Ich habe mir mehrere Tage frei genommen und 80+ Stunden lang Hogwarts Legacy gespielt. Damit habe ich das Hauptspiel komplett durchgespielt und 100% des Completion-Bonus erreicht. Fertig bin ich aber noch lange nicht.
Da das Spiel Kontroversen auslöst, möchte ich als „alte Gamerin“, Lesbe, Potterhead, Ethikinteressierte und Review-versierte Person, die gerne differenziert und vielseitig über dies und das nachdenkt, ein paar Anmerkungen zum Spiel machen - auch in Hinblick auf alles, weswegen Hogwarts Legacy schon im Vorfeld kritisiert wurde. Über den angeblichen Antisemitismus in Harry Potter und JK Rowling habe ich bereits geschrieben - dies soll hier nicht Thema sein. Heute reden wir darüber, wie das Spiel mit Diversität un der Welt von Harry Potter umgeht, wie es sich spielen lässt und was noch verbessert werden könnte.
Erst einmal vorweg: Hogwarts Legacy ist ein aufwändiges, sehr großes und mit sehr viel Liebe gestaltetes Spiel. Vom Spielen her lässt es sich bestenfalls mit Titeln wie Assassins Creed, Elden Ring, The Witcher oder DragonAge (ohne den gewissen adulten Content) vergleichen: Es gibt eine Hauptstory, diverse Nebenquests und wiederkehrende Aufgaben, die man in den verschiedenen Teilen der Spielkarte erfüllen kann - hauptsächlich, um 100% des Spiels zu erfüllen, nebensächlich, um Geld und Erfahrungspunkte und somit Level zu sammeln. Im Spiel selbst kann man Entscheidungen treffen, die den Spielausgang und die Story nicht signifikant beeinflussen, aber den Charakter der eigenen Spielfigur formen - zum Beispiel, wenn ethische Entscheidungen getroffen werden, wie kooperativ man mit den NPCs umgeht.
Story
Das Spiel bietet eine ansprechende, runde Geschichte mit coolem Showdown, in der der eigene Charakter der Held ist. Dabei wird nichts Altes widergekäut, sondern etwas neues Magisches eingeführt. Einige Nebenaufgaben bieten ihre eigene Geschichte, sind oft aber mit der Hauptgeschichte verwoben. Das Spiel bietet einige Entscheidungsmöglichkeiten, besonders moralischer oder ethischer Natur, und beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Macht und Verantwortung. Dabei kommt der Humor aber trotzdem nie zu kurz.
Detailliebe
Dass die Ersteller des Spiels Harry Potter einfach lieben, merkt man, sobald man das Schloss Hogwarts betritt. Je nachdem, in welchem Haus (Gryffindor, Slytherin, Ravenclaw oder Hufflepuff) man sich befindet und ob man Hexe oder Zauberer ist, landet man in einem Schlafsaal. Dieser ist, zusammen mit einigen weiteren Schlafsälen, dem Gemeinschaftsraum des Hauses angeschlossen. Schon allein diese Karten, die man nur für sein eigenes Haus erforschen kann, sind geräumig und mit sehr viel Detailliebe und viel Ambiente gestaltet. Entsprechend der Häuser gibt es auch Unterschiede, mit welchen Charakteren man wie interagiert sowie einige angepasste Sprachspuren im Spiel.
