Es war vor einigen Jahren, es war Sommer, ein windiger, fast stürmischer Tag, die Pferde standen in kleinen Herden auf großen Koppeln und waren Tag und Nacht draußen.

Ich spazierte den langen, staubigen Weg Richtung Koppel. Wollte nach dem Rechten sehen, vielleicht mein Pferd mitnehmen, ein bisschen reiten.

Die Pferde blickten mir entgegen, synchronstehend, nebeneinander, die Ohren gespitzt, die Haltung angespannt, und mir entfuhr ein tiefer Seufzer. So wie sie standen, so wie sie guckten, so wie sie meiner harrten, das konnte nur eines bedeuten: Etwas war nicht in Ordnung.

Immerhin standen alle drei auf vier Beinen und ich sah kein Blut. Als ich unterm Zaun durchschlüpfte, zeigte mir Pauli, seit einem zerschlagenen Gelenk und dreitausend Euro Tierarztkosten Herdenchef und bester Freund meines Häuptlings, gleich das Problem: Das riesige Sonnensegel hatte sich an einer Stelle gelöst und flatterte donnernd und knatternd im sausenden Sommerwind. „Nun gut“, dachte ich, „die Koppel ist riesig, Sonne ist eh nicht, sollen sie dem Ding halt aus dem Weg gehen.“ Pauli erkannte, dass ich das Problem nicht erkannte. Er suchte Blickkontakt, wandte sich in Richtung Wasserwagen, suchte wieder Blickkontakt, lief unruhig auf und ab, und da ich nicht dumm bin, wurde mir das eigentliche Problem schnell klar: Die Pferde hatten Durst. Ihrer Unruhe zufolge (jetzt wanderten und blickten alle drei) sogar recht großen Durst. Aber der gefährliche Knatterdrache, der da in der Nähe des Wasserwagens durch die Lüfte brauste, machte ihnen Angst.

Was tun und zwar schnell? Angst ist fies, Durst ist fies, beides zusammen ist Scheiße. Ich betrachtete den Pfosten, von dem sich die eine Ecke des Sonnensegels gelöst hatte. Darunter lag eine schwere, große – ich nenne es mal Schraube – Handwerker*Innen mögen mir verzeihen. Gut, das Problem schien auch für kleine Germanistinnen lösbar: Das Schraubending war aus der Schraubendinghalterung gefallen und musste dort wieder rein.

Aufmerksam, ja hoffnungsvoll folgten mir die Pferdeaugen, als ich, mühsam und unbeholfen, die Schraube quer im Mund, den Pfosten über die Bodenhalterung erklomm, um festzustellen, dass das nun wenig bringt, wenn der Sonnensegeldrache in einiger Entfernung durch die Lüfte tobt. Also krabbelte ich den Pfosten wieder runter (die Pferdeaugen weiteten sich beunruhigt), packte den Drachen an einem Zipfel (aufgeregtes Pferdeschnauben), klemmte ihn zur Schraube in mein glücklicherweise großes Mundwerk und erklomm den Pfosten erneut. Und während ich am Pfosten hängend pfriemelte und bastelte, konnte ich die Pferde sehen.

Pauli, von Neugier oder Sorge getrieben, fasste deutlich Mut und kam näher. Der Häuptling zögerte etwas, aber schließlich war ich seine Frau und nicht Paulis, also folgte er mutig. Sanchez, der Letzte im Bunde und Dauermobbingopfer vom Häuptling, wollte nicht allein zurückbleiben, bebend vor Nervosität tänzelte er hinterher. Schließlich gelang es mir, das schwere Schraubenteil und ein Ösendings und den Flatterdrachen zusammenzubringen. Über mir ein gezähmter Drachenzipfel, unter mir, mit hochgereckten Köpfen und respektvollen Augen, die Pferde. Ich war ein Held.

Bedauerlicherweise gab es einen Grund, warum das Schraubenteil nicht gehalten hatte.

Es gab einen Windstoß, am Pfosten klebend folgten meinen Augen dem metallischen Knirschen über mir, das war dumm, denn die Schraube löste sich und knallte mir in mein interessiertes Gesicht, meine Hände verließen den Pfosten und ich stürzte ab und noch im Fallen sah ich die entsetzt davondonnernden, fliehenden Pferde (Oh Gott, der Drache hat sie erwischt!)

Ich rappelte mich auf – synchronstehende Pferde in der Ferne starrten mich an. Meiner vielleicht ein bisschen erleichtert, immerhin war ich am Leben.

Und jetzt kommt´s. Bis auf eine blutige Nase war ja nun nichts gewonnen und es würde auch so schnell nichts zu gewinnen sein, ich würde den Drachen so nicht besiegen, und die Pferde hatten Durst. Großen Durst.

Jetzt nahm ich Blickkontakt auf. Zu Pauli, Herdenchef und Vernünftigster der Baggage. Dann packte ich den Drachen am wirbelnden Zipfel und hielt ihn fest. Und dann konzentrierte ich mich auf meine Botschaft: Trinkt jetzt, solange ich den Drachen halte! Und das klappte. Pauli zögerte kurz, verständlich, schließlich hatte ich mich nicht als sehr fähige Drachenzähmerin bewiesen, aber dann verstand er. Führte seine kleine Herde zum Wasserwagen. Ließ alle trinken, trank sich selbst voll und satt.

Ich ließ den Drachen wieder frei, den Pferden ging es wieder gut. Abends wurde das Ganze repariert.

Ende.