Was wäre wenn….
… sich für einen Zeitraum von wenigen Wochen
… jeder in Deutschland
… täglich bevor er das Haus verlässt
… mit einem kostengünstigen Antigen-Schnelltest
… auf Corona-Infektiosität testen würde
… und bei positivem Test einfach ein paar Tage zu Hause bliebe?
Damit würden wir einen Lockdown-Effekt für das Virus, ohne einen echten Lockdown für alle, erzeugen. Infizierte Menschen würden sich so lange isolieren, bis sie nicht mehr ansteckend sind, während alle nicht ansteckenden Menschen ihrem normalen Alltag nachgehen könnten. Mit regelmäßigen Selbsttests würden wir nahezu alle infektiösen Menschen, egal ob symptomatisch, präsymptomatisch oder asymptomatisch erkennen, bevor sie Infektionsketten auslösen könnten und so dem Virus den Nährboden entziehen.
Und das Beste: Diese Strategie muss nicht einmal perfekt sein. Weder der Test muss zu 100 Prozent sensitiv sein, noch müssen letztlich alle mitmachen. Ein solcher sogenannter Public-Health-Screening Ansatz wird in den USA u.a. durch den Epidemiologen Dr. Michael Mina von der Harvard T. H. Chan School of Public Health vorangetrieben (MedCram-Video, Harvard Magazine, New England Journal of Medicine).
Verschiedene Modellierungsstudien (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7) haben gezeigt, dass regelmäßige und schnelle Tests in breiter Anwendung die COVID-19-Pandemie eindämmen können, wenn sich positiv getestete Personen umgehend in Selbstisolation begeben – selbst dann, wenn die Testsensitivität (Empfindlichkeit) nicht ideal ist, aber in der Regel ausreicht, um eine Infektiosität (= Ansteckungsfähigkeit) frühzeitig zu erkennen. Minas aktuellste Modellierung zeigt, dass Schnelltests, von 75 Prozent der Bevölkerung alle drei Tage durchgeführt, die Pandemie innerhalb von sechs Wochen eindämmen bzw. das Auftreten von Neuinfektionen um 88 Prozent reduzieren könnten. Selbst wenn diese Tests 100fach weniger sensitiv sind als die PCR. Auch eine 50-prozentige Beteiligung und/oder Reduktion auf wöchentliches Screening hätten immer noch einen immensen Einfluss auf die Eindämmung der Pandemie (8).
Schnelltests können damit ein Public-Health-Screening-Tool darstellen und den PCR-Labortest als Diagnosetool sinnvoll ergänzen (9), sodass endlich die Diskrepanz zwischen „gar nicht testen“ und PCR-Test (teuer, kapazitätsbegrenzt und daher nur anlassbezogen im Einsatz) aufgelöst wird und jede*r selbst bestimmen kann, sich zu testen.
Dies ist umso bedeutsamer, wenn man bedenkt, dass ca. die Hälfte (10, 11) der Virusübertragungen prä- und asymptomatisch erfolgen, also von Infizierten ausgehen, die noch keine Symptome entwickelt haben (präsymptomatisch) oder niemals entwickeln werden (asymptomatisch). Würden wir ausschließlich symptombasiert Erkrankte testen, entgingen uns vermutlich die Hälfte der Übertragungen. Es ist, als würden wir dem Infektionsgeschehen ständig nachlaufen und dabei immer zu spät kommen. Um vor die Welle zu gelangen, müssen wir aus diesem Grunde auch asymptomatisch testen, günstigstenfalls täglich, bevor wir eine potenzielle Infektion, die wir im prä-/asymptomatischen Stadium nicht bemerken, weitergeben würden.
Und ja, es gibt sicher noch viele ABERs (einige davon beantworten wir in unseren FAQ), doch wenn wir warten, bis alle geklärt sind, dann ist die Chance vertan. Wir brauchen JETZT ein deutliches politisches Signal hin zu Massentests für zu Hause, mit dem Ziel das Virus zurückzudrängen. Wir benötigen große Investitionen in die Forschung und Entwicklung von schnellen und leicht benutzbaren Selbsttests - analog zu den derzeitigen Großinvestitionen in die Entwicklung von Impfstoffen. Geeignete Schnelltests zu entwickeln und zu produzieren, ist dabei um ein Vielfaches einfacher als einen geeigneten Impfstoff herzustellen.
Wir gehen zwar davon aus, dass uns ein finaler Impfstoff auf Bevölkerungsebene einen längerfristigen Schutz geben wird, mit Schnelltests müssen wir allerdings nicht erst auf einen solchen warten, um ein weitgehend normales Leben zurückzuerhalten. Darüber hinaus ist unklar, ob die ersten Impfstoffe eine sterilisierende Immunität bieten können, oder ob Schnelltests auch in einer teilgeimpften Bevölkerung zur Eindämmung wichtig bleiben werden.
Hören wir also auf, Schnelltests “nur” als Türöffner für Events oder den Besuch bei Oma zu betrachten, sondern erkennen wir deren wirkliches Potenzial an: Schnelltests können uns unsere Freiheit zurückgeben. Wenn wir es durch ein breites Selbst-Screening der Bevölkerung schaffen, den R-Wert deutlich unter 1 zu senken und in einen Bereich von wenigen Neuinfektionen zu kommen, bedeutet dies Rückkehr zur Normalität. In Staaten wie Neuseeland, denen die Eindämmung gelungen ist, ist das bereits heute Realität (11). Wäre es nicht wunderbar, wenn auch wir dies mittels Schnelltests erreichen könnten, ganz ohne echten Lockdown?
Nachtrag (19.10.2020): Natürlich muss man Schnelltests nicht gleich auf ganz Deutschland ausrollen, sondern kann sie z.B. zur Eindämmung von Hotspots nutzen. In einer umfassenden Teststrategie ergänzen sie AHA+L, Diagnostik-Tests und POCT, um Effekt zu maximieren und Kosten im Rahmen zu halten. Einem Stufenplan folgend, könnte der Roll-Out, der Testverfügbarkeit entsprechend, schrittweise erhöht werden.
Anmerkungen: Einige der hier genannten Publikationen sind Preprints und haben also noch nicht den formalen Review Prozess durchlaufen. Auch die genannten Zahlen lassen sich nicht ein zu eins auf die deutsche Situation übertragen, sollen jedoch das Potential von Schnelltest verdeutlichen.
Wer sich gerne weiter zu Schnelltests informieren und austauschen möchte, ist herzlich eingeladen der Facebook-Gruppe beizutreten: https://www.facebook.com/groups/coronaschnelltests