Jubiläum: Ein Blick zurück auf die letzte große Sängerin der Operngeschichte.
Zum letzten Mal in ihrer 400 Jahre währenden Geschichte erlebte die Oper nach dem zweiten Weltkrieg eine späte Blüte. Ein letztes Mal hatte sie Tuchfühlung mit dem Weltgeist. Noch einmal regte sich nach den Schrecken des Krieges eine nostalgische Sehnsucht nach der bürgerlichen Ordnung des europäischen 19. Jahrhunderts, bevor Ende der 60er Jahre schließlich die amerikanische Populärkultur ihren Siegeszug antrat, und Kino und Fernsehen allmählich Oper und Schauspiel in den Hintergrund rücken ließen.
Ohne Zweifel war Maria Callas die zentrale Protagonistin dieser herbstlichen Blüte. Gerade dass ihre künstlerische Physiognomie trotz ihrer jungen Jahre eben nicht von jugendlicher Schönheit und vitalistischer Fülle gekennzeichnet war, sondern von dunkler Melancholie und gefährdeter Fragilität, passt vollkommen in dieses Bild eines verdämmernden Abgesangs. Es mag merkwürdig klingen, doch gerade im Makel, im Charakter von „damaged good“, der Maria Callas in vielerlei Hinsicht kennzeichnete, war sie die stimmige Protagonistin einer brüchig und überständig gewordenen Kultur.
Das Regietheater, das mit dem Abgang von Maria Callas allmählich an Fahrt aufnahm, war in diesem Kontext, ungeachtet seiner eigenen ästhetischen Bedeutung, ein unvermeidliches Endzeitphänomen. Wo die Oper in ihren primären Elementen des Drama, der Komposition und des Gesangs allmählich verblasste, traten sekundäre Elemente kompensatorisch an ihre Stelle. Gleichzeitig geriet die Oper am kommerziellen Ende in die Spirale einer mit den kapitalistischen Paradigmen kompatiblen „Best of“-Resteverwertung, die in der Eventkultur der „Drei Tenöre“ kulminierte.
Wie bei allen epochalen Künstlerfiguren ist auch bei Maria Callas die künstlerische Persona von der privaten und der öffentlichen Figur nicht zu trennen. All die Skandale und privaten Affären sind Teil des Wirkungskomplexes der Künstlerin Maria Callas. Sowohl die Ästheten, die Maria Callas nur als exzeptionelle Sängerin begreifen möchten, ebenso wie die Aktivisten, die sie zum Opfer einer patriarchalischen Kultur stilisieren wollen, verstehen nicht, dass gerade im Leiden und den inneren Konflikten der Person Maria Callas die Quelle für ihr exzeptionelle künstlerische Ausstrahlung lag. Wie der mythische Sänger Orpheus konnte sie den dunklen Fängen des Schattenreichs nie entkommen.
Die schreckliche Familie
Diese dunklen Schatten lagen von Beginn an über der Biographie von Maria Callas. 1923 in New York geboren, wuchs sie in die große Depression nach 1929 hinein, die ihre Familie empfindlich traf. 1937 siedelte sie nach der Trennung der Eltern mit Mutter und Schwester nach Athen, wo sie ins nächste Desaster des zweiten Weltkriegs schlitterten. Auch die familiäre Konstellation, mit dem desinteressierten Vater, der narzisstischen Mutter und der viel hübscheren älteren Schwester, stand unter keinem guten Stern. Der Gesang war wie ein letzter Strohhalm, an den sie sich mit dem Mut der Verzweiflung klammerte.
In diesen prekären und instabilen Verhältnissen war auch der Schatten des Missbrauchs allgegenwärtig. Die Schwester Jackie hielt die Familie finanziell in den ersten Jahren in Athen als Geliebte eines reichen Geschäftsmanns über Wasser. Während der Besatzung durch Italiener und Deutsche im zweiten Weltkrieg scheint auch die Mutter mit sexuellen Dienstleistungen zum Unterhalt beigetragen haben. Maria Callas selbst beteuerte immer, dass sie nur für Gesangseinlagen bezahlt wurde. Das Verhältnis zu Mutter und Schwester in dieser unguten Melange aus Not, Konkurrenz und familiären Abhängigkeiten blieb denn auch später schwer belastet. Trotzdem unterstütze Maria Callas beide bis zuletzt finanziell. Ihr war wohl auch selber bewusst, dass das „il prezzo“ war für die gemeinsamen Opfer.
