Vom Beginn der Industrialisierung im 18. Jahrhundert bis zum modernen Kapitalismus – die unglaubliche Schaffenskraft der Menschheit hat uns zuvor unbekannten Wohlstand gesichert. Jedoch haben diese positiven Entwicklungen auch einige Probleme verursacht, die in Angriff genommen werden müssen. Vor allem die Gefahren des Klimawandels sind heutzutage allgegenwärtig.
Die Zeit drängt
Wir stoßen aktuell weltweit mehr CO2 aus als je zuvor – obwohl wir dringend eine Senkung der Emissionen bräuchten, wird die Menge auch in Zukunft steigen. Allerdings ist unser weltweiter Wohlstand als Industrieländer und der Weg aus der Armut für Entwicklungs- und Schwellenländer eng an das Emittieren von CO2 gebunden. Dies gilt sogar noch stärker für bevölkerungsreiche Schwellenländer wie China und Indien, die noch nicht so weit entwickelt sind. Es wird einige Zeit dauern, um nötiges Wirtschaftswachstum endgültig vom CO2 Ausstoß zu entkoppeln. Wie gut und wie schnell uns das auf möglichst globaler Ebene gelingt, ist die entscheidende Frage bei der Bekämpfung des Klimawandels.
Ohne klimapolitische Maßnahmen würde die Erderwärmung bis zum Jahr 2100 auf 4,1°C bis 4,8°C ansteigen – ein Szenario, das glücklicherweise aufgrund der kleinen Erfolge der letzten Jahrzehnte extrem unwahrscheinlich ist. Die aktuellen weltweiten klimapolitischen Regelungen würden allerdings die Erderwärmung auf 3,1°C bis 3,7°C ansteigen lassen, was immer noch deutlich zu hoch ist. Rechnet man die Absichtserklärungen der Staaten mit ein, die aktuell noch nicht politisch umgesetzt wurden, liegen wir bei einer weltweiten Erwärmung von 2,6°C bis 3,2°C. Damit lägen wir weit über den Zielen von 1,5°C oder 2°C und würden im Jahr 2100 auch noch nicht als weltweite Gemeinschaft CO2-neutral leben.
Die nationale Perspektive
Wir sollten über die Rolle Deutschlands bei der Bekämpfung des Klimawandels sprechen – und auch über die Rolle der nächstgrößeren Einheit, der Europäischen Union. In Deutschland gibt es viele Diskussionen über eine Besteuerung von CO2 oder einen Emissionshandel. Die Verursacher von CO2-Emissionen sollen die Gesellschaft für entstehende Kosten entschädigen. Die Forderung ist richtig, da es sich um eine negative Externalität handelt, die Kosten vom Verursacher trennt. Die Aussage, diese Steuer müsse diesen Kosten entsprechen, ist aber falsch. Die Höhe dieser Steuer hat überhaupt nichts mit den Kosten zu tun, sondern sollte lediglich der Kontrolle der ausgestoßenen Menge CO2 dienen. Letzteres gestaltet sich durch eine Steuer jedoch schwierig, da völlig unklar ist, bei welcher Besteuerung die Wirtschaft welche Menge an CO2 ausstößt.
Zudem wird jedes emittierte Kilogramm CO2 gleich behandelt – ein massiver Konstruktionsfehler einer CO2-Steuer. Unterschiedliche Emissionsvermeidungskosten werden nicht ausgeglichen. Das sorgt dafür, dass dort in der Wirtschaft zuerst CO2 eingespart wird, wo es am einfachsten möglich ist: Es ist wesentlich teurer, im Flugverkehr CO2 einzusparen, als im Straßenverkehr, da CO2-vermeidende Technologien in beiden Bereichen unterschiedlich weit entwickelt sind. Eine CO2-Steuer wird niemals die maximal mögliche Menge an CO2 einsparen, dafür aber mögliches Wirtschaftswachstum erheblich einschränken und damit weiteren Fortschritt verhindern. All das ohne die Berechenbarkeit der Emissionen des nächsten Jahres zu gewährleisten, um Klimaziele genau verfolgen zu können.
Ein gut aufgestellter Zertifikatshandel löst all diese Probleme. Es wird ein strikter Deckel für CO2-Emissionen gebildet. Nach x Tonnen ist Schluss. Die CO2-Emissionen lassen sich staatlich fest einplanen, sogar über Jahre hinweg und die Wirtschaft wird dazu gezwungen, für die zulässige CO2-Menge eine Lösung zu finden. Leider ist die Idee eines Zertifikatshandels aufgrund der schlechten Umsetzung in den letzten Jahren etwas in Verruf geraten. Allerdings liegt das an der konkreten Umsetzung und nicht an der Idee selbst.
