibt) und umfasste grob alle mythischen Wesen, die klein und fies waren und das Dunkle bevorzugten - im Gegensatz zu guten Geistern und Feen. Sie wurden gemeinhin als hässlich und haarig beschrieben. Insbesondere in Großbritannien und Deutschland, wo man die Wesen Kobolde nannte, wurde ihnen nachgesagt, in Minen zu hausen (New World Encyclopedia). Erst in neumodischeren Zeiten etablierten sich Kobolde (gerade in Videospielen) als grüne oder reptilartige, kleine Figuren mit großen, fledermausartigen Ohren.

Eine kleine, grüne, weibliche Figur mit buschigem schwarzem Haar, einer Schweinsnase und fledermausartigen Ohren, großen Füßen und gebeugtem Gang.
Eine Koboldin aus der Zeichentrickserie „Die Schlümpfe" der 80er Jahre.

Einige Werke beeinflussten die Darstellung von Kobolden mehr als andere. So etablierte das Gemälde von Arthur Rickman zum Gedicht „Goblin Market“ (1862) der Viktorianerin Christina Rossetti das Aussehen der Kreaturen als kleine, böse schauende Wesen. Das Buch „The Princess and the Goblin“ (1872) von George MacDonald machte populär, dass Kobolde im Boden in Höhlen wohnen. Diese Geschichte inspirierte wiederum Tolkiens „goblins“ in „Der Hobbit“ (1951), die froschartig und groß waren, aber ebenfalls unter der Erde lebten. Sie waren die Vorlage für die Orcs aus der „Herr der Ringe“, die direkt aus der Erde geboren wurden (wobei literarisch wohl argumentiert werden kann, dass Goblins und Orcs eigentlich dieselben Wesen sind). Tolkien wiederum inspirierte Earnest Gary Gygax und David Arneson, die 1974 das Fantasy-Rollenspiel „Dungeons and Dragons“ erfanden. Wer sich mehr über diese Entwicklungen informieren möchte, dem sei das Myth and  Folklore Wiki empfohlen. Wir wollen hier nur festhalten, dass das Aussehen von Kobolden in der Literatur und Mythologie schrittweise entstand und dem Aussehen der Kobolde in Harry Potter stark ähnelt.

Ein Viktorianisches Mädchen an einem See vor einem Baum. Um sie herum sind Früchte in Körben und böse schauende Tiere und Kreaturen, die sie teilweise anfassen und mit den Früchten verführen wollen.
Gemälde von Arthur Rickman zum Gedicht „Goblin Market" der Viktorianerin Christina Rossetti (1862) 

Es bleibt die Frage nach der Gier der Kobolde und der Assoziation mit Gold und Reichtum. In der modernen Spielewelt sind „Treasure Goblins“ (zum Beispiel in „Diablo II“) und andere gierige Kobolde (Brettspiel „Greedy Greedy Goblins“) und Assoziationen mit Ihnen (z.B. „Goblins Greed Spell“, Kartenspiel Yu-Gi-Oh) häufig zu finden. Auch in der Mythologie tauchen immer wieder gierige Kobolde auf, so dass viele, jedoch nicht alle, die sich mit Mythologie beschäftigen, Kobolde generell als gierig bezeichnen (Mythology.net, Mystical-Creatures.com, mythnerd.com, uvm). Der Mythical Creatures Guide schreibt

»Obwohl mehrere Bücher über Kobolde geschrieben wurden, werden sie oft als böse und gierig dargestellt. Goblins sind nicht böse und gierig, sie lieben die kleinen Dinge im Leben und empfinden oft zu viel Freude an diesen kleinen Dingen. (...) Während Kobolde wahrscheinlich immer als boshafte, gierige Kreaturen gesehen werden werden, wird es immer auch Geschichten geben, die Anderes beweisen

Obwohl der Guide also nicht mit der Darstellung der gierigen Kobolde einverstanden ist, räumt er ein, dass diese Darstellung häufig verwendet wird. Von Anderen wird spekuliert, dass der Weg vom Leben in der Erde, zur Arbeit in Minen und letztendlich zu Schätzen aus Minen nicht sehr weit war, und dies zur Assoziation mit Schätzen und Geld oder Gold führte. Möglicherweise hat dies auch die Entstehung von Zwergen in der Mythologie beeinflusst (auch J.R.R. Tolkien musste sich wegen der goldverliebten Zwerge Antisemitismusvorwürfen aussetzen). Auch die Speicher von Gringotts befinden sich unter der Erde und werden sogar mit Loren auf Schienen erreicht. Sie erinnern daher ebenfalls an Minen und passen sich damit der mythologischen Vorstellung von Kobolden als Minenarbeiter an.