Nach dem Krieg kehrte sie nach New York zu ihrem Vater zurück. Doch nach einem euphorischen Wiedersehen zeigte sich auch hier rasch, dass dieser vor allem hoffte von ihrer sich abzeichnenden Karriere finanziell zu profitieren. Dieses verhängnisvolle Gefühl nie um ihrer selbst willen geliebt worden zu sein überschattete ihr ganzes Leben. Und aktivierte gleichzeitig jenen monströsen Ehrgeiz sich durch Erfolg für all diese Demütigungen zu rächen.
Belcanto – der schöne Gesang
In der Opernkultur zwischen Monteverdi und Puccini spielte die „schöne Stimme“ immer eine gewisse Rolle. Doch das wichtigste war sie nie. Ähnliche wie bei Schauspielern und selbst bei Fotomodellen sind andere Faktoren wichtiger als pure Schönheit. Individualität, Typus und Ausstrahlung sind die Ingredienzien, auf die es am Ende ankommt.
Wie beim buchstäblichen kosmischen „Star“ muss ein Künstler zuallererst identifizierbar sein. Je einzigartiger er ist, desto stärker vermag er die narzisstischen Sehnsüchte des Publikums zu aktivieren. Und je mehr Elemente des Weltgeistes er repräsentiert, desto vertrauter wirkt er und wird zum Verbündeten des Zuschauers. Maria Callas wurde zu einem „Star“, nicht weil sie schön sang sondern weil sie etwas vollkommen Einzigartiges war und sich in ihr die Elemente ihrer Epoche materialisierten.
In der Historie des Gesangs bezeichnet „Belcanto“ auch noch etwas durchaus spezifisches, nämlich die Gesangsästhetik des frühen 19. Jahrhunderts, die vor allem durch Vincenzo Bellini, Gaetano Donizetti und dem frühen Giuseppe Verdi geprägt worden war. Ohne Zweifel war diese Ästhetik die Heimat der Sängerin Maria Callas. Womit sich nicht nur stilistische und gesangstechnische sondern auch ästhetische und zeitgeistige Aspekte verbinden.
Blickt man über die 400 Jahre der italienischen Operngeschichte so lassen sich, grob skizziert, vier ästhetische Stationen ausmachen, die in diversen Vermischungen ineinander übergingen. Die erste Epoche Monteverdis markierte die Geburt des Individuums im neuen Medium der Oper, die in einer Ästhetik der unmittelbaren Expression erstmals die eigene Seele nach außen kehrte (exemplarisch zu hören im „Lamento d’Arianna“). Die Opera seria des 18. Jahrhunderts mit ihren Kastratenstars und Koloraturketten war von einer aristokratischen Ästhetik der „sprezzatura“ (einer lässigen Mühelosigkeit) gekennzeichnet.
Der „Belcanto“ des 19. Jahrhunderts transformiert die Koloraturen und Fiorituren der Barockkultur in etwas Neues. Sie sind immer noch Distinktionsmerkmal, jedoch nicht mehr in einem hierarchischen Sinn sondern in einem existenziellen. Gerade die Heroinen Bellinis und Donizettis, die immer von Wahnsinn, Absturz und Umnachtung bedroht sind, sind wie kostbare nächtliche Geschöpfe, die in imaginierten Drahtseilakten den Beschützerinstinkt des Heroen, der immer nebenbei noch einen Krieg zu gewinnen hat, permanent herausfordern.
Diese bürgerlich patriarchalische Konstellation entsprach auch Maria Callas' eigenem persönlichen Selbstverständnis, so dass es wenig verwunderlich ist, dass sie in diesen Rollen der Norma, Amina (aus „La Sonnambula“), Elvira (aus „Il Puritani“) und Lucia (aus „Lucia di Lammermoor“) die größte Wirkung entfaltete. Gleichzeitig waren diese Opern nach dem zweiten Weltkrieg aus der Zeit gefallen. Gerade der zentrale männliche Mythos des heroischen und idealistischen Kriegers, der diese Opern bestimmt und für deren Wirkung von entscheidender Bedeutung ist, war nach zwei Weltkriegen mit Panzern und Atombomben obsolet geworden.
Entsprechend bleiben leider die Gesamteinspielungen dieser Opern von Bellini und Donizetti unbefriedigend, weil die männlichen Protagonisten ebenso wie Dirigenten wie Tullio Serafin oder Antonio Votto auch stilistisch kein Gefühl mehr für diese Ästhetik hatten. Ähnlich wie die Klaviermusik von Chopin und Liszt (die beide große Bellini Verehrer waren) bleibt diese Musik ohne jenes Element von melodischem und rhythmischem Raffinement, das Maria Callas intuitiv beherrschte, flach und uninteressant.
