„Ich finde die Modeindustrie spannend, gerade weil sie prekär ist - und in diesem prekären Gefüge stellen sich eben sehr große Fragen. Wobei man nicht jede Frage immer gleich beantworten muss“, sagt der Modedesigner und Entrepreneur Martin Niklas Wieser. Im Interview spricht er über sein gleichnamiges Label und wie er sich in den Modediskurs einbringen will, um positive Veränderungen anzustoßen.

Foto oben: Design Martin Niklas Wieser (c) Hendrik Schneider

Martin Niklas Wieser kennt die Modeindustrie aus verschiedenen Positionen: Er hat schon in Design, Styling und Trendconsulting gearbeitet. 2022 war die Zeit für sein eigenes Label gekommen. Seither versucht er - gemeinsam mit seinem Team - Antworten auf aktuelle Fragestellungen zu finden – und eine Kollektion zu entwickeln, die zu einer besseren Modeindustrie beiträgt.

In seinem Design verbindet er technische und abstrakte Inspirationen: Er erforscht den menschlichen Körper im Hinblick auf die Formen, die dieser in Verbindung mit Kleidung annehmen kann. Die zeitgenössische Verortung erfolgt auf kultureller Ebene. Aktuell setzt er sich mit Technologien und deren aggressiven Eingriffen in die Privatsphäre und Identität auseinander.

Ein Ansatz, der sich auch in der Bildsprache wiederfindet, die er gemeinsam mit dem Berliner Fotografen Hendrik Schneider entwickelte: Die Fotos zeigen Models in Posen, die unbequem und/oder widerständig wirken - und herrschende Modebegriffe ebenso in Frage stellen, wie Gender und soziale Codes. Dadurch öffnet sich ein weiter Interpretationsrahmen, der individuelle Deutungen zulässt.

Nachfolgendes Interview ist bei der ersten Kollektionspräsentation von Martin Niklas entstanden:

Was hat euch zur Gründung bewegt?

Es war irgendwie der richtige Zeitpunkt gekommen. Wir haben 1 ½ Jahre darauf hingearbeitet, um uns den Start leisten zu können und nicht gleich extremen Verkaufsdruck zu haben. Dadurch haben wir Zeit und Spielraum, um unsere Vision zu entwickeln und Vertrauen aufzubauen. Es wird ein paar Saisonen dauern, bis wir uns etabliert haben.

Dieser Artikel könnte Sie auch interessieren: Wie man Kleidung wahrnimmt, wenn man sie trägt

Wie fühlt es sich gerade an?

Ich bin schon lang im Business und doch kommen so viele neue Dinge auf uns zu. Vor allem im Entrepreneurship gibt es so viel zu lernen. Wir wollten eigentlich ohne Showroom beginnen. Aber als dann alle Kanäle offen waren und auch die Produktion schon in den Startlöchern stand, haben wir uns doch dafür entschieden. Mit der Konsequenz, dass wir jetzt ständig kommunizieren und auf Anfragen reagieren müssen. Das ist gerade ziemlich intensiv.

Martin Niklas Wieser, genderfluide Mode, Nachhaltige Mode
Foto oben: Design Martin Niklas Wieser (c) Hendrik Schneider

Wie seid ihr organisiert?

Das Team steht klar im Vordergrund. Jeder trägt mit seiner Meinung bei. Deshalb war es nicht selbstverständlich dem Label meinen Namen zu geben. Aber schon mein erstes Label, das ich 2015 in Berlin gegründet habe, lief unter meinem Namen. Deshalb haben wir entschieden, den Namen weiterzuführen. Trotzdem ist Martin Niklas Wieser ein totaler team act. Die Modeindustrie ist enorm fordernd und es ist wichtig, gut und harmonisch zusammenzuarbeiten, sonst ist es einfach zu anstrengend. Vor allem wenn man noch ganz am Anfang steht. Dazu braucht es ein gutes Team, sonst funktioniert das nicht.

Mein Partner Adam kommt aus dem Bereich Wissen und Organisation und ich komme aus dem Design. Die meisten Mitarbeiter kennen wir schon länger. Mit unserem Stylisten habe ich schon früher zusammengearbeitet – und Schnittentwicklung und Designconsulting macht ein Freund von mir. Eine befreundete Journalistin unterstützt uns in der Kommunikation – und im Herausarbeiten der Identität. Dazu kommen dann noch unsere Produzenten in Prato, wo wir mit einem Stricker und einem Konfektionär zusammenarbeiten. Das ist unser Kernteam. Aber es spielen natürlich noch mehr Leute eine Rolle. Wie etwa die Textildesignerin, mit der wir die Drucke entwickeln oder die Models - und der Fotograf, mit dem wir unsere Shootings machen. Auch sie sind aus unserem Freundes- und Bekanntenkreis.

Das Atelier befindet sich in Wien?