Wieso JK Rowling sich nun auf genau diese Aspekte der Kobolde festgelegt hat, und nicht auf andere, kann wohl niemand sagen, außer sie selbst. Soweit bekannt, hat sie sich nicht dazu geäußert. Diese Kreaturen ausgerechnet in eine Bank zu verfrachten, ist mindestens ungeschickt gewesen, jedoch auch ohne Antisemitismus nicht abwägig. Sie bedient sich bei ziemlich allen ihrer Kreaturen aus der Literatur, Mythologie und dem allgemeinen gesellschaftlichen Konsens zum Zeitpunkt der Entstehung ihrer Bücher. Ob es bei den Kobolden die Assoziation mit Goldminen war, oder vielleicht doch die „Gnome von Zürich“, ein Kosename für Schweizer Bankiers (ja, wirklich!), wissen wir derzeit nicht. Auf jeden Fall kamen erst die Kobolde, dann die Antisemiten und dann Rowling. Und wie wahrscheinlich es ist, dass Rowling an den Antisemitismus gedacht hat, als sie den Kobolden in ihrer Welt ihren Platz gab und in wenigen Zeilen beschrieb, wird man vielleicht nach dem Rest dieses Artikels einordnen können.

Woher kam die Anschuldigung?

Eventuell war US-Comedian Jon Stewart, selbst jüdischer Herkunft, nicht der Erste, dem die Ähnlichkeit zwischen Kobolden und karikierten Juden im Antisemitismus (nicht nur im Dritten Reich!) aufgefallen ist, aber er war definitiv der einflussreichste.

Im Dezember 2021, 20 Jahre nach der veröffentlichung des Films, sprach der ehemalige Host der „Daily Show“ im Podcast „What is the Problem with Jon Steward?“ mit Jay Jurden und Henrik Blix über Bar Mitzvhas. Aus dem Gespräch entwickelte sich über eine Witz von Jay der Übergang zu Harry Potter und Jon Steward begann über den Vorgang zu witzeln, über welchen die Kobolde von JK Rowling wohl für die Bank ausgewählt wurden (»Das ist eine Karikatur eines Juden aus der antisemitischen Literatur. Und JK Rowling so: 'Könnten wir die Typen nicht unsere Bank leiten lassen?'«). Sowohl der Anfang dieser Ausschnitts als auch dessen Ende zielen allerdings eindeutig darauf ab, dass die Zuschauer das überhaupt nicht bemerkt haben. Wer möchte, kann sich den Ausschnitt hier ansehen.

Daraufhin entstanden Artikel, Jon Stewart habe JK Rowling des Antisemitismus bezichtigt, allen voran die Seite Newsweeks. Vorher schien das niemandem mit Reichweite aufgefallen zu sein oder besonders gestört zu haben. Jon Stewart ist zwar selbst nicht religiös, entstammt aber jüdischer Herkunft (Ashkenazi), somit sollte man seine Meinung zum Thema vielleicht nicht ignorieren. Aber was ist eigentlich seine Meinung (immerhin hat er das losgetreten)?

Sehen Vertreter des Judentums diese Darstellung als antisemitisch?

Etwa einen Monat nach dem Podcast, stellte Jon Stewart selbst klar, dass er all diejenigen, die behaupteten, er habe JK Rowling als antisemitisch bezeichnet, als »bonkers« (abgedreht) empfindet.

»Kein vernünftiger Mensch, der das gesehen hat, könnte das als etwas anderes betrachten, als eine leichtherzige Unterhaltung zwischen Kollegen und Kumpeln, die einen Lacher teilen; die Spaß mit Harry Potter und mit meiner Erfahrung hatten, als ich als Jude Harry Potter das erste Mal im Kino sah - und wie einige Tropes so in der Gesellschaft verankert sind, dass sie unsichtbar sind - selbst in so einem durchdachten Prozess wie der Produktion eines Films.«

Nachdem er sich darüber auslässt, dass das lange nach dem Podcast irgendwie zum Twitter-Trend wurde, fährt er fort:

»Lassen Sie mich das (...) so deutlich sagen, wie ich es kann. (...) Hallo, mein Name ist Jon Stewart. Ich halte JK Rowling nicht für eine Antisemitin. Ich habe sie nicht als antisemtisch bezeichnet. Ich halte die Harry Potter Filme nicht für antisemitisch.«

Er lässt sich ferner über die Moral von Newsweek aus und stellt klar, dass er weder eine Antwort von JK Rowling dazu braucht, noch die Filme zensiert sehen will. »Get a fucking grip!« („Bekommt euch verfickt noch mal in den Griff!“).  

