Geht es nach der Rhetorik der Grünen, sollte man glauben, dass die Bekämpfung des Klimawandels ihr zentrales Anliegen bei dieser Bundestagswahl war. Würde das stimmen, wäre es entscheidend gewesen, möglichst viele Wähler für das grüne Lager zu gewinnen. Wie diese Partei stattdessen handelte, wirkte dieser Strategie entgegen, weshalb sich ihr Wählerpotential innerhalb weniger Monaten fast halbierte. Angesichts der erheblichen Unterstützung vieler Leitmedien und politischer Initiativen für die Grünen handelt es sich um ein Fiasko. Was ist hier schiefgelaufen?
Ein Grund für dieses Debakel liegt auf der Hand. Wäre für die Grünen tatsächlich der Klimawandel das Thema, das sämtliche anderen in den Schatten stellte, hätte man dasjenige Parteimitglied ins Rennen um das Kanzleramt geschickt, das die besten Erfolgsaussichten hatte. Eine Umfrage nach der anderen zeigte, dass dies auf Robert Habeck zutraf. Allerdings ist den Grünen ein Thema wichtiger als das Aufhalten des Klimawandels: Identitätspolitik.
Am 14. März erklärte Robert Habeck, er würde auf eine Kanzlerkandidatur verzichten, wenn seine Co-Vorsitzende Annalena Baerbock "als Frau" antreten werde. Wie die Süddeutsche Zeitung anmerkte, trug er damit lediglich vor, was bei den Grünen ohnehin Brauch ist: "Frauen haben in der Regel den ersten Zugriff auf Führungsposten, ihnen steht der jeweils erste Listenplatz zu." So musste sich Habeck von weiblichen Parteimitgliedern prompt fragen lassen, warum er überhaupt an seiner Option festhalte, Kanzlerkandidat zu werden. Schließlich habe die Partei in Annalena Baerbock "eine überzeugende Spitzenkandidatin für eine grüne Bundeskanzlerin". Es ist die Frage, die bei der Frauenquote immer wiederkehrt: Warum einen Posten mit einem guten Mann besetzen, wenn sich auch eine mittelmäßige Frau bewirbt?
Habeck selbst schien nicht ernsthaft damit gerechnet zu haben, dass seine Co-Vorsitzende ihre Geschlechtszugehörigkeit ausnutzen würde, um statt seiner ins Rennen um das Bundeskanzleramt zu gehen. Das ist erstaunlich: Keine Frau, die nach politischer Macht strebt, geht in die Führung einer sexistischen Partei, wenn sie ausgerechnet im entscheidenden Moment nicht gewillt ist, diesen Sexismus für eigene Zwecke zu nutzen. "Ich hab dich an den Eiern, Schweinebauer!" mochte Baerbock in diesem Moment gedacht haben, worauf Habeck nichts anderes übrig blieb, als brav zu sagen: "Annalena: Die Bühne gehört dir." Damit trat die Frau, die für viele Wähler wie die Leiterin der Umwelt-AG ihrer Oberstufe wirkte, strahlend ins Scheinwerferlicht und verkündete: "Ich bin die Annalena, komme vom Völkerrecht, bin Mitglied der UNO und will ins Bundeskanzlerinnenamt."
Totale Katastrophe? Zunächst keineswegs. Stattdessen schlug bei den deutschen Leitmedien der erhoffte Women-are-wonderful-Effekt voll durch. Etliche Journalisten waren hingerissen. Beim Spiegel jubilierte das Cover "Die Frau für alle Fälle", beim Stern "Endlich anders". Der Deutschlandfunk titelte freudestrahlend "Sie ist mehr Klartext, fast schon der Killer". Die Süddeutsche Zeitung sah in Baerbock eine "Kanzlerkandidatin mit der Wucht der Unbedingtheit". Mit den Schlagzeilen "Eine wie keine", "Die Überlegene" und "Weil nichts gegen sie spricht" steigerte sich die "Zeit" in einen Furor der Euphorie. Alles in allem konnte man schon erahnen, welche Hofberichterstattung man im Fall von Baerbocks Kanzlerschaft befürchten musste.
Für die wenige unbotmäßige Kritik, die es am Rande dieser Krönungsmesse gab, wurden flott angeblich frauenfeindliche "Männerrechtler" mit einer vermeintlichen "Hasskampagne" als Sündenbock präsentiert. Jeder Beleg für diese Unterstellung fehlte, an seine Stelle traten die vertrauten rhetorischen Versatzstücke: "Ziel der diffamierenden Lügen ist, dass Frauen wie sie sich wieder in die Privatsphäre zurückziehen – wohin sie in den Augen der Rechten gehören." Solche Behauptungen sind ähnlich verschroben wie wenn jemand behaupten würde, Feministinnen wollten sämtliche Männer kastrieren und alle Frauen lesbisch machen. In Wahrheit arbeiten Männerrechtler und Feministinnen längst zusammen. Das krude Feindbild "Männerrechtler" ist in unseren Leitmedien aber nicht totzukriegen.
Es waren private Blogger, die sich, die Mühe machten, eine Kanzlerkandidatin kritisch zu überprüfen, statt ihr nur zuzujubeln und sie vor Kritik zu schützen. Sie fanden heraus, dass es Annalena Baerbock selbst war, die es mit der Wahrheit alles andere als genau nahm. Wie ihre Kandidatur daraufhin in sich zusammenfiel, hat das Blog Deliberation Daily treffend zusammengefasst. Die Schuld an Baerbocks dutzendfach aufgepimpten Lebenslauf und den mehr als hundert Plagiaten in ihrem Buch konnte man mit noch so viel polemischem Geschick keinen bösen Männerrechtlern in die Schuhe schieben. Zuletzt waren selbst die Öffentlich-Rechtlichen als mit Milliarden Gebühren gefütterte Wahlkampfmaschine der Grünen machtlos gegen Baerbocks Niedergang.
