Eine Narkosebehandlung stellt in der Kinderzahnmedizin keine gleichwertige Behandlungsoption dar, sondern ist primär eine sehr wichtige und wertvolle Therapieoption für die Behandlung von körperlich und/oder geistig beeinträchtigten PatientInnen. Für PatientInnen mit Beeinträchtigungen stellt die Intubationsnarkose häufig die einzige Möglichkeit dar, um eine suffiziente Zahnbehandlung durchführen zu können. Oftmals ist selbst für Prophylaxemaßnahmen eine Narkose notwendig, da trotz hingebungsvoller Pflege von Eltern und Betreuern die Zahnhygiene immer wieder um professionelle Hände ergänzt werden muss. Diese sollte aber, wegen der unmittelbaren räumlichen Nähe einer Intensivstation ausschließlich im Rahmen eines Klinikaufenthaltes durchgeführt werden. Jene Kinder, die aufgrund eines desolaten Milchgebisses eine chirurgische Dentalsanierung benötigen, profitieren - wegen der besseren Beherrschbarkeit perioperativer Komplikationen - von dem Setting einer Klinik.
Entsprechende Klinik-Kapazitäten müssen aus Gründen gesundheitspolitischer Versorgungssicherheit flächendeckend bereitgehalten werden.
Die in der Vergangenheit beklagten Kapazitätseinschränkungen führen schon heute zu unzumutbaren Wartezeiten von mehreren Monaten für die Durchführung dringend notwendiger, im Klinikkontext eingebundener Dentalsanierungen. Die aus wirtschaftlichen Gründen an vielen Klinikstandorten beobachtete weitere Ausdünnung vorhandener Behandlungskapazitäten in Deutschland ist daher aus Gründen der Qualitätssicherung und notwendiger Versorgungssicherheit mit aller Entschiedenheit zu widersprechen (Prof. C. Benz, Präsident der BZÄK, in einer persönlichen Mitteilung v. 12.4.23).
Eine Narkose darf keine Gefälligkeit sein
Die Bereitstellung sogenannter "Gefälligkeitsnarkosen" in zahnärztlichen Praxen aufgrund eines bestehenden Nachfragedrucks ist allein aus ethischen Gründen nicht gerechtfertigt. Um einem Nachfragedruck entgegenzuwirken, sollte die Aufklärung der Elternschaft über die Möglichkeiten und Risiken von Zahnbehandlungen im Kleinkindalter deutlich verbessert werden. Parallel hierzu müssen, um die präkooperative Phase (i.d.R. vor dem 4. LJ) der Kinder erfolgreich zu überbrücken, sowohl Prophylaxemaßnahmen verstärkt, als auch die Werbeaktivitäten für zahnschädigende Nahrungsmittel drastisch eingeschränkt werden.
Das kürzlich vom KZBV-Vorsitzenden Martin Hendges vorgebrachte Argument, es sei ein "zunehmendes Drängen von Eltern zu beobachten, die sich Narkose-Behandlungen für ihren Nachwuchs wünschten", hat für mich keinen zielführenden Charakter, weil sie die drastisch erhöhten Risiken durch die noch immer nicht existenten Mindeststandards ambulanter Narkosen in den Hintergrund rückt, gleichzeitig eine Narkose in den Bereich von Gefälligkeit transponiert und somit den Focus in dieser lebenswichtigen Diskussion fernab der eigentlichen Problematik positioniert.
Das Wirtschaftlichkeitsgebot darf die zahnärztliche Versorgung von Kindern nicht ausklammern
18 % des Brutto-Inland-Produktes (BIP), also nahezu jeder sechste €uro werden im deutschen Gesundheitssektor erwirtschaftet.
Eine Füllung an einem kariösen Milchzahn wird mit ca. 80.- € vergütet. Bei geschätzten Betriebskosten in Höhe von 350.- € / Stunde darf eine Zahnfüllung nicht allzu lange dauern, sonst rutscht der Praxisinhaber zusammen mit seinen Bemühungen in die rote Zone.
Meine Erfahrungen aus über 30 Jahren Praxis zeigen klar auf:
Weil Milchzahnbehandlungen in der Regel niemals auch nur annähernd kostendeckend sind, ist, auch um ein invasives "Overtreatment" in Narkose zu verhindern, die Einführung abrechenbarer Zeiteinheiten sinnvoll.
Eine für die Behandlung notwendige Kooperationsfähigkeit setzt in der Regel mit dem vierten Lebensjahr ein. Drei, vier, oder auch mehr Anläufe sind nötig, um bei einem 4-jährigen Kind Vertrauen aufzubauen und die erforderliche Kooperationsbereitschaft zu erreichen. Doch diese geduldige Investition von Zeit lohnt sich allemal - insbesondere für das Kind: Es lernt mit Ängsten umzugehen. Selbstregulation und Selbstwirksamkeit können auf dem Zahnarztstuhl erlernt und trainiert werden. Ist die Angst einmal überwunden, wird damit die Basis für wertvolles Vertrauen geschaffen - die angstbefreite Behandlung bleibender Zähne ist das Ziel. Milchzähne sind dafür ein Übungsfeld - der ideale Sparrings-Partner.
Frühkindliche Ängste im Zahnarztstuhl sind normal. Sie können nicht abgeschaltet, sondern sie müssen allmählich abgebaut werden. Ein Prozess, der die Mitarbeit beider Seiten erfordert. Etliche ehemalige "Angsthasen" kommen heute - frei von jeglicher Behandlungsphobie - gut gelaunt zur Routineuntersuchung.
Gemeinsamer Bundesausschuss - quo vadis?
Das grüne Licht des Gemeinsamen Bundesausschusses für die sofortige, grenzenlose, unregelte und ungebremste Kostenübernahme von Milchzahnsanierungen in ambulanter Narkose befremdet mich persönlich auf vielerlei Ebenen.
Warum werden Milchzahnsanierungen in ambulanter Narkose erstattet, wo doch
- Verfahren, die ohne Narkosemittel auskommen mit einem Blumenstrauß von Vorteilen verbunden sind?
- keinerlei Standards für die Ausstattung im Bereich ambulanter Narkosen existieren?
- es laut Bundeszahnärztekammer allein in den letzten 10 Jahren zu fünf schweren Zwischenfällen - vier davon mit tödlichem Ausgang - gegeben hat?
Der Grundsatz für die Kinderbehandlung in der Zahnmedizin lautet: Vertrauen baut man mit Empathie, viel Zeit und/oder einem Therapiehund auf - nicht jedoch mit KO-Tropfen.
Kontigentierung nach Schweizer Vorbild
Der verhängnisvolle Trend, stationäre Kapazitäten einzusparen, um die Behandlung von Milchzähnen mit Hilfe der Anästhesie in Zahnarztpraxen auszulagern, kostet in regelmäßigen Zeitabständen das Leben von Kindern. Daher fordere ich den Gesundheitsminister auf, unverzüglich für die Bereitstellung von Narkose-Kontingenten im stationären Bereich zu sorgen, damit im Falle einer Komplikation eine schnelle Erreichbarkeit zu einer Intensivstation gewährleistet ist. Die Schweiz kann hierbei als Vorbild dienen, die mit einem jährlichen Kontingent von 500 Narkosen eine risikoarme Versorgung gewährleisten kann.
Mit meiner Forderung stehe ich nicht allein, viele zahnärztliche Kollegen unterstützen mich hier, z.B. Prof. Xxx (Marburg), Prof. Xxx (Basel) uva.