Nun ist Jon Stewart nicht das Aushängeschild des Judentums. Zum Glück haben sich aber auch andere Vertreter dazu geäußert. Beispielsweise schreibt die „Times of Israel“:

»Dave Rich, der Strategiedirektor der wohltätigen, UK-basierten jüdischen Organisation „Community Security Trust“, tweetete dazu: „manchmal ist ein Kobold einfach ein Kobold.“ Rich erzählte dem „Hollywood Reporter“, dass er nicht glaube Rowling „sei Antisemitin oder für die Erstellung antisemitischer Karikaturen verantwortlich. Sie hat sich nichts zuschulden kommen lassen, das von antisemitischen Einstellungen zeugt: Ganz im Gegenteil, sie hat sich tatsächlich immer wieder und konsequent unterstützend für die jüdische Gemeinschaft ausgesprochen.“«

Ferner zitiert die Times of Israel auch ähnliche Statements des Britisch-Jüdischen Komödianten David Baddel, und der UK-basierten Campaign Against Antisemitism.

Im Statement ist, dass Harry Potter nur ein Teil der gesamten westlichen Literatur im Allgemeinen ist. Ähnlich wie Jon Stewart weisen sie darauf hin, dass die mythologische Darstellung sich in zwischen so verbreitet hat, dass man ihren Ursprung nicht mehr registriert. Sie weisen darauf hin, dass Künstler bei der Darstellung nicht an Juden, sondern an die Vorstellungen der Leser denken, und dies auch bei JK Rowling der Fall sei, die sie als Verteidigerin der jüdischen Gemeinschaft sehen und ihr sehr dankbar sind. S
Das Original-Statement der Campaign Against Anti-Semitism.

Interessant ist auch der Artikel der Jüdin Eliya Smith für das unabhängige jüdische Magazin Forward:

»Bitte, Leute, haltet bezüglich der Juden-Kobolde die Klappe. (...) Es ist antisemitisch, dass irgendwer auf so einen Charakter trifft und denkt: „Aha! Ein Jude!“

Um meinen Punkt zu veranschaulichen, habe ich folgende Analogie entwickelt: (...) Du und ich laufen eine Straße entlang und wir sehen, zerknüllt auf dem Boden, eine wackelige Kinderzeichnung einer ekligen, bösen Ratte. Ich sage: „Oh, schau mal! Ein Bild von dir. Ich bin in deinem Namen empört, dass der Künstler sich entschieden hat, dich als eklig und böse darzustellen!“ Tatsächlich ist die wahre Beleidigung hier nicht das Bild, das nur die Zeichnung einer Ratte ist, sondern dass ich ein Bild einer Ratte sehe und denke, dass sie mich an dich erinnert.“«

(Sie räumt an dieser Stelle ein, dass es natürlich keine historisch negativ besetzten Rattenzeichnungen von „dir“ gibt, aber der Unterschied in der Absicht, mit der die Zeichnung erstellt wurde, besteht.)

»Die Darstellung der Kobolde ist gegenüber Bankmitarbeitern beleidigend, nicht Juden, und der Grund, warum sie beleidigend für Bankmitarbeiter ist, ist dass die Kobolde in der Harry Potter Welt gleichbedeutend mit Bankmitarbeitern sind, und Juden in der echten Welt sind es nicht.«

Auch wenn für mich ein Unterschied besteht zwischen „Das erinnert mich an dich!“ und „Das erinnert mich daran, wie du mal beleidigt wurdest!“, ist doch klar, dass Eliya Smith hier darauf hinweist, dass nicht jede beliebige Rattenzeichnung oder Kobolddarstellung mit einer vergangenen Beleidigung gleichzusetzen ist. Und den Punkt, den sie macht, sollte man unbedingt beachten: Das Problem sind doch eher die Menschen, die einen typischen Kobold sehen, und „Das ist eine Judendarstellung!“ rufen. Warum? Weil sowohl jüdische Vertreter, noch die Autorin, noch die Zuschauer diese Parallelen ziehen würden. Wer denkt an dieser Stelle also noch am ehesten antisemitisch?

