Am Wochenende habe ich den zwar nicht unbedingt bemerkenswerten aber doch interessanten und lustigen Film „The invention of lying“ [i](Lügen macht erfinderisch) angeschaut. Kurzgefasst, handelt es sich um eine fiktive Welt, in der Menschen nicht lügen können. In dieser Utopie,  enthält z.B. die Werbung für Coca Cola die Information, dass dieses Getränk voller Zucker und eigentlich ungesund ist, während ein Altersheim "A Sad Place for Hopeless Old People“ (ein trauriger Ort für hoffnungslose, alte Menschen) genannt wird. Jeder gibt einfach Butter zu die Fische und sagt direkt  was er meint, ob es die Frau ist, die ihrem Rendez-vous gegenüber erwähnt, dass sie ihn total unattraktiv findet oder ob es eine Sekretärin ist, die ihrem Chef sagt, dass sie ihn nie leiden konnte.

Obwohl dieser Film kaum mehr Einspruch erhebt, als Zuschauer zu unterhalten, geriet ich ins Grübeln bei dem Gedanken, ob so eine Welt existieren könnte. Wäre eine lügenfreie Gesellschaft zumutbar? Oder sogar wünschenswert? Und was bedeutet „lügen“ überhaupt? Gibt es Lügen, die moralisch akzeptabel sind?

Als “möchtegern Philosoph” habe ich natürlich keine Antworten, nur Fragen, aber vielleicht kann ich ein paar von meinen Lesern dazu anspornen, sich darüber zu äußern.

Foto von Toa Heftiba / Unsplash

1.       Was ist lügen? :
Der Duden liefert volgende Bedeutung für dieses Verb:
„bewusst und absichtsvoll die Unwahrheit sagen“

Allerdings scheint mir diese Definition ein wenig vereinfachend.

Was ist mit Aussagen die bewusstes Verschweigen eines Tatbestandes entsprechen? Nehmen wir als Beispiel eine Firma in der Modebranche, die damit wirbt, dass sie eine neue, umweltbewusste Kollektion herausbringt aber nicht erwähnt, dass die Mehrheit von deren Produkten dieser Mitteilung nicht gerecht werden?

Ebenfalls, kann man behaupten, dass jemand, der aus Unwissenheit die Unwahrheit erzählt, nicht Lügen Erzählt? Wie oft werden mit gutem Gewissen falsche Nachrichten übermittelt und dabei Lügen verbreitet? Man braucht nur an die Ketten von Falschmeldungen über den Corona-Virus zu denken, die von vielen mit gutem Gewissen verbreitet werden.

Schliesslich kann man auch absichtlich lügen und trotzdem die Wahrheit erzählen. In der Kurzgeschichte „die Mauer“ von Jean Paul Sartre[ii], sagt Pablo Ibbieta aus, der gerade von der Spanischen Guardia Civil festgenommen wurde, dass Ramon Gris, sein Gefährter in der Widerstandsbewegung, sich auf dem Friedhof versteckt hält. Pablo will allerdings Ramón schützen und denkt, dass er seinen Peinigern eine Lüge erzählt hat. Tatsächlich aber hatte sich Ramón dort verborgen, sodass er ebenfalls im Gefängnis endet. Pablos Lüge entsprach deshalb die Wahrheit.

2.       Lügen: eine konzeptionelle Frage?

Vielleicht hat Lügen also weniger mit Wahrheit und Unwahrheit als mit Täuschung zu tun[iii].

In den oberen 2 letzten Beispielen, könnte man behaupten, dass Pablo Ibbieta gelogen, während der unwissende Verbreiter von falschen Nachrichten die Wahrheit (wenn auch nur seine) erzählt hat.

Wie man sieht, gibt es also kein norminatives Lügen, vielmehr scheint das Konzept „Lügen“ mit Moral zu tun zu haben. So werden manche Lügen durch Unterlassung teilweise nicht als Täuschungsmanöver sondern als Rechtfertigung für das Recht auf eigene Privatsphäre gesehen. Während es zum Beispiel unmoralisch wäre, bei einem Date nicht zu erwähnen, dass man verheiratet ist, ist es absolut akzeptabel, seinem zukünftigen Arbeitgeber eine Krankheit zu verschweigen.

Weiterhin könnte man argumentieren, dass manche Lügen notwendig sind und daher moralisch vertretbar sind. In dem oben erwähnten Film, erzählt z.B. der Hauptdarsteller seiner sterbenden Mutter, die sich vor dem Tod fürchtet, dass es ein Leben nach dem Tod gibt. Lügt er oder erzählt er ihr eine Geschichte, um eine schwere Situation zu erleichtern?

3.      Kann lügen gerechtfertigt sein?

Wenn gefragt, würden wahrscheinlich die meisten Menschen sagen, dass Lügen schlecht ist. Lügen wird von den meisten Religionen verboten oder zumindest dringend abgeraten und eine Studie [iv] hat neuerdings gezeigt, dass Menschen mit einem höheren Sinn für Religion wenig dazu tendieren, zu lügen.

Ist aber eine Welt ohne Lügen vorstellbar oder gar wünschenswert? Sollte jeder immer die Wahrheit sagen? Möchte immer der Patient von seinem Artz immer hören, dass er todkrank ist? Möchte ich von meinem Kollegen/Kolleginnen hören, dass sie mich nicht besonders mögen? Natürlich nicht. Manche Lügen sind wünschenswert und nicht zuletzt bei der Person die angelogen wird.

Schwierig wird es, wenn man sich daran gewöhnt, kleine, scheinbar unbedeutende Lügen auszusprechen, etwa um seine Ruhe zu haben (Kind, hast du schon deine Zähne geputzt? Ja Mutti.) oder weil man eine beliebte Person nicht enttäuschen (Du hast doch nicht wieder Schokolade genascht? Nein, natürlich nicht. Ich achte doch auf meine Diät) oder verletzen möchte (Kurt, deine Mutter ist am Telefon! Sage ihr einfach, dass ich nicht da bin).

Einzeln sind solche Lügen sicherlich unbedeutend und harmlos. Es ist aber die Anzahl der Lügen, die den Unterschied macht. Gewöhnt man sich daran, ständig die Wahrheit zu biegen, um besser dazustehen oder um friedlicher zu leben, schadet man sich selber auf lange Sicht. Nicht nur besteht die Gefahr, dass man als Fälschung durch die Welt geht, sondern auch, dass man das Gefühl für das eigene „ich“ verliert. Eine Studie von Professor Anita E. Kelly, und Mitautor Lijuan Wang[v] hat sogar ergeben, dass weniger Lügen eine direkte Auswirkung auf die Gesundheit hat.

Ehrlich mit den Menschen zu sein, die man vertraut und letztendlich mit sich selber, sollte nicht so schwer sein. Schliesslich wissen diejenigen, die uns lieben, dass niemand perfekt ist und man sollte ihnen zutrauen, dass sie uns mit unseren kleinen Fehlern und Mangeln akzeptieren und weiterhin lieben.

Foto von Jon Tyson / Unsplash



[i]https://www.duden.de/rechtschreibung/luegen

[ii] https://www.scribd.com/document/341785197/Sartre-Jean-Paul-Die-Mauer-pdf

[iii] https://plato.stanford.edu/entries/lying-definition/#TraDefLyi

[iv] https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0165176518304348

[v] https://www.apa.org/news/press/releases/2012/08/lying-less

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