Grundsätzlich funktioniert ein Zertifikatehandel folgendermaßen: Der Staat (oder die EU) legt die maximal ausgestoßene Menge an CO2 fest. Wer nun CO2 emittieren möchte, muss ein Zertifikat auf staatlich organisierten Auktionen kaufen. Wer CO2 ohne entsprechendes Zertifikat emittiert, macht sich strafbar und riskiert sehr hohe Strafzahlungen, die deutlich über den Kosten der Zertifikate liegen. Die CO2-Emissionszertifikate dürfen auch untereinander gehandelt werden. So darf beispielsweise die Lufthansa von der Volkswagen AG Zertifikate kaufen, falls sie ihre Emissionen nicht weit genug senken kann und eine Erlaubnis zum Ausstoß von mehr CO2 benötigt. Die Volkswagen AG würde in diesem Beispiel einem Verkauf zustimmen, solange sie durch den Verkauf der Zertifikate mehr Gewinn erwirtschaftet als Kosten durch die CO2-Senkung im eigenen Unternehmen entstehen würden – die Volkswagen AG müsste aufgrund des geringeren Besitzes an Zertifikaten den CO2-Ausstoß nun weiter senken. Der CO2-Deckel des Emissionshandels bleibt für die Gesamtwirtschaft durch diese Transaktion unbeeinflusst – die ausgestoßene Menge CO2 bleibt gleich, sie wird nur anders verteilt. Können sich beide Parteien nicht einigen, müsste die Lufthansa an einen anderen Anbieter herantreten, welcher CO2-Zertifikate zum gewünschten Preis verkauft. Kann die Lufthansa keine Zertifikate zu einem akzeptablen Preis erwerben, muss sie selbst die CO2-Emissionen senken.
Zudem kann der Staat in einem CO2-Zertifikatehandel jederzeit CO2-Zertifikate aufkaufen und dadurch stilllegen. Von staatlicher Seite kann also auch wesentlich eleganter in den Markt eingegriffen werden. Es muss nicht zuerst eine Steuererhöhung beschlossen werden, die dann die Kalkulation bei allen Unternehmen unmittelbar verändern würde.
Die Verhandlungen der Unternehmen untereinander finden also keine marktwirtschaftliche Lösung zu der Frage, wie viel CO2 ausgestoßen werden darf – das legt der Staat final fest. Der marktwirtschaftliche Prozess entscheidet lediglich, wer wie viel CO2 ausstößt und bringt somit den CO2-Ausstoß in Industrien, wo er nur schwer (oder aktuell gar nicht) vermieden werden kann, während die umweltfreundlichen Technologien in anderen Bereichen durch den CO2-Handel massiv gefördert werden. Der Staat legt die Bedingungen fest und die Unternehmen lösen das Problem. Der CO2-Zertifikatehandel garantiert das maximal mögliche Wirtschaftswachstum unter diesen Bedingungen.
Das Märchen der Vorbildwirkung Deutschlands
Deutschland kann mit seiner aktuellen Energiepolitik zum weltweiten Vorbild werden – Diese Behauptung kann als völliges Märchen bezeichnet werden und wird durch keinerlei stichhaltige Argumente gestützt.
Deutschland nimmt aufgrund seiner Einwohnerzahl als bevölkerungsreichstes Land Europas generell eine Führungsrolle ein. Ein Musterbeispiel auf europäischer Ebene sind wir allerdings sicher nicht, wenn es um die Bekämpfung des Klimawandels geht. Kein anderes Land hat vor, eine derart radikale Politik eines gleichzeitigen Kohle- und Atomausstiegs zu betreiben. Um das zu bewerkstelligen wird Deutschland auf Stromimporte aus den Nachbarländern Polen und Frankreich angewiesen sein. Es ist völlig verständlich, dass natürlich kein anderes Land eine derartige Klimapolitik verfolgt und Deutschland hier als Sonderfall gilt. Nicht nur Länder wie Frankreich haben keine Absicht, kurz- oder mittelfristig aus der Atomkraft auszusteigen. Länder wie Schweden planen sogar den Neubau von Atomkraftwerken.
Deutschland hier anhand der unterschiedlichen Gegebenheiten weltweit als Vorbild zu nehmen wird sich kaum ein Land leisten können. Das Märchen von der Vorbildwirkung ist sowieso nicht wirklich relevant, da jedes Land seine ganz eigenen Gegebenheiten hat. Zum Beispiel haben große Flächenländer wie Norwegen eine viel höhere Chance, sich irgendwann komplett durch Windkraft versorgen zu können, ohne dass eine große Fläche des Landes mit Windrädern bebaut werden muss. Daher sollte man eher Vorbild aus technologischer Hinsicht sein und Hürden für Unternehmen lockern, die umweltfreundliche Technologien entwickeln, welche exportiert werden können.