Auch der jüdische Journalist Stephen Richer sieht die Kobolde als typische Charaktere aus der Fantasy-Literatur und schreibt für das Online-Magazin moment:

»Oder schlagen Sie einfach Kobold im Wörterbuch nach, und sie finden eine Definition, die den Kreaturen von Rowling in etwa entspricht. Vielleicht hat der Kobold seinen Ursprung im Antisemitismus [Anm. DailyKaffee: Wie wir oben gesehen haben, stimmt das wohl nicht], aber man kann Rowling wohl kaum dafür verurteilen, dass sie einen heutzutage bekannten Literaturcharakter verwendet.

Außerdem ist die Debatte, ob der Koboldcharakter [bei Rowling] seinen Urpsrung im Antisemitismus hat, gegenläufig zur erklärten Meinung von JK Rowling über Juden.«

Was er damit meint, erforschen wir im nächsten Abschnitt. Festhalten können wir jedoch, dass viele jüdische Sprecher den Antisemitismus-Vorwurf gegen Rowling und „Harry Potter“ nicht teilen.

Kann man JK Rowling als antisemitisch bezeichnen?

Nun können jüdische Gemeinschaften und deren berühmte Vertreter durchaus glauben, was sie möchten, was Rowling gemeint haben könnte - sie könnte tatsächlich ja immer noch etwas anderes gemeint haben, etwas Antisemitisches, falls sie einfach antisemitisch ist. Wie im vorherigen Abschnitt bereits angedeutet, scheint dies wenig wahrscheinlich.

Schaut man sich JK Rowlings Umgang mit Antisemitismus an, kann man sie allenfalls als starker Unterstützer der jüdischen Gemeinschaft ansehen. Wieder und wieder hat sie sich auf Twitter für Juden und gegen Antisemitismus eingesetzt.

Unbekannt: "Wahrscheinlich weil Judaismus eine Religion und keine Rasse ist." JK Rowling: "Die meisten Juden auf meiner Timeline müssen sich gerade mit diesem Mist abgeben, also sollten ihnen vielleicht ein paar von uns nicht-Juden was von der Last abnehmen. Antisemiten halten das für ein cleveres Argument, also sag uns, los: Waren atheistische Juden vom Tragen des gelben Sterns ausgenommen? #Antisemitismus"

Stephen Pollard, ehemaliger Editor und bestehender Senior Advisor des „Jewish Chronicle“ führt JK Rowlings Engagement für die jüdische Gemeinschaft noch weiter aus:

»Erstmal etwas Kontext: Während der Jahre, in denen Jeremy Corbyn die Labour Party geleitet hat, fühlte sich die britische jüdische Gemeinschaft auf eine Weise bedroht, wie seit Generationen nicht mehr. In jedem Messbereich stieg der Antisemitismus schneller an als je aufgezeichnet - in offiziellen politischen Statistiken, in Vorkommnissen, die im Community Security Trust aufgezeichnet wurden und anekdotisch.

Mehr noch als alles andere baten wir nicht-jüdische Verbündete, sich dazu zu äußern. Die brutale Realität war, dass wenige Personen des öffentlichen Lebens es den Ärger wert erachteten. Eine, die es tat, mehrfach, war JK Rowling. Sie äußerte sich auf Twitter, vor allem indem sie eine Parodie der Labour Party unter Corbyn schrieb und dabei auf seine Probleme mit der britisch-jüdischen Gemeinschaft hinwies. Für die meisten britischen Juden ist sie eine Heldin.«

Ich denke, man könnte hier sicher noch mehr ausgraben, aber mit Sicherheit kann man festhalten, dass es schwer fallen sollte, anhand ihrer Taten und Worte zu argumentieren, JK Rowling sei antisemitisch und ihre Darstellung der Kobolde müsse zwangsweise aus einer antisemtisichen Gesinnung heraus entstanden sein.

Vor welchem Hintergrund müssen wir die Kobolde in Harry Potter noch bewerten?

„Harry Potter und der Stein der Weisen“ wurde 1997 geschrieben. Das ist heute geschlagene 26 Jahre her (und übrigens 18 Jahre vor der Sache mit Corbyn). Auch der erste Film (2001) entstand vor 22 Jahren. Selbst „Deathly Hallows“ (Die Heiligtümer des Todes) wurde schon vor 12 Jahren gedreht. Wir haben uns seither als Gemeinschaft weiterentwickelt, insbesondere was unsere Sensibilität zu diversen Themen betrifft. Was bei FRIENDS (1994-2004) noch lustig war, ist heute oft irgendwo zwischen Stalking und Misogynismus anzusiedeln. Selbst bei der Big Bang Theory (2007-2019) wären viele heute kritischer als noch vor wenigen Jahren. Vielleicht würde die Darstellung der Kobolde im Film heute so nicht mehr durchgehen oder es würde eher jemandem im Filmteam auffallen, dass das an etwas erinnert, an das es nicht erinnern soll. Vielleicht würde man den jüdischen Ursprung einiger Charaktere, die mindestens im Buch vorkommen, mehr Sichtbarkeit geben oder Juden vor dem Filmdreh zu ihrer Einschätzung befragen.

