Ein Leben kann sich innerhalb eines Momentes um 180 Grad drehen.
15. April 2015. Genau an diesem Tag stand das BKA vor der Tür und hat die gesamte Wohnung meiner Mutter durchsucht, um nach Beweismitteln für eine Straftat zu suchen, die ich begangen habe ...
Anfang 2014
(Zu dem Zeitpunkt war ich sehr zurückgezogen. Sehr viel Call of Duty und sehr wenige soziale Kontakte. Sehr blöde Mischung. Grundwissen über Computer und gerade mal so ungefähr verstanden, was überhaupt ein Hacker macht. )
Über Anonymous habe ich bereits etwas gehört. Diese Hackergruppe, die sich für Gutes in der Welt einsetzt. Gegen das System, gegen die Ungerechtigkeiten der Welt. Das ist cool, das will ich auch. Dachte das 16-Jährige ich.
Also, gesagt, getan. Die ersten Google-Versuche, um an die Hintermänner der geheimen Hackergruppe zu kommen, scheitern.
Aber nach vielleicht gerade mal 20 Minuten Recherche entdeckte ich mein Ziel. Einen IRC-Server nur für Anonymous-Mitglieder. Ein nettes Web-Interface hat mich begrüßt und mich direkt in deren Newblood-Channel verfrachtet.
So weit, so gut.
Die ausschließlich Englisch sprechenden Mitglieder des Channels haben mich begrüßt und nach meiner Frage, ob es auch einen deutschen Channel gab, in jenen Chatraum weitergeleitet.
Das erste Aufeinandertreffen
Das erste Aufeinandertreffen verlief nicht, wie ich gedacht habe. Circa 20 Personen im Chatraum. Und es wurde sich über meinen Nutzernamen lustig gemacht….. Ja Nö. So hab ich mir das Ganze nicht vorgestellt.
“Wie kann ich euch denn unterstützen..?, ich will helfen. Ich möchte Mitglied werden”
waren meine ersten Worte.
“Geh Raus. Ändere dein Nick. Dann komm nie wieder ”, antwortete ein User im Chat. Das war jetzt diese geheime Hackergruppe, die ich bewundert habe für Ihr soziales Engagement ?
Daraufhin bin ich aus dem Chatraum raus und habe mich die erste Zeit wieder auf Gammeln und Call of Duty konzentriert. Paar Tage später habe ich mich erneut gewagt, den Chat aufzusuchen, um möglicherweise einen Neustart zu wagen.
Nur noch 10 Mitglieder in dem Raum. Keine Aktivität.
Was ist Anonymous .. ?
Zwischenzeitlich habe ich mich informiert, was Anonymous überhaupt ist. Anonymous ist gar keine Hackergruppe, sondern ein Kollektiv. ( Hier mehr dazu ).
Also ohne Anführer, ohne Struktur, ohne genauen Plan. Mach mit, wenn du willst, oder lass es. Wenn du was bewegen willst, ist Anonymous ein Banner, welches du benutzen kannst, um deine Ziele zu erreichen. Sei es das Schlachten von Walen, das Unterstützen von WikiLeaks oder eben die Bekämpfung von Scientology.
Die berühmten Videos mit dem epischen Grundtenor und den Gesellschaftskritischen Inhalten, teilweise mit Verschwörungstheorien mit sehr hohem Aluhutfaktor, sind zum größten Teil von kleinen Gruppen oder einzelnen Personen kreiert worden, die Anonymous als Sprungbrett benutzen wollten, um Ihre Nachricht in die Welt zu posaunen.
Zum Mitschreiben.
Es gibt kein “Offizielles Anonymous”. Es gibt keinen Anführer. Keine Offiziellen Accounts. Jeder, der dir was anderes erzählen will, weiß nicht was Anonynmous überhaupt ist oder will dich nur trollen.
Chillen mit Anonymous
Nachdem der Deutsche Channel so gut wie tot war, erkundete ich einige andere Channels des IRCs.
Den Hauptchannel sowie andere Channels, die für die Themen Hacking, DDoS und Programmieren vorgesehen waren, nahm ich genauer unter die Lupe.
Diesmal nette Leute.
Im Hauptchannel hat man sich über alle möglichen Themen unterhalten wie Politik, Wirtschaft und ganz normale Alltagsgespräche. Da meine Englischkenntnisse sehr gut sind, habe ich mich dort sehr gut aufgehoben gefühlt. Die anderen Channels habe ich aufgesucht, um zu lernen.
Der Hauptchannel und die anderen Channels waren viel besser besucht. 120–200 Leute im Hauptchannel, sowie circa 100 Leute in den jeweiligen Channels rund ums Hacken.
