Die unglaubliche Geschichte eines Verbotes, das es nie gab
Vor langer, langer Zeit hatte ich schon einmal die Behauptung aufgegriffen, Japan hätte die HPV-Impfungen verboten. Damal hatte ich mich sehr kurz gefasst:
"'Japan hat die HPV-Impfung verboten, weil soviele Mädchen daran gestorben sind.'
Nope. Niemand ist daran gestorben. Auch wurde niemand dadurch unfruchtbar, homosexuell, autistisch oder fing an mit Masturbieren.
https://sciblogs.co.nz/diplomaticimmunity/2017/02/14/hpv-vaccine-not-destroy-fertility/,
https://www.snopes.com/fact-check/on-gardasil/)"
Anders als damals führe ich in diesem besonderen Artikel die Umstände etwas genauer aus. Diese berühmten Todesfälle in Japan sind in Bezug auf die HPV-Impfungen so beliebt wie die Suizide unter indischen Bauern durch GVO und Glyphosat und genau so frei erfunden (aber das ist ein anderes Thema).
Was ist passiert? Seit 2009 war der erste bivalente HPV-Impfstoff in Japan verfügbar und die Impfraten waren von Beginn an relativ hoch1 (bis zu 70%). Im April 2013 wurde die HPV-Impfung in das nationale Immunitätsprogramm aufgenommen. Zwei Monate später jedoch wurde diese Entscheidung rückgängig gemacht. Vorausgegangen war eine katastrophale Medienkampagne, die sich vollkommen auf Impfschäden (die keine waren), (erfundene) Todesfälle und (erfundene) Fälle von Sterilisationen konzentrierte. Man könnte jetzt meinen, da waren plötzlich Impfgegner unter den Redakteuren aufgetaucht, aber nein, es war (und ist es auch bei uns häufig) viel schlimmer: Die Falschmeldungen generierten eine sensationelle Auflage. Nach der Einführung der Impfung bis Mitte 2011 erschienen regelmäßig Artikel über den Impferfolg, zusammen mit Aufrufen, sich dennoch untersuchen zu lassen. Danach kam praktisch nichts mehr, da das Thema durch war. Ein Großteil geimpft, ältere Jahrgänge waren eh infiziert, kein Interesse beim Leser. Die Falschmeldungen jedoch sorgten für ein spontanes Interesse, und so wurden anschließend alle paar Monate die Verkäufe mit weiteren Sensationsmeldungen angekurbelt - obwohl sich quasi niemand mehr gegen HPV impfen ließ2. Es war ein völliges Versagen der Medien, besser gesagt der "Journalisten" und "Redakteure", die zumindest im späteren Verlauf bewusst gelogen haben, um sich die Taschen vollzustopfen. Die Aussage klingt jetzt zwar ziemlich hart, aber wisst ihr, was insgesamt nur drei Mal überhaupt in denselben Medien erwähnt wurde? Die staatliche Studie, die über einen Zeitraum von sechs Monaten über 11.000 medizinische Einrichtungen zu Patienten zwischen 12 und 18 Jahren nach den "unspezifischen" Symptomen befragte, die 2013 als Nebenwirkung der HPV-Impfungen angegeben wurden. Das Ergebnis: Ungeimpfte Kinder hatten fast genauso häufig3dieselben Symptome wie geimpfte direkt nach der Impfung. Aber es geht noch weiter.
Nach mehreren Anfragen gab das japanische Gesundheitsministerium die Zahlen heraus, auf denen die Horrormeldungen 2013 basierten. *Trommelwirbel* 176.
In Worten: Einhundertsechsundsiebzig. Das war die gesamte Zahl an gemeldeten unerwünschten Nebenwirkungen der HPV-Impfung. Das entsprach 0,0019% aller gegen HPV-Geimpften zu der Zeit. Hier ergibt sich also das nächste Versagen: anstatt sich auf die realen Zahlen und die Berichte der Ärzte zu verlassen, in denen klargemacht wird, dass diese unspezifischen Symptome alle möglichen Ursachen haben könnten, beugte sich das Gesundheitsministerium einem künstlich herbeigeführten Druck und legitimierte die Vorwürfe damit indirekt. Statt die Medien zu rügen und die Leser mit Fakten aufzuklären, wurde einfach aufgegeben. Da fragt man sich wirklich, warum Erdnüsse nicht verboten werden. Erstickungstote durch Nüsse gibt es sicherlich mehr als "Impfopfer". Aber keine Sorge, es geht noch erbärmlicher: Das Ministerium gab als weiteren Grund der Rücknahme der Impfempfehlung eine Studie an, die behauptete, HPV- Impfungen würden Hirnschäden verursachen. Getestet wurden Mäuse(!), die die zwanzigfache Menge (!!) einer typischen Impfdosis erhielten - zusammen mit einem Gift, dass die Blut-Hirn-Schranke so manipulierte, dass der Impfstoff direkt ins Gehirn gelangen konnte(!!!). Muss ich erwähnen, dass diese "Studie" zurückgezogen wurde? An dieser Stelle zeigt sich das dritte Versagen, was zu der ursprünglichen Behauptung führte: Das japanische Gesundheitsministerium muss von vorn bis hinten mit absoluten Laien besetzt gewesen sein. Ich erwarte nicht, dass jeder Politiker, der ein Amt bekleidet, jahrelange zugehörige Erfahrung vorweisen kann. Es geht primär um Verwaltung, um Bürokratie. Doch müssen sich diese Politiker zumindest entweder auf Berater oder Mitarbeiter verlassen, die in der Thematik stehen, oder wenigstens bei Kritik Gutachten einfordern, die von entsprechend geschultem Personal durchgeführt werden. Beides war nicht der Fall.
Trotz allem bleibt es eine Tatsache, dass Japan Gardasil oder sonst eine HPV-Impfung nie verboten, sondern nur nicht länger empfohlen hat. Sie waren zu jeder Zeit für jeden frei verfügbar.
Hätte ich diesen Artikel eher geschrieben, wäre nun dieser fade Beigeschmack geblieben (ui, das reimt sich). Aber ich bin so spät dran wie das Gesundheitsministerium und biete ein Happy End (ein doppeltes sogar): Basierend auf dem Erfolg der Corona-Impfstoffe während der Pandemie und der hohen Akzeptanz in der Bevölkerung sind seit dem 01.04.2022 HPV-Impfstoffe wieder im staatlichen Impfprogramm enthalten4. In your face, Impfgegners!
Quellen:
1 https://www.hpvworld.com/articles/hpv-vaccination-in-japan-a-researcher-s-view/
2 https://d-nb.info/1201492467/34