Dazu ein kurzer Exkurs: Zu nennen wären in Bezug auf jüdische Charaktere in Harry Potter die Figuren Anthony Goldstein (von Rowling via Twitter als jüdisch bestätigt) sowie Zacharias und Hepzibah Smith (möglich, da es sich um hebräische Vornamen handelt). Diese Figuren haben sehr unterschiedliche Persönlichkeiten: Anthony is nett, positiv und loyal, Zacharias eher unangenehm und feige, und Hepzibah, eine Antiquitätensammlerin, die als Figur in der Vergangenheit der Geschichte erscheint, ist eitel und naiv (Charakterbeschreibungen des Harry Potter Wikis). Es wird schwer, JK Rowling hier einer bestimmten Charakterisierung jüdischer Figuren zu bezichtigen, insbesondere wenn die einzige bestätigt jüdische Figur sehr positiv erscheint.

Vielleicht würde man Anthony heute eine größere Rolle beimessen. Vielleicht kann man sich auch einfach daran erfreuen, dass eine Autorin der 90er explizit jüdische Charaktere in ihr Werk einbaute. Mehr Diversität wäre natürlich immer möglich gewesen, aber wir sollten nicht vergessen, dass es sich hierbei um ein Fantasy-Abenteuer für Kinder handelt, das vor fast 30 Jahren entstand und das Hauptthema ein Konflikt zwischen Gut und Böse ist. Diversität war damals leider - zumindest im „Mainstream“ - nicht so präsent wie heute. Während es sehr schön wäre, wenn der moralische Zeitgeist sich nicht erst entwickeln müsste, sondern wir heute schon richtig machen würden, was sich in 20 Jahren gehört, ist unsere aktuelle Moral und Ethik immer das Ergebnis einer gesellschaftlichen Entwicklung.

Aber das ist noch nicht alles. Als Harry Potter 1997 geschrieben wurde, kannte niemand JK Rowling, wusste niemand, was aus diesen Büchern mal werden würde (und den Ablehnungen nach zu urteilen, die sie für das Manuskript bekam, ahnte es wohl auch niemand) und der Verlag Bloomsbury war vergleichsweise eher klein und hatte sich gerade erst drei Jahre zuvor erweitert, um auch Kinderliteratur zu verlegen. In Deutschland wurde für die Übersetzung sogar ein Sachbuch-Übersetzer engagiert, der mit dem Humor, der Kreativität und den Konventionen bei der Übersetzung von fiktionalen Werken offensichtlich überfordert war - vermutlich weil auch hier das Potential von Harry Potter in Deutschland unterschätzt wurde. Wir reden hier also von Vielem, aber nicht von hochprofessionellen Teams und nicht von einem Manuskript, das angesichts seiner zu erwartenden Bedeutung auf Herz und Nieren geprüft und editiert wurde.  

Heute verlangt man, dass es jemandem aufgefallen sein müsste, dass die Kobolde antisemitisch interpretiert werden könnten und dass man es der Autorin nicht so hätte durchgehen lassen sollen, dass man hätte professioneller sein können - und bestenfalls noch die gewachsene Sensibilität der 22-Jahre späteren Zukunft hätte mit einplanen sollen. All das ist im kompetitiven Publizierwesen mindestens unrealistisch, wenn nicht gar utopisch. Und vielleicht sollte man manchmal ein wenig durchatmen und ein Werk im Kontext seiner Entstehung und gesellschaftlich-historisch (ja, auch wenn es nur 22 Jahre sind!) etwas realistischer einordnen.

Nun entschuldigt diese Zeitachse nicht das erneute Erscheinen der Kobolde in „Hogwarts Legacy“. Noch ist nur die grobe Handlung bekannt, zu der es - auch von jüdischen Sprechern - kritische Stimmen gibt. Da das Spiel zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels noch nicht erschienen ist, kann ich mich zur Handlung nur bedingt äußern (Anm.: am Ende des Artikels gibt es hierzu inzwischen einen Nachtrag). Soweit mir bekannt,  spielt man einen außergewöhnlichen Jugendlichen, der oder die im Zuge eines Aufstands von Kobolden und dunklen Magiern von besonderem Interesse ist und daher verschleppt werden soll. Weil es in der Vergangenheit auch viel Propaganda zu angeblich kinderklauenden Juden gab, wird dies ebenfalls, insbesondere auf Social Media Plattformen, kritisiert.

