Vor 100 Jahren ging der Nobelpreis für Physik an den Urheber der Relativitätstheorie.
Den Nobelpreis gewann der Laureat allerdings gar nicht für diese Theorie, sondern für die Erklärung des photoelektrischen Effekts, der entscheidend für das Verständnis so vieler Technologien ist, die erst Jahrzehnte nach dem Tod jenes Wissenschaftlers weithin bekannt wurden.
Doch was lernen wir aus der Lebensgeschichte von Albert Einstein, dessen Name längst Inbegriff für Genialität geworden ist?

Quantensprünge der Erkenntnis

Um einen kleinen Eindruck von Einsteins wissenschaftlichem Schaffen zu bekommen, lohnt es sich die Umstände anfang des letzten Jahrhunderts in der Wissenschaft näher zu betrachten. Die Physik stand gewissermaßen vor den Trümmern ihres Erfolgs. Einige Zeitgenossen glaubten gar, das Wissen über die Physik sei abgeschlossen, sozusagen alles erforscht. Doch einige Details blieben unerklärt. Um die Jahrhundertwende postulierte dann Max Planck die Hypothese, der nach die Energie in diskreten Paketen - in Quanten - vorkommt. Die Quantenphysik war geboren. Wenige Jahre später stellte Einstein dann die Hypothese auf, dass Licht selbst gequantelt sei. Licht also nur in ganz diskreten Mengen auftritt. Diese Lichtquantenhypothese sollte ihm zwar den Nobelpreis bringen, wenn auch seine Berühmtheit in nicht-Fachkreisen vor allem auf seine im gleichen Jahr entstandene spezielle Relativitätstheorie zurückgeht, die für sich schon eine grundlegend neues Bild der Physik mit sich brachte. In den folgenden Jahren entwickelte sich - vor allem in Europa - eine ganz neue Strömung in der Physik. Licht - bei dem man Jahrhunderte stritt, ob es nun eine Welle, oder ein Teilchen sei - sollte nun beides sein. Diese abstrakte und schwer zu fassende Theorie wurde noch abstruser: Nicht nur Licht sollte Welle und Teilchen sein, sondern Materie - also das, was uns umgibt, was wir für greifbar halten.

Europäische Avantgarde

Zu jener Zeit entwickelte eine handvoll Physiker, Mathematiker, Chemiker und andere Wissenschaftler ein ganz neues Bild der Welt. Neben Einstein waren da beispielsweise Marie Curie, mehrfache Nobelpreisträgerin, Werner Heisenberg oder Erwin Schrödinger. Letzterer ist vor allem durch seine Katze bekannt. Sie illustriert recht anschaulich ein grundlegendes Konzept der Quantentheorie, aber auch die Stimmung unter den Wissenschaftlern: Schrödinger wollte mit einer Katze, die zugleich tot und lebendig ist illustrieren, wie absurd die ganze Theorie erscheint. Auch Einstein hatte immer wieder Zweifel an den gemeinsam erarbeiten Theorien geäußert. Später wird sich zeigen, warum diese nicht intuitive Theorie ihnen allen zum Verhängnis werden sollte. In den folgenden Jahren entwickelte sich die Quantephysik immer weiter. Auf der regelmäßig stattfindenden Solvay-Konferenz beispielsweise kam schließlich alles zusammen, was Rang und Namen hatte.

Solvay-Konferenz 1927 - Bemerkenswerte Zusammenkunft menschlichen Intellekts, 17 der anwesendenen erhielten im Laufe der Jahre mindestens einen Nobelpreis

Schon damals war klar, dass diese kleine Gruppe innerhalb weniger Jahre eine völlig neue Weltsicht entwickelt hat. Das Verständnis der Quantenphysik war geradezu das Fundament vieler technischer Entwicklungen des letzten halben Jahrhunderts. Der Laser - Inbegriff eines Quantensystems - ist im Alltag kaum noch weg zu denken, geschweige denn in der Industrie. Ohne Laser gäbe es keine Mikroelektronik, die es im übrigen auch nur gibt, weil wir die quantenmechanischen Mechanismen nachvollziehen können, die in Halbleitern und Metallen passieren. Es gäbe keine Prozessoren, wie wir sie kennen, keine Festplatten - die Welt wäre eine andere. Man könnte sagen, die Wissenschaft hat obsiegt. Doch welchen Preis haben Einstein und die anderen bezahlt, damit wir von dieser Brillianz profitieren können?

Von "Deutscher Physik"

Wenngleich die Theorien viele Fragen beantworteten, große Beachtung in Fachkreisen fanden, experimentelle Bestätigung erfuhren und schon damals erste technische Realisierungen absehbar waren, war diese moderne Physik nicht von allen Zeitgenossen akzeptiert. Wissenschaftsfeindlichkeit fand damals geradezu ihre Blüte.

Dazu gehen wir in die 30er Jahre des letzten Jahrhunderts. So wegweisend und umtriebig die europäische Wissenschaft war, so verfahren, zerüttet und bedrohlich stellte sich die politische Lage dar. Der Faschismus war nicht nur in vielen europäischen Ländern auf dem Vormasch, sondern hatte mit dem Fall der Weimarer Republik schon den zweiten großen Staat unterworfen. Gerade die Nationalsozialisten stellten sich in manchen Fragen als modern und Technik-affin dar. Die Propagandamaschinerie, die ganz auf neue Technologien wie den Volksempfänger setzte, womit Parolen und Hetzkampagnen in jedes Wohnzimmer transportiert werden konnte, ist nur eines der Beispiele. Mit diesem Wissen könnte man meinen, die Nationalsozialisten seien eigentlich die Letzten, die sich technischen Errungenschaften und den zugrundeliegenden Naturwissenschaften verwehrten. Doch Ausdruck ihrer Wissenschaftspolitik war, eine "Deutsche Physik" herauf zu besschwören. Vom identitätspolitischen Wahnsinn, der viele Menschenleben kosten sollte, war diese Form der politischen Einflussnahme in die Wissenschaft zwar weniger blutig als andere Verbrechen der Nazis, aber dennoch alles andere als harmlos, und vor allem in seiner Idiotie besonders absurd. In ihrer Hybris glaubten die Nazis, die Naturgesetze leugnen zu können. Sie lehnten die theoretische Physik ab. Johannes Stark - seines Zeichens Nobelpreisträger für die Entdeckung eines Effekts, der ausschließlich mit Methoden der Quantenmechanik erklärbar ist - schrieb in der SS-Zeitung Das Schwarze Korps:

"Am klarsten erkennbar ist der jüdische Geist wohl im Bereich der Physik, wo er in Einstein seinen 'bedeutendsten' Vertreter hervorgebracht hat. Während alle großen naturwissenschaftlichen Entdeckungen und Erkenntnisse auf die besonderen Fähigkeiten germanischer Forscher zur geduldigen, fleißigen und aufbauenden Naturbeobachtung zurückzuführen sind; [...] hat der in den letzten Jahrzehnten vordringende jüdische Geist die dogmatisch verkündete, von der Wirklichkeit losgelöste Theorie in den Vordergrund zu schieben gewusst."

Unter diesem Eindruck zeichnete sich ab, dass das blühende Ökosystem der modernen Physik nicht nur keine Unterstützung erwarten konnte, sondern auch persönliche Angriffe jeden Einzelnen bedrohten. Gerade für jüdische Wissenschaftler wie Einstein war dazu noch der sich verschärfende Antisemitismus ein weiteres Problem. Einstein - weltberühmt und gut vernetzt - siedelte so schon früh in die USA über. Die Nazis schufen damit zu Beginn ihrer Diktatur ein beispielloses Ausbluten der europäischen Wissenschaftselite. Dabei sollte dieser intellektuelle Genozid nur der Vorbote sein von dem, was noch kommen sollte. Nicht jeder hatte das Glück, wie Einstein migrieren zu können. Nicht jeder kam mit seinem Leben davon.

Die Ironie der Tragik

Wir können heute mit Genugtuung darauf Blicken, wie Ideen und Erkenntnisse überdauerten. Wie selbst die Nazis nicht vermochten sie zu vernichten. Sie konnten die Bücher verbrennen, sie konnten deren Urheber verjagen oder gar ermorden, aber niemals deren Geist. Der zweite Weltkrieg wurde durch den Einsatz einer Technologie beendet, die ohne die moderne Physik niemals entwickelt worden wäre: Die Atombombe. So mächtig die Wissenschaft sein mag, so schwer kann auch ihr Erbe sein.

Einstein sollte nach seinem Umzug in die USA nie wieder einen Fuß auf deutschen Boden setzen, und schrieb nach dem Kriege: "Nachdem die Deutschen meine jüdischen Brüder in Europa hingemordet haben, will ich nichts mehr mit Deutschen zu tun haben."

Das ist seine Geschichte, das ist unsere Geschichte.

Bild: Benjamin Couprie

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