Das Online Dating ist eine haarige Angelegenheit. Für viele ist es zudem eine Prüfung und eine Herausforderung nicht den Mut und das Selbstvertrauen zu verlieren. Für andere hingegen ist es pure Überforderung. Ein Perspektivwechsel zeigt, wie es den anderen auf Tinder und co geht.
Es ist ein müder Abend, irgendwann Anfang Januar. Ich habe gerade mit einigen Freunden online gequatscht und mit ihnen auch über mein neues Video auf Youtube gesprochen. In diesem lasse ich mich über Beziehungen, über die Liebe — und auch über Online-Dating-Apps aus. Immerhin habe ich über eine dieser Apps meine jetzige Frau wiedergefunden, nachdem wir uns für mehrere Jahre aus den Augen verloren hatten. Mir ist bewusst, dass Online-Dating vor allem für Männer heftig sein kann. Doch ihre Geschichten schocken mich dennoch. Kann es inzwischen noch viel schlimmer sein, als noch vor ein paar Jahren? Jetzt, in Corona-Zeiten, in denen noch mehr Menschen online nach dem großen Glück suchen?
Ich entscheide mich, es selbst herauszufinden. Schnell klicke ich mir einen neuen Account auf Tinder und Lovoo zusammen. Zusammen dominieren die beiden Apps den deutschen Markt. Tinder ist zudem Weltmarktführer mit über 50 Millionen Usern und über 12 Millionen Matches am Tag. Allein in Deutschland zählt der Gigant der Online-Liebe monatlich mehr als 600.000 aktive Nutzer. Immerhin mehr als 30 Mal so viele Menschen, wie in meiner Heimatstadt wohnen. Das Statistik-Unternehmen Statista.de prognostiziert für die komplette Branche bis 2024 einen Umsatz weit über 3 Milliarden Euro. Online-Dating ist also schon lange kleiner Fisch mehr. Im Gegensatz zu mir.
Doch ich habe einen Trick, welcher mir schon nach den ersten Minuten die ersten Likes und Chatanfragen einbringt: Ich bin nicht als ich angemeldet, sondern als mein weibliches Alter Ego “Tam”. Dafür habe ich einfach reale Selfies von mir verändert, damit sie mich als Frau zeigen und hochgeladen. Zudem mache ich mich ein paar Jahre jünger, damit ich wieder in der Mitte meiner 20er bin. Warum? Eine Frau spricht nicht über ihr Alter!
Online Dating ist kein Spaß
Der wahre Hintergrund für meine Verwandlung ist jedoch ein anderer. Denn ich möchte erfahren, ob man als Frau überhaupt realistisch auf Profile, Nutzer und interessierte Männer eingehen kann. Denn vor allem weibliche User von Online-Dating-Plattformen sind statistisch klar in der Unterzahl. Insgesamt machen sie über alle Dienste hinweg nur circa 38 Prozent aller aktiven Accounts aus. In diesem Wert sind zudem Fake-Accounts wie “Tam” sogar noch mit eingerechnet. Oder anders gesagt: Frauen sind online deutlich unterrepräsentiert. Dabei machen sie doch in der breiten Bevölkerung Deutschlands leicht über die Hälfte aller Menschen aus.
Schon vor der Corona-Krise zogen Online-Dating Plattformen weltweit mehr als 239 Millionen Menschen an. Über die Hälfte sucht dabei wirklich auch nach dem Partner oder der Partnerin fürs Leben. Allein Tinder nutzen davon über 50 Millionen Menschen, wodurch die Plattform mehr als 12 Millionen Matches pro Tag vermittelt. Um das in eine Perspektive zu setzen: Damit verkuppelt Tinder täglich zweimal die Stadt Berlin miteinander — und hat dann noch immer Kapazitäten für Städte wie Stuttgart, Augsburg oder Freiburg. Und auch Tam fließt ab jetzt für einen Tag in die Statistik ein.
99+ Likes in zehn Stunden
Schon nach den ersten Minuten fließen Likes und Benachrichtigungen über den Bildschirm meines Handys. Dabei ist es später Abend und für mich endet der Tag, anstatt zu beginnen. Ich lege also mein Telefon zur Seite, werfe mich ins Bett und denke nicht mehr an Tinder und co.
Doch Tinder vergisst mich nicht.
Am nächsten Morgen wage ich einen kurzen Blick in die App und muss lachen. Auch in meiner Single-Zeit hatte ich die App installiert, jedoch war mir neu, dass die Anzahl der Likes ab 99 nicht mehr angezeigt wird. Stattdessen ist hinter der Zahl nun ein kleines Plus. Und die Liste scrollt und scrollt und scrollt. Fast eine Minute lang.
Ab hier wird dadurch auch die Berechnung der realen Likes und Swipes schwieriger. Immerhin: wer weiß, wie viele Bewertungen am Ende wirklich stattfanden? Nimmt man jedoch an, dass es genau 100 positive Wischer nach rechts waren, dann kann man davon ausgehen, dass Tam alle 6 Minuten ein Like bekam. Sollten es 200 sein, dann wäre es alle 3 Minuten… und so weiter.
Frauen haben es auch schwer
Die Anfragen werden immer mehr und ich merke, wie schwer es ist aus der ganzen Masse herauszufiltern. Wer zeigt richtiges Interesse? Wer gibt sich Mühe? Wer ist interessant? Schnell fällt mir auf, dass Frauen mit einer ganz anderen Herausforderung im Online-Dating konfrontiert sind: Der Überforderung.
Gerade in der Masse der Anfragen ist es kaum noch möglich sich wirklich mit Profilen auseinanderzusetzen. Zumindest, wenn man nicht viele viele Stunden am Tag investieren möchte sein Postfach zu bearbeiten. So wird aus dem Online-Dating für Frauen schnell ein Bürojob, der viel Verwaltung braucht. Und für die weiblichen User, die das nicht möchten, bleibt am Ende nur eine Möglichkeit: die Auswahl von Profilen anhand des oberflächlichsten Eindrucks, den man bekommen kann. Die Betrachtung von Profilbildern für maximal wenige Sekunden.
Zu viele Männer - Zu viel Wettbewerb
Das Problem des Online-Dating ist schnell erklärt: der Wettbewerb ist für Männer viel zu groß und da Frauen in der klaren Unterzahl sind, werden sie mit Anfragen überschüttet. Die Folge ist, dass sie nur auf ganz wenige Anfragen überhaupt antworten. Männer erleben dadurch tagtäglich hundertfache Zurückweisung, was Frust und Wut erzeugt. Während Frauen eine pure Überforderung erleben, welche oft mit der Flucht aus den Partnerbörsen endet.
Dadurch ist es nicht verwunderlich, dass laut einer Befragung mehrerer tausend Online-Dater durch Splendid Research herauskam, dass nur circa 24 Prozent der Nutzer ihre Accounts löschten, weil sie die oder den richtigen Partner online fanden. Im Gegenzug gaben 29 Prozent an, dass sie ihre Accounts löschten, nachdem sie die große Liebe außerhalb von Partnerbörsen und Apps gefunden hatten. Oder einfacher gesagt: selbst aktive Online-Dater haben eine größere Chance außerhalb von Partnerbörsen die Liebe zu finden als in ihnen.
Das muss man wissen, wenn man sich in die große Fleischbeschau im weltweiten Netz begibt. Ansonsten drohen Enttäuschungen, Frust und Wut. Niemand sollte sein Selbstvertrauen mit dem Erfolg oder Misserfolg in Online-Börsen verknüpfen. Vielmehr ist es wichtig mit einer positiven Einstellung durchs Leben zu gehen und zu lernen sich selbst zu lieben. Niemand kann einem das eigene Glück schenken. Das können nur wir selbst.
Der Rest kommt von allein.