Mein derzeitiger Standpunkt ist, dass es völlig in Ordnung ist, auf die mögliche, missverständliche Interpretation aufmerksam zu machen, aber die Lücke zwischen missverständlich und antisemitisch doch recht groß ist. Antisemitismus unterstellt eine Absicht, die hier nicht vorhanden ist. Und - in der Handlung des Spiels eine Referenz zu vergangenen antisemitischen Darstellungen zu sehen, erfordert zuvor immer noch die Gleichsetzung der Kobolde in Harry Potter mit Juden. Wie wir bereits gesehen haben, ist dies von jüdischer Seite weder erwünscht, noch von der Autorin, die die „Kobold-Aufstände“ als historischen Teil des Potter-Universums eingeführt hat, beabsichtigt. Und teilweise wird die Gleichsetzung der Kobolde mit Juden zum Zwecke der Empörung in deren Namen (s.o., Eliya Smith) an sich ja schon als Beleidigung gesehen. Setzt man aber die Kobolde im Spiel nicht gewollt mit Juden gleich, dann fällt das Argument gegen die Handlung des Spiels in sich zusammen. Dann sind es eben nur noch aufständige Kobolde, die eine bestimmte Person aufgrund ihrer besonderen Eigenschaften verschleppen wollen.

Wie wird Antisemitismus in Harry Potter generell behandelt?

Es ist spannend, wie sehr sich einige Menschen auf die Darstellung der Kobolde in Bezug auf Antisemitismus stürzen und dabei, wie man so schön im Englischen sagt, den „elephant in the room“ übersehen. Man benötigt eigentlich absolut keinen Artikel über die mytholigische Historie der Kobold-Darstellungen, keine Einordnung der Bücher und Filme durch jüdische Vertreter und keine Auflistung von Rowlings pro-jüdischen Aussagen und Schriften, um genau zu wissen, wie JK Rowling zum Antisemitismus steht. Man muss im Grunde nur „Harry Potter“ lesen.

Die wirklich eklatanten Parallelen Lord Voldemorts zu Adolf Hitler und die rassistsiche Einteilung der Zaubererwelt in Schlammblüter und Reinblüter können einem gebildeten Leser nicht entgehen. Genauso wenig kann einem die Einordnung entgehen, dass Rassismus schlecht und frei von jeder realitsichen Grundlage ist (Hermine ist als Kind von nicht-Zauberern die wohl beste Hexe in ganz Hogwarts, um nur einen Aspekt zu nennen). Man kann nicht umhin, zu erkennen, wie angeekelt Harry vom Rassismus im Zaubereriministerium in den letzten Bänden der Serie ist, oder wie er und Dumbledore ehrlichen Respekt gegenüber anderen Kreaturen der Zaubererwelt praktizieren. Griphook erwähnt überrascht, dass Harry einen Hauselfen begraben hat, da er dies von Zauberern nicht erwartet. Ron vertritt die schlechten Seiten der Zauberergemeinschaft, wenn er Hermine für Ihren Einsatz für Hauselfen verpottet. Dolores Umbridge wird von den Zentauren entsprechend behandelt, als sie diese nach dem Verständnis der Zauberergemeinschaft mit einem Wort betitelt, das die Zentauren als minderwertig darstellt. Harry hat sich dagegen den Respekt der Zantauren verschafft, da er sie ebenfalls respektiert. All dies ist Kritik am expliziten und impliziten Rassismus der Zauberergemeinschaft und in all dem stecken auch antirassistische Werte, die durch JK Rowling implizit vermittelt werden.

Wer aufgepasst hat, wird die wenig subtile Timeline bemerkt haben, in der die Zeit, in der Grindelwald sein Unwesen trieb, sich mit dem zweiten Weltkrieg deckt. Grindelwald ist in Harry Potter ohne Frage als ein Bösewicht zu bewerten (was aus ihm in „Fantastische Tierwesen“ geworden wäre, kam später). Seine Rolle auf der ‚schlechten Seite‘ sollte bereits klar werden, als auf Dumbledores Schokofroschkarte steht, dass er für den Sieg über Grindelwald anerkannt wird - spätestens jedoch sobald Dumbledore im ersten Buch als Kraft des Guten etabliert ist.

