Ich bin jetzt bereits mehrere Jahre Sexarbeiterin, habe aber ausschließlich Kunden im Hotel oder bei ihnen zuhause besucht. Oft bekam ich deshalb zu hören, ich wäre privilegiert und könne nicht mitreden, wenn es um Kolleg*innen geht, die auf dem Straßenstrich stehen oder in Laufhäusern arbeiten.

Deshalb, und weil ich generell ein neugieriger Mensch bin, habe ich es nun einfach einmal getan: Ich habe mich auf einen Straßenstrich gestellt.

Wer mich kennt weiß, dass ich einige Grundsätze und Tabus habe und außerdem auf meine Sicherheit achte. Deshalb bin ich auch hier nicht einfach spontan losgedüst, sondern habe geschaut, wo es legal ist, eine gewisse Sicherheit herrscht etc. Außerdem habe ich mich vorbereitet.

So habe ich wie alle Kolleg*innen immer bestimmte Dinge dabei, wenn ich einen Kunden besuche. Kondome natürlich, Gleitgel, Handcreme, Parfum, Atemspray...

Das alles kam auch hier mit, aber natürlich entsprechend mehr Kondome, denn ich traf ja nicht nur einen Kunden sondern würde (hoffentlich) mehrere Male mit jemandem einig. Außerdem kamen Feuchttücher dazu, duschen vor Ort fiel ja auch weg. Ein paar kleinere Geldscheine, aber in der Summe nicht zu viele und dazu noch die Pflichtdokumente, falls eine Kontrolle kommt.

Der nächste Punkt auf meiner imaginären Checkliste war die Kleidung. Auch wenn es seltsam klingen mag, ich bin kein besonders exhibitionistischer Mensch und kleide mich eher unauffällig. Hier jedoch wäre das kontraproduktiv. Außerdem musste ich bedenken, dass ich mich nicht umständlich und lange an- und ausziehen kann, sondern das möglichst mit wenigen Handgriffen erledigt sein sollte.

Ich entschied mich dann für einen kurzen Rock, halterlose Strümpfe, einen engen Pulli und eine kurze Jacke. Figurbetonend, leicht auszuziehen und trotzdem noch warm genug um damit im Freien zu stehen. Im Prinzip ein Outfit, wie ich es auch gelegentlich beim Weggehen trage, jedoch war das Gefühl ein anderes, als ich damit das Haus verließ.

Der Strich selbst war ein gutes Stück entfernt von zuhause, was auch beabsichtigt war, schließlich wollte ich nicht ausgerechnet dort einem Nachbarn begegnen oder dergleichen. Denn klar, ich zeige mich öffentlich und das in einer eindeutigen Weise. Da gibts keine Vorauswahl wie sonst. Das weiß man zwar theoretisch, bewusst wird es einem aber erst, wenn es wirklich soweit ist.

Ich erwähnte am Anfang, dass ich mich auf verschiedene Weisen absichere. Natürlich galt das hier besonders. Eine dieser Sicherheitsmaßnahmen ist eine sehr gute Freundin, bei der ich mich zu festen Zeiten melde und die aktiv wird, wenn sie nichts von mir hört. Fast wäre es daran gescheitert, sie konnte an dem Abend nämlich nicht. Glücklicherweise sprang jemand für sie ein, bei dem ich mich ähnlich sicher fühlte, denn sonst hätte ich das abblasen müssen.

So aber wurde es ernst und ich traf zum ersten Mal am Straßenstrich ein, mit dem Ziel mich dort zu zeigen und Geld zu verdienen.

Das Geld ist auch so eine Sache, die gerne genommen wird, um zu belegen, dass ich mit meiner Arbeitsweise privilegiert wäre und keinen Bezug zur harten Wirklichkeit anderer Kolleg*innen hätte. Aber das gilt nur so lange, bis man mal nachrechnet. Mein Stundensatz ohne Extras (wie z.B. Analsex) liegt bei 150 Euro. Wenn dagegen auf dem Strich 30-40 Euro für die gleiche Leistung berechnet werden, klingt das natürlich nach einem gewaltigen Unterschied. Jedoch relativiert sich das massiv, wenn man berücksichtigt, dass hier auch bereits nach 15-20 Minuten alles vorbei ist. Auf die Stunde gerechnet ist der Unterschied gar nicht mehr so gewaltig.

Ich traf also ein und schaute erst einmal, wo eine Stelle frei war, denn ich wollte niemandem den Platz streitig machen. Es war nicht sonderlich voll, so dass dies kein großes Thema war. Zur Sicherheit fragte ich meine potenzielle Nachbarin trotzdem, aber sie schüttelte den Kopf. Kein Problem, nur etwas Abstand zu ihr bitte. Na klar.

