In der Linkspartei sind inzwischen über 60 Fälle von Verletzung des sexuellen Selbstbestimmungsrechts (sexuelle/sexualisierte Gewalt etc.) bekannt ge­worden.1Der hiesige Text diskutiert am Beispiel eines längeren Artikels der kürzlich in der Tageszeitung nd (früher: neues deutschland) erschien, die Probleme einer politischen Haltung, die sich auf das Strafrecht, die juristische Unschuldsvermu­tung und die juristischen Beweisregeln fixiert.


Überblick:

Feministische Handlungsgebote gehen weiter als das Strafrecht

Wurde ein Hilferuf nur „angeblich“ oder aber tatsächlich ignoriert?

Vier Jahreswechsel später

Über Schwierigkeiten, eine mail zu interpretieren

Ein Balkon-Stalking und ein „sexuelles Erlebnis“

Der Kenntnisstand von Janine Wissler im Spätsommer 2018

Zum Begriff der „sexuellen Belästigung“

Zu den Begriffen „sexueller Übergriff“, „sexuelle Nötigung“ und „Vergewaltigung“

Die Zeit als das Opfer noch minderjährig war

Nachstellung

Janine Wisslers Stellungnahme zur Zeit 2018/19

Trotz des Balkon-Stalkings noch ein „Paar“ – wie ist dies zu interpretieren?

Das Spezifische von Mißbrauchs-Beziehungen

Das Balkon-Stalking erfordert – nach feministischen Maßstäben – in jedem Fall eine politische Reaktion

Schlußteil

Von Wut und Widerstandsgeist nichts zu spüren –

… Geschlechterharmonismus statt feministischer Parteilichkeit

Transparenz-Hinweis


Am Montag, den 25. April erschien im nd unter der Überschrift Hang zur Selbstzerstörung. Die verbliebene Linke-Chefin Wissler bekräftigt, die Partei bis zur Neuwahl des Vorstands führen zu wollen“ ein Artikel von Jana Frielinghaus und Max Zeising zu den – unter dem Hashtag #LinkeMeToo thematisierten – Fällen von sexueller/sexualisierter Gewalt und solchem Mißbrauch sowie ähnlichen Sachverhalten.

Um dies gleich vorweg zu sagen: Ich spreche von „Fällen“ und nicht von „Vorwür­fen“, weil ich keinen Grund habe, an den Darstellungen der Opfer zu zweifeln; weil es für die Opfer nie ein Vergnügen ist, die Taten öffentlichen zu machen, weil sie im­mer mit Schuldumkehr und victim blaming rechnen müssen und diese meist auch tatsächlich erfolgen; weil diejenigen die sog. „Vorwürfe“ machen, also mindestens einen Glaubwürdigkeitsvorsprung haben.

Es steht mir (als BürgerIn) auch frei, von etwas anderem überzeugt zu sein (oder es zumindest für [sehr] plausibel zu halten], als irgendein Gericht oder irgendeine Staatsanwaltschaft – und danach meine politische Einstellungen, meine politischen Forderungen und mein politisches Handeln auszurichten. Im berühmten Zweifel, in dem staatliche Gerichten (aus guten Gründen) für den Angeklagten oder für die Angeklagte zu entscheiden haben, zeigen ein gerichtlicher Freispruch oder eine staatsanwaltliche Verfahrenseinstellung nur, daß die Beweise für die Tat nicht ge­nügen; aber nicht, daß das Gegenteil bewiesen ist.

Wer sich in meinem Artikel unziemlich dargestellt fühlt, darf also gerne gegen mich Strafanzeige erstatten oder mich zivilrechtlich verklagen, wenn er meint, seine Sicht auf die Dinge beweisen zu können – oder sein Glück ins Blaue hinein versu­chen möchte.


Feministische Handlungsgebote gehen weiter als das Strafrecht


Sexuelle/sexualisierte Straftaten zu beweisen, ist in der Regel schwierig. Objektive Beweise sind selten eindeutig: Bloße Spuren von Sex beweisen nicht die Nicht-Einvernehmlichkeit; selbst bei Spuren von Gewalt können sich die Täter – wie in ei­nem prominenten Fall (außerhalb der Linkspartei) vor einigen Jahren geschehen – im Zweifel auf angeblich einvernehmliche BDSM-Praktiken herausreden. Noch weniger lassen sich die konkreten Effekte von strukturellen Machtverhältnissen (nicht nur nach sozialwisenschaftlichen, sondern auch) nach strafrechtlichen Maßstäben beweisen. ZeugInnen gibt es oft nicht; oder, wenn doch, sie sind oft ebenfalls von der mächtigeren Person in der (in Rede stehenden) Personen-Konstellation abhän­gig – also wenig verläßlich.

Der Wille ist dagegen per definitionem subjektiv; das heißt: jede beteiligte / betrof­fene Person kann am besten für sich selbst sagen, ob ihr Wille gebrochen wurde oder ob das, was geschah, einvernehmlich war.

Die andere(n) Person(en), die an der Konstellation beteiligte war(en), spielt/spielen erst dann ins eine Rolle, wenn es darum geht, ob sie den (tatsächlichen) Willen der Person, deren Willen gebrochen wurde, erkannte(n) oder jedenfalls erkennen muß­te(n) oder vielmehr nicht erkennen konnte(n); wenn es also darum geht, ob – juris­tisch gesprochen – ein sog. Tatbestandsirrtum (§ 16 I StGB) vorliegt. Die genannte Norm lautet: „Wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum ge­setzlichen Tatbestand gehört, handelt nicht vorsätzlich. Die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Begehung bleibt unberührt.“ (http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__16.html)

Dieser kurze Exkurs ins Juristische zeigt zugleich: Trotz der Änderungen der letzten Jahre sind die Tatbestände im Abschnitt „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ des Strafgesetzbuches immer noch nicht so gefaßt, daß sie alles erfassen, was – aus feministischer Perspektive – als strafwürdrig anzusehen ist (sofern nicht Strafe und Strafrecht schon hier und heute generell abgelehnt werden). Daß fahrlässig (= die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer acht lassend) der Wille von SexpartnerInnen übergegangen wurde (d.h., daß nicht beachtet wurde, daß z.B. eine betrunkene2 oder deutlich jüngere, rhetorisch unterlegene Person vllt. nicht wirklich Sex will, sondern sich nur wider Willen darauf einläßt), ist – leider – weiterhin nicht strafbar. Denn in solchen Situationen ist durchaus denkbar, daß

▪ ein entgegenstehender Wille nicht erkennbar ist (so verlangt es aber § 177 I StGB3) – die bloße Möglichkeit eines entgegenstehenden Willens begründet nach aktuelle Rechtslage keine Strafbarkeit –

und

▪ es trotzdem zu sexuellen Handlungen kommt, ohne daß eines der in § 177 II StGB genannten ‚Tatmittel‘ angewandt wird (s. http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__177.html).4

Das heißt: Politisch ist feministisches Verhalten auch da gefordert, wo das Straf­recht – sei es aus Gründen des sog. materiellen (Strafgesetzbuch) oder des Be­weisrechts (Teil der Strafprozeßordnung) nicht greift, wie auch Janine Wissler, die – nachdem ihre Ko-Vorsitzende Suanne Henning-Wellsow – am 20. April zurückge­treten war5– verbliebe Vorsitzende der Linkspartei, in ihrem mündlichen Presse-Statement vom 23.04.2022 zugesteht: „Nicht alles, was demütigend und verletzend ist, ist auch strafrechtlich relevant, aber deshalb ist es noch nicht zu ak­zeptieren.“ (https://twitter.com/dieLinke/status/1517786710741987328; ab Min. 12:02)

Kommen wir nun zurück zu dem eingangs erwähnten Artikel von Jana Frielinghaus und Max Zeising. Im folgenden wird es vor allem um drei Stellen gehen:

1. „Angeblich soll sie [Janine Wissler] einen Hilferuf einer jungen Frau nach einem mutmaßlichen sexuellen Übergriff aus dem Jahr 2018 ignoriert und einen Täter ge­schützt haben.“ (Der entscheidende Begriff ist hier „angeblich“.)

2. „Es folgte eine weitere Mail der Frau im September 2018, die diese seit dem Jahreswechsel 2021/2022 als nicht erhörten Hilferuf an Wissler verstanden wissen will.“ (Die entscheidende Frage ist hier: War die mail aus dem Spätsommer ein „Hilferuf“ oder wurde sie erst nachträglich so ausgelegt?)

3. „Sie [Wissler] versicherte in ihrer Erklärung, sie habe die hessischen Parteigre­mien zum Jahreswechsel nach der neuen Wendung über den mutmaßlichen Über­griff ihres Expartners 2018 informiert.“ (Die entscheidende Frage ist hier: Welcher Jahreswechsel war gemeint – 2018/19 oder 2021/22?)


Wurde ein Hilferuf nur „angeblich“ oder aber tatsächlich ignoriert?


Kommen wir zur ersten Stelle: Es soll nur „[a]ngeblich“ ein „Hilferuf einer jungen Frau nach einem mutmaßlichen sexuellen Übergriff aus dem Jahr 2018 ignoriert“ worden sein.

Wieso angeblich? Die Echtheit der mail vom 24. August 2018, die dem Vorwurf un­ter anderem zugrundeliegt, und daß danach nicht politisch reagiert wurde, scheint doch faktisch gar nicht umstritten zu sein (die fragliche mail ist als Bild in einem Tweet des Spiegel-Reporters Rafael Buschmann veröffentlicht: https://twitter.com/Rafanelli/status/1515603778392756227). – Der Streit geht nicht um das Faktische, sondern um das Interpretatorische bzw. Politische – um die Frage, ob für die Land­tags-Fraktionsvorsitzende einer Partei, die beansprucht, „feministisch“ zu sein6, ein Handlungsgebot bestand oder ob zurecht nicht gehandelt wurde.

1. In der gerade verlinkten mail stand: „ich drehe endgültig“ – es gibt also eine Vor­geschichte! – „durch, wenn Adrian nochmal nachts plötzlich auf meinem Balkon steht und das romantisch nennt“. Das nicht als „Hilferuf“ zu verstehen, ist eh schon eine etwas gewagte Interpretation. (Warum sonst sollte die Betroffene an die Frak­tionsvorsitzende und Partnerin des Täters schreiben?! Um damit zu prahlen, bald ‚durchzudrehen‘?!)

2. Aber selbst wenn es kein Hilferuf gewesen wäre: Wie wäre es mit einem Gebot zu helfen, auch ohne daß Leute – explizit – um Hilfe rufen – sei es, weil die Leute nicht in der Lage sind, zu rufen; sei es, weil sie die Situation oder Konstellation, in die sie geraten sind, selbst noch nicht voll überblicken. – Die Frage ist doch, ob es für eine Partei, die beansprucht, eine feministische zu sein, ein unhaltbarer Zu­stand ist, daß

▪ ein mittel-alter Fraktionsangesteller uneingeladen, den Balkon eines gerade erst 18 gewordenen, weiblichen Parteimitgliedes besteigt (über Sex oder Vergewaltigung in dem Zusammenhang zusätzlich zu reden, ist gar nicht nö­tig, um den Fehler zu erkennen und einen Grund zum Eingreifen zu se­hen). –

▪ Oder sind das die üblichen Umgangsformen in der Linkspartei: Die Partei­mitglieder steigen sich wechselseitig auf die Balkone und trommeln gegen die Balkontür, bis sie ihren jeweiligen Willen erfüllt bekommen?!


Vier Jahreswechsel später


Kommen wir nun zur zweiten Stelle. Sie lautet, wie gesagt: „Sie [Wissler] versicher­te in ihrer Erklärung, sie habe die hessischen Parteigremien zum Jahreswechsel nach der neuen Wendung über den mutmaßlichen Übergriff ihres Expartners 2018 informiert.“

Aus dieser Stelle ging leider nicht klar hervor, ob die kürzliche Jahreswende (2021/22) gemeint war oder vielmehr die Jahreswende 2018/19. Auf letzteres deu­tete hin, daß die letzte zuvor genannte Jahreszahl das Jahr 2019 war. Einige Zei­len weiter oben hieß es nämlich: „Die junge Frau und Wisslers Ex waren indes, was viele in der Partei bezeugen, noch weit bis ins Jahr 2019 ein Paar.“

Dies konnte so verstanden werden, daß mit „der neuen Wendung“ die Informatio­nen gemeint war, daß die beiden – trotz der mail vom 24. August 2018 – nach Dar­stellung des nd weiterhin „ein Paar“7 waren.

Auf Nachfrage bei Twitter stellte Jana Frielinghaus aber dankenswerterweise klar, daß vielmehr die Jahreswende 2021/22 und mit „der neuen Wendung“ ein post bei Instagram gemeint war (https://twitter.com/JanaFrielingha1/status/1518906561598533633). Dieser Insta­gram-post war in dem nd-Artikel vom 25.08.2022 noch etwas weiter oben erwähnt.

Dort hieß es:

„Es folgte eine weitere Mail der Frau im September 2018 [gemeint war wohl vielmehr die bereits besprochene Nachricht vom 24.08.2018], die diese seit dem Jahreswechsel 2021/2022 als nicht erhörten Hilferuf an Wissler verstanden wissen will. Sie äußerte erstmals Vorwürfe gegen die Linke-Kovorsitzende über den Onlinedienst Instagram. Die Mail vom September 2018 an Wissler enthielt einerseits eine Textnachricht des Mannes, in der dieser sich begeistert über ein sexuelles Erlebnis mit der 18-Jährigen äußert, von der Frau mit dem Kommentar versehen, sie ‚drehe durch‘, wenn der 43-Jährige noch einmal auf ihrem Balkon erscheine und Einlass begehre.“

Das ist ja nun aber gerade der Gegenstand der Kritik: Daß bis zur Jahreswende 2021/2022 – bis zu dem fraglichen Instagram-post – in keiner Weise politisch auf die mail vom Spätsommer 2018 reagiert wurde!


Über Schwierigkeiten, eine mail zu interpretieren


Damit kommen wir nun zu dem zentralen Punkt, was das damalige (Nicht-)Verhal­ten von Janine Wissler und ihre jetzige Stellungnahme anbelangt. In ihrer schriftli­chen Stellungnahme vom 15. April 2022 schreibt Janine Wissler: „Dass es dabei [bei dem Verhältnis zwischen Ex und dem Opfer] zu Belästigungen oder Unfreiwil­ligkeiten gekommen ist, wurde mir gegenüber nie dargestellt (bis zum Jahreswech­sel 2021/2022).“

In ihrem mündlichen Presse-Statement vom 23.04.2022 sagte sie noch deutlicher: „Ich weise die Unterstellung, ich hätte schon vor Ende 2020/21 Kenntnis von Vor­würfen von sexueller Belästigung im Landesverband Hessen gehabt, entschieden zurück.“ (https://twitter.com/dieLinke/status/1517786710741987328; ca. ab Min. 14:38)

Ein Balkon-Stalking und ein „sexuelles Erlebnis“


Wissler wußte aber sehr wohl seit dem 24. August 2018 von dem Balkon-Stalking und den dabei dabei geäußerten romantischen Gefühlen.

Und laut Frielinghaus/Zeising war der mail des Opfers vom 24. August außerdem – wie bereits zitiert – eine „Textnachricht des Mannes, in der dieser sich begeistert über ein sexuelles Erlebnis mit der 18-Jährigen äußert“ beigefügt.

Aus dieser Formulierung geht nicht klar hervor, ob jenes „sexuelle Erlebnis“ in unmittelbarer Folge des Balkon-Stalkings8 oder zu irgendeinem anderen Zeitpunkt stattfand.

Jedenfalls war Wissler – nach eigenen Angaben – grundsätzlich bekannt, daß zwischen ihrem damaligen Partner und der – zu dem Zeitpunkt als Wissler davon erfuhr – gerade 18 Jahre alte Gewordenen (zu bestimmten Zeitpunkten, so ist hinzuzufügen) ein sexuelles Verhältnis bestand9.

Ihre Kenntnis von dem sexuellen Charakter bestätigt Wissler selbst in ihrer Stel­lungnahme vom 15. April 2022: „Sie teilte mir am 16. Mai [2018] mit, dass sie ein sexuelles Verhältnis zu meinem damaligen Partner hatte.“ (https://www.die-linke.de/start/presse/detail/wissler-stellungnahme-zur-berichterstattung-des-spiegel; vgl. zur Interpretation und Fragwürdigkeit der Zeitform „hatte“ [statt: „gehabt hatte“]: https://publikum.net/linkemetoo-de-konstruktion-von-antworten-auf-fragen-der-taz/, Abschnitt III. 1. sowie die hiesige FN 9)


Der Kenntnisstand von Janine Wissler im Spätsommer 2018


Wissler wußte also bereits im Spätsommer 2018:

▪ Es gibt ein sexuelles Verhältnis zwischen einem mittel-alten Fraktions-Mitar­beiter und einem gerade erst 18 Jahre alt gewordenen, weiblichen Parteimit­glied. (Sie wußte also auch von dem Altersunterschied und dem Hierarchie-Unterschied zwischen einem Fraktionsmitarbeiter und einem jungen Partei­mitglied – vermutlich noch ohne wichtige Funktion, außer vielleicht im Ju­gendverband.)

▪ Im Kontext dieses Verhältnisses steigt der Mitarbeiter uneingeladen auf den Balkon der 18-Jährigen und erzählt etwas von „romantischen“ Gefühlen.

▪ Die 18-Jährige teilt Wissler danach mit, daß sie „endgültig“ durchdrehe, falls das noch mal passiere. (Das Wort „endgültig“ deutet auf frühere Vorfälle hin.)

Zum Begriff der „sexuellen Belästigung“


Nehmen wir mal zugunsten des Täters sowie Wisslers an, jenes – oben erwähnte – „sexuelle Erlebnis“ fand nicht in der Nacht der Balkon-Besteigung statt und der Typ sei zeitnah wieder verschwunden – dann gab es

▪ in der Tat keine (physische) Gewalt (außer bei der Balkon-Besteigung wäre etwas kaputt gegangen)

und

▪ von sexuellen Handlungen oder ähnlichem in dieser Nacht wissen wir nicht sicher.

Dann war es in der Tat keine sexuelle Belästigung im Sinne des – 2016 eingeführ­ten10 und 2020 geänderten11 – § 184i StGB, denn der dortige Tatbestand setzt(e) nach beiden Fassung eine „sexuell bestimmte“ Art der körperlichen Berührung12 voraus („Sexuelle Belästigung“ ist der Begriff, den Janine Wissler in ihrem mündlichen Presse-Statement vom 23.04.2022 verwandte). Die heutige Fassung des § 184i StGB lautet:

„Wer eine andere Person in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt und da­durch belästigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe be­straft, wenn nicht die Tat in anderen Vorschriften dieses Abschnitts mit schwererer Strafe bedroht ist.“ (http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__184i.html)

Aber der Ausdruck „sexuelle Belästigung“ ist älter und seine Bedeutung ist breiter als der gesetzliche Straftatbestand. Es gibt auch nicht-körperliche sexuelle Belästi­gungen, z.B. in Form von Sprüchen oder Blicken. (Verbale sexuelle Belästigungen wurden schon vor 2016 teilweise als Beleidigungen bestraft; dies soll nach dem gesetzgeberischen Willen so bleiben; § 184i ist hinzugekommen.13)

Das Balkon-Stalking war deutlich mehr als Sprüche und Blicke – ein massives Eindringen in den Wohnbereich der Betroffenen.

Zu den Begriffen „sexueller Übergriff“, „sexuelle Nötigung“ und „Vergewaltigung“


Nehmen wir nun an, es sei in unmittelbarer Folge des Balkon-Stalkings sehr wohl zu sexuellen Handlungen gekommen, dann liegt nahe, anzunehmen, daß dieses Stalking in einen der Tatbestände des § 174 II StGB (Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung) mündete, z.B.:

▪ „ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern“ (Überrumpelung aufgrund der Balkon-Si­tuation)

oder

▪ „ein Überraschungsmoment ausnutzt“ (Umstand, daß der Typ uneingeladen auf den Balkon stieg; in der Nachricht vom 24.08.2018 stand „plötzlich“)

oder

▪ „Drohung mit einem empfindlichen Übel“ (http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__177.html) (wer auf einen fremden Balkon klettert, tut vielleicht auch noch mehr).

Die „Drohung mit einem empfindlichen Übel“ gehört mit „Nötigung“ zusammen14; die anderen Tatbegehungsformen heißen „Übergriff“15 (so ist die Systematik des Gesetzes wohl zu verstehen16); besteht die sexuelle Handlung in Penetration oder ähnlichem, dann spricht das Gesetz von Vergewaltigung17.

Die Zeit als das Opfer noch minderjährig war


Wir wissen außerdem, daß das Verhältnis zwischen dem Fraktions-Mitarbeiter und dem Opfer schon bestand, als die Frau noch minderjährig, aber über 13 Jahre alt war.

In Bezug auf diese Zeit war auch die bloße Ausnutzung (für sexuelle Handlungen) einer – gesetzlich nicht näher definierten „Zwangslage“ strafbar (http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__182.html).18

Außerdem geht es um „Jugendpornographie“19. Dazu gibt es in § 184c StGB eine Strafvorschrift bezüglich „Verbreitung, Erwerb und Besitz jugendpornographischer Inhalte“. Die Norm bestimmt in Absatz 1 unter anderem:

„Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer […]
3. einen jugendpornographischen Inhalt, der ein tatsächliches Geschehen wiedergibt, herstellt oder […].“ (http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__184c.html)

Als „jugendpornographisch“ definiert die genannte Norm unter anderem pornogra­phische Inhalte, die „die sexuell aufreizende Wiedergabe der unbekleideten Genitalien oder des unbekleideten Gesäßes einer vierzehn, aber noch nicht achtzehn Jahre alten Person“ zum Gegenstand hat. Des weiteren ist (als zweite von drei Varianten) „die Wiedergabe einer ganz oder teilweise unbekleideten vierzehn, aber noch nicht achtzehn Jahre alten Person in aufreizend geschlechtsbetonter Körper­haltung“ von der Strafbarkeit erfaßt.

Es genügt also „aufreizend geschlechtsbetonter Körperhaltung“ + „ ganz oder teil­weise unbekleidet“. (Das Wort „Wiedergabe“ bezieht sich hier darauf, daß der jugendpornographische „Inhalte“ [Bild etc.], die Person ‚wiedergibt‘; nicht notwendig ist, daß dieser Inhalt öffentlich wiedergegeben wird; ggf. ist auch die bloße Herstellung und der bloße Besitz strafbar [s. dazu unten].)

„Inhalte“ sind in § 11 III StGB definiert als „solche [Inhalte], die in Schriften, auf Ton- oder Bildträgern, in Datenspeichern, Abbildungen oder anderen Verkörperungen enthalten sind oder auch unabhängig von einer Speicherung mittels Informations- oder Kommunikationstechnik übertragen werden“ (http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__11.html).20

(Der Begriff „pornographisch“ [im allgemeinen] ist im Gesetz nicht definiert.21 Der Sonderausschuß des Bundestages für Strafrechtsreform, dessen Arbeit in den 1970er Jahren zu ei­ner Reform des Sexualstrafrechts führten, verstand unter Pornographie

„Darstellungen, die 1. zum Ausdruck bringen, daß sie ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung eines sexuellen Reizes bei dem Betrachter abzielen und dabei 2. die im Einklang mit allgemeinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen gezogenen Grenzen des sexuellen Anstandes eindeutig überschreiten“ [BTag-Drs. VI/352122, S. 60].

Das Berliner Kammergericht [entspricht den Oberlandesgerichten in anderen Bundesländern] vertrat 2008 die Auffassung, daß

„nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Oberlandesgerichte“ Por­nographie dann vorliege, „wenn eine Darstellung unter Ausklammerung aller sonstigen menschlichen Bezüge sexuelle Vorgänge in grob aufdringlicher Weise in den Vorder­grund rückt und ihre Gesamttendenz ausschließlich oder überwiegend auf die Erre­gung eines sexuellen Reizes abzielt“ [Urteil vom 08.02.2008 zum Aktenzeichen (4) 1 Ss 312/07 (192/07); https://openjur.de/u/277558.html, Textziffer 11].

Der BGH hatte aber 1990 vielmehr entschieden, daß „die aufdringliche, verzerren­de und unrealistische Darstellung geschlechtlicher Vorgänge“ bloß ein „Anhalt für die Bewertung als Pornographie“ bilde [Urteil vom 21.06.1990 zum Az.: 1 StR 477/89; https://research.wolterskluwer-online.de/document/91ae3b22-a2c7-4b49-b7f2-259146633f6e; meine Hv.]. Auch solche Darstellungen könnten unter den Begriff der „Kunst“ fallen [und damit von Verfassungs wegen von der Strafbarkeit ausge­nommen sein], „da gerade die in der Übersteigerung und Verzerrung bestehende unrealistische Darstellung ein Mittel künstlerischer Gestaltung sein kann, was ins­besondere bei der Satire und Karikatur in Wort oder Bild der Fall ist“.23]

Zu beachten ist, daß die bloße Herstellung von jugendpornographischen Inhalten (also die oben zitierte Nr. 3 von § 184c I StGB) – gemäß Absatz 424 der genannten Norm – nur dann strafbar ist, wenn die Herstellung nicht „ausschließlich zum per­sönlichen Gebrauch mit Einwilligung der dargestellten Personen“ folgte. (Das Feh­len der Einwilligung und die Kenntnis des Täters vom Fehlen der Einwilligung kön­nen – je nach Fallkonstellation – schwierig zu beweisen sein.)
Unabhängig von einer etwaigen Einwilligung der dargestellten Person(en) sind aber verschiedene Formen der (tatsächlichen) Verbreitung und Zugänglichung von jugendpornographischen Inhalten (Nr. 1 und 2 von § 184c I StGB) strafbar; auch ist (gem. Nr. 4 der genannten Norm) die bloße Herstellung auch bei Einwilligung strafbar, wenn die Herstellung in der Absicht („um […] zu“25) erfolgt, die Inhalte anschließend zu ver­breiten oder zugänglich zu machen (die Absicht muß ich nicht notwendigerweise realisiert worden sein; es kommt auf die Absicht der herstellenden Personen [nicht: der dargestellten Person] an).

Nachstellung


Schließlich kommt noch in Betracht, daß es sich bei dem Balkon-Stalking um eine Nachstellung im Sinne des § 238 StGB handelte. Dieser Straftatbestand ist bspw. erfüllt, wenn eine Person einer anderen Person „in einer Weise unbefugt nachstellt, die geeignet ist, deren [der zweiten Person] Lebensgestaltung nicht unerheblich zu beeinträchtigen, indem er [erstere Person] wiederholt […] die räumliche Nähe die­ser Person aufsucht“ (http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__238.html). Eine se­xuelle Handlung ist für die Erfüllung dieses Straftatbestandes also nicht notwendig.

Das Wort „endgültig“ in der weiter oben bereits zitierten mail deutet darauf hin, daß es mehrere Vorfälle gab – daß also evtl. (auch) das Tatbestandsmerkmal „wieder­holt“ in § 238 StGB gegeben war.26

Es gibt also eine ganz Reihe von Straftatbeständen, von denen bereits 2018 klar war, daß sie möglicherweise erfüllt sind; nach strengeren politischen (feministi­schen) Maßstäben gab es noch mehr Anlaß, das Verhalten des Fraktionsmitarbei­ters genauer zu untersuchen. (Untersuchungsbedarf gab es damals deshalb, weil – wenn ich recht sehe – eine Verletzung des sexuellen Selbstbestimmungsrecht auch vom Opfer – jedenfalls öffentlich – noch nicht explizit benannt war, sondern sich anhand der Sachverhalts-Beschreibung nur vermuten ließ. „Untersuchen“ heißt in dem Zusammenhang zuvorderst bei der Betroffenen nachzufragen, ob sie Wünsche/Forderungen/Unterstützungsbedarf hat.)

Janine Wisslers Stellungnahme zur Zeit 2018/19


Janine Wissler selbst schreibt aber zu ihrem damaligen Verhalten und ihrer damali­gen Einschätzung ausschließlich:

▪ daß sie sich von ihrem Ex-Partner getrennt hat;

▪ daß sie keinen Hinweis auf Mißbrauch oder sexuelle Gewalt sah27. Von In­formation des Landesvorstandes oder anderen politischen Konsequenzen zur damaligen Zeit (2018/19) ggü. dem Ex und Fraktionsmitarbeiter steht in ihrer schriftlich Erklärung nichts(, und auch in ihrer mündlichen Erklärung sagt sie dazu nichts). – Das ist – gewissermaßen – konsequent, angesichts der Lageeinschätzung, die sie vornahm. –

Allerdings läßt diese Lageeinschätzung (kein Hinweis auf Mißbrauch oder sexuelle Gewalt) Entscheidendes außer Acht:

▪ Das Balkon-Stalking.

▪ Das in der Nachricht vom 24. August 2018 erwähnte drohende Durchdrehen.

▪ Das Wort „endgültig“ in der Nachricht; also den Hinweis auf vorhergehende Vorfälle.

▪ Daß es nicht nur ein Altersgefälle, sondern auch ein Hierarchie-Gefälle in der Partei (Fraktionsmitarbeiter vs. junges Mitglied – vermutlich noch ohne wichtige Funktion) gab.

▪ Daß die betroffene Frau, als Wissler Kenntnis erlangte, gerade erst volljährig geworden ist. – Das macht die sexuelle Beziehung, die schon vor der Voll­jährigkeit begann, als solches (!) zwar noch nicht illegal; aber wenn (weitere) Abhängigkeitsverhältnisse28 oder Zwangslagen29 ausgenutzt werden schon.

▪ Daß für die feministische Bewertung die juristische Bewertung nicht das Ent­scheidende sein kann: Selbst wenn wir sagen, daß

▫ u.U. auch eine Beziehung mit einem solch großen Altersunterschied und einem solchen Unterschied in der Parteihierarchie okay sein kann (aber keinesfalls immer ist);

▫ sexualmündige Leute sich ‚riskant‘ verhalten dürfen –

dann sollte doch aber zumindest eines klar sein:

▪ Wenn die jüngere der beiden Personen kurz davor ist, durchzudrehen – u.a. weil ihr auf ihrem Balkon nachgestellt wird –, dann wurde zu (!) ‚riskant‘ gehandelt; dann

ist – gelinde gesagt – etwas schief gelaufen; dann ist Anlaß für Selbst­kritik der älteren, erfahreneren Person, die auch noch in der Parteihierar­chie höher steht und im Geschlechterverhältnis zwischen Männern und Frauen auf der mächtigeren Seite steht;

und

▪ dann ist in einer Partei, die beansprucht, eine „feministisch“ sein, zu ver­langen, daß Leute, die davon mitbekommen, eingreifen – zumal, wenn das Parteimitglied, das davon mitbekommt, auch noch die Fraktionsvor­sitzende – also die (Quasi-)Chefin des Mitarbeiters (Täters) ist. –

Natürlich blöde gelaufen und prekäre Handlungsmöglichkeiten für die Fraktionschefin, wenn

▪ sie ihrerseits eine Beziehung mit dem Mitarbeiter hat(te) (was ich nicht so tragisch finde, weil da die Geschlechterhierarchie nicht durch die Parteihierarchie verstärkt, sondern konterkariert wurde)

und

▪ sie auch noch die ‚Betrogene‘ in einer Beziehung ist, die anscheinend nicht als offene definiert war.30 – Aber die Beziehung mit dem Typen hat sich Janine Wissler anscheinend selbst ausgesucht und ist ihr nicht aufgedrängt worden (soweit wir wissen); und die Beziehung zu­nächst geheim zu führen31, war anscheinend auch ihre (Mit)Entschei­dung – kann also das Gebotensein von Selbstkritik nicht aufheben: Sie hat sich selbst in eine Situation gebracht, in der ihre Handlungs­möglichkeiten prekär waren.


Trotz des Balkon-Stalkings noch ein „Paar“ – wie ist dies zu interpretieren?


Manche drehen folgenden Umstand gegen das Opfer: „Die junge Frau und Wiss­lers Ex waren […], was viele in der Partei bezeugen, noch weit bis ins Jahr 2019 ein Paar.“ (nd-Artikel) Dies würde doch auf eine – grundsätzliche – Einvernehmlich­keit der Beziehung (zwischen Fraktionsmitarbeiter und junger Frau) hindeuten, wenn auch die Balkon-Besteigung vielleicht ein Fehltritt gewesen sei.

Ein feministisch geschulter Blick führt freilich zur gegenteiligen Interpretation: Gerade der Umstand, daß sie sich trotz des Balkon-Stalkings nicht sogleich oder nicht vollständig aus der Beziehung löste bzw. ihren Lösungsversuch zunächst nicht voll­ständig durchsetzen konnte (s. dazu noch einmal FN 7), deutet darauf hin, daß sie sich in einem Abhängigkeitsverhältnis befand und in dem ganzen Verhältnis etwas nicht stimmte.

Das Spezifische von Mißbrauchs-Beziehungen


Es zeichnet Mißbrauchsbeziehungen (im weiten Sinne) gerade aus – daß es Abhängigkeitsverhält­nisse gibt, aus denen sich nicht ohne weiteres gelöst werden kann:

▪ bei klassischen Ehen wegen Unterhalts- und Wohnungsfragen; auch bei Af­fären u.ä. unter Umständen: wer/welche bezahlt Rechnungen beim Ausge­hen / macht welche Geschenke? (Das ist ja bei einer gerade erst 18-Jähri­gen und einem – mehr oder minder ordentlich bezahlten – [vllt. wissen­schaftlichen] Landtags-Fraktions-Angestellten naheliegend: Da verschwimmt die Grenze zwischen Affäre, [nicht eingestandener / unbewußter] Prostitution und Mißbrauch.)

▪ sowohl bei Ehen als auch anderen Konstellationen: gemeinsames soziales Umfeld / Wie wird das Umfeld reagieren? / Wer/welche wird die FreundInnen / Bekannten verlieren? Wer/welche wird sich neue suchen müssen?

▪ Die eventuelle ‚Bewunderung‘ für das ältere, erfahrenere, rhetorisch überle­gene Parteimitglied;

▪ etc. pp.


Das Balkon-Stalking erfordert – nach feministischen Maßstäben – in jedem Fall eine politische Reaktion


Selbst wenn die Betroffene selbst eine etwaige Entschuldigung des Stalkers wegen des Balkon-Stalkings akzeptiert hätte und danach eitel Sonnenschein in dem Ver­hältnis gewesen wäre, wäre doch

▪ ein politisches Wort als Partei (nicht nur als ‚betrogene‘ Partnerin) zu dem Stalker angebracht gewesen;

und

▪ die Schaffung eines Raums, in dem sich die Betroffene über den Charakter der Konstellation, auf die sie sich einließ, klar werden und dazu äußern kann.

Das Telefonat32 nach der Nachricht vom 24. August 2018 scheint Janine Wissler aber – durchaus: naheliegender Weise – v.a. aus der Perspektive der Betrogenen (‚ihr Typ geht immer noch fremd‘ [s. noch einmal FN 32]) geführt zu haben – und nicht mit dem Anliegen der Unterstützung der (eventuell) Mißbrauchten33.

Nun mag jene Perspektive (die Perspektive der ‚Betrogenen‘) – wie gesagt – in der Konstellation eines Telefonats zwischen ‚Betrogener‘ und der, mit der der ‚Betrug‘ begangen wurde, naheliegend sein.

Aber es wäre doch richtig, zwei Dinge dazu zu sagen:

1. Janine Wissler hat, vielleicht eben deshalb, weil sie selbst in der Konstellation persönlich involviert war, nicht politisch genug und nicht solidarisch genug gehandelt.

Das könnte doch Janine Wissler so langsam mal über die Lippen kommen – dann hätte ich (als Nicht-BetroffeneR und Nicht-Parteimitglied) kein großes Problem, daß sie noch mal als Parteivorsitzende kandidiert.

Aber genau das Gegenteil scheint mir – nach aller Erfahrung – das Typische in solchen Konstellationen zu sein – und passiert auch hier wieder: Sowohl die Täter als auch die TäterschützerInnen leugnen jeden Fehler – und machen die Situation dadurch für die Opfer nur noch schlimmer.

2. Es gab augenscheinlich 2018/19 keine Parteistruktur, an die die Betroffene sich hätte wenden können; oder diese Struktur war nicht ausreichend bekannt; oder es bestand kein Vertrauen – und folglich wählte die Betroffene die Partnerin und Che­fin des Balkon-Stalkers als Ansprechpartnerin. – Bzgl. dieses strukturellen Mangels wäre also eine Selbstkritik der Partei als ganzes (oder zumindest des hessischen Landesverbandes) angebracht.

Statt dessen wird

▪ die Position vertreten: Vor der Jahreswende 2021/22 habe gar kein Handlungsbedarf bestanden; nach dem Instagram-post sei zeitnah und angemessen reagiert worden34 – und gleichzeitig zieht die juristische Repression seitens Tätern und Täter­schützerInnen gegen die Opfer (Strafanzeigen und Unterlassungsklagen35) weder politische noch finanzielle Konsequenzen der Partei nach sich (zu for­dern sind, politische Sanktionen gegen diejenigen, die zu jenen Mitteln grei­fen, und finanzielle Unterstützung für die Opfer);

und

▪ an der Fiktion ‚neutraler‘ Aufklärung festgehalten36; statt feministisch-partei­lich zu reagieren. Die angebliche Einsicht, daß

„Sexismus und sexualisierte Gewalt strukturelle Probleme sind, die alle Teile der Ge­sellschaft betreffen und somit keinen Halt vor linken Räumen machen. Daher kann es natürlich auch in unseren Parteistrukturen durch Genossinnen und Genossen zu sexistischen Aussagen, Verhaltensweisen oder auch Belästigung und Gewalt kom­men.“
(https://www.die-linke.de/partei/parteidemokratie/parteivorstand/parteivorstand/detail/solidaritaet-mit-betroffenen-und-konsequentes-handeln-gegen-sexismus-grenzueberschreitungen-und-sexualisierte-gewalt/),

geht ins Leere (bleibt ohne Konsequenzen für die Reaktionen auf sexuelle/sexualisierte Gewalt und solchen Mißbrauch; die Deskription schlägt in Affir­mation oder jedenfalls Fatalismus um), wenn nicht zumindest versucht wird, einen prozeduralen Ausgleich für das Machtgefälle zwischen Männern und Frauen in der Gesellschaft insgesamt und auch in linken Gruppen, Organi­sationen, Szenen, Bewegungen und Parteien zu schaffen.

In dem Zusammenhang ist auch zu betonen:

Zwar ist Sexismus ein feministischer Begriff, aber wenn immer nur von Se­xismus und nie von Patriarchat – nie von Herrschaft von Männern über Frau­en / von Ausbeutung von Frauen durch Männer und von Macht von älteren Männern über jüngere (wenn auch letzteres im kapitalistischen Patriarchat deutlich modifiziert gegenüber vorkapitalistischen Patriarchaten) – gespro­chen wird, dann wird auch Sexismus zu einer leeren Abstraktion. Denn in der gesellschaftlichen Wirklichkeit (Lenin: „‚eine abstrakte Wahrheit [gibt es] nicht […], […] die Wahrheit [ist] immer konkret […]‘, wie der verstorbene Plechanow – mit Hegel – zu sagen pflegte.“ [LW 32, 58 - 11037 [85]) ist Se­xismus nicht einfach eine Differenzierungen zwischen den sexes (Ge­schlechtern), sondern eine Benachteilung von Frauen zum Vorteil von Män­nern. –

Das ist doch ein ‚kleines‘ Problem für eine Partei, die beansprucht, eine femi­nistische zu sein.


Schlußteil


Von Wut und Widerstandsgeist nichts zu spüren – ...


Selbst in einem Papier von 24 Frauen aus der Linkspartei, die sich für eine Erneuerung des angeblichen feministischen Grundkonsenses der Partei aussprechen38, finden sich lauter neutralistische („Aufarbeitung“ / „für alle“39), defensive („Es geht auf keinen Fall darum, …“) und Befriedungs40-Floskeln wie:

„Aufarbeitung“41– „Aufklärung“42/ Es gehe „nicht darum, einzelne vorzuführen oder gar öffentlich an den Pranger zu stellen“. / „Es geht auf keinen Fall darum, eine Kultur der Angst zu etablieren, sondern im Gegenteil, eine Kultur des respektvollen Umgangs miteinander.“ (https://www.links-bewegt.de/de/article/539.den-grundkonsens-erneuern-f%C3%BCr-eine-feministische-linke.html)

Respekt für die Täter, das ist wirklich sehr feministisch!

Nun ist mir schon klar, daß die Feministinnen in der Linkspartei keine neue Rote Zora43sind; sein wollen – und als Mitglieder einer legalen Partei auch nicht sein können. –

Aber ein bißchen von der Haltung der Rote Zora dürfte schon nötig sein, wenn sich in der Linkspartei etwas in Sachen Geschlechterverhältnis ändern soll.

Im Jahre 1984 antwortete ein Rote Zora-Mitglied in einem Selbstinterview, das von der Emma veröffentlicht wurde, auf den Vorhalt der imaginären Interviewerin, „Be­waffnete Aktionen haben doch eine ‚abschreckende Wirkung‘“, Folgendes:

„Dahinter [Hinter der Annahme, daß die Aktionen der Roten Zora Frauen abschrecken würde, sich mit feministischer Politik zu identifizieren] steckt, daß gesellschaftlich legiti­mierte Gewalt akzeptiert wird, während ein entsprechendes Zurückschlagen ab­schreckt. Mag sein, daß es erschreckt, wenn Selbstverständliches in Frage gestellt wird, daß Frauen, die von klein auf die Opferhaltung eingebleut kriegen, verunsichert sind, wenn sie damit konfrontiert werden, daß Frauen weder Opfer noch friedfertig sind. Das ist eine Herausforderung. Die Frauen, die ihre Ohnmacht wütend erleben, finden sich in unseren Aktionen wieder. Denn so, wie jeder Gewaltakt gegenüber einer Frau ein Klima von Bedrohung gegenüber allen Frauen schafft, so tragen unsere Aktio­nen, auch wenn sie sich nur gegen einzelne Verantwortliche richten, mit dazu bei, ein Klima zu entwickeln: Widerstand ist möglich!“44


Deshalb (das heißt: um zu zeigen, daß Widerstand möglich ist) ist das Outen von Tätern im übrigen auch gerade dann richtig, wenn sich einem Täter juristisch keine Straftat nachweisen läßt. Es ermöglicht immerhin, potentiellen weiteren Opfern, sich von dem Tätern fernzuhalten – wenn schon weder der Staat den Typen aus dem Verkehr zieht noch zivilgesellschaftliche Organisationen, Szenen/Bewegun­gen etc., ihn ausschließen. Es zeigt, daß jedenfalls ein Minimum an Widerstand auch dann möglich ist, wenn Vater Staat nicht hilft. –

Von Wut und Widerstandsgeist ist in dem Text der Linkspartei-Frauen aber leider so gar nichts zu spüren.

Dies ist freilich ein genereller – nicht nur auf das Geschlechterverhältnis bezogener – Mangel der Linkspartei. Sie hat schlicht nicht den bewegungsgeschichtlichen Vorlauf, den die frühen Grünen (die – obwohl ab 1983 ebenfalls Bundestagspartei – bis ungefähr 1989 rebellischer waren als PDS und Linkspartei jemals) hatten. Vielmehr ist die Linkspartei bekanntlich hauptsächlich aus der vormaligen Regie­rungspartei der DDR und LinkssozialdemokratInnen aus dem Westen entstanden. Das heißt von vornherein – je nach Sichtweise – mehr Organisationsdiszplin oder -fetischismus sowie mehr Staats- und Rechtsgläubigkeit45 als bei den frühen Grü­nen.

… Geschlechterharmonismus statt feministischer Parteilichkeit

▪ So wie die Linkspartei letztlich auch eher sozialpartnerInnenschaftlich als klassenkämpferisch ist (wenn auch vielleicht etwas kämpferischer als die SPD und die Mehrheit im DGB),

▪ so ist sie auch weit eher geschlechter-partnerschaftlich als feministisch-kämp­ferisch.

Die Linkspartei

▪ denkt – jedenfalls in ihrer alltäglichen Arbeit – nicht in gesellschaftlichen Widersprüchen;

▪ geht in ihrer alltäglichen Arbeit nicht von Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen zwischen KapitalistInnen und Lohnabhängigen, Männern und Frauen, Schwarzen und Weißen aus,

▪ sondern von ‚Problemen‘ und ‚Fehlern‘, für die – am besten: staatliche – ‚Lö­sungen‘ zu finden seien.

Folglich geht es selbst vielen Frauen in der Linkspartei um einen „gemeinsamen kollektiven Lernprozess“46 mit Männern und nicht um die Durchsetzung von feministischen / Frauen-Interessen gegen Männer-Dominanz.



Transparenz-Hinweis:

1. a) Ich bin transgender; 1996 setzte – nicht wegen irgendeines ‚inneren‘ oder ‚ur­sprünglichen‘ ‚Gefühls‘ oder ‚biologischer Determination‘, sondern aufgrund sozia­ler (gesellschaftlicher) und theoretischer Einflüsse – ein Prozeß der Ent-Identifizie­rung (Pêcheux) bzw. Desidentifizierung (Butler) als Mann ein, der 1997 in die Ver­wendung eines zweiten Vornamens (die weiblich Form des dritten zugewiesenen Vornamens) mündete.

Inspirierend für die gleichzeitige Verwendung eines männlichen und eines weibli­chen Vornamens war folgende – sicherlich etwas eigensinnig interpretierte und aufgegriffene – These Monique Wittigs:

„Lesbian is the only concept I know of which is beyond the categories of sex (woman and man), because the designated subject (lesbian) is not a woman, either economic­ally, or politically, or ideologically. For what makes a woman is a specific social relation to a man, a relation that we have previously called servitude, a relation which implies personal and physical obligation as well as economic obligation (‚forced residence,‘ domestic corvee, conjugal duties, unlimited production of children, etc.), a relation which lesbians escape by refusing to become or to stay heterosexual.“
(One Is Not Born A Woman, in Monique Wittig, Straight Mind, Beacon Press: Boston,1992 9 - 32 [20])

b) 1998 beteiligte ich mich im Rahmen eines Treffens von un-unglücklichen dog­matischen, verbiesterten, lustfeindlichen Identitätsfeministinnen, entsexualisierten 70er Jahre Polit-Lesben, antisexistischen PC-TerroristInnen, MännerhasserInnen und andere Wesen an der Kritik der Duldung eines Pädosexuellen und eines Ver­gewaltigers in der Berliner autonomen Szene, die zwar einige Diskussionen aus­löste, aber letztlich ohne praktischem Erfolg blieb.

c) 2010 wurde ich selbst – neben anderen – beim transgenialen Christopher Street Day (tCSD), einer queeren Demonstration durch die Berliner Bezirke Neukölln und Kreuzberg, Opfer einer sexuellen Belästigung. Meine in dieser Angelegenheit an die Vorbereitungsgruppe gerichtete mail wurde – unter dem Pseudonym Cunctarix (die Zögernde) – im Mädchenblog veröffentlicht: http://maedchenblog.blogsport.de/2010/06/28/sexuelle-belaestigungen-beim-transgenialen-csd-in-berlin47.

In den Kommentaren unter dem Artikel können einige typische Reaktionen auf das Öffentlichenmachen von Fällen von sexueller/sexualisierter Belastigungen und Ge­walt, von denen hier nur sechs aufgezählt werden sollen, besichtigt werden:

Entschuldigung und Entpolitisierung der Tat des Täters (dort: unter Verweis auf dessen angeblichen Konsum von Alkohol oder anderen Drogen);

fatalistische Hinnahme der Tat des Täters bzw. eines anderen Täters („ich wünschte es wäre anders abgelaufen und der mensch [mit nacktem oberkör­per und temporär mit hunden] wäre zur besinnung gekommen und hätte die grenzen anderer personen respektiert. mehr als gewünscht werden kann es aber nicht, denn es gibt grenzüberschreitende menschen.“);

Entschuldigung des Nicht-Verhaltens der Demo-OrdnerInnen durch Leug­nung der speziellen Verantwortung der Demo-Vorbereitungsgruppe („wir sind der tCSD, nicht nur die wenigen menschen, die die orga überneh­men.“);

Externalisierung und erneut Entpolitisierung der Tat des Täters oder eines zweiten Täters („hatte er subkulturell sicher nix mit der Demo, irgendwelchen beteiligten Gruppen oder gar Antifa-Zusammenhängen zu tun. Am ehesten könnte mensch ihn als Drogen- bzw. Techno-Hippie bezeichnen“);

Arrogante ‚selbst Schuld‘-Belehrungen an die Opfer als Antwort auf Kritik daran, daß Unterstützung unterblieb: „Setzt euch zur Wehr, wenn ihr ange­griffen werdet. Es gibt genug Selbstverteidigungskurse.

Vorwurf an die Opfer, zu ‚eskalieren‘, und der Demo, die damals jährlich stattfand, zu schaden, während ignoriert wird, daß in Wirklichkeit die Taten und deren Duldung die Demo in ein schlechtes Licht rücken: „Ich fürchte, wenn das noch eskaliert wird […] eher die Bereitschaft sinken wird, beim tCSD mitzumachen.

Die Blog-Diskussion wurde seinerzeit vis-a-vis mit der Demo-Vorbereitungsgruppe fortgesetzt. Bei Twitter veröffentlichte ich kürzlich nachträglich einige resümierende Bemerkungen:

„Unter dem Strich war die eigentlich Tat weniger belastend und ärgerlich als die Nach­bereitung. Wegen dieser eigenen Erfahrung und wegen meines theoretischen Wissens halte ich es für höchst unwahrscheinlich, daß es in Fällen von sexueller/sexualisierter Gewalt und solchem Mißbrauch zu Falschbeschuldigungen kommt; vielmehr findet re­gelmäßig eine Reproduktion der bestehenden Machtverhältnisse statt – diese Ausein­andersetzungen sind unmittelbar sehr belastend und – bestenfalls – auf lange histori­sche Sicht ein Beitrag zur Änderung der Verhältnisse.
Deshalb bedarf es in solchen Fällen – gemessen an feministischen oder allgemeiner emanzipatorischen Ansprüchen – eines prozeduralen Ausgleichs gesellschaftlicher Machtverhältnisse – nicht des Nachspielens des staatlicher Strafprozesse mit Un­schuldsvermutung, Beweisführung und Pipapo.
U.a. deshalb bin ich in solchen Fällen für die strikte Anwendung des Konzeptes der ‚Definitionsmacht‘ (für die schwächere Seite in dem jeweiligen Verhältnis). Nur wenn dieses in Organisationen, Gruppen & Szenen durchgesetzt und und angewandt wird, ändert sich nachhaltig an den bestehenden Machtverhältnissen etwas.
when my anger starts to cry...Debatten zur Definitionsmacht und der Versuch einer notwendigen Antwort
https://web.archive.org/web/20120512133203/https://www.jpberlin.de/antifa-pankow/defmacht/downloads/when_my_anger_starts_to_cry.pdf.“
(https://twitter.com/TaP_Theorie/status/1518121767587487745 und Folge-Tweets)

2. Anfang der 1990er Jahre war ich an Diskussionen mit und im Umfeld der PDS beteiligt; entschied sich dann aber gegen einen Beitritt (http://theoriealspraxis.blogsport.de/koproduktionen/prowo-und-der-mantel-der-geschichte48). Trotzdem wähle ich seitdem – mal mit größerem, mal mit kleinerem Widerwillen – in der Regel die PDS bzw. die Linkspartei.

Damals sowie in den letzten Jahre wieder erschienen einige Artikel von mir im neu­en deutschland (nd).

Wäre ich Mitglied der Linkspartei, würde es mir schwerfallen, mich einer dortigen Strömungen anzuschließen; von außen ist es einfacher, die Sympathien – je nach Thema auf Proletarische Plattform49(die ihrerseits Teil50 der Antikapitalistischen Linken [AKL]51 ist), Emanzipatorische Linke52 und Bewegungslinke53 zu verteilen.

2011 veröffentlichte ich eine Kritik des Entwurfs für das Erfurter (Grundsatz-)Pro­gramm der Linkspartei:

Reformistischer Voluntarismus

Zum Entwurf des Parteivorstandes der Linkspartei für deren Grundsatzprogramm

https://web.archive.org/web/20111212054737/http://www.lafontaines-linke.de/2011/10/das-blaue-vom-himmel-schulze-programm-debatte// http://www.trend.infopartisan.net/trd1011/t481011.html.

3. Da manche Leute die Auffassung vertreten, das Öffentlichmachen der Fälle von sexueller/sexualisierter Gewalt und solchen Mißbrauchs sei Rache für für bestimm­te Positionen von bestimmten Leute in der Linkspartei zum Ukraine-Krieg, sei auch noch Folgendes gesagt:

Ich lehne den Völkerrechts-Idealismus beider Haupttendenzen bzw. fast aller Leute in der Linkspartei ab –

sowohl den eher sozialdemokratisch-entspannungspolitischen Völkerrechts-Diplomatismus von Dehm & Co.

als auch den eher grün-inspirierten, bellzistischen Völkerrechts-Aktivismus der anderen Tendenz!

Es mag allerdings auch Leute gegeben (und wahrscheinlich werden es sogar eine ganze Menge sein), die – in die eine oder andere Richtung – eine ganz andere Po­sition zum Ukraine-Krieg vertreten als ich und ebenso – wie ich – für die konse­quente Bekämpfung von sexueller/sexualisierter Gewalt und solchen Mißbrauchs eintreten. Das bringt mich allerdings nicht in Verlegenheit denn meine grundlegen­de Position zu alldiesen Fragen ist:

Das Geschlechterverhältnis ist kein Nebenwiderspruch

weder der kapitalistischen Produktionsweise54noch gar des Ukraine-Krieges!

4. Hinsichtlich des Feminismus vertreten ich eine zwar de-konstruktivistische und irgendwie auch ‚queere‘ Lesart – aber eine Lesart,

die – hinsichtlich des Materialismus und der Gesellschaftlichkeit der Analyse – stark an den sozialistischen Feminismus der 1980er und – hinsichtlich der politischen Haltung und Rhetorik – auch den radikalen Feminismus der 1970er und 1980er anschließt

und

die folglich jede Menge Subjektivismen und Idealismen des dominant linksli­beral-postmodernen (wenn auch teilweise mit linksradikalen Phrasen ver­brämten) Verständisses von queer ablehnt (weshalb ich mich auch in dem diesem Spektrum schon ausgiebig unbeliebt gemacht habe).



1 „Wir wissen im Jugendverband gerade von über 60 Betroffenen“ (Charlie Birner; https://twitter.com/berlindirekt/status/1518267346254761985 – gleich am Anfang).

2 Fälle sehr starker Trunkenheit sind zwar unter „nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,“ bzw. „die Person auf Grund ihres körperlichen […] Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist“, zu subsumieren. Schon das werden vielleicht manche Richter leider weiterhin anders sehen.

Fälle, in denen der Alkoholkonsum aber nur leichtfertig bzw. unbedacht macht – also nur zu einer etwaigen ‚Fehl-Bildung‘ des Willens führt, aber nicht verhindert, daß überhaupt ein Willen gebildet oder ausgesprochen wird, pas­sen nicht unter die gesetzlichen Tatbestände. – Und um dies (vorsichtshalber) gleich noch dazu zu sagen: Nach politischen Maßstäben rechtfertigt auch der Umstand, daß eine Person freiwillig zu viel trinkt, nicht das Fehlverhalten anderer Personen. Auch An- oder Betrukene haben kein Freiwild zu sein; die „Sorgfalt“ gebie­tet, den etwaig gewollten Sex zu verschieben, bis alle Beteiligten wieder nüchtern sind.

Diejenigen, die sich ‚riskant‘ verhalten, würde ich zwar nicht allein wegen der Risikoeingehung bestrafen wollen; aber wenn sich das Risiko realisiert – die Sache ‚schiefgeht‘ (sich im Nachhein herausstellt, daß die andere Person doch nicht wollte oder nicht gewollt hätte, wenn sie nüchtern gewesen wäre), dann wurde zu (!) riskant gehandelt; dann wurde in einem Ausmaß ein Fehler gemacht, das auch strafwürdig ist (solange es überhaupt Strafrecht, Straf­gerichte und Strafen etc. geben muß, weil wir nicht in einer kommunistischen oder anarchistischen ‚Idealgesell­schaft‘ leben).

In der Begründung der Gesetzesreform von 2016 heißt es dagegen: „Der bloße innere Vorbehalt des Opfers ist je­doch nicht maßgeblich. Auch werden Fälle, bei denen die Motivlage des Opfers ambivalent ist, nicht von der Vor­schrift erfasst. Denn es ist dem Opfer zuzumuten, dem entgegenstehenden Willen zum Tatzeitpunkt eindeutig Aus­druck zu verleihen“ (BTag-Drs. 18/9097, S. 23).

Der gesetzberischen These setze ich folgende These entgegen: Die Leichtfertigkeit von anderen (z.B. Angetrun­kenheit), rechtfertigt nicht die etwaige eigene Rücksichtslosigkeit.

3 „Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“

4 Es handelt sich also um zwei unterschiedliche Tatvarianten: In Absatz 1 geht es um Taten trotz entgegenstehen­dem erkennbaren Willen; Absatz 2 erfaßt (auch) Taten, in denen der Wille nicht erkennbar war, aber bestimmte Tat­mittel benutzt oder bestimmte Tatumstände ausgenutzt wurden:

„Absatz 1 erfasst sexuelle Handlungen, mit denen sich der Täter über den entgegenstehenden Willen des Opfers hinwegsetzt und damit das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung verletzt. […]. Absatz 2 benennt Umstände, unter denen der Täter sich auch dann strafbar machen kann, wenn ein der sexuellen Handlung entgegenstehender Wille des Opfers nicht erkennbar ist.“ (BTag-Drs. 18/9097, S. 22, 23)

5 https://www.susannehennig.de/nc/aktuell/detail/news/erklaerung0/. Sie nannte drei Gründe für ihren Rücktritt; der dritte lautete: „Der Umgang mit Sexismus in den eigenen Reihen hat eklatante Defizite unserer Partei offen gelegt. Ich entschuldige mich bei den Betroffenen und unterstütze alle Anstrengungen, die jetzt nötig sind, um aus der LIN­KEN eine Partei zu machen, in der Sexismus keinen Platz hat.“

6 „DIE LINKE versteht sich als sozialistische und feministische Partei, die patriarchale und kapitalistische Verhält­nisse überwinden will.“ / „DIE LINKE versteht sich als Partei mit sozialistischem und feministischem Anspruch.“ (Er­furter Programm; https://www.die-linke.de/fileadmin/download/grundsatzdokumente/programm_formate/programm_der_partei_die_linke_erfurt2011_druckfassung2020.pdf, S. 17 und 51)

7 Ohne daß es an dieser Stelle entscheidend darauf ankommt, sei erwähnt, daß sich die Betroffene bereits vor der Balkonbesteigung mehrfach [*] von dem Täter trennte bzw. versuchte sich von ihm zu trennen. So schrieb sie ihm unmittelbar vor der ‚Balkon-Situation‘: „Du hast genug gemacht, um mich von Dir wegzuziehen.“ Trotzdem suchte der Täter die Betroffene danach erneut auf.

(Das Zitat aus einer Nachricht der Betroffenen an den Täter stammt aus einem – allerdings sehr kritikwürdigen – t-online-Artikel [https://www.t-online.de/region/frankfurt-am-main/news/id_92085234/sexismus-vorwuerfe-bei-der-linken-janine-war-fuer-sie-ein-rotes-tuch-.html], mit dem ich mich in einer Serie von Tweets [https://twitter.com/TaP_Theorie/status/1522999973767524353 und Folge-Tweets] kritisch beschäftigt habe; even­tuell wird es dazu noch eine – besser lesbare – Fließtext-Veröffentlichung geben.)

Nach der Balkon-Situation hatte die Betroffene am 07.09.2018 – nach eigener Darstellung – ein anderweitiges Date, das von dem Täter gestört wurde: „Kurz darauf habe ich ein 1. Date am 7.9.18. Diesmal kontaktiere ich Janine vor allem. Diesmal hatte ich Angst, dass AG rausfindet, dass ich jemanden kennenlernte. Um diese Hilflosigkeit ging es mir in dem Telefonat. Er verfolgte uns an dem Abend mich anschreiend, was ich mich traue, bis zum Auto vom Date“ (https://twitter.com/Rahel__Hagos/status/1523760189085667329 und Folge-Tweet).

Zum Beleg für die Störung zitiert die Betroffene eine Eidesstattliche Versicherung (EV): „Die Diskussion war recht heftig und ich merkte, dass da vor allem von Seiten Gabriels viele Emotionen im Spiel waren; die Lautstärke, in der diskutiert wurde, war dementsprechend hoch.“ (https://twitter.com/Rahel__Hagos/status/1525135504739651584)

Danach ließ sie sich zwar wieder zu einer Fortsetzung des Kontakts mit dem Täter überreden: „Ich ließ mich bis ~10/2018 überreden und fand kurz darauf Notizen zu mir in AGs Wohnung. Notiert war nicht nur, was ich in der Zwischenzeit machte, sondern auch der Mann, den ich kennen gelernt hatte. Inkl. gehässiger Personenbeschreibung über mich.“ (https://twitter.com/Rahel__Hagos/status/1523760458330558464)

Am 17.11.2018 kam es dann zu einer Strafanzeige der Betroffenen gegen den Täter wegen Gefährlicher Körperverletzung – so sie selbst (https://twitter.com/Rahel__Hagos/status/1523760624722870273), aber auch t-online: „Am 17. November 2018 stellt Maas eine Anzeige gegen Müller wegen gefährlicher Körperverletzung.“ (a.a.O.).

[*]  „Ich beende also das Verhältnis erneut im 08/2018, werde kontaktiert, stelle das nochmal klar, werde weiter kontaktiert und ignoriere das." (https://twitter.com/Rahel__Hagos/status/1523760043996618752; meine Hv.)

8 Die Betroffene selbst spricht von einer „verherrlichende E-Mail an mich“, die sie nach dem „Balkonsachverhalt (den die StA als mögl Vergewaltigung prüfte)“ erhalten habe (https://twitter.com/Rahel__Hagos/status/1523760043996618752 und Folge-Tweet)

Dies spricht dafür, daß es im Anschluß an die unerwünschte Balkon-Besteigung zu sexuellen Handlungen kam. t-online schreibt dazu: „Als gesichert gilt, dass die beiden in jener Nacht miteinander schlafen. Dem ‚Spiegel‘ sagte Maas, dass sie dem Sex nur einwilligte, weil Müller sonst nicht nach Hause gegangen wäre.“ (https://www.t-online.de/region/frankfurt-am-main/news/id_92085234/sexismus-vorwuerfe-bei-der-linken-janine-war-fuer-sie-ein-rotes-tuch-.html)

Das generelle Problem dabei, diesen Sachverhalt und ähnliche Sachverhalte unter eine der Tatvarianten des § 177 I StGB zu subsumieren, besteht darin, daß dafür – wie bereits in FN 4 gesagt – der entgegenstehende Wille erkennbar gewesen sein muß – und daß das Opfer bzw. die etwaige Anklage erhebende Staatsanwaltschaft die Erkennbarkeit des entgegenstehenden Willens beweisen muß, wenn der Täter verurteilt werden soll. Dies kann aber bspw. schwierig sein, wenn sich ein Opfer schließlich – nach längerem Hin und Her – dem Täterwillen beugt. (Der Gesetzeswortlaut ist hier – nach feministischen Kriterien – weiterhin unbefriedigend.)

Alternativ genügt für die Strafbarkeit, daß das eines der in § 177 II StGB genannten spezifische Nötigungsmittel verwendet wurde bzw. die dort genannten Tatumstände ausgenutzt wurden – und dies beweisbar ist. Daß jedenfalls eine der Tatvarianten des § 177 II StGB verwirklicht wurde, ist im Kontext des unerbetenen Balkonbesuchs naheliegend (siehe dazu unten Abschnitt „Zu den Begriffen „sexueller Übergriff“, „sexuelle Nötigung“ und „Vergewaltigung“).

9 Auch die Betroffene bestreitet nicht, daß es zunächst ein einvernehmliches Verhältnis gab. Sie bestreitet aber, daß sich aus ihren Mitteilungen vom Mai und August 2018 (s. dazu das Wissler-Zitat in FN 32) an Janine Wissler ein zu diesen Zeitpunkten noch fortbestehendes einvernehmliches Verhältnis ergab (s. z.B.: https://twitter.com/Rahel__Hagos/status/1521587091871866880; „U-Erklärung“ = „Unterlassungserklärung“, die die Betroffene von Janine Wissler verlangt, zu unterzeichnen).

Sie hat daher von Wissler die Abgabe einer Erklärung verlangt, daß sie die Behauptung eines zu diesen Zeitpunkten fortbestehenden Verhältnisses künftig unterläßt.

10 http://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl116s2460.pdf.

11 http://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl116s2460.pdf.

12 Die gesetzliche Formulierung in § 184i StGB, „sexuell bestimmter Weise körperlich berührt“, erfaßt mehr als der Begriff „sexuelle Handlung“ in anderen Normen des Strafgesetzbuches.

Der Begriff „sexuelle Handlungen“ ist im StGB zwar nicht vollständig gesetzlich definiert; aber gemäß § 184h StGB sind nur solche Handlungen gemeint, „die im Hinblick auf das jeweils geschützte Rechtsgut von eini­ger Erheblichkeit sind“ (http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__184h.html). § 184i StGB wurde eingeführt, um Ta­ten, die wegen § 184h StGB bis dahin von der Strafbarkeit ausgenommen waren, nunmehr – wenn auch mit gerin­gerem Strafrahmen – ebenfalls zu erfassen. Dieser Zweck ergibt sich aus dem letzten Halbsatz von § 184i StGB; danach soll § 184i StGB nur zur Anwendung kommen, „wenn nicht die Tat in anderen Vorschriften dieses Ab­schnitts mit schwererer Strafe bedroht ist“.

13 „Mit dieser Vorschrift sollen Fälle erfasst werden, die gegenwärtig nicht oder allenfalls im Einzelfall als Beleidi­gung nach § 185 StGB erfasst werden können“ (BTag-Drs. 18/9097, S. 21).

(Der Halbsatz nach der gerade zitierten Stelle [„weil sie nicht die von § 184h Nummer 1 StGB vorausgesetzte Er­heblichkeitsgrenze erreichen, die für das Vorliegen einer sexuellen Handlung erforderlich wäre“] scheint ein Formulierungslapsus zu sein. § 184h Nummer 1 StGB ist nicht für die Definition von Beleidigung relevant, sondern für die Definition von „sexuelle Handlungen“ [i.U. zu bloß „in sexuell bestimmter Weise körperlich berührt“].)

14 Die vollständige gesetzliche Formulierung lautet: „der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuel­len Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat“ (meine Hv.).

Das Wort „nötigt“ ist Teil von Nr. 5 der Aufzählung und nicht in einem separaten Absatz plaziert; bezieht sich also nicht auf alle Aufzählungspunkte.

15 Die Überschrift des alten – seit 1998 geltende – des § 177 StGB lautete: „Sexuelle Nötigung; Vergewaltigung“ (http://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl198s0164.pdf, S. 173). Da­nach war „Vergewaltigung“ definiert als „mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder an sich von ihm vornehmen läßt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere, wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind“. Die anderen Tatbestände in der Norm fielen unter „sexuelle Nötigung“.

Die Bundesregierung hatte 2016 vorgeschlagen, den alten § 179 StGB über „Sexuelle[n] Mißbrauch widerstands­unfähiger Personen“ (letzte und vorletzte Fassung: https://lexetius.de/StGB/179,3) zu einer Norm über „Sexuelle[n] Missbrauch unter Ausnutzung besonderer Umstände“ zu erweitern (BTag-Drs. 18/8210, S. 5; https://dserver.bundestag.de/btd/18/082/1808210.pdf, S. 5 f.). Der Bundestag hatte sich dann entschlossen, – unter Modifikationen – das, was die Bundesregierung für § 179 StGB vorgeschlagen hatte, mit in § 177 StGB zu intergieren.

16 Ich habe allerdings nicht recherchiert, was Rechtsprechung und juristische Lehre zu der terminologische Differenz sagen.

17 „Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1. der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit ei­nem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder

2. die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.“ (§ 177 III StGB)

18 Der BGH definierte den Begriff der Zwangslage in § 182 StGB 2008 – nicht sonderlich klar, aber eher eng – als „eine ernste persönliche oder wirtschaftliche Bedrängnis des Opfers“. „Sie setzt Umstände von Gewicht voraus, de­nen die spezifische Gefahr anhaftet, sexuellen Übergriffen gegenüber einem Jugendlichen in einer Weise Vorschub zu leisten, dass sich der Jugendliche ihnen gegenüber nicht ohne weiteres entziehen kann (BGHSt 42, 399). Es müssen also gravierende, das Maß des für Personen im Alter und in der Situation des Jugendlichen Üblichen deut­lich übersteigende Umstände vorliegen, die geeignet sind, die Entscheidungsmöglichkeiten des Jugendlichen gera­de über sein sexuelles Verhalten einzuschränken (vgl. Fischer aaO § 182 Rdn. 5).“ (http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&nr=43733&anz=1&pos=0&Frame=4&.pdf, S. 4, Textziffer 6)

Die zitierte ältere Entscheidung BGHSt 42, 399 ist an folgender Stelle im internet kostenlos zugänglich: https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/4/97/4-40-97.php3; um den Begriff „Zwangslage“ geht es – ausführlicher als in der neueren Entscheidung – bei Textziffer 6.

19 „Jugendpornographie“ ist einer der Straftatbestände, wegen dem die Betroffene Anzeige erstattet hat: https://twitter.com/Rahel__Hagos/status/1521228115686707206 („Herstellen von JuPo“); wie dort auch steht: Der Vergewaltigungstatbestand wurde dagegen von Amts wegen („vAw“) geprüft; das heißt: Der Staatsanwaltschaft schien selbst der Verdacht naheliegend zu sein – auch wenn wegen dieses Tatbestandes nicht Anzeige erstattet worden war.

20 Es ist eine durchaus übliche juristische Regelungstechnik, ein Wort mit sehr breiter Bedeutung (hier: „Inhalte“) zu verwenden, aber zusätzlich festzulegen, daß im jeweiligen Gesetze nur bestimmte Bedeutungen bzw. bestimmte Unterklassen des Bezeichneten gemeint sind.

21 Zu beachten ist, daß Pornographie in der BRD nicht generell verboten oder kriminalisiert ist; vielmehr unterliegt sie hinsichtlich Herstellung, Vertrieb etc. bestimmten altersmäßigen Beschränkungen.

22 https://dserver.bundestag.de/btd/06/035/0603521.pdf.

23 Ein rechtspolitisches Bedürfnis nach einer terminologischen Unterscheidung zwischen „Pornographie“ und „Kunst“ ergibt sich daraus, daß nach Art. 5 III GG die Kunst „frei“ ist, und dieses Grundrecht – anders als die meis­ten anderen Grundrechte – keinem Gesetzesvorbehalt unterliegt; damit ist die ein­fach-gesetzliche Regulierung von Pornographie – von Verfassungs wegen – nur zulässig, wenn bzw.: soweit Porno­graphie keine Kunst ist.

24 „Absatz 1 Nummer 3, auch in Verbindung mit Absatz 5, und Absatz 3 sind nicht anzuwenden auf Handlungen von Personen in Bezug auf einen solchen jugendpornographischen Inhalt, den sie ausschließlich zum persönlichen Gebrauch mit Einwilligung der dargestellten Personen hergestellt haben.“

25 Nr. 4 lautet u.a.: „einen jugendpornographischen Inhalt herstellt […], um ihn im Sinne der Nummer 1 oder 2 zu verwenden oder einer anderen Person eine solche Verwendung zu ermöglichen“.

26 Unabhängig von einer Wiederholung (und selbstverständlich auch ohne sexuelle Konnotation) kommt der Straf­tatbestand des Hausfriedensbruchs wegen des Balkon-Stalkings in Betracht.

§ 123 I StGB bestimmt: „Wer in die Wohnung, in die Geschäftsräume oder in das befriedete Besitztum eines ande­ren oder in abgeschlossene Räume, welche zum öffentlichen Dienst oder Verkehr bestimmt sind, widerrechtlich eindringt, oder wer, wenn er ohne Befugnis darin verweilt, auf die Aufforderung des Berechtigten sich nicht entfernt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.“

Die Frage ist hier u.a., ob ein Balkon zur „Wohnung“ gehört oder zumindest für sich ein „befriedete Besitztum“ dar­stellt.

27 „In keinem dieser Kontakte wurde der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs oder der sexuellen Gewalt erhoben.“ (schriftliche Stellungnahme vom 15.04.2022) / „Ich weise die Unterstellung, ich hätte schon vor Ende 2020/21 Kenntnis von Vorwürfen von sexueller Belästigung im Landesverband Hessen gehabt, entschieden zurück.“ (münd­liches Presse-Statement vom 23.04.2022)

28 Siehe u.a. §§ 174, 174b StGB:

„Wer sexuelle Handlungen

1. an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm zur Erziehung oder zur Betreuung in der Lebensführung anvertraut ist,

2. an einer Person unter achtzehn Jahren, die ihm im Rahmen eines Ausbildungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis­ses untergeordnet ist, unter Missbrauch einer mit dem Ausbildungs-, Dienst- oder Arbeitsverhältnis verbundenen Abhängigkeit oder

3. an einer Person unter achtzehn Jahren, die sein leiblicher oder rechtlicher Abkömmling ist oder der seines Ehe­gatten, seines Lebenspartners oder einer Person, mit der er in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft lebt,

vornimmt oder an sich von dem Schutzbefohlenen vornehmen läßt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“ (§ 174 I StGB; http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__174.html).

„Wer als Amtsträger, der zur Mitwirkung an einem Strafverfahren oder an einem Verfahren zur Anordnung einer frei­heitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung oder einer behördlichen Verwahrung berufen ist, unter Mißbrauch der durch das Verfahren begründeten Abhängigkeit sexuelle Handlungen an demjenigen, gegen den sich das Verfahren richtet, vornimmt oder an sich von dem anderen vornehmen läßt oder die Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einer dritten Person bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“ (§ 174b StGB; http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__174b.html)

29 „Wer eine Person unter achtzehn Jahren dadurch missbraucht, dass er unter Ausnutzung einer Zwangslage

1. sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen lässt oder

2. diese dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vor­nehmen zu lassen,

wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ (§ 182 StGB; http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__182.html)

30 Es ist keine Phantasie nötig, um sich vorstellen, wie Janine Wissler von Männern Handeln aus ‚Eifersucht‘ (statt feministischer Motive) unterstellt worden wäre, wenn sie nicht nur ihre eigene Beziehung mit dem Fraktionsmitar­beiter beendet hätte, sondern auch politisch gegen diesen vorgegangen wäre.

Wenn sich Janine Wissler in die Auseinandersetzungen mit solchen Männer-Haltungen begeben hätte, dann wäre ich sofort auf ihrer Seite gewesen – aber sie hat es vorgezogen, sich nicht in die Auseinandersetung mit solchen Männer-Haltung zu begeben.

31 Es liegt auf der Hand, daß eine im Geheimen geführte Beziehung eine gewisse Erpressbarkeit impliziert – und es schwierig macht, die Beziehung im Konfliktfalle – im Nachhinein – öffentlich zu machen.

32 „Sie teilte mir am 16. Mai mit, dass sie ein sexuelles Verhältnis zu meinem damaligen Partner hatte. Ich war dar­über zutiefst bestürzt. Am 23. August 2018 leitet sie mir eine E-Mail weiter, die belegte, dass dieses Verhältnis entgegen anderslautender Versicherungen meines damaligen Partners fortbesteht. Daraufhin telefonierten wir miteinander.“ (meine Hv.)

33 Die Formulierung, „In keinem dieser Kontakte wurde der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs oder der sexuellen Gewalt erhoben“, in Wisslers Stellungnahme vom 15.04.2022, deutet darauf hin, daß ein solcher Vorwurf zwar nicht explizit erhoben, aber auch nicht explizit ausgeschlossen wurde – also Wissler anscheinend gar nicht erst nachgefragt hat, ob es sich darum handelt.

34 „Ich nehme Vorwürfe von sexueller Belästigung, sexueller Gewalt und Missbrauch sehr ernst und habe sofort gehandelt, als mir derartige Vorwürfe bekannt wurden.“ / „Zum Jahreswechsel 2021/2022 habe ich ebenfalls über Instagram von Vorwürfen einer weiteren jungen Frau (vom Spiegel Hannah Maas genannt) erfahren, die mir per­sönlich bekannt ist. Auch darüber habe ich den Landesvorstand zeitnah informiert.“ (https://www.die-linke.de/start/presse/detail/wissler-stellungnahme-zur-berichterstattung-des-spiegel/)

Entsprechend der hessische Landesverband: „Der GlV hat nach dem Bekanntwerden ab Ende November 2021 be­gonnen, diese aufzuarbeiten. […]. In den Jahren 2018 bis zum Bekanntwerden erster Vorwürfe Ende 2021 hatten die Mitglieder des GlV keine Kenntnis über entsprechende Vorwürfe.“ (https://www.linksfraktion-hessen.de/aktuelles/detail/news/weitere-schritte-im-umgang-mit-vorwuerfen-von-sexuellen-uebergriffen0/)

35 Letzteres mit dem Ziel, daß die Opfer ihre Beschuldigungen künftig unterlassen.

36 „Im Rahmen der Untersuchung sollten Gespräche mit beiden Seiten geführt werden, um allen die Möglichkeit zu geben, sich zu äußern und die Situation möglichst gut aufzuklären. Dabei wird keine Agenda verfolgt, sondern un­abhängig, neutral und transparent vorgegangen.“ (Beschluß des Parteivorstandes vom 22.04.2022; https://www.die-linke.de/partei/parteidemokratie/parteivorstand/parteivorstand/detail/solidaritaet-mit-betroffenen-und-konsequentes-handeln-gegen-sexismus-grenzueberschreitungen-und-sexualisierte-gewalt/; meine Hv.)

37 http://kpd-ml.org/doc/lenin/LW32.pdf.

38 „DIE LINKE wurde als feministische Partei gegründet. Diesen Grundkonsens müssen wir ständig erneuern.“

39 „Es geht auf keinen Fall darum, eine Kultur der Angst zu etablieren, sondern im Gegenteil, eine Kultur des re­spektvollen Umgangs miteinander. Aber für alle!“ – Respekt „für alle“ – Täter und Opfer!

40 Niemanden „vor[...]führen oder gar öffentlich an den Pranger […] stellen“ / keine „Kultur der Angst“ / vielmehr eine „Kultur des respektvollen Umgangs“.

41 „Gründliche Aufarbeitung“ (Zwischenüberschrift).

42Aufklärung der Vorgänge in einem vertrauensvollen Gremium, ggf. mit externer Begleitung“ (Hv. i.O.).

43 Siehe https://www.assoziation-a.de/buch/Sisters_in_Arms und http://tap2folge.blogsport.eu/2018/09/26/do-27-9-sisters-in-arms-militanter-feminismus-in-westdeutschland-seit-1968/#comment-6; Archivierung: https://web.archive.org/web/20210112134458/http://tap2folge.blogsport.eu/2018/09/26/do-27-9-sisters-in-arms-militanter-feminismus-in-westdeutschland-seit-1968.

44 „Widerstand ist möglich“. Die Rote Zora über ihr Selbstverständnis, in: Emma 6/1094, 39 - 41 (41).

45 „strafrechtlich schwerwiegenden Verdachtsfälle müssen immer Gegenstand von offiziellen strafrechtlichen Er­mittlungsverfahren werden“ (https://www.die-linke.de/partei/parteidemokratie/parteivorstand/parteivorstand/detail/solidaritaet-mit-betroffenen-und-konsequentes-handeln-gegen-sexismus-grenzueberschreitungen-und-sexualisierte-gewalt/).

Als Forderung an den Staat findet ich diese Forderung zwar richtig, es sollte m.E. aber keine Forderung an die Op­fer sein; wenn sie den Staat – z.B. aus politischen Gründen – nicht in Anspruch wollen oder sich – aus persönlichen Gründen – nicht in die Mühlen eines juristischen Verfahrens begeben wollen, dann ist das völlig legitim.

46 „Uns geht es dabei um einen gemeinsamen kollektiven Lernprozess.“

47 Archiviert: https://web.archive.org/web/20220428195828/http://maedchenblog.blogsport.de/2010/06/28/sexuelle-belaestigungen-beim-transgenialen-csd-in-berlin.

48 Archvierung: https://web.archive.org/web/20210227033415/http://theoriealspraxis.blogsport.de/koproduktionen/prowo-und-der-mantel-der-geschichte.

49 https://www.proletarische-plattform.org.

50 https://www.proletarische-plattform.org/plattform/eintritt-in-die-akl.

51 http://www.antikapitalistische-linke.de.

52 https://emanzipatorische-linke.org (die Webseite scheint sich seit längerer Zeit im Umbau zu befinden; vgl. https://web.archive.org/web/20211101000000*/https://emanzipatorische-linke.org/ und https://twitter.com/Emanzipat_Linke).

53 https://bewegungslinke.org.

54 Siehe dazu:

Mein ENTSCHEIDENDER Kritikpunkt an ALLEN (soften oder harten) Nebenwiderspruchs-Theorien in Bezug auf das Verhältnis von Patriarchat und Kapitalismus

http://theoriealspraxis.blogsport.de/2015/03/14/mein-entscheidender-kritikpunkt-an-allen-soften-oder-harten-nebenwiderspruchs-theorien-in-bezug-auf-das-verhaeltnis-von-patriarchat-und-kapitalismus; Archivierung: https://web.archive.org/web/20210124003318/http://theoriealspraxis.blogsport.de/2015/03/14/mein-entscheidender-kritikpunkt-an-allen-soften-oder-harten-nebenwiderspruchs-theorien-in-bezug-auf-das-verhaeltnis-von-patriarchat-und-kapitalismus.