Nebenbei habe ich mich natürlich mit der gesamten Thematik rund ums Hacken und Programmieren beschäftigt (Wenn man den gesamten Tag vorm PC und der Konsolen hängt, kann man einiges an Wissen aufsaugen)
Wochen vergingen….
Es lief sehr gut. Ich war sehr gerne in diesen Chaträumen unterwegs und habe die ersten “Freunde” kennengelernt. Im Deutschen Channel war ich mittlerweile akzeptiert und habe dort auch täglich mit den Mitgliedern des Channels geschrieben.
Ich habe in dieser Zeit enorm viel gelernt und habe nur noch auf eine Gelegenheit gewartet, meine neu gelernten Fähigkeiten zu benutzen…
#OpISIS, meine erste Operation
(Disclaimer: Ich empfehle niemandem den beschriebenen Weg hier nachzugehen. Ich habe zwar extrem viel gelernt, aber auch extrem viel Unheil innerhalb meiner Familie angerichtet. Dazu war der “Ruhm” es nicht wert. Also bitte. Lasst es. )
Der Terror der ISIS ist im Westen angekommen. ISIS Propagandisten haben sich entschlossen das Internet als Plattform zu nutzen, um Personen an die ISIS heranzuführen und zu rekrutieren. Hauptsächlich Facebook und Twitter wurden von den ISIS-Anhängern benutzt.
Innerhalb des Chats stieß das auf starken Unmut. Die Administratoren kreierten die Channel: #OpISIS.
Meine Chance war gekommen.
Ich betrat den Chat und es ging direkt heiß her. Pläne um die ISIS zu stoppen wurden geschmiedet und erste Ideen verbreitet. Admins und das “PR-Team” waren am arbeiten.
Die #OpISIS wurde ausgerufen. Und ich mittendrin.
Kurz nach dem Aufruf der unzähligen Twitter Accounts und dem herausgeben der klassischen Videos ging es los. Medien nahmen die Story natürlich dankbar auf und verteilten die Nachricht. Hunderter Neuer Nutzer fluteten den IRC. Alle wollten helfen, den IS zu bezwingen. Mit meiner Hilfe entwarfen wir einen Bot in Python, welcher Twitter und Facebook-Profile meldete. Dieser Bot musste allerdings gespeist werden. Da kamen die Hunderten an Freiwilligen natürlich gerade recht.
Sie sammelten die URLs von Profilen, welche IS-Propaganda verbreiteten und jene Profile wurden in einer Liste gesammelt. Eine Anleitung, wie man den Bot zu verwenden hat, war natürlich auch schon längst fertig.
Erste Erfolge zeichneten sich ab
Nur, dies reichte mir nicht aus...
Über 9000 Kanonen
Kleinere Gruppen haben sich zusammengefunden, um härtere Geschütze aufzufahren.
Angriffe auf ISIS-Webseiten wurden durchgeführt sowie Foren und Social-Media Accounts ins Visier genommen.
DDoS, SQL Injektionen und Social Engineering wurden hauptsächlich benutzt, um an Daten der IS-Propagandisten heranzukommen oder Ihren Internetauftritt zu stören.
Meine Aufgabe war, jene Internetauftritte ausfindig zu machen und nach Schwachstellen zu suchen.
Soweit, so gut.
Hätte ich hier so weiter gemacht, wäre mir wahrscheinlich nichts passiert. Nur sucht man in dieser Internetwelt immer mehr Aufmerksamkeit. Genau da war der Fehler. Durch einen “Internetbekannten” habe ich Zugriff auf ein Botnet bekommen.
Genau hier hat meine Spirale nach unten angefangen…
Pew Pew #TangoDown
Ich wusste was ein Botnet war und wusste auch, dass es zu sehr miesen Zwecken genutzt werden kann. Aber das war mir egal. Ich hatte eine große Waffe in meinen Händen und wollte diese auch benutzen.
Wir sind jetzt in der Timeline ungefähr im Januar 2015.
Ich hatte lokale Ziele im Visier. Zu der Zeit war die Vorratsdatenspeicherung mir ein Dorn im Auge. Ich konnte nicht verstehen, wieso der Staat immer mehr Daten von den Bürgern abgreifen wollte und vor allem war es in den Medien. In meinem Kopf ergab sich folgende Gleichung.
Medienpräsenz = Aufmerksamkeit + Profit.
Also war mein nächstes Ziel klar. GroKo
Meine DDoS-Attacken richteten sich gegen alles, was sich mit der GroKo verbinden lässt.
Die Webseiten der CDU und SPD waren unter Dauerfeuer. Sowie die Webseiten von Sigmar Gabriel als auch Yasmin Fahimi’s waren zum größten Teil über mehrere Tage offline.
Nur. Wo bleibt meine Aufmerksamtkeit …. ?
Absoluter Fehlschlag.