Wer JK Rowling wegen ein paar wenigen Zeilen über das Aussehen, den Charakter und den Beruf von Kobolden des gezielten Antisemitismuses bezichtigen möchte, müsste also erst einmal erklären, warum sie eine ganze Buchreihe über die Entstehung, die schlimmen Auswirkungen und die Bekämpfung von Rassismus geschrieben hat, das Dritte Reich mit der Herrschaft eines Bösewichts korrelieren ließ - und wie das in das Bild der antisemitischen Kinderbuchautorin passt.

Welches Bild wird von Kobolden in Harry Potter gezeichnet?

Neben der bildlichen Darstellung und dem Beruf in der Bank werden Kobolde - insbesondere im Film - als wenig vertrauenswürdig dargestellt. Griphook, insbesondere, zeigt eine gewisse Blutrunst (gerade gegenüber Zauberern) und eine deutliche Gier in Bezug auf das Schwert von Gryffindor, wobei man bedenken sollte, dass er damit die Gunst anderer Kobolde zurückgewinnen will, die er verloren hat. Demnach ist er nicht von reiner Habgier motiviert.

Der Kobold Griphook.

Aber der Reihe nach. Zitieren wir erst einmal Hermine in „Die Heiligtümer des Todes“:

»“Goblins have good reason to dislike wizards, Ron,“ said Hermione. „They've been treated brutally in the past.“«

[„Kobolde haben gute Gründe, Zauberer nicht zu mögen, Ron,“ sagte Hermine. „Sie wurden in der Vergangenheit brutal behandelt.“]

Als Ron vorschlägt, dem Kobold das falsche Schwert zu geben und ihn zu hintergehen, sagt Hermine:

»”That,“ she said quietly, ”is despicable. Ask for his help and then double-cross him? And you wonder why goblins don't like wizards, Ron?“«

[„Das,” sagte sie leise, „ist abscheulich. Nach seiner Hilfe fragen und ihn dann zu hintergehen? Und du fragst dich, warum Kobolde Zauberer nicht mögen, Ron?“]

Hier wird also Kritik an der historischen Rolle und Einstellung der Zauberer gegenüber Kobolden geübt. Zudem wird deutlich gemacht, dass Kobolde eben nicht einfach nur fies und hinterhältig sind, sondern dass es aus ihrer Sicht gerade umgekehrt sein könnte - und dass sie genausogut die Zauberer als fies und hinterhältig betrachten könnten (und es vermutlich auch tun). Letztendlich kann man dem entnehmen, dass zumindest eine beidseitige Schuld am Konflikt zwischen Zauberern und Kobolden bestehen muss und dass es mindestens zwei Interpretationen der Geschichte gibt. Dies ist ziemlich weit entfernt von der sehr einseitigen, historischen Propaganda antisemitischer Karikaturen und - für ein 22 Jahre altes Buch - seiner Zeit sogar voraus. Erst seit wenigen Jahren sind selbst Disney Bösewichte nicht mehr einfach nur böse, sondern haben Gründe für ihr vermeintlich böses Handeln. Es entstehen sogar neue Filme über alte Bösewichte, um deren Hintergrund zu erklären. Auch hier ist der fiese Kobold sehr viel mehr als einfach nur grundlos oder aus Spaß daran gemein.

Ferner wird im Laufe des letzten Harry Potter Bandes klar, dass auch eine Diskrepanz zwischen der Kultur der Kobolde, insbesondere was deren Verständnis von Besitz angeht, und der der Zauberer besteht. Griphook ist deutlich beleidigt, als man ihm vorschlägt, er könne sich an Bellatrix Lestranges Verlies in Gringotts bedienen. Er hat kein Interesse daran, ein Dieb zu sein. Er ist eben nicht gierig, so dass er stehlen würde. Auch nicht das Schwert von Gryffindor - dies betrachtet er nämlich nach der Kultur der Kobolde als sein rechtmäßiges Eigentum (demnach muss ein von Koboldhand gefertigter Gegenstand nach dem Ableben des Käufers wieder in den Besitz der Kobolde gehen, statt an einen Wunschempfänger vererbt zu werden). Es ist lediglich aus Zauberersicht so, dass sie den eigenen kulturellen Umgang mit Wertgegenstände als richtig erachten und den der Kobolde als falsch.

Griphook ist am Ende seines Abenteuers jedoch egoistisch genug, um sich das Schwert Gryffindors zu nehmen, ohne sich um andere zu sorgen. Und auch seine sadistische Art wird im Verlaufe der Geschehnisse im Inneren von Gringotts nicht wirklich abgemildert oder verständlich. Dies ist aber zum Einen eine Eigenschaft des individuellen Kobolds Griphook und zum Anderen gibt es auch keine Notwendigkeit, hier die Darstellung von Kobolden komplett zu verändern. Nach wie vor sind es mythische Kreaturen, die für gewisse Eigenschaften bekannt sind und nach wie vor ist ein Kobold - wie weiter oben bereits erwähnt - manchmal einfach nur ein Kobold - sowohl in seinem Charakter, als auch in seiner Eigenschaft, keine Karikatur eines Juden zu sein.