Ich war also da, hatte mich vorbereitet, gestylt, einen Platz und nun hieß es, Kunden für mich zu gewinnen. Es ist gar nicht so leicht, sich in aller Öffentlichkeit anzubieten und den Blicken aller Passanten und Autofahrer auszusetzen. Ich fühlte mich, als würde ich geröntgt und fragte mich unwillkürlich, ob alles richtig sitzt, ich keinen unschönen Pickel zu überschminken vergessen hatte oder ob nicht eine Laufmasche in den Strümpfen war, die ich nicht bemerkt hatte. Eine gewisse Unsicherheit also und auch Schüchternheit, die es aber zu überspielen galt. Denn ich wollte ja etwas und dazu musste ich mich auch offensiv zeigen. So atmete ich durch und suchte Augenkontakt, ohne aber mich Leuten in den Weg zu stellen oder sie anzuquatschen. Offensiv ja, aufdringlich nein.

Nach einer Weile kannte ich einige schon, die im Kreis gingen bzw. fuhren und regelmäßig unsere Körper abcheckten, ohne aber jemanden anzusprechen. Voyeure, bei denen vermutlich hinterher die Hand gratis den Job erledigte, wenn sie sich genügend Vorlagen für ihr Kopfkino geholt hatten. Lästig, aber mit sowas war natürlich zu rechnen. Angesprochen wurde ich aber auch recht bald und auch wenn es in vielen Fällen dabei blieb und sie zur nächsten weiterzogen, wurde ich mir doch ziemlich oft mit jemandem einig. Öfter als ich vermutet hatte, vor allem als ich meine Konkurrenz erblickte. Denn das Klischee, am Strich wären in erster Linie verlebte Frauen mit Drogenproblem und/oder Zuhälter, konnte ich nicht bestätigt sehen. Mit meiner Nachbarin kam ich später auch etwas ins Gespräch und verstand mich trotz der direkten Konkurrenz recht gut. Sie kam aus Polen und arbeitete bereits seit zwei Jahren hier.

Mein erster Kunde nahm mich mit in einem Mittelklasseauto und an die beengte Arbeitsfläche musste ich erst etwas gewöhnen. Zum Glück hatte ich ja Kleidung gewählt, die nicht viele Umstände machte, trotzdem dauerte es einen Moment, mich freizumachen. Aber auch das ist eine reine Übungssache, am Ende des Abends hatte ich es drauf.

Gegen Mitternacht wurde es dann Zeit, das Experiment zu beenden und ich zog ein Fazit für mich. Finanziell war es okay, vor allem, weil es auch Kunden gab, die Extras wollten und entsprechend auch einen Aufpreis zahlten. Trotzdem hätte ich bei zwei Terminen im Hotel wohl mehr verdient, hätte zwischendurch und danach geduscht und auf einem komfortablen Bett gearbeitet. Ich hätte den Termin zuhause oder unterwegs am Handy vereinbart und diskret dahin unterwegs sein können. Die bezahlte Zeit hätte nicht nur aus Sex bestanden, sondern auch Lücken gehabt, in denen man spricht, etwas trinkt oder einfach gemeinsam ein paar Minuten chillt.

Statt dessen stand ich in der Öffentlichkeit, ließ mich von jedem Fremden mustern, bot mich an und wenn es dazu kam, dann in einem engen Auto und unter Zeitdruck, denn je eher der Kunde fertig war umso schneller konnte ich wieder stehen und hoffentlich den nächsten finden.

Auf diese Weise zu arbeiten macht etwas mit einem. Es macht selbstbewusster, denn man kann sich nicht verstecken und wird nicht nur offensiver, wenn es gilt, die potenziellen Kunden anzuschauen sondern auch was das eigene Selbstbild angeht. Ich bin was ich bin, so what!

Gleichzeitig härtet es auch ab. Seine Kunden sich hier zu erkämpfen und sich auch der Konkurrenz ganz direkt zu stellen, ist nicht easy.

Und natürlich ist es auch deutlich gefährlicher, schließlich kann ich die Kunden nicht vorher abchecken, ich kann keine Bewertungen lesen oder schauen, wo im Hotel der Notausgang ist - ich bin mit einem buchstäblich Fremden allein in seinem Auto und kann mich hauptsächlich erstmal nur auf meine Menschenkenntnis verlassen. Es wäre blöd, das abstreiten zu wollen.

Zuhause habe ich dann erstmal lange und ausgiebig geduscht.

Respekt vor allen Kolleg*innen, die am Strich arbeiten. Und das nicht nur bei relativ gutem Wetter wie es an dem Tag herrschte. Gleichzeitig aber auch die Bestätigung für mich, dass ich das ebenfalls kann. Und trotz der Widrigkeiten hat es durchaus auch Spaß gemacht. Viele Kunden waren freundlich und unkompliziert und mit der polnischen Kollegin habe ich weiterhin Kontakt.  

Bereuen tue ich die Erfahrung nicht und ich habe es auch nicht bei einem mal belassen, sondern mich sporadisch wieder dort hingestellt.