Ich habe nach einigen Tagen Selbstmarketing über Twitter die Flinte ins Korn geworfen. Niemanden hat es gejuckt, außer ein Paar Personen der Community.
Das war’s wohl. Nix mit der großen Aufmerksamkeit. Nix mit dem Ruhm.
Egal.. Hab ja noch mein Call of Duty.
Doch was 2 Monate später passieren sollte, hat mein Leben von Grund auf verändert.
April 2015
Mein Leben hat sich nicht großartig geändert bis zu dem Zeitpunkt. Immer noch hauptsächlich am Gammeln. Immer noch am Zocken.
Ich war durchgehend bei #OpISIS aktiv und hatte kleinere Projekte am Laufen nebenbei.
Bis zum 15. April 2015. So gegen Mittag.
Meine Mutter und ich wollten zum nahelegenden Supermarkt einkaufen. Wir waren bereits draußen, als ein Trupp von mehreren Männern auf uns zu kam. Die Männer liefen an uns vorbei ins Haus.
Ich dachte mir nix Böses. Liefen ja an mir vorbei.
Verdächtig waren dennoch die Autos der Männer, welche im Hof des Hauses geparkt hatten. Berliner Kennzeichen mit einer Polizei Kelle auf dem Rücksitz.
Meine Neugier war gepackt. Ich, nichtsahnend, ging den Männern hinterher und wollte sehen, was die da genau machen.
Daraufhin stand ein Trupp von 5–6 Männern im Flur des mehrstöckigen Hauses in einer militärmäßigen Formation. Wie in den Filmen.
Ich blickte nach oben und direkt schauten mich 2 der Männer an. Ich lief nach draußen, um meiner Mutter zu berichten, was da vor sich geht. Kurz darauf kamen alle Männer nach draußen und umzingelten mich..
Einer der Männer : “Sind Sie Kevin Dylla ?”
Ich : “ähhm… Ja? “
Mann: “Wir haben einen Durchsuchungsbefehl, es geht um den Verdacht der Computersabotage”
Mist. Das kann nicht sein.
Die nächste Stunde durchsuchten Forensiker, Polizisten und 2 Männer des BKA’s meine Wohnung. (Die Wohnung meiner Mutter natürlich)
Meine Mutter war extrem gestresst. Sie hatte noch nie mit der Polizei zu tun gehabt, und dann gleich mit dem BKA ???
Meine Mutter war unter Schock. Ich nahm diese Sache komischerweise extrem gelassen. Ich hatte wahrscheinlich gar nicht realisiert, was vor sich ging.
Die Beamten luden mich mit all meinen Sachen (PC, Konsole, ein Paar Unterlagen) in ihr Auto und zur naheliegenden Polizeiwache zum Verhör.
Erkennungsdienstlich erfasst. Das ganze Protokoll durch, mit Befragung und allem.
~ 2 Stunden später….
Ich war fertig mit den Nerven. Ich bin nach draußen gekommen und nahm meine Mutter in den Arm und erklärte ihr alles. Ich war absolut angeekelt von mir selbst und was ich meiner Mutter angetan habe.
(An dieser Stelle großen Respekt an die Beamten vom BKA, die mit dieser Sache sehr professionell umgegangen sind. Sie waren durchgehend sehr respektvoll mir und meiner Mutter gegenüber. Sie haben auch sehr verantwortungsbewusst mit meiner (sehr nervösen) Mutter gesprochen und sie in keiner Weise bedrängt. Danke dafür.)
Danach war alles recht neu für mich.
Ich bin aus meiner Blase raus geholt worden und habe mir in dieser Zeit sehr viele Gedanken gemacht. Es war in der Zeit wahrscheinlich das Beste, was mir passieren konnte (im Nachhinein).
Einige News-Artikel erschienen rund um die Sache nach der Bekanntgabe der Staatsanwaltschaft Frankfurt.
Hier 2 Artikel zum Nachlesen : N-TV Tagesspiegel
Das Ende der Geschichte
Um niemanden zu langweilen, fasse ich den Rest kurz zusammen.
Ich habe mich bei der Jugendgerichtshilfe gemeldet. Daraufhin präventiv eine soziale Maßnahme gemacht, welche über ein Wochenende ging.
Ein Jahr später, im April 2016, war die Verhandlung.
4 Fälle der Computersabotage.
Durch die soziale Maßnahme und das Geständnis auf meiner Seite wurde ich zum Glück nur verwarnt….
Fazit
Nicht nochmal.
Bis Heute ist das Interesse an Computern geblieben und ich nehme sehr viel Wissen aus der ganzen Sache mit.
War es das Wert: Ganz bestimmt nicht.
Disclaimer:
Dieser Post ist bereits 1 Jahr alt. Ich plane eine neue Version zu schreiben, sobald ich die Zeit und die Lust dazu finde. Kritik nehme ich gerne entgegen.
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