Sobald man das Schloss und seine Umgebung erkundet, wird erst richtig deutlich, wie viel Mühe man sich bei der Gestaltung gegeben hat. Man erkennt nicht nur diverse Filmkulissen unschwer wieder, von der Großen Halle bis zum Bootshaus, es gibt auch viele Kleinigkeiten zu entdecken wie schnell verschwindende Hauselfen, sich prügelnde und seufzende Ritterrüstungen, und Besonderheiten aus den Büchern: Man findet sowohl das Bild von Sir Cardigan als auch die Trolle im Tütü, die an Barnabas the Barmy erinnern, der daran scheiterte, ein Trollballett zu erschaffen. Zudem trifft man auf die Vorfahren alter Zaubererfamilien (das Spiel spielt um 1800), bzw. bekannter Charaktere aus den Büchern. Dazu kommen ein paar neue Ideen und amüsante Geschichten, wie die vom Zauberer, der mit Trollen „die Reise nach Jerusalem“ spielen wollte und das nicht gut überstand. Dabei wurden die Filmkulissen so verarbeitet, dass daraus ein hübsches Schloss entsteht, das auch von außen wie die Filmkulisse aussieht, obwohl es sehr viel mehr Gänge und Verbindungen zwischen den unterschiedlichen Gebäuden hat, als die Filme vermuten lassen. Es soll bis dato der beste Nachbau des Filmschlosses sein. Das Schloss ist extrem verwinkelt, voller Geheimgänge und Geheimnisse - und passenderweise gibt es keine Karte. Das kann frustrierend sein, wenn man dank der Revelio-Fähigkeit Schatzkisten zwar wahrnimmt, aber keine Ahnung hat, welcher komplizierte Weg nun genau in diesen Raum führt. Durch das Freischalten neuer Fähigkeiten werden immer mehr Gänge und Zimmer des Schlosses zugänglich, so dass man erst ganz allmählich das ganze Schloss erkunden kann. So bleibt Schloss Hogwarts bis zum Schluss interessant. Ich habe nach über 70 Stunden noch Gänge entdeckt, die ich schon längst hätte erkunden können, doch nie gesehen hatte.
Das Schloss erscheint bereits riesig, ist aber tatsächlich ein relativ kleiner Teil der Weltkarte. Das nahegelegene Zaubererdorf Hogsmeade ist genauso Detailreich und nur nach und nach zu erkunden, jedoch wesentlich kleiner. Die Weltkarte ist riesig, umfasst einen großen verbotenen Wald, den See vor Hogwarts, diverse Dörfer, Ruinen, den Bahnhof aus dem Film, Höhlen, Camps und die Bauten magischer Geschöpfe. Leider dient ein Großteil der Karte wirklich nur dem Lösen der wiederkehrenden Rätsel. Wirkliche Geschichte findet nur an relativ wenigen Orten davon statt. Trotzdem ist jeder Ort liebevoll gestaltet - auch wenn sich das ein oder andere Haus wiederholen mag.
Und wem das noch nicht reicht: Während der Hauptstory ändert sich die Jahreszeit - und man hat sich die Mühe gemacht, die gesamte Karte der Jahreszeit anzupassen. Irgendwann erscheinen auch - und zwar erst nachdem es eine Weile nur Winter war - Weihnachtsdekorationen. Das Gleiche passiert an Halloween im Herbst. Dazu wird jeweils die Musik ein wenig angepasst.
Über die Musik könnte man hier übrigens auch ganze Absätze schreiben. Man erkennt die Musik als Harry Potter Musik, aber trotzdem scheinen es mir eigene Kompositionen für das Spiel zu sein. Je nach Zeit, Ort, Spielsituation und Jahrezeit ändert sich diese Musik auch immer wieder.
Diverse Charaktere
Die für ein Game recht progressive Einstellung zu Diversität beginnt bereits bei der Charakter-Erstellung. Die Einstellungen sind nicht so kontrollierbar wie in vielen anderen Spielen, bei denen man von Handgröße bis Augenabstand alles einstellen kann. Stattdessen bietet Hogwarts Legacy zunächst eine Auswahl mehrerer Grundcharaktere an, die man nach deren Auswahl noch in einigen Details wie Haut-, Augenfarbe oder durch eine Auswahl verschiedener Augenbrauen oder Gesichtsformen vielseitig, aber nicht unendlich, beeinflussen kann. Auffällig ist jedoch, dass Haarstrukturen und Hautfarben nicht nur extrem divers sind - man hat sich auch offensichtlich sehr viel Mühe gegeben, die Charaktere verschiedener Hautfarbe und Herkunft authentisch aussehen zu lassen und sich darum gekümmert, Firsuren für diverse Haarstrukturen anzubieten. Ich habe nicht gezählt, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass dabei kaukasiche Charaktere den anderen gegenüber überwiegen. In jedem Fall hat man am Ende immer einen Charakter, der nicht generisch aussieht, sondern - dank der Einschränkungen - eher individuell.