Ja und wir wollen es auch noch weiter ausbauen. Wir machen viel selber und möchten die Kollektionsentwicklung eigentlich gänzlich vor Ort abwickeln. Ich arbeite auch selber an den Schnitten und Prototypen mit. So können wir ein paar Schritte überspringen und unsere Ideen schnell in die Produktion schicken.

Um unabhängiger zu sein?

Ja - und es macht auch kostentechnisch viel mehr Sinn. Wir sourcen auch die Materialien selber. Wobei wir viel Deadstock in Italien kaufen.

Mit welcher Art Deadstock arbeitet ihr?

Wir kaufen in Prato, wo es im Moment noch sehr viel Deadstock gibt. Das geht natürlich nur bis zu einer bestimmten Menge. Aber da wir noch ganz am Anfang stehen und mit geringen Stückzahlen arbeiten, ist es sehr sinnvoll, mit Deadstock zu arbeiten. Generell ist es sinnvoll, schon Existierendes aufzukaufen, um nicht neu produzieren zu müssen. Ich fand es schon immer schade, wenn vorhandenes Material nicht verwendet wird. Obwohl es für uns aufwändiger ist, weil wir viel unterwegs sind, um die Stoffe zu suchen. Außerdem sind wir auf das angewiesen, was gerade da ist – auch in den Farben. Gleichzeitig können wir mit Deadstock spontaner agieren und das ist uns sehr wichtig.

Im Strick ist das einfacher, weil wir mit Garnen arbeiten.

Daddy Shirt by Martin Niklas Wieser, genderfluide Mode, nachhaltige Mode
Daddy Shirt by Martin Niklas Wieser (c) Ladislav Kyllar

In welchem Handelstyp möchtet ihr eure Kollektion sehen?

Wir arbeiten mit einem Showroom in Paris und dessen Positionierung gibt schon eine Richtung vor – aber im Endeffekt wird das Pricing entscheiden. Derzeit gehen wir von einer Einstiegspreislage im Luxussegment aus. Wir arbeiten mit hochwertigen Materialien und auch die Modellentwicklung ist aufwändig. Aber wir sind flexibel und haben die erste Kollektion preislich etwas breiter gefächert, um zu testen, was für uns sinnvoll ist. Wenn wir wissen, welche Shop-Kategorie auf die Kollektion anspricht, dann können wir uns daran orientieren.

Die Modeindustrie ist ein toughes Business, das man erst mit der eigenen Vision vereinbaren muss. Aber wir sind immer offen für den Dialog. Weil es erst richtig Spaß macht, wenn man in Dialog tritt - involviert ist - Feedback bekommt - und auch gibt. Das ist das eigentlich Spannende. Bekleidung ist auch ein Medium, über das man sich austauschen kann.Martin Niklas Wieser

Wie setzt ihr eure nachhaltigen Ziele um?

Wir produzieren Langlebiges und gehen von einer nachhaltigen Nutzung aus. Aber trotzdem produzieren wir für den Konsum. In den Stückzahlen sind wir relativ offen, möchten aber Überproduktion vermeiden. Darüber hinaus achten wir darauf, dass wir vorwiegend Materialien verwenden, die biologisch abbaubar sind.

In der ersten Kollektion für Sommer 2023 haben wir 25 Styles und in der Winterkollektion 2023/24 werden es dann circa 40 sein – mit einem hohen Anteil an carry-overs. Wir wollen einzelne Modelle permanent weiterentwickeln und verbessern, beziehungsweise in Farben und Stoffen variieren. Idee ist es, über die Zeit eine große Kollektion zu entwickeln.

Es macht mir Spaß, mich in einzelne Styles zu vertiefen, um am Ende sagen zu können, so gut wie möglich. Aber mit der Zeit wird einfach alles besser. Die Kollaboration mit Partnern, die Zwischenabläufe, die Kommunikation - und auch die Identität wird klarer.

In meinem ersten Projekt war es so, dass ich einfach nicht die Kapazitäten hatte, auch an den Vertrieb zu denken. Aber jetzt engagieren wir uns sehr im Vertrieb und es kommen auch wichtige Informationen zurück. Die Modeindustrie ist ein toughes Business, das man erst mit der eigenen Vision vereinbaren muss. Aber wir sind immer offen für den Dialog. Weil es erst richtig Spaß macht, wenn man in Dialog tritt - involviert ist - Feedback bekommt - und auch gibt. Das ist das eigentlich Spannende. Bekleidung ist auch ein Medium, über das man sich austauschen kann.

Bomberjacke aus Duchesse von Martin Niklas Wieser, genderfluide Mode, nachhaltige Mode
Bomberjacke aus Duchesse von Martin Niklas Wieser (c) Ladislav Kyllar

Aus der Perspektive des Stils - was fehlt am Markt und womit wollt ihr beitragen?

Ich weiß nicht, ob mir etwas fehlt, es gibt so viel auf dem Markt. Da reinzupreschen und zu sagen, das gibt’s noch nicht, da müssen wir jetzt hin … Aus meiner Sicht sind die Entwicklungen relativ fluide und beeinflussbar. Ich glaube, jeder Mensch in unserer Gesellschaft kann Einfluss darauf nehmen. Ein Modelabel zu gründen, ist auch eine Form von Partizipation und Meinungsaustausch. So sehe ich es eher. Das ist unsere Motivation und das wollen wir versuchen.

