Im Londoner Zoo ertönen Sirenen, über die Lautsprecher ist etwas vom Gorillagehege zu hören, also bewege ich mich, wie ein Verrückter, in die Richtung der offensichtlichen Gefahr. Als Sprecher an der wwwf-Konferenz war ich im Zoo, um über implizite Marktforschung zu sprechen, aber jetzt raste mein Herz.

Die ersten Menschenaffen, auf die ich treffe, sind zwei ältere Damen, ich sage scherzhaft: "Hast du von dem Gorilla gehört, der frei herumläuft?", aber als ich ihre großen Augen sah und wie ihre Körper kleiner zu werden schienen, lächle ich breiter und sage ihnen, dass möglicherweise nichts passiert ist und sie sich keine Sorgen machen sollten...doch sollte ich mir welche machen?

Am nächsten Tag brachten alle grossen Zeitungen die Story

Ich bin am Eingang des Gorillageheges und suche den König des Dschungels. Es sind keine Menschen da, keine Geräusche und zum Glück auch keine Affen oder Kumbuka, der Gorilla. All die verglasten Boxen sind leer. Ich erblicke flüchtig die seltsame Affenstange, aber alles, was ich sonst wahrnehme, ist der gewöhnliche Zoo-Geruch.

Leute, ernsthaft, wo ist der Gorilla?

Schließlich, am Ende des Korridors, finde ich zwei Mitarbeiter, einen Mann und eine Frau. Sie schauen mich gestresst, besorgt, verzweifelt an, dann auf ein Tor neben sich. Wieder lächle ich und frage sie: "Wo ist der Gorilla?"  Der Typ antwortet sehr, sehr ernst: WIR WISSEN ES NICHT, BITTE GEHEN SIE NACH DRAUßEN. Und das mache ich dann auch.

Als ich mich von ihnen entferne, höre ich ihr, dass sich ihr Walky-Talky anschaltet und jemand fragt: "Also, was genau ist der Notfall?", dann ich gehe auf einen anderen Weg und kann die Antwort nicht mehr hören.

Mein Herz klopft. Meine Finger kribbeln. Habe ich gerade einen schwarzen Schatten in den Büschen gesehen? Hat sich das Geräusch zu nah angehört?

Alles, woran ich denken kann, ist ein 180-Kilo-Gorilla auf freiem Fuß, womöglich ganz nah, sicherlich viel stärker als ich und möglicherweise hungrig (anscheinend haben sie ihn Tage zuvor auf eine spezielle Diät gesetzt).

Den Gorilla sehen

Was bedeutet es also, zum ersten Mal einem Primaten gegenüberzustehen? Ziemlich sicher, dass Adrenalin und Cortisol ihren Job in meinem Gehirn machen, indem sie mir Energie und Stress zur Verfügung stellen.

Lasst uns eine Sekunde darüber nachdenken. Während wir in einer überwiegend sicheren Gesellschaft leben, wird unser Verhalten immer noch von Urinstinkten und Reaktionen auf Reize in unserer Welt bestimmt. Als Cadbury eine Anzeige mit einem Gorilla veröffentlichte, der Schlagzeug spielt, hatten sie einen viralen Treffer gelandet. Aber warum verkauft sich mit King Kong Schokolade?

Wir bei NEURO FLASH glauben, dass es um die impliziten Assoziationen geht. Ein schwarzer, starker Gorilla funktioniert, denn wenn man in ein Stück dunkle Schokolade beißt, das mit dem Dschungel, Natur, biologisch, unbearbeitet, ausgeglichen usw. assoziiert wird, besteht die Erfahrung aus mehr als bloss Schokolade, es wird etwas aufregender, im Vergleich zu konkurrierenden Marken.

Vom Stimulus zum Produkt

Genau das messen wir mit unserer Marktforschungsmethodik, die Assoziationen, die wir automatisch durch einen Stimulus (Gorilla) haben und ob sie zum Konzept des Produkts (Schokolade) passen. Eine Synergie zwischen den beiden ist Gold wert.