Was den Belcanto allmählich ablöste war der Verismo, dessen prominentester Vertreter Giacomo Puccini war, der die Elemente von Virtuosität und Refinement in mehr konkrete Parameter von Kraft und eine durch den Stimmklang selber vibrierende Emotionalität hin verschob. Auch wenn Maria Callas alle vier seiner prominenten Opern sang („La Boheme“, „Tosca“, „Madama Butterfly“ und „Turandot“), wirklich zuhause war sie in dieser Ästhetik nicht.
Nicht nur fehlte es ihrer Belcanto-Stimme an der Robustheit gegen die gewachsenen Orchestermassen anzusingen, immer wieder ist sie zum Forcieren gezwungen. Auch wirkt ihr Zugang oft ein wenig zu artifiziell. Gleichwohl war die Rolle der Floria Tosca eine ihrer Schicksalsrollen, mit der sie in der Inszenierung von Franco Zeffirelli einen ihrer größten Triumphe feierte. Die Aufnahme mit Giuseppe di Stefano und Tito Gobbi (unter Victor de Sabata) gilt zu Recht als exemplarisch, da in diesem Fall auch die männlichen Protagonisten, Kinder des Verismo, in ihrem Element waren.
Giuseppe Verdi bildet gewissermaßen die Brücke zwischen diesen ästhetischen Welten. An seinen Opern lässt sich eben jener Übergang von der eleganten Belcanto-Kultur zu einer immer robusteren und handfesteren Popularität nachvollziehen, die dann in den Verismo mündete. Auch wenn Maria Callas zahlreiche Verdi Rollen sang, rückten auch hier die beiden Rollen in den Vordergrund, die ihrer charakterlichen Physiognomie am meisten entsprachen, nämlich Violetta (aus „La Traviata“) und Lady Macbeth (aus „Macbeth“, einer frühen Oper aus Verdis Belcanto Phase).
Einen Ausnahmefall bildet „Medea“ von Luigi Cherubini. Diese ist keine Belcanto Oper sondern steht in der französischen Opéra comique Tradition (mit gesprochenen Dialogen). In diesem Fall ist es weniger die Musik als vor allem die mythische Figur der Medea, die Maria Callas später auch in einem Film von Pier Paolo Pasolini verkörpern wird, die diese Partie so wichtig machte.
Die schrecklichen Männer
Die Wahl der beiden Männer im Leben von Maria Callas, Giovanni Battista Meneghini, mit dem sie von 1949-1959 verheiratet war, sowie Aristoteles Onassis, mit dem sie von 1959 an lose liiert war, hat immer für etwas Verwunderung gesorgt. Viele verstanden nicht, was die Callas an dem viel älteren und unattraktiven Meneghini fand, und warum sie sich von Onassis, der sie ständig erniedrigte und gewalttätig wurde, so schlecht behandeln ließ.
In beiden Fällen, so bekannte sie selber, wusste sie nach wenigen Minuten, dass er der Richtige für sie ist. Es ist unverkennbar, dass in beiden Beziehungen der narzisstische Eros im Vordergrund stand. Meneghini war für Maria Callas der verschworene Alliierte, der sich mit allen Kräften ihrer Karriere widmete, die dann auch, zunächst vor allem in Italien, schnell an Fahrt aufnahm. Sie gab sich privat als devote Ehegattin und nahm seinen Namen in ihren Künstlernamen auf, und er sorgte dafür, dass sie Spitzengagen bekam.
Doch geriet das Verhältnis mit der wachsenden Berühmtheit von Maria Callas irgendwann aus dem Gleichgewicht. Onassis, steinreicher Reeder und Jetset Berühmtheit, war der Match, der ihrem neuen Status entsprach. Erneut verbanden sich seine Sucht nach Bewunderung für seine Maskulinität („I‘m f***ing Maria Callas, I’m f***ing Jaqueline Kennedy, and I’m f***ing rich”) mit ihrem brennenden Bedürfnis nach öffentlicher Aufmerksamkeit zu einem verschwörerischem Bündnis. Die gemeinsamen griechischen Wurzeln trugen noch dazu bei, dass beide an eine schicksalhafte Begegnung glaubten. Auch wenn er dann Jaqueline Kennedy heiratete (die am Ende doch mehr „celebrity value“ hatte), riss die Verbindung nie ab und Maria Callas hielt ihm die Hand auf seinem Sterbebett, als er 1975 starb.