Trotzdem können wir festhalten, dass Kobolde in Harry Potter wesentlich weniger eindimensional sind als „böse, gierige kleine Kreaturen“, was sie noch einmal von antisemitischen Karikaturen absetzt. Harry Potter gibt ihnen, für das Alter der Zielgruppe und den Umfang des Werkes in angemessenem Rahmen, ein individuelles Selbstverständnis und einen Hauch Komplexität, eigene Werte und Handlungsmotivationen.

Zusammenfassung

Die Darstellung der Kobolde in Harry Potter sind (ähnlich wie andere mythische Wesen in den Büchern) der Mythologie und vorhergehenden Literatur entlehnt. Auch wenn der Einsatz als Bankiers vielleicht etwas unglücklich ist, ist er hier nicht antisemitisch zu verstehen. Zusätzlich hebt sich die Darstellung der Kobolde in vielen Aspekten von antisemitischen Karikaturen ab, nicht zuletzt, weil ein gewisses Verständnis für die Sichtweise der Kobolde forciert wird.

Sowohl der Verursacher dieser Diskussion, Jon Stewart, als auch diverse Vertreter jüdischer Gruppen ordnen weder JK Rowling, noch die Darstellungen der Kobolde als antisemitisch ein, sondern eher als ein Beispiel, dass diese Darstellung von den meisten Menschen nicht mehr als antisemitisch registriert oder verstanden wird. Eher noch ärgern sie sich darüber, dass ihre vermeintlichen „Verteidiger“ Juden mit den Gringotts-Kobolden gleichsetzen.

JK Rowling hat deutlich gezeigt, dass sie nicht gegen Juden ist, sondern sich proaktiv und immer wieder für diese einsetzt, wofür man ihr aus jüdischer Sicht auch dankbar ist. Auch „Harry Potter“ ist grundlegend antirassistisch, da es die Entstehung und die negativen Auswirkungen von Rassismus besonders thematisiert.

Die Hypothese, JK Rowling sei antisemitisch, ist nicht haltbar, sondern lässt sich über mehrere Punkte klar und belegbar widerlegen.

Zusatz vom 24.02.2023:

Ein paar Antworten zu Kommentaren, die ich seit der Veröffentlichung des Artikels gesehen habe, bzw. die sich aus meinem Spielerlebnis mit Hogwarts Legacy ergeben haben.

  • Beim angeblichen Davidsstern auf dem Boden der Gringotts-Bank im ersten Film (die Filmkulisse in späteren Filmen sieht anders aus) handelt es sich um den bestehenden Boden des Drehorts, das Australia House in London. Man müsste Australien/die australische Botschaft für dieses Argument des Antisemitismus bezichtigen.
  • Die Warner Brothers waren drei jüdische Einwanderer in die USA. Mindestens zwei der heutigen Co-Chairpersons (Peter Luca und James Gunn) sind jüdischer Herkunft (Gunn ist jedoch katholisch erzogen worden). Es ist fraglich, ob WB die Filmrechte eines antisemitischen Werks gekauft hätte.
  • Das Spiel zeigt tatsächlich eine Gruppe aus einem Kobold und zwei dunklen Magiern, die aufgrund von besonderen magischen Eigenschaften nur Interesse am Hauptcharakter hat. Wäre dieser erwachsen, bestünde das gleiche Interesse. Dass im Spiel „Kinder“ von Kobolden allgemein gekidnappt werden, ist mindestens eine groteske Übertreibung. Spoiler: Es wird niemand von oder für einen Kobold gekidnapped.
  • Die Kobolde von Gringotts sind gegen den Aufstand.
  • Der Aufstand geht von einem Kobold aus, der Zauberer aus genau dargelegten Gründen hasst.
  • Im Spiel befreundet man einen Kobold und hilft zwei weiteren (einem Tierliebhaber und einem Maler und Händler). Kobolde sind im Spiel definitiv nicht nur die Feinde.
  • Jüdische Vertreter haben deutlich gemacht, dass das Kobold-Horn im Spiel einer jüdischen Shofar nicht ähnelt, und die Anforderungen an deren Gestaltung auf mehrere Arten verletzt. Sie empfinden dies nicht als Darstellung einer Shofar.

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