Während ich also mein Herz am Hals schlagen spüre, macht das Nachdenken über den Gorilla jeden Busch zu einer Quelle möglicher Gefahr, jedes Geräusch zum Anlass zur Sorge. Ich lebe auch jetzt alle Assoziationen aus, die ich mit Gorillas habe. Die Filme, die ich gesehen habe, Dokumentationen, meine eigene Erfahrung mit Affen in Thailand, sie alle beeinflussen die Art und Weise, wie ich alles interpretiere, was ich sehe und höre. Und glaubt mir, ich werde von nun an immer gespannt in den Londoner Zoo gehen!

Zurück zur Geschichte. Ein weiterer Mitarbeiter kommt uns entgegen, den Tränen nahe, aber dennoch gelassen. Sie sagt, man soll sofort das nächste Gebäude aufsuchen und dort bleiben. Also gehe ich zu einem Vogelkäfig in der Nähe und lade die beiden älteren Damen, die gerade aus einer anderen Richtung um die Ecke kommen, und jeden in Sichtweite dazu ein, sich mir zum sicheren Ort anschließen.

Wir verbringen die nächsten 30 Minuten damit, rote Autos vorbeifahren zu beobachten sowie mehr Mitarbeiter und einen Hubschrauber, der das Gebiet umkreist.

Schlussbemerkungen

Ich denke, die Londoner Mitarbeiter haben die ganze Sache sehr professionell gehandhabt. Während ich mich idiotisch der Gefahr näherte, taten sie alles, um uns zu beschützen. Und in der Tat scheint es, dass wir nie wirklich in Gefahr waren.

Nachdem wir wieder in den Zoo zurückkehren durften, sprach ich mit einigen Mitarbeitern und sie sagten mir, dass der Gorilla in eine Werkstatt ging und sich schnell beruhigte. Obwohl er nie im Busch neben mir war, waren die Leute, mit denen ich den Vogelkäfig teilte, sehr, sehr besorgt. Sie zitterten und wurden fast ohnmächtig. Der Gedanke an einen Gorilla ist mehr als genug, um ihn in Gedanken zu sehen und dadurch Angst  zu verspüren.

Letztendlich ist es wichtig zu bemerken, dass ein Gorilla im Zoo Sinn macht (bezüglich der gewohnten Assoziation). Aber wenn wir die Situation auf das Marketing anwenden, ist es möglich, dass ein Bild am Ende nicht funktioniert, weil es nicht zum Produktkonzept passt.

Sei nicht der Typ im Tutu (ausser es macht Sinn)

Wenn zum Beispiel dieser Typ (Bild) Millionen von Aufrufen erhielt, weil er in Athen 2004 in einen olympischen Wettbewerb einbrach, hatte das Konzept des Produkts (Casino) wenig mit der Veranstaltung zu tun und somit war der Effekt für die Casino-Seite nicht vorteilhaft (wenig Traffic und keine vorteilhaften Assoziationen). Den Athleten goldene Nike-Schuhe zu geben, ist eindeutig ein besserer Weg.

Vielen Dank an die Mitarbeiter des Londoner Zoos, die das ganze Ereignis sicher und professionell handhabten. Sie waren übermäßig hilfsbereit, sie versuchten sogar, meine Tasche aus dem Känguru-Café zu holen, als der ganze Zoo abgeriegelt war.

Ich werde zurückkommen, auch weil wir zusammen mit unserem Partner Research for Good nun die Markenentwicklung des Londoner Zoos verfolgen, um zu sehen, wie die Gorilla Assoziationen diese beeinflussen werden. Und auch, weil ich jetzt in erster Linie Aufregung mit dem Zoo verbinde :-)

Dieser Text erschien im Blog von NEUROFLASH unter:
https://neuro-flash.com/loose-gorilla-at-london-zoo-with-jonathan-mall/.