Die Frage danach, was wahr ist, ist eine nicht immer leicht zu beantwortende Frage. Was für den einen wahr ist, kann für den anderen unwahr sein. Wollen wir aber herausfinden, was wirklich wahr ist und wo Wahrheit liegt, so darf Wahrheit nicht als relativ betrachtet werden. So zeigt sich: Was für den einen als wahr gedacht wird, kann für ihn nur als richtig gelten, wenn es für den anderen nicht als wahr und somit falsch gilt.  Diese Betrachtungsweise finden wir vor allem in den empirischen Naturwissenschaften. Dort gilt als wahr jenes, das beweisbar und überprüfbar, in diesem Sinne reproduzierbar ist und unter gleichen Umständen die Regel, also allgemeingültig ist. Die Erfassung von Wahrheit unterliegt hier also einer gewissen Methodik, die bei Anwendung auf gleiche Sachverhalte immer zu gleichen Ergebnis führen soll. Zumindest ist dies der wissenschaftliche Anspruch an Wahrheit.

Diese Methodik findet vermeintlich auch in vielen Rechtssystemen Anwendung. Betrachten wir etwa Grund- und Verfassungsrechte, so sollen diese allgemeingültig sein, sie sind reproduzierbar in dem Sinne, dass sie bei gleichen Sachverhalten stets der gleichen Anwendung unterliegen. Ihre Wahrheit liegt darin, dass sie unveräußerlich sind und immer gelten. Sie sind die Regel. Sowie  grundlegende wissenschaftliche Wahrheiten, mit welchen weitere wissenschaftliche Erkenntnisse im Einklang stehen müssen, so müssen weitere Rechte und Gesetze auch mit den Grund- und Verfassungsrechten im Einklang stehen.

Der Unterschied zwischen Wissenschaft und Recht besteht nun allerdings darin, dass die Wissenschaft aufgeteilt ist in verschiedene wissenschaftliche Systeme, also Bereiche, die verschiedene Dinge behandeln (soziales, physikalisches, historisches usw.). Rechtssysteme sind zwar auch voneinander verschieden (bspw. das deutsche vom englischen Rechtssystem), behandeln jedoch die gleichen Dinge, nämlich das Zusammenleben der Menschen, ihre Freiheiten und Pflichten, und ihre Beziehungen zum Staat und zueinander. Da wir schon erfasst haben, dass Wahrheit den Anspruch der Allgemeingültigkeit führt, verschiedene Rechtssysteme jedoch gleiche Sachverhalte verschieden beurteilen und behandeln, muss Recht von Wahrheit verschieden sein. Wie das eine Rechtssystem einen Sachverhalt beurteilt, ist innerhalb dieses Systems zwar richtig, jedoch ist es darüber hinaus nicht automatisch allgemeingültig und entspricht somit keiner Wahrheit.

Der Umstand, dass wir so etwas wie Menschenrechte kennen, die allgemein gelten sollen, unabhängig der verschiedenen Rechtssysteme (wie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, kurz AEMR), verführt zu der Annahme, diese entsprechen einer Wahrheit. Entsprechend müssten, damit diese grundlegenden Rechte allgemeingültig und wahr sind, sie immer und überall dort gelten, wo Menschen sie sich selbst geben und wo sie ihre weitere Rechtssystematik auf ihnen aufbauen.

Der Geltungsbereich der Menschenrechte

Man könne nun meinen, da der Mensch nicht allmächtig ist, seine Möglichkeiten zur Einflussnahme und sein Wirkungsbereich begrenzt sind, ist die allgemeine Durchsetzung von Menschenrechten und die Verfolgung von Menschenrechtsverletzung nicht stets gegeben, also nicht immer möglich. Selbst wenn wir den Einflussbereich der Menschen und ihrer Institutionen, welche sich Menschenrechte gegeben haben, nur auf dort begrenzen, wo sie auch tatsächlich leben und wirken, erfahren diese Menschenrechte auch dort noch immer keine Allgemeingültigkeit.

Wirkliche Allgemeingültigkeit ist in Anbetracht der Handhabung von Menschenrechten auch kein Teil derselben. Zwar waren sie mal als allgemeingültig und unveräußerlich gemeint, aber genau dort liegt der Widerspruch von Menschenrechten. Wie schon dargestellt, gelten sie immer und überall dort, wo Menschen und Institutionen sie sich selbst geben. Sie gelten demnach für die Menschen und Institutionen, die sich unter der Gültigkeit von Menschenrechten versammeln. Da jedoch der Einflussbereich eben jener Menschen und Institutionen begrenz ist, und damit auch der tatsächliche Geltungsbereich der Menschenrechte, gelten sie auch nur dort, wo der entsprechende, menschliche  Einflussbereich zu finden ist, konkreter noch, nur dort wo sie auch tatsächlich leben und wirken. Die Allgemeingültigkeit, die der Begriff Mensch in Menschenrechte impliziert, existiert also gar nicht. Sonst müssten Menschenrechte auch wirklich für alle Menschen gelten.

Wie sehr Menschenrechte auf gewisse Menschengruppen begrenzt sind, zeigt die aktuelle politische Lage in Europa. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kritisiert das ungarische Gesetz bezüglich der Aufklärung über und Darstellung von Homo- und Transsexualität vor Kindern mit folgenden Worten:

"Das Gesetz diskriminiert Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung. Es verstößt gegen fundamentale Werte der Europäischen Union: Menschenwürde, Gleichheit und der Respekt für Menschenrechte."

Gleichzeitig lässt die gleiche Institution es zu, dass vor ihren Grenzen Menschenrechtsverletzungen begangen werden und Menschenrechte im hohen Maße nicht gegeben werden. Sei es nun durch die EU-Grenzschutzbehörde Frontex oder in diversen Lagern für Geflüchtete innerhalb und außerhalb der Grenzen der europäischen Union.

Bild: n-tv.de, Camp Moria auf Lesbos, 2019

Der Unterschied zwischen dem ungarischen Gesetz und der Lage der Flüchtenden und Geflüchteten besteht darin, dass letztere kein Teil der europäischen Werteunion sind. Ihr Einflussbereich, ihr Leben und Wirken liegt nicht innerhalb des Lebens- und Wirkungsbereiches eben dieser Union, auch wenn sie sich tatsächlich auf europäischen Boden befinden. Es zeigt sich also, dass mit Einfluss- und Wirkungsbereich keine geografischen Grenzen gemeint sind, sondern moralische Handlungsgrenzen. Denn selbst wenn der Einfluss- und Wirkungsbereich der EU unfassbar groß und weit wäre, würde dies den moralischen Handlungsbereich nicht tangieren, der Geltungsbereich der Menschenrechte würde dadurch nicht größer. Viel wahrscheinlicher ist es, dass er noch viel kleiner werden würde, da man sonst den eigenen Einfluss- und Wirkungsbereich bedroht sehen würde. Wie wahrscheinlich und tatsächlich dies ist, zeigen die weitverbreiteten Ängste vieler EU-Bürgerinnen und -Bürger vor einer angeblichen Islamisierung Europas und einer vermeintlichen Welle an kriminellen Flüchtenden.

Bild: Horizont.net, Wahlplakat der AfD, 2017

Das Leid der Menschen, besonders das der geflüchteten und flüchtenden ist allerdings real. Es ist wahrhaftig. Eben dieses Leid macht die Durchsetzung von Menschenrechten auch für diese Menschen notwendig. Dass eben diese Menschenrechte aber tatsächlich, trotz dieses enormen Leidens keine, diesen Rechten angemessene Anwendung erfahren, zeigt, dass selbst Menschenrechte von Wahrheit verschieden sind. Sie sind nicht allgemeingültig und entsprechen damit in Ihrer Umsetzung keiner Wahrheit, welche in diesem Fall das Leid der Menschen ist.

Die Wohlstandsrechte

Der Umstand, dass diese Menschenrechte nur für jene gelten, die schon in ihrem Geltungsbereich leben, macht sie exklusiv. Betrachtet man diesen Geltungsbereich genauer, sowie auch die Menschen, welche sich in diesem befinden, so fällt auf, dass diese Menschenrechte nur dort Anwendung finden, wo ein gewisser Wohlstand herrscht. Zumeist sind dies mächtige Industriestaaten mit starkem westlichem Einfluss. Sie deshalb nun westliche Rechte zu nennen ist nicht ganz treffend. Denn schließlich handelt es sich nicht um einen konkret geografischen Geltungsbereich, sondern um einen moralischen, mithin sozialen. Sie gelten demnach nur für jene, die schon Teil des Wohlstandes, auch folgend aus der Industrialisierung der Nation, innerhalb dieses Geltungsbereiches sind. Sie sind also Wohlstandsrechte. Es ist entsprechend möglich, dass sogenannte Menschenrechte selbst auf jene keine tatsächliche Anwendung und damit Umsetzung finden, die sich zwar innerhalb ihres eigentlichen Geltungsbereiches befinden, da sie Teil der sich daraus ergebenen Lebenswirklichkeit sind, jedoch kein Teil des Wohlstandsbereiches sind. Das betrifft vor allem einige Menschen mit Behinderungen, die weder im Vergleich gleichviel zum Wohlstand beitragen können, noch von diesem gänzlich profitieren, oder auch Menschen, die geflüchtet und immigriert sind, denen eine Teilhabe an der Wohlstandserzeugung und der Wohlstandsnutzung verwehrt wird, obwohl sie dafür jede Kompetenz und Bereitschaft mit sich bringen. Und selbst wenn sie Teil des Wohlstandsbereiches sind, ist dies keine Garantie dafür, dass die Menschen- beziehungsweise Wohlstandsrechte in vollem Umfang auch für sie gelten. Denn Wohlstand meint hier nicht nur wirtschaftliche Güter, sondern auch soziale Güter, welche sich an sozialen Normen bemessen. Dies betrifft beispielsweise auch Transmenschen, denen ihr Recht auf Selbstbestimmung verwehrt bleibt oder ihnen zur Wahrnehmung dieses Rechtes, welches als Teil der freien Persönlichkeitsentfaltung, zu welcher die Geschlechtsidentität gehört, auch Teil der vermeintlichen Menschenrechte ist, unverhältnismäßige Hürden gestellt werden.

Für wen also Menschenrechte gelten, dies bestimmt seine Teilhabe am und Entsprechung des wirtschaftlichen und sozialen Wohlstandes. Der Begriff Menschenrechte ist demnach widersprüchlich und entspricht nicht der Wahrheit seines eigentlichen Gedankens, da dieser Gedanke der Allgemeingültigkeit in seiner Umsetzung nicht existent ist. Mit Menschenrechten sind also zumeist Wohlstandsrechte gemeint. Und rein aus moralischer und menschlicher Sicht, sind diese Wohlstandsrechte höchst verwerflich, da sie exklusiv sind und zu viel Leid zulassen, als sie eigentlich, in ihrer nur gedachten Form als Menschenrechte, abwehren sollten.


Coverbild: picture-alliance, dpa, B. Marks

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