Wie bereits angedeutet bestand eine beständige Konvergenz zwischen ihren privaten Rollen und Bühnenfiguren. Es ist eben gewiss kein Zufall, dass die ikonographische Szene der Callas aus der Zeffirelli Verfilmung von „Tosca“ keine Szene von Floria Tosca mit Cavaradossi ist, sondern die Ermordnung-Szene mit dem Bösewicht Scarpia. Immer sind es die Opferfiguren und die Frauen, die sich mit schicksalhafter Unbedingtheit an einen Mann ketten, wie Norma, Lucia, Violetta, Lady Macbeth oder Medea, in der sich die Bühnenwirksamkeit der Callas zur magischen Präsenz verdichtet. In Frauenrollen, die psychologisch anders gelagert waren, wie Carmen, Gilda, Aida oder Turandot, konnte sie keine vergleichbare Wirkung entfalten.
Die drei Stimmen
Das Bonmot wonach die Individualität eines Künstlers in seinen Fehlern liegt, gilt für kaum einen Künstler in einem höheren Maße als für Maria Callas. Ihre „drei Stimmen“ widersprachen nicht nur dem konventionellen Gesangsideal einer perfekt homogenen, „verblendeten“ Stimme, sondern waren Ausdruck jener fragil schizoiden Physiognomie ihrer Seele.
Da war ihre unter vielen Opfern und mit eiserner Disziplin geschulte und virtuos geführte Belcanto Stimme, die im Timbre verhältnismäßig neutral klingt und vor allem in den frühen Aufnahmen in voller Blüte zu bewundern ist. Sie ist die idealisierte Selbstprojektion von Reinheit und Unschuld. Vor allem in den Bellini Partien tritt sie prominent in Erscheinung.
Ihr gegenüber steht ihre dramatische, mit Leidenspathos aufgeladene persönliche Stimme mit jener metallisch tiefdunkelroten Tinte, an der man die Stimme der Callas wie einen Wein an seinem Säureton sofort erkennt. Diese Stimme, die Charakter und Pathos besaß und ihrer Bühnenkunst Individualität und Ausdruck verlieh, hatte jedoch auch ihren Preis, da sie die frei ausströmende Belcanto-Stimme kontaminierte und beschädigte, und im Laufe der Zeit gleich einem dunklen Dämon allmählich Besitz von ihr ergriff. Bereits Ende der 50er Jahre stellten viele Beobachter fest, dass ihre Gesangstechnik Schaden genommen hatte und in den letzten Jahren ihrer aktiven Karriere war es gleichsam common sense unter Kritikern, dass man Maria Callas für ihre Darstellung rühmte ungeachtet der nicht mehr zu überhörenden Defizite.
Eine dritte Stimme, die Maria Callas vor allem in späteren Jahren kultivierte, eine in tieferen Lagen wie aus einer tiefen Höhle aufsteigende gutturale Saturnia-Stimme, in der das Leidenspathos plötzlich in ein eiskaltes pythisches Raunen umschlägt. Vor allem in der späten Aufnahmen, wie den Ausschnitten aus „Macbeth“ oder der „Carmen“ Aufnahme, setzt sie diese Stimme mit durchaus kluger artistischer Virtuosität immer wieder ein.
Eskalation und Skandal
Dieses beständige Umkippen zwischen den Registern und die im Laufe der Zeit immer stärker kultivierte Neigung sich in der Intonation immer am Rande der Entgleisung zu bewegen, ebenso wie die vor allem in ihren frühen Auftritten immer wieder riskierten „Stunts“ mit Spitzentönen „in alto“ (berühmt ist vor allem das dreigestrichene Es in „Aida“) sind intuitiver künstlerischer Ausdruck dieser fragilen Persönlichkeit mit einer destruktiven Lust an Risiko und Eskalation.
Auch die großen Skandale, ihre Absagen in Mailand und Rom, die ein Beben in der Presse auslösten, oder der große Bruch mit dem Chef der Metropolitan Opera Rudolph Bing, waren gewiss zumindest zum Teil auch dieser Eskalationslust der Callas geschuldet. Ebenso wie ihr plötzlicher Tod 1977 durch einen, vermutlich durch Medikamentenmissbrauch ausgelösten Herzinfarkt, einen jähen Schlussstrich zog.
Was Maria Callas intuitiv verstand, ist, dass Kunst ohne Risiko nur Gewerbe ist. Dass die dunkle Ahnung des Orpheus vor dem Abgrund der Hölle die mythische Quelle aller Kunst ist. Und so gehörten alle Dramen ihres Lebens und ihrer Karriere mit zu diesem absoluten Künstlerleben, mit dem sich Maria Callas als letzte Portalfigur in die Geschichte der Oper einschrieb.