Mit Robert Habeck als Kandidaten wäre dieser Absturz nicht passiert. Er hätte beste Aussichten gehabt, das Kanzleramt zu erobern und eine nach grünem Verständnis starke Klimapolitik durchzusetzen. Leider hatte er niemals eine echte Chance. Der grüne Sexismus wird Männern wie ihm immer den Weg verbauen: Er sieht eine gemischtgeschlechtliche Doppelspitze vor, wobei die weibliche Person immer das erste Recht auf Zugriff zur Macht hat, selbst wenn sie die schlechtere Kandidatin ist.
Auch anderweitig steht der Vorrang der grünen Identitätspolitik dieser Partei im Weg, sobald es um politischen Erfolg geht. Beispielsweise hätten die Grünen längst auch auf die Männer dieses Landes zugehen können, um auch von dort die notwendigen Stimmen für eine Klimapolitik nach grünem Verständnis zu gewinnen. Die Männerrechtsbewegung, deren Hauptanliegen der Einsatz für Bürger- und Menschenrechte für Jungen und Männer und keineswegs das Zurücktreiben von Frauen in die Privatsphäre ist, böte sich seit Jahren als Ansprechpartner an. Aber jeder Schritt aus den Schützengräben des Geschlechterkrieges scheint von den Grünen zu viel verlangt. Obwohl einer Studie zufolge, die das Bundesfrauenministerium im Jahr 2016 veröffentlichte, volle 68 Prozent der jungen Männer eine "offensivere, differenzierte und systematische Gleichstellungspolitik für Männer" fordern, sind die Grünen hier unbeweglich und starr, wenn nicht offen feindselig.
Als sich vor zehn Jahren die Goslarer Gleichstellungsbeauftragte Monika Ebeling auch für Jungen und Männer einzusetzen begann, hieß es in einem Offenen Brief der Goslarer Grünen schnell, Ebeling wolle "Benachteiligungen von Männern aufzeigen und beseitigen – das ist nicht unser politischer Wille". Und jetzt, wo sich die NGO "Forum Soziale Inklusion" um die Anliegen beider Geschlechter kümmert, wetterte die bayrische Grünen-Landeschefin und Landtagsabgeordnete Eva Lettenbauer, die Förderung dieses Vereins wäre ein "handfester Skandal". Die familienpolitischen Sprecherinnen der Grünen im Bundestag, berichtete das Forum Soziale Inklusion in einer vergleichenden Parteienanalyse, "verweigern seit Jahren Gespräche mit Verbänden, die auch die Belange von Männern und Vätern ansprechen. Die Grünen setzten sich im Familienausschuss des Bundestages für Vorträge von Frauenverbänden ein und verhinderten Vorträge von authentischen Männer- und Väterverbänden." Schon der Dialog mit der kritischen Gegenöffentlichkeit wird von grüner Seite beharrlich verweigert. Väter fühlen sich von den Grünen besonders im Stich gelassen. Man gewinnt Menschen aber nur schwer dazu, in bestimmten politischen Fragen (etwa Klima) am selben Strick zu ziehen, wenn man denselben Menschen wieder und wieder die Beine wegtritt.
Vergangene Woche thematisierte das Magazin The European, dass die Grünen den Sprung zur Volkspartei immer noch nicht geschafft haben. Eines der Hindernisse dabei: Zum Volk gehören auch wir Männer.
Angesichts der Schwäche der Grünen bei dieser Bundestagswahl beginnen die ersten, das Prinzip demokratischer Wahlen an sich in Frage zu stellen. Solcher Unfug ist nicht nur gefährlich, sondern auch unnötig. Stünde die Bekämpfung des Klimawandels bei den Grünen tatsächlich an erster Stelle und nicht die Identitätspolitik, hätten sie bei dieser Wahl weit erfolgreicher sein können. Stattdessen muss man befürchten, dass sie nicht einmal für die nächsten Wahlen dazugelernt haben. Wenn es nicht doch noch zu einer Fortführung der Großen Koalition kommt, dürften immerhin ein paar Ministerposten drin sein: Damit kann man sich den Absturz in der Wählergunst als Erfolg schön trinken, so dass man sich um die Anliegen der Männer weiterhin nicht zu kümmern braucht. Dabei wäre es schon aus Eigeninteresse für die Grünen höchste Zeit, sich auch ihnen zu öffnen, statt Aktivisten, die sich für Jungen und Männer einsetzen, auszugrenzen und zu verteufeln. Wir möchten nicht mehr und nicht weniger als Inklusion. Eine Partei, der ein gesamtgesellschaftliches Bündnis zur Bekämpfung des Klimawandels ernsthaft wichtig ist, würde nicht länger an spaltenden und ausgrenzenden Diskursen festhalten.
Zuletzt: Obwohl die Öffentlich-Rechtlichen und andere Leitmedien unverdrossen linke Umweltaktivisten als "Stimme der Jugend" verkaufen, haben die Erstwähler mehrheitlich FDP gewählt. Dabei sind die Liberalen bei den unter 30-jährigen Männern besonders stark. Ich, der als "alter weißer Mann" oft zum längst überholten Ausschuss erklärt wird, kann unsere Jugend bestens verstehen. Während ich meine Stimme früher den Grünen gegeben habe, wähle auch ich inzwischen die FDP, weil es dort mit dem Wechselmodell und dem Schutz auch männlicