Es war ein Urteil aus Frankreich, was 2013 alte Märchengeschichten wieder aufflammen ließ und bis heute immer wieder brühwarm aufgetischt wird: MS (Multiple Sklerose) sei ein Impfschaden und ein Gericht in Bordeaux habe das auch bestätigt. Aber kann das sein? Vorab: Auch diese Geschichte spricht gegen Impfgegner, nicht für sie.
Die Kurzfassung könnt ihr euch denken, daher fange ich gleich mit der langen Version an.
Ein Mädchen wurde gegen HPV geimpft und erhielt kurz darauf die Diagnose: MS. Die Eltern verklagten daraufhin Sanofi-Pasteur als Hersteller auf Schadensersatz. Der Richter befand schließlich, dass der Impfstoff zu 50% verantwortlich für die Erkrankung sei.
Jetzt kommt das dicke ABER: bei seiner Entscheidungsfindung berief er sich auf zwei Gutachten, den Kinderarzt, Sanofi-Pasteur sowie die Eltern des Mädchens. Fehlt etwas? Allerdings. Es fehlt irgendein tatsächlicher Hinweis, dass das Medikament als mögliche Ursache ausgibt. Das wäre aber auch recht kompliziert, denn es ist nachweislich sicher, dass keine einzige Impfung1 das Potential hat, Autoimmun-Erkrankungen hervorzurufen.
Die Gutachter waren ein Neurologe und ein Pathologe. Das ist irgendwie merkwürdig, denn ein Neurologe kann zwar MS diagnostizieren, aber wie er da Impfungen als Ursache ausfindig machen soll, ist mir schleierhaft. Und es war zwar ein Pathologe, der erstmals MS beschrieben hatte, aber das hat mit dieser Angelegenheit nichts zu tun. Zu Impfungen können beide nicht viel mehr sagen, als jeder andere auch aus dem Netz oder Büchern zitieren kann. Viel aufschlussreicher waren die Aussagen der Eltern. Daraus ergab sich nämlich, dass beide Familienzweige seit Generationen von verschiedenen Autoimmunleiden und genetischen Prädispositionen geplagt sind. Nun ist zwar die genaue Ursache von MS nicht voll geklärt, aber der aktuelle Konsens zeigt, dass eine genetische Vorbelastung in Verbindung mit einer viralen Infektion den meisten Erkrankungen vorausgeht. Also, selbst wenn man jetzt die Impfung als Auslöser heranziehen will, gibt es da immer noch das Problem mit der Wirkweise. Es handelt sich bei HPV-Impfstoffe um Totimpfstoffe. Da ist nichts drin, was eine Infektion auslösen könnte, weil keine vermehrungsfähigen Viren enthalten sind. Und das ist nach aktuellem Wissenstand erforderlich.
Nichtsdestotrotz muss es dieses Zusammenspiel gewesen sein, was den Richter zu seiner Entscheidung brache. Dennoch ist das nicht der Erfolg, den Impfgegner darin sehen. Denn in keiner einzigen Studie in Bezug auf HPV-Impfstoffe (und da gibt es etliche mit mehreren Millionen Teilnehmern) wurde jemals MS beobachtet. Und einzig das wäre ein Anhaltspunkt für die Diagnose MS durch Impfung. Im vorliegenden Fall haben wir nur MS nach Impfung, was auf die allermeisten Betroffenen anwendbar sein müsste. Für die Entscheidung eines Gerichtes zur Impfschadenregulierung mag das ausreichend sein, für eine tatsächliche Anerkennung in der Rechtsprechung aber nicht. Denn nach wie vor gilt: Gerichte entscheiden nicht über die Wissenschaft. Es handelt sich also um eine reine Ermessensentscheidung im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben. Damit schneiden sich jetzt Impfgegner ins eigene Fleisch, denn statt hier eine Impfung schlecht zu reden, bringen sie selbst einen Gegenbeweis zu ihrer eigenen Behauptung, Impfschäden würden nicht anerkannt oder nur, wenn die Beweislast eindeutig war und man Jahre dafür gekämpft hätte. Tja, die Klage wurde am 28.01.2012 eingereicht, das Urteil am 18.09.2013 gefällt. Ohne stichhaltige Beweise. Volle Kompensation, zu 50% vom Staat, zu 50% vom Hersteller eines Produktes, das nicht verantwortlich war.
Liebe Impfgegner, es kommt sogar noch schlimmer: Sanofi-Pasteur akzeptierte das Urteil ohne Mätzchen im Interesse der Klägerin. Denn egal wie oft vor Gericht gestritten werde, es könne den gesundheitlichen Zustand nicht ändern. Die unnötige Belastung aus weiteren Verfahren ohne finanzielle Unterstützung, die im Endeffekt sowieso irgendjemand zahlen müsse, sei zu vermeiden.
Ach ja, die pöhsen Pharmakonzerne, die alles kontrollieren…
Quelle: https://web.archive.org/web/20210418003859/pediatrics.aappublications.org/content/111/3/653.long