Was regen sich die Behinderten so auf? Es wurde doch berichtet. So oder so ähnlich musste ich es lesen und wusste einige Tage nicht was ich zu dem Thema schreiben oder sagen sollte.
Aber in welcher Welt sind wir gelandet? Man könnte sich doch denken: Wir leben im 21. Jahrhundert und alle Menschen haben die gleichen Rechte?! Doch ist es wirklich so?
Theoretisch ist es einfach: Niemand darf wegen seiner Behinderung diskriminiert werden und dennoch geschieht genau dies jeden Tag aufs Neue. In Deutschland regelt der Artikel 3 im Grundgesetz:
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Artikel 3 GG
Theoretisch dürfte ein blinder Nachbar oder die taube Nachbarin oder auch ich als Rollstuhlfahrer nicht benachteiligt werden, so steht es im Gesetzestext. Nur komme ich persönlich in fast keinen Club, kein Restaurant oder ohne zwei tätige Voranmeldung in einem ICE (Wochentage und nur in begrenzter Zeit) und anderen Rollstuhlfahrer*innen geht dies ebenso.
Warum steht auf der Bühne kein Dolmetscher*innen für Gebärdensprache? Warum zeigt das lineare Fernsehen nicht alles mit einem Dolmetscher oder streamt dies zumindest über eine Plattform? Warum sind nicht alle Produktionen des Öffentlich Rechtlichen Rundfunks für Blinde zugänglich - Wo bleibt die Audiodeskription? Sollte der ÖRR hier nicht als goldenes Beispiel vorangehen? Sicherlich hat sicher hier einiges in den letzten Jahren gebessert, doch bleibt es immer noch weitentfernt von gut.
Und wo bleibt der Aufschrei?
Nicht erst seit dem gestrigen Tage gibt es in Deutschland die UN-BRK, diese Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nation, welche Deutschland vor über zehn Jahren unterzeichnete und anschließend ratifizierte. Nach dieser Ratifizierung versprachen sich einige Menschen, dass es nun besser werden würde. Deutschland könne so ein besseres Land für ALLE werden, doch in Wirklichkeit blieben behinderte Menschen weiter vergessen. Einiges, dies zumindest theoretisch, ist jedoch besser, es ist besser diese Menschenrecht anzuerkennen - nichts weiter ist die UN-BRK. Es sind Menschenrechte und kein Geschenk, "kein guter Wille gegenüber den ach so armen Geschöpfen", diese Rechte gelten für alle Menschen und insbesondere für die Menschen welche schon eine Behinderung haben, aber auch für jene welche diese im Laufe des Lebens erst erwerben.
Zu den Menschen welche die Behinderung erst während ihres Lebensweges erhalten haben gehöre ICH. Oft sind dies "Beeinträchtigungen" erst nach Unfällen, Krankheiten oder weil ein Gendefekt erst später ausbricht vorhanden. Was uns jedoch ALLE gleichermaßen betrifft sind Hürden, durch die wir behindert werden.
Nicht alle kennen die Probleme, welche uns im Alltag begegnen und oft zum Umplanen oder Improvisieren zwingen. Nicht alle Bürger können Experten sein und dennoch wäre es einfacher, wenn Menschen wie du und ich uns endlich begegnen könnten. Ihr werdet unsere Probleme nur dann verstehen - wenn diese für euch sichtbar sind und unsere Probleme damit nachvollziehen könnt. Wenn ihr mit eigen Augen die Erschwernisse und Diskriminierungen seht.
Oft stellt man sich die Ausgrenzung von Behinderten anders vor. Man denkt zum Beispiel an eine völkische Ablehnung von Behinderten, wie etwa im Nationalsozialismus, doch die Ausgrenzung ist viel einfacher - viel subtiler und findet jeden Tag statt und dies auch in deiner Region.
Es fängt mit der Bank, Sparkasse oder Volksbank an, welche zwar oft einen weitgehend barrierefreien Automaten haben - doch der Zugang zur Bank selbst nur über Stufen erfolgen kann. Weiter geht es mit dem Bäckergeschäft, bei welchen zwei Stufen den Weg zu den Teigwaren unmöglich gestalten. Brailleschrift und andere Hilfen fehlen zu dem fast überall. Der Supermarkt verfügt zwar über breite Gänge, aber die Kassen lassen mich mit dem Rollstuhl oft nicht durch und die Regale sind oft zu hoch um auch die oberen Produkte zu erreichen. Von einem Einkaufswagen für Rollifahrer*innen kann meist nur geträumt werden. Persönlich kenne ich dies nur von dem schwedischen Möbelladen und dort gibt es nicht nur ein Exemplar.
Ein Mensch verkommt so zu einem Störfaktor, so zumindest fühlt man sich oft. Wie jemand welcher von der Gesellschaft ausgestoßen wurde.
In der Pandemie erleben Menschen, die keine Behinderung haben, wie es ist nicht raus zu können - nicht das machen zu können, was man möchte - nicht einfach ins Restaurant zu kommen, doch all dies erleben WIR schon eine ganze Zeit länger. Ich kann jedoch nicht für alle Leute sprechen und bin ebenso kein Experte für die Themen von anderen Behinderten, so zum Beispiel für Blinde oder Gehörlose, doch meine Beispiele sollen für euch ein Anreiz sein. Ein Anreiz um über Hürden nachzudenken und dies abzubauen.