Einbringen?

Ja, einbringen. Ich finde, viel mehr Leute sollten sich einbringen. Und ich bringe mich eben auf diese Weise ein.

Und dann muss es eben sinnvoll sein – im Sinne von, dass es auf wichtige Fragen eine Antwort gibt?

Ja, genau. Die wichtigen Fragen stehen ja sowieso im Raum und man muss sich damit auseinandersetzen. Fragen wie ‚was produzieren wir‘, oder, ‚muss es denn sein‘. Mein Ansatz ist gar nicht so ego-driven, sondern entspringt einem tiefen Bedürfnis zu kommunizieren - und die Kollektion ist eben meine Art zu kommunizieren. Ich glaube, es ist schon sinnvoll, wenn man etwas zum Diskurs beitragen kann. Wir achten darauf, dass wir gute Rohstoffe verwenden und fair produzieren und so weiter - und auf diese Art kann man ja auch andere Dinge verdrängen. Man muss aber eben auch wirklich aktiv werden, weil sonst wird dieser Space erst gar nicht geschaffen. Das kommt ja nicht von selbst. Und darin sehe ich auch meine Motivation.

„Kleidung ist ein soziales Medium. Aber die allgemeine Zugänglichkeit ist von der Preislage abhängig und deshalb nicht immer gegeben.“Martin Niklas Wieser

Wie können Modeschaffende zu sozialen Themen beitragen?

In sehr großem Umfang, Bekleidung ist ein soziales Medium. Schwierig ist die allgemeine Zugänglichkeit, die von der Preislage abhängt und deshalb nicht immer gegeben ist. Das ist der Knackpunkt. Aber, wenn Dinge unter höchstem Einsatz hergestellt werden, dann haben sie auch einen bestimmten Wert, der entsprechend geschätzt werden muss. Auch wenn es abgedroschen klingt - aber vielleicht konsumiert man dann weniger. Das wäre eine Option. Aber natürlich sind auch wir abhängig vom Markt, den wir nur zum Teil beeinflussen können.

Trotzdem positionieren wir uns im Luxussegment. Darin liegt für mich eine intrinsische Diskrepanz, weil ich selber aus der Arbeiterklasse komme und mich darin auch stark verankert sehe. Deshalb stelle ich mir die Frage laufend. Aber gleichzeitig will ich auch die Grenzen austesten.

Ich finde die Modeindustrie spannend, gerade weil sie prekär ist. Und in diesem prekären Gefüge stellen sich eben sehr große Fragen. Wobei man nicht jede Frage immer gleich beantworten muss. Ein paar Fragen müssen auch noch weiter erforscht werden. Und unweigerlich ist man auch ein Wesen, das sich im Kapitalismus einfügt.

Die soziale Verankerung von Mode zeigt sich auch in Trends - die zwar momentan verpönt sind, aber ich finde sie trotzdem sehr spannend, weil sie Entwicklungen in unserer Gesellschaft aufzeigen und lesbar machen. Das fasziniert mich. Ich beschäftige mich auch gern mit der Realität des Konsums.

Vor dem Hintergrund der großen globalen Krisen sprechen wir oft darüber was wäre, wenn alles untergehen würde. Aber diese Gedanken hindern uns nicht daran, weiter Party zu machen. Why not, würde ich ein bisschen provokant sagen. Ich denke, es ist etwas sehr Menschliches, einfach leben und sich ausdrücken zu wollen. Diesen Impuls gibt es. Man muss ihn vielleicht ein bisschen dirigieren, aber an sich ist er nicht schlecht.

Wir sind sehr realistisch in der Art, wie wir auf den Markt treten und wie wir die Chance wahrnehmen, kleine Dinge zu verändern, why not?

Danke für das Gespräch.

Über Martin Niklas Wieser:

Für Martin Niklas Wieser ist es schon das zweite Label. Das erste gründete er 2015 gleich nach der Kunsthochschule Berlin-Weißensee in Berlin. Aber dann entschied er doch noch mehr Arbeitserfahrung zu sammeln und designte bei Nicolas Andreas Taralis in Paris und bei Proenza Schouler in New York. Zurück in Europa, machte er einen Master of Research in London und arbeitete dann als Trend Consultant bei MyTheresa in China. Die Zeit der Pandemie verbrachte er in Wien, wo er im September 2022 gemeinsam mit seinem Partner Adam Tilicek gründete. Neben der Arbeit an seinem Label ist Martin Niklas Dozent im Lehrgang Fashion & Technology (FAT) an der Kunstuniversität Linz.

Dieser Artikel könnte Sie auch interessieren: Christina Seewald referiert auf gesellschaftliche Geschlechter-Stereotypen

Dir gefällt, was Hildegard schreibt?

Dann unterstütze Hildegard jetzt direkt: