Hannover 03.08.2021 #Niedersachsen #Nahverkehr #Barrierefreiheit

Für die Modernisierung muss die Barrierefreiheit büßen. Der Bahnbetreiber möchte den niedersächsischen Eisenbahnverkehr "neuzeitlicher" gestalten und baut dafür Rollstuhlfahrerplätze, Rampen und co ab.

Was wie ein verspäteter April-Scherz klingt, ist tatsächlich Realität. Der Sprecher des Bahnbetreibers Start verspricht eine Fülle von Neuerungen: Mehr Steckdosen, mehr Fahrgastinformationen und überall WLAN, doch im gleichen ZUG will man die Zahl der Rollstuhlplätze um 50 Prozent senken. Bisher gab es in einem Zug nur vier Plätze, bald werden es so nur noch zwei sein.

Im sogenannten Steuerwagen befanden sich bisher Klappsitze, diese wurden gegen feste Sitzplätze mit einer Tischplatte getauscht und bieten somit keinen Platz mehr für Personen im Rollstuhl, aber auch für geh-eingeschränkte Menschen ist der Platz knapper geworden. Rollatoren lass sich nicht immer so einfach verstauen und erst recht nicht in vollen Bahnen.

Aus eigner Erfahrung: Als Rollstuhlfahrer könnte ich so manch seltsame Geschichten erzählen und gerade hier merken Behinderte immer eins: Wir sind nicht gleich und werden nicht als gleichwertige Kunde wahrgenommen. Weder bei der Deutschen Bahn, noch bei den Konkurrenten. Wir sind eher etwas hinderliches. Bei Fernfahrten (ICE) müssen wir uns zum Beispiel 48 Stunden im voraus melden, hoffen das der Zielbahnhof möglich (in den meisten ICEs sind keine Rampen vorhanden und einige Bahnhöfe verfügen nicht über Vorort Hilfen oder sind allgemein nicht geeignet) und das die Hilfe tatsächlich stattfindet. Aus meiner eignen Erfahrung heraus fahre ich ungerne Bahn, besonders im Fernverkehr. In meiner neuen bayrischen Heimat kann ich ohnehin nicht mit der Bahn fahren, da die Infrastruktur in der Kaiserzeit hängen geblieben scheint (zumindest hier in der Gegend).

Einige Unternehmen, wie die bisher recht oft in Niedersachsen anzutreffende Metronom oder in Brandenburg/Sachsen-Anhalt/Berlin die ODEG, sind vergleichsweise angenehm. Sie ermöglichen oft ein Einstieg, auch ohne vorige Anmeldung, auch wenn manch Zugpersonal mürrisch reagierte - doch darf man als Rollstuhlbenutzende Person nicht mal spontan sein? Bei Zügen von Metronom ist ein Einstieg oft sogar selbst möglich.
Die Firma Start will sogar auf ähnliche Modelle, wie Metronom setzen...

Zuständig für das Innenleben der Züge ist die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen (LNVG), diese ist eine Landesbehörde. Mit dem neuen Design wollte man wahrscheinlich Gutes tun. Die europäische Richtlinie Mobilitätseingeschränkte von 2014 wollte man so endlich umsetzten, maximal soll dies generell bis 2022 geschehen. Rückenlehne für den Rollstuhlbenutzer*innen und eine Sprechstelle, sowie eine Steckdose sind vorgeschrieben. Neben den Anforderungen für die Personen im Rollstuhl selbst muss für Begleitpersonen ein fester Sitz vorhanden sein - so sieht es die Richtlinie vor. Aufgrund dieser Anforderungen bleibt in den Zügen, dieser Bauart, kein Platz für vier Plätze.

Die LNVG sieht das aktuell eher entspannt, denn nach ihrer Erfahrung würde der Platz reichen. Als Rollstuhlfahrer kann ich darüber nicht lächeln, meine Erfahrung zeigt dies einfach nicht. Oft sind Personen auch nicht gewählt, für eine Person im Rollstuhl Platz zumachen. In vollen Zügen sind die Gänge oft zu eng, gerade wenn man mit einem Elektrorollstuhl unterwegs ist. Nach der statistischen Erhebung würden gerade mal 1,8 Personen die Plätze nutzen, "was durchaus so sein kann" (mehr dazu weiter unten), aber wahrscheinlich hat man schlicht die St0ßzeiten vergessen und dass jeder das Recht auf eine Beförderung hat. Einige Situationen sind schon länger bekannt und im Jahre 2019 gab es schon eine Untersuchung zur Thematik Barrierefreiheit im Bankverkehr, das Papier hat einen eher sperrigen Titel: "EU-FAHRGASTRECHTE UND DIEBEFÖRDERUNGSSITUATION VONMENSCHEN MIT BEHINDERUNGENIM DEUTSCHEN BAHNVERKEHR"

"Tatsächlich besteht auch bei verspätetem oder sogar gar nicht gemeldeten Bedarf nach Hilfeleistung ein Anspruch auf „reasonable efforts“.
Werden entsprechende Hilfeleistungen dagegen grundsätzlich ausgeschlossen, ist ein Einsatz „bester Kräfte“ nicht zu festzustellen"

Die Deutsche Bahn insgesamt, das Hilfsangebot und andere Eisenbahnunternehmen kommen nicht gut in diesem Papier weg:

"Im Ergebnis erscheint die derzeitige Situation von Passagieren mit Mobilitätseinschränkungen und Behinderungen im Eisenbahnverkehr unbefriedigend
...
Die Lage ist auch dadurch geprägt, dass die DB AG bislang Barrierefreiheit nicht zu einem dringlichen eigenen Anliegen gemacht hat. Für ihre Wettbewerber gilt das in mindestens dem gleichen Maße."

Zurückkommend zu der Situation in Niedersachsen und falschen Zahlen der LVNG
In Stoßzeiten sind Häufungen möglich, doch wie sollen diese Personen nun transportiert werden? Will man die Menschen einfach stehen lassen, will man das Konzept so lassen, ignoriert man weiterhin die Bedürfnisse der Menschen? Und wenn befreundete Menschen im Rollstuhl vereisen wollen, sollen die Menschen jetzt doch lieber zu Hause bleiben? Und besonders lustig wird, wenn man sich anschaut, wie die Erhebung eigentlich gemacht wird: Niemand weiß, wer dort sitzt und ob die Person eine Einschränkung hat, denn es wird einfach nicht erfasst. Wie groß also der Bedarf ist, kann die LVNG gar nicht wissen und warum man dies so angibt, wollte man mir nicht verraten. "Hat man das gezogen? Oder wie?" - dachte ich mir dann und musst an die Würfel-Aktion von Armin Laschet denken. Nur warum gibt man solche Zahlen nach draußen? Es sind unbelegbare Behauptungen und das von einer Behörde...

Neben diesen Problem kommt auch noch der Zugang zum WC.
Die Gänge in den neuen Zügen sind enger gestaltet und lassen so weniger Platz für die Rollstühle. Bei Elektro-Rollstühlen oder Pflegerollstühlen könnte dies zu einem Problem führen. Bisher waren in den Zügen des Metronom (offiziell): Rollstühle nur dann zugelassen, wenn diese eine Breite von 80 Zentimetern und eine Länge von 125 Zentimetern nicht überschritten. Im Baubereich nimmt man mindestens 90 Zentimeter breite an und wen man sich an dieser Stelle auch noch drehen muss, dann wären es 150 x 150 Zentimeter. Warum man in den Zügen spart?!

Besonders eine Entscheidung zeigt sich als besonders dumm und ich kann es wirklich nicht anders beschreiben: Die Rampen müssen manuell ausgelegt werden und für jeden Rollstuhlfahrer ab und an gelegt werden.

Das heißt in der Praxis:
Für A liegt die Rampe, wenn dieser nun im Zug ist, muss diese abgelegt werden, denn nur so kann er zu seinem Platz fahren. Möchte nun als auch noch B mit, so muss die Rampe erneut angelegt werden und das mit reiner Muskelkraft. Solche Rampen wiegen bis zu 40 Kilogramm. Verspätungen sind so, derweil möglich.
Aktuell ist ein solcher Wagen im Einsatz, doch bis 2022 werden es fünf sein und bis Ende diesen Jahres zwei.  

Wer denken mag: technisch geht es nicht anders - irrt.
Der Schweizer Gotthardzug zeigt, es geht. Ebenerdig für verschiedene Bahnsteighöhen. Es ist eben alles nur eine Frage der Technik und des Umsetzungswillens. Eine innenliegende Rampe hilft hier. Andere Länder, wie England, haben zwar auch nicht alle Bahnhöfe frei von Barrieren, aber man hat dann das Recht auf ein Taxi. Als Beispiel: London. In London gibt es kein Taxi, welches nicht barrierefrei ist. Wenn man mit der Subway (U-Bahn) nicht zu einem Bahnhof gelangt, weil dieser keinen Fahrstuhl hat, dann bekommst du für dieselben Ticketkosten ein Taxi. Das ist zwar auch keine Ideale Lösung, wäre für die Übergangszeit eine tolle Hilfe.

In Deutschland soll es wenigstens im ICE besser werden, also in den neuen Zügen für die Deutsche Bahn - Warten wir ab.

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Beitragsbild ist von gerdaltmannpixabay

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