Egal wie man seinen Charakter gestaltet hat, man kann unabhängig davon aus einer von zwei Stimmen auswählen - von einer Schauspielerin oder einem Schauspieler gesprochen. Diese kann man auch noch in der Stimmlage verändern (höher oder niedriger). Leider bietet es sich aber nicht wirklich an, diese Option zu verwenden, da die veränderten Stimmen teils blechern und verzerrt klingen. Letztendlich kann man - ebenfalls unabhängig von den anderen Einstellungen - entscheiden, ob der eigene Charakter eine Hexe oder ein Zauberer ist. Damit sind diverse trans Charaktere problemlos möglich. Nicht-binär wäre zwar schön gewesen, aber ohne Luft nach oben gäbe es ja keine Entwicklungsmöglichkeiten.
Auch innerhalb des Spiels trifft man auf Diversität. Nicht nur sind Lehrer und Schüler aller Hautfarben und Migrationshintergründe anzutreffen, auch Gender und Sexualität werden im Spiel aufgegriffen. Zunächst trifft man eine lesbische, britische Hexe, deren Ehefrau Priya, die einen eindeutigen indischen Akzent hat, sich ebenfalls auf der Karte befindet. Die beiden reden offen über ihre Partner und es gibt keine Möglichkeit, dies irgendwie besonders zu kommentieren, weder was die Geschlechter der Partner angeht, noch die verschiedenen Herkünfte. Die Beziehung wird als normal und unspektakulär dargestellt. Gleiches gilt für den Charakter „Sirona“, der Wirtin der „Drei Besen“. Diese stellt sich, bei genauerem Nachfragen als trans Hexe heraus. Die Wirtin wird als extrem beliebt und vertrauenswürdig dargestellt uns jederzeit mit weiblichen Pronomen verbunden, so wie es im Leben eigentlich sein sollte. Von einigen Seiten soll es jedoch Beschwerden gegeben haben, dass Sironas Stimme sehr tief ist und männlich klingt. Ich persönlich nehme dies einfach mal als Beispiel, dass man es Menschen, die sich auf den Hass gegen das Spiel eingeschossen haben, einfach nicht recht machen kann. Die Schauspielerin, die Sirona spricht, ist selbst trans - und ja, die Stimme klingt sehr tief, so dass man eigentlich gleich den Verdacht hat, es könne sich um eine trans Frau handeln. Die Schauspielerin verstellt die Stimme nicht - warum sollte sie auch - und spricht einfach normal. Wer sich darüber beschwert, beleidigt nicht die Spielentwickler, sondern beleidigt (und verletzt möglicherweise) die Schauspielerin. Wer trans nur in einer bestimmten Form oder mit einer bestimmten Stimme akzeptiert, der ist Vieles, aber sicher nicht tolerant. Eher zu kritisieren wäre, dass Sirona ohne ausreichende Rechtfertigung als übertrieben beliebt und vertrauenswürdig dargestellt wird. Dass man es hier gewissen Menschen sehr recht machen wollte, ist überdeutlich - dass dies trotzdem nicht angenommen oder anerkannt wird, spricht Bände.
In meinen Spielstunden bin ich bisher weder über ein schwules Pärchen noch einen trans Mann gestolpert - wobei das ja nicht immer zu erkennen sein dürfte. Klar, hier wäre mehr möglich gewesen: Als Partnernin einer „mixed race“ Frau, fallen mir noch ein paar weitere Dinge ein, die man hätte besser machen können. Ich hätte gerne mehr Charaktere gesehen, die nicht eindeutig kaukasisch, dunkelhäutig oder von asiatisch Herkunft sind. Und vor allem hätte ich mir gewünscht, dass es einfach mehr Charaktere gäbe, die unabhängig von ihrem Aussehen akzentfrei sprechen. Hier ist auch Hogwarts Legacy mit unnötigen Klischees behaftet. Aber wie sagt man so schön: Es ist Jammern auf hohem Niveau. Schon mit der oben genannten Diversität ist Hogwarts Legacy eines der progressivsten Spiele überhaupt - insbesondere in dieser Größe und mit dieser Popularität. Man kann nur hoffen, dass es so die Standards für die Entwicklungen der Zukunft signifikant anhebt.
Der Nostalgiefaktor
Dass das Spiel sehr detailverliebt ist, Orte und Wissen aus den Büchern aufgreift und alte Zaubererfamilien wie die Gaunts, Blacks oder Weasleys in das Spiel mit einbringt, habe ich bereits erwähnt. Es gibt auch eine Möglichkeit, Azkaban zu besuchen, dies ist aber nur den Mitgliedern eines bestimmten Hauses vorbehalten und eine recht kurze Sequenz. Insgesamt kann ein eingefleischter Harry Potter Fan wirklich viel wiedererkennen und eine gewisse Nostalgie macht sich breit. Ob man Kneazels fängt, im Honigtopf bekannte Leckereien nascht und deren Auswirkungen genießt, Alraunen anbaut oder Thestrale züchtet - das ein oder andere Wiedererkennungs-Lächeln wird man sich nicht verkneifen können. Manchmal stolpert das Spiel allerdings auch ein wenig über die Originalgeschichte, obwohl JK Rowling angeblich geschaut hat, dass das Spiel in die Harry Potter Welt passt, ohne Etabliertes auszuhebeln. So wirkt es nicht komplett falsch, aber doch störend, dass so leichtfertig über das Trinken von Einhornblut durch Wilderer gesprochen wird, der Trank „Felix Felicis“ einfach mal eben schnell zu brauen ist und im Spiel eine recht langweilige Bedeutung hat - und man jederzeit vor seinen Lehrern unverzeihliche Flüche durch die Gegend schleudern kann, sobald man diese gelernt hat. Ärgerlich ist auch, dass man weder lernen kann, einen Patronus zu erschaffen, noch Quidditch spielen darf. Auch in die Winkelgasse kommt man leider nicht, oder nach Godric's Hollow oder ins Zaubereiministerium. Natürlich kann nicht jeder Drehort im Spiel Platz und Bedeutung finden und wir wollen nicht vergessen, dass das Spiel bereits riesig ist. Doch gerade das Fehlen von Quidditch und Patroni ist enttäuschend. Auch einen Auftritt von Nicholas Flamel hätte man sich als kleines Extra wünschen können. Nun ja, vielleicht lässt das Raum für Erweiterungen oder Teil zwei - wer weiß? Allerdings heisst es, das Erweiterungen nicht vorgesehen wären. Sehr traurig - auf der Karte ist definitiv noch Platz!
Spielerlebnis
Hogwarts Legacy kann in verschiedenen Schwierigkeitsgraden gespielt werden. Der „normale“ Grad wird schnell von schwer zu einfach. Da ich komplett vergessen hatte, meine „Achievements“ aktiv entgegen zu nehmen, und mir damit das Spiel schwerer gemacht habe, und ich es schnell trotzdem viel zu leicht fand, können wir wohl festhalten, dass es bei den Kämpfen an Balance fehlt. Sobald ich den Storymode und die Grade leicht und schwer ausprobiert habe, werde ich diesen Absatz erweitern. (Edit: Schwer ist auch nicht weiter schwer...)
Insgesamt fand ich das Kämpfen an sich gut umgesetzt. Grade an der Konsole wurde der Controller sehr gut ausgenutzt. Man hätte sich zwar gewünscht, man könnte besser sehen, auf welcher Hotbar welche Zaubersprüche liegen (und selbst bei maximaler Anzahl der Hotbars kann man nicht alle Sprüche gleichzeitig einsetzen), aber man hat die Schwierige Aufgabe „so many spells, so little space“ ganz gut gemeistert. Dazu kommen etliche leicht zugängliche Zusätze wie der Schutzzauber, Kampfpflanzen und kampferleichternde Zaubertränke, die die Möglichkeiten im Kampf wirklich extrem vielseitig machen. Der Tanz zwischen richtigem Selbstschutz (Protego oder Ausweichen?) und dass in manchen Situationen bestimmte Sprüche notwendig sind und es zusätzlich Kampfaufgaben zu erfüllen gibt, sorgen für zusätzliche Komplexität. Dagegen steht allerdings eine gewisse Repetitivität bei den Kämpfen: Die Gegner sind Kobolde, Spinnen, Wilderer, dunkle Magier und der ein oder andere Troll oder Wolf. Immer und immer wieder. Und für Spinnenphobiker hätte man sich gewünscht, dass man ähnlich wie beim Spiel „Grounded“ die Spinnen als solche hätte unkenntlich machen können.
Insgesamt macht es aber doch viel Spaß, Wilderer-Camps mit etwas übertrieben starken Flüchen auszuräumen - und ich hab mitunter auch gebraucht, um mir einige Kampfgewohnheiten anzueignen und Kampfaufgaben zu erfülle.
Die Rätsel zum Öffnen von Bereichen und Entdecken von Schätzen könnte man als zweites Steckenpferd des Spielerlebnisses bezeichnen. Auch hier hat es manchmal gedauert, bis ich einen Rätseltyp zum ersten Mal zu lösen konnte. Wer jetzt Sorgen um die Rätsel hat: Im Laufe des Spiels und der Entdeckungstouren werden einem irgendwann alle Rätsel erklärt. Zu den Rätseln muss man aber zusätzlich anmerken, dass man nach dem dreißigsten „Merlin Trial“ auch mal genug hat, und die Rätselei doch recht repititiv wird. Es gibt - auch im späteren Spielverlauf - tatsächlich noch die ein oder andere große und kleine Überraschung, aber es tröstet nur bedingt darüber hinweg, wie repititiv die Aufgaben auf der Karte und im Laufe der Handlung sind. Dass der Hauptcharakter einem im Grunde auch keine Zeit zum Rätseln und Herausfinden lässt, sondern einem in kürzester Zeit Hinweise und Lösungen vorsabbelt, ist dem Spiel auch nicht zuträglich. Ich habe gesucht: Man kann es nicht abstellen.
Auch die Endgegner sind mir eher negativ aufgefallen. Viele „Dungeons“ haben nichts, was man ernsthaft so bezeichnen könnte, und so ist weder der Weg beschwerlich, noch das Ende. Oft fühlt sich das so an, als wäre das beenden eines Dungeons einfach keine Leistung. Dass der Zauber „Avada Kedavra“ genau das macht, was er soll (und sogar noch mehr...), egal wie stark der Gegner ist, ist auch etwas overpowered. Man lernt ihn zwar spät und der Cooldown ist lang, aber spät ist bei einem Spiel, dass man mit 30% Erfüllung (oder so) bereits beenden kann, auch eher relativ.
Auch beim Timing hapert es bei Hogwarts Legacy etwas. Auf Phasen, wo man zum Weiterkommen unbedingt dieses eine, verbleibenden Nebenquest durchziehen muss folgt ein wahrer Spam an neuen Aufgaben (weil man einen neuen Zauberspruch gelernt hat und neue Dinge tun kann). Solche Phasen hätte man durchaus etwas besser verteilen können oder durch mehr Zwischenschritte bis zur Freischaltung entzerren können. Einige längere Nebenquests enden auch sehr abrupt und fühlen sich nicht abgeschlossen an - und die Relevanz der Sondergegner auf der Karte ist weder inhaltlich noch vom Schwierigkeitsgrad her irgendwie ersichtlich. Ich habe solche Gegner im Kampf mit mehreren Gegnern tatsächlich schon getötet, ohne es mitzubekommen. Hier wurde meiner Meinung nach etwas geschludert.
Jetzt habe ich viel kritisiert, aber trotzdem ist das Spielerlebnis extrem gut. Zwischen dem Einrichten des Raums der Wünsche nach Lust und Laune, dem Brauen von Zaubertränken, dem Züchten von Tieren (wo bekommt man wohl ein weibliches Einhorn her?), Besenrennen und dem Entdecken neuer Orte, gibt es auch in Phasen mit wenig offenen Quests immer etwas zu tun. Und ohne Spoilern zu wollen, verbergen sich einige tolle, unerwartete Überraschungen im Spiel und der Handlung - von völlig veränderten Grafiken bis zu neuen Hürden bei alten Rätseln und der ein oder anderen nostalgischen Überraschung...
Viel Spielzeit geht für Dialoge drauf, die man nur überspringen kann, wenn man weiß, wie - die ich persönlich aber ohnehin gerne erleben wollte. Sie sind gut gespielt (Anmerkung: ich habe auf Englisch gespielt) und ich mag es gerne, mich in einem Spiel und dessen Inhalt zu verlieren. Ein bisschen wird bei den Dialogen im Sinne der Handlung zwar gemauschelt (so ändern Charaktere auch mal sehr schnell ihre tiefste Grundeinstellung, wenn es der Handlung dienlich ist), aber irgendwie konnte ich dank guter Schauspieler darüber hinwegsehen.
Glitches, Bugs und Unlogik
Das Spiel ist für die 2020er bemerkenswert gut programmiert. Statt der beta-beta-fast-alpha Version bekommt man direkt ein brauchbares Spiel. Trotzdem werden ein paar Patches notwendig sein - so werden erfüllte Aufgaben auf der Karte manchmal nicht erfasst, Kämpfe nicht zurückgesetzt wenn man stirbt (aber schön als vermeintlicher Geist zwischen Spinnen zu stehen, die nicht angreifen!), man kann hier und da stecken bleiben (kein Problem, dank häufigem Autosave), und einmal blieb ein Gegner, den ich besiegen musste, einfach unerreichbar unter der Erde. Insgesamt läuft das Spiel aber extrem stabil und die meisten „Bugs“ sind eher undurchdachte Programmierungen als echte Glitches. So kann man Aufgaben entdecken, die man dank fehlender Zaubersprüche oder Ausrüstung gar nicht erfüllen kann (was einem aber nicht unbedingt gesagt wird), Aufgaben zum Springen durch Besenfliegen lösen und mitunter werden Texte ausgelöst, die an diesem Punkt der Handlung keinen Sinn mehr ergeben. Am Verwirrendsten fand ich, wenn man Charakter sagte „Ich habe deine Eule bekommen.“ Dies bezog sich auf Briefe, deren Erhalt ich verpasst hatte und die ich nie geöffnet hatte.
Bösewichte
Was Hogwarts Legacy wirklich gut macht, angepasst an die Erwartungen des modernen Entertainments, sind Charaktere und deren Motivation darzustellen, inklusive von Bösen und (vermeintlich) guten Menschen. Dabei geht es einerseits um Kleinigkeiten als auch um Hauptcharaktere. Das Spiel hat es geschafft, dass ich, jemand der jegliche Form von Esoterik und Wahrsagerei für Mumpitz hält, die Lehrerin für Wahrsagen und ihren Beruf respektiere. Ein anderes Beispiel: Die Lehrerin für „Pflege Magischer Geschöpfe“ und eine Schülerin, die magische Geschöpfe liebt, stimmen im Grunde, was den Umgang mit den Geschöpfen betrifft, nicht überein, aber beide sind ehrliche Liebhaber dieser Tiere, die es einfach gut mit ihnen meinen. Im Spiel streiten sich deine besten Freunde und oft hat keiner von beiden wirklich Unrecht. Und auch der Hauptantagonist hat eine Story, die ihn verständlicher macht - und Gleiches gilt für die historische Verursacherin des Hauptproblems im Spiel. Zwar macht es sich Hogwarts Legacy mit den Gründen (Emotionen, Freundschaft, Familie und Traumata) hier sehr einfach, aber das ist derzeit eher „Hollywood-Standard“ und nicht nur an diesem Spiel zu kritisieren.
Und wo wir gerade bei den Bösewichten sind: Das Spiel räumt selbst mit den Antisemitismus-Vorwürfen ganz nebenbei gehörig auf: Kobolde gibt es dort als Freunde, Tierliebhaber, Feinde, Unterstützer, Geschäftsmenschen und sogar Maler. Und Zauberer genauso. Und amüsanterweise sind gerade die Kobolde von Gringotts gegen die Revolution des Kobolds Ranrok. Auch die Missverständnisse zwischen Kobolden und Zauberern werden als schwieriges Problem erwähnt. Schwarzweiß ist in diesem Spiel gar nichts - nicht mal der eigene Charakter, der ethisch viele Wahlmöglichkeiten hat, nicht alle davon freundlich und ethisch einwandfrei.
Schlussbemerkung
Hogwarts Legacy ist ein bemerkenswert gut ausgearbeitetes, sehr gut funktionales Spiel mit einer packenden Story, das jedoch nicht ohne Verbesserungspotential ist. Das Spiel punktet vor allem in den Bereichen Nostalgie, Diversität, bei den Charakteren und der liebevoll ausgearbeiteten Welt. Abzüge gibt es beim Thema Abwechslung, bei der Balance beim Schwierigkeitsgrad und der fehlenden Bedeutung der großen Karte für die eigentliche Story.
Insgesamt bietet das Spiel extrem viel Spielspaß und - zumindest während der Hauptstory - ordentlich viel Abwechslung. „Completionists“ kommen hier nicht ganz auf ihre Kosten und ein wenig schmerzt das Herz für das ein oder andere, was noch möglich gewesen wäre.
Eindeutige Spielempfehlung! 8,75 von 10 Punkten.
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