Diese Hürden, Stufen, all diese Barrieren schaden uns als Gesellschaft. Sie rauben uns die Möglichkeiten der Begegnung. Erwachsende, welche als Kind nie mit behinderten Gleichaltrigen kontakt hatten, werden eher ein verkrampftes Verhältnis zum Thema Behinderung haben. Ich persönlich: kann nur meiner Ethik-Lehrerin dankbar sein, welche mit uns als Klasse die Berührungsängste regelmäßig abbaute. In dem SIE genau diese Begegnungen möglich machte, doch an meiner damaligen Schule hätte nie jemand im Rollstuhl teilhaben könne. Leider! Es braucht mehr Begegnungen. Wenn Menschen sich einander begegnen baut dies Vorurteile oder sogar Ängste ab. Man entdeckt ganz natürlich Gemeinsamkeiten und Unterschiede.
DOCH - Die Auftrennung der Welt, zwischen dem Lebensbereich von Behinderten und "normalen" andern Menschen ist Alltag - jedoch ein Fehler, welcher korrigiert gehört. Klar ist - Ich werde nie Elektriker werden, nie Maurer oder wohl auch nie Pilot - doch mit weniger Hürden könnte ich mehr erreichen und das Leben wäre einfacher und um einige Dinge reicher. Reisen ohne mich bei der Deutschen Bahn anmelden zu müssen, um dann mal wieder einer Absage der Hilfsleistung zubekommen. Nie wieder nicht in das Restaurant gehen. Nie wieder nicht in den Laden zu können.
Wäre das nicht schön?
Doch schon jetzt höre ich Leute trapsen, die Wirtschaftsjünger schreien: "Die Wirtschaft, die Wirtschaft..." jedoch gibt es andere Länder, wie die USA, diese gelten, zumindest bei uns, als sehr wirtschaftsfreundlich und selbst diese greifen in die Wirtschaft ein. Es wurde der Zugang zu eben diesen Dienstleistungen geregelt. Die private Wirtschaft bekommt recht klare Ansagen, diese Diskriminierungen von Mitmenschen sieht man dort extrem kritisch. Dort sind WIR eben auch Bürger, Wähler und Arbeitskräfte, doch einige Länder, wie Deutschland, verstehen dies noch nicht... Auch in dem Vereinigten Königreich läuft einiges besser. Behinderte haben dort einklagbare Rechte. In London gibt es diverse Probleme mit der U-Bahn, viele Stationen sind nicht frei von Barrieren, aber die U-Bahn-Betreiber müssen in solchen Fällen das TAXI zahlen und das Schöne hierbei - In ganz London sind alle TAXI-Fahrzeuge barrierefrei. Sie sind für alle nutzbar und schränken so keine Rechte ein, doch wenn dort zu einer Diskriminierung kommt gilt in UK der Grundsatz: Anschreiben, vor Klage einreichen. Dies ist einfach und dennoch effektiv. Viele Unternehmen reagieren selbst auf ein Anschreiben, denn die Bürger haben verbriefte und greifbare Rechte, dennoch ist dort nicht alles Gold. Die Kosten für die Klagen sind enorm und eine finanzielle Hilfe, ähnlich wie die Prozesskostenhilfe, existieren dort so nicht. Einige Anwälte*innen haben scih jedoch spezialisiert und bestehen auf Bezahlung nur, wenn der Prozess gewonnen wurde.
Und in Deutschland können wir nach einem Gesetzes Vorhaben der Regierung noch bis 2040 von Banken diskriminiert werden. Ganz legal, denn die Umsetzung des European Accessibility Act ist nicht mehr als ein feuchter Waschlappen...
Von Europa war leider nicht viel zu erwarten. Kaum etwas ist verpflichtend bei der Umsetzung in nationales Recht. In einigen Ländern, wie Österreich müsste man sich mit dem Text nicht einmal auseinander setzten, denn dieser enthält keinerlei Verbesserung.
Hier in Deutschland bekommt das Gesetz den Namen Barrierefreiheitsgesetz, passender würde ich finden: Legale Diskriminierung von Behinderten LOL - bei Banken bis 2040. Zu polemisch oder gar zynisch? Wer das Gesetz so nennt und diesen Inhalt wählt ist zynischer, zynischer als der Liefers-Zynismus... Manchmal glaubt man nicht, was es doch so alles gibt... Oder um es mit den Worten der BAND SDP zu sagen:
"Ich kann gar nicht so viel fressen
Wie ich kotzen will
Ich hab gar nicht so viel Mittelfinger
Wie ich zeigen will
Gib mir mehr, Mittelfinger"
Mehr Worte will ich heute gar nicht verlieren, nur dies noch kurz: Meine Leseempfehlung zu diesem Thema:
kobinet-nachrichten.org barrierefreiheitsgesetz.org euroblind.org rehanews24.de
change.org-barrierenbrechen.de
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