Doch verlassen wir einmal die Ebene der EU und schauen uns die weltweite Situation an, insbesondere Staaten wie die USA, China und Indien. Gerade die beiden Letztgenannten bräuchten bei einem Kohleausstieg leistungsfähige Alternativen. Wie Deutschland massiv auf erneuerbare Energien zu setzen kann hier bestenfalls als fernes Zukunftsszenario bezeichnet werden. Viele Länder werden den Klimawandel ohne Atomkraft nicht aufhalten können – jede widersprechende Behauptung wäre hochgradig unseriös. Selbst für Deutschland ist der Kohleausstieg ein absoluter Kraftakt trotz im internationalen Vergleich sehr gut ausgebauter erneuerbarer Energien. Für andere Staaten wird ein Kohleausstieg nur durch die mittelfristige Übergangslösung Atomkraft zu meistern sein. Viele Staaten werden auch an einer viel stärkeren Subventionierung CO2-freier Energiepolitik nicht vorbei kommen. Wie also soll Deutschland hier eine Vorbildwirkung einnehmen? Wenn überhaupt sollten wir ein technologisches statt ideologisches Vorbild für andere Staaten sein. Entwickeln wir Technologien, die CO2 einsparen, hilft das durch den weltweiten Export anderen Staaten sicherlich weiter – Technologie “Made in Germany” hat ihren Charme noch nicht verloren.
Vorerst bleibt Deutschland jedoch Weltmeister im Braunkohleabbau. Nicht bezogen auf die absolute Fördermenge, sondern auf das Verhältnis zwischen Fördermenge und Menge der Vorkommen. Dies führt Argumente gegenüber anderen Ländern wie China, die massive Braunkohle vorkommen haben, ad absurdum. Deutschland sollte daher generell mit dem Wunsch nach einer ideologischen Vorbildrolle vorsichtig sein: Wir sollten nicht zum klimapolitischen Elfenbeinturm gegenüber technologisch weniger weit entwickelten Staaten werden.
Schlussendlich kann Deutschland auch aufgrund des hohen Wohlstands der Bevölkerung kein Vorbild für die Bekämpfung des Klimawandels darstellen – gerade im Vergleich zu Ländern wie China oder Indien. Diese Länder befinden sich in der wirtschaftlichen Entwicklung Jahrzehnte hinter Deutschland – eine Zeit, in der Deutschland noch ungehindert CO2 ausstoßen konnte. Die deutsche Wirtschaft beruht immer mehr auf dem tertiären Sektor – also Dienstleistungen. Man sollte vorsichtig sein, ob man wirklich den moralischen Zeigefinger gegenüber anderen Staaten erheben möchte mit der Aussage „Schaut zu uns nach Deutschland, so geht Klimapolitik!“
Eine derartige Argumentation ist bestenfalls zynisch und schlimmstenfalls einfach völlig ignorant gegenüber Ländern, die in einer viel schwierigeren Situation sind: Sie müssen den Klimawandel und weit verbreitete absolute Armut zugleich bekämpfen. Diesen Ländern kann man wohl wenig mit einer ideologisch bedingten Ablehnung der Atomkraft helfen. Noch weniger mit einem gleichzeitigen Atom- und Kohleausstieg, der uns von unseren Nachbarstaaten massiv abhängig macht. Es wird für weniger entwickelte Volkswirtschaften umso schwerer sein, den CO2-Ausstoß und die wirtschaftliche Weiterentwicklung zu entkoppeln – eine der größten Herausforderungen für Klimakonferenzen der Zukunft.
Die internationale Perspektive
Die ideale Lösung wäre ein globaler CO2-Handel, um Unternehmen keinen Ausweg aus der Klimapolitik einzelner Länder zu geben. Es ist zwar mittelfristig unrealistisch, aber immerhin denkbar, dass die Weltgemeinschaft langfristig zusammenfindet, um einen weltweiten „Klimaclub“ zu gründen. Dieser wäre mächtig genug ist, um weltweit ausreichend Einfluss auf die Klimapolitik aller Staaten auszuüben. Notwendige Mitglieder wären auf minimaler Basis die EU, die USA, China und Indien – aber je größer der Club würde, desto effektiver könnte er handeln. Ideen solcher Klimaclubs wurden zum Beispiel von William Nordhaus entwickelt, der für seine Arbeit an diesem Konzept 2018 den Wirtschaftsnobelpreis erhielt.
Letztendlich würde dieser Club eher auf der Idee des Freihandels beruhen, als dass er unmittelbar Klimapolitik betreiben würde. Die Grundidee besteht darin, dass nur Länder mit ausreichendem CO2-Emissionshandel oder CO2-Besteuerung an diesem Freihandelsabkommen teilnehmen dürften. Aufgrund der weiter zunehmenden Bedeutung von Importen und Exporten würde eine Nichtbeteiligung an einem solchen Freihandelsabkommen dem entsprechenden Land massiv schaden – insbesondere, je mehr attraktive Handelspartner Mitglied dieses Klimaclubs würden.
Durch diesen bestenfalls weltweiten Club würde zudem nicht nur der Klimawandel bekämpft, sondern auch die Handelsbeziehungen auf internationaler Ebene deutlich gestärkt. Die große Herausforderung wird allerdings die Frage sein, welche Zugeständnisse man Ländern gegenüber macht, die wirtschaftlich weniger weit entwickelt sind als beispielsweise Deutschland. Diese Länder dürften auf dem Weg zu einem hochentwickelten Land hin deutlich weniger CO2 ausstoßen als wir es getan haben.
Das Angebotsproblem und das grüne Paradoxon
Gerade auf internationaler Ebene ist die Betrachtung der Angebotsseite CO2-emittierender Produkte eine weitere entscheidende Frage. Weil Länder wie Saudi-Arabien oder Katar einen Großteil der weltweiten Ölreserven besitzen, ist das Interesse dieser Staaten an der Abkehr von Technologien auf fossiler Basis relativ gering. Auch europäische Industriestaaten wie Norwegen oder Deutschland handeln oft sehr egoistisch bei der Förderung von Öl oder Braunkohle. Norwegen ist weltweit einer der führenden Staaten bei der Förderung von Öl im Verhältnis zur Menge der Vorkommen – die Förderung von Öl ist sogar massiv mit den Sozialsystemen des norwegischen Staates verbunden.
Die Hauptaussage des grünen Paradoxons: Durch eine immer geringere Verwendung z.B. von Öl oder Kohle werden die Preise dieser Produkte weltweit sinken – ein logischer und nicht aufzuhaltender marktwirtschaftlicher Prozess. Solange genügend andere Staaten ohne Klimapolitik diese Stoffe nachfragen, werden Nachfrage und damit auch Verbrauch nach Sinken der Preise vermutlich ansteigen. Es ist sogar möglich, dass Staaten wie Katar versuchen werden, ihre fossilen Vorkommen möglichst schnell – vor einem Inkrafttreten starker klimapolitischer Maßnahmen – zu vergolden. Diese Angebotserhöhung würde die Preise weiter sinken lassen und die nachgefragte Menge im nächsten Schritt nach oben treiben.
Daher ist es elementar wichtig, in einem Klimaclub auch die Staaten zu integrieren, die diese CO2-lastigen Produkte anbieten, nicht nur die Länder mit dem größten Verbrauch (Nachfrage). Möglichkeiten wären ein Androhen starker Sanktionen und der völlige Ausschluss dieser Staaten aus der Handelsgemeinschaft bei weiterer Förderung fossiler Brennstoffe. Es muss ganz einfach attraktiv sein, fossile Rohstoffe unter der Erde zu lassen. Damit werden Verhandlungen mit den Produzenten vermutlich noch härter werden, als mit den eigentlichen Verbrauchern.
Fazit
Der Klimawandel ist eine der größten wirtschaftspolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Es braucht aber keinen Systemwechsel, sondern eine marktwirtschaftliche Lösung basierend auf effektiver individueller, nationaler Klimapolitik. Zentral wäre ein deutschlandweiter, strikter CO2-Deckel. Noch besser, ein internationaler CO2-Deckel. Diese Maßnahmen verhindern zudem einen Staatskapitalismus bestehend aus Subventionen für ausgewählte Technologien – ein System, bei dem viel zu oft die Bürger verlieren und die Branche mit dem stärksten Lobbyverband gewinnt.
Auf internationaler Ebene sind Freihandel und Wohlstand die attraktivsten Belohnungen, um bei der Bekämpfung des Klimawandels mitzuwirken. Ein Klimaclub der großen Volkswirtschaften könnte zum Honeypot für kleinere Volkswirtschaften werden – ein Anreiz zum Erlassen strikter, nationaler Klimaschutzmaßnahmen. Wie zur Lösung der Konflikte des 20. Jahrhunderts muss ein weltweites Gremium mit Anreizen und Sanktionen geschaffen werden. Globale Probleme werden im globalen Diskurs gelöst. Nur so können Wohlstand und Klimaschutz gleichzeitig für kommende Generationen garantiert werden.
Dieser Artikel erschien zuerst am 08. Dezember 2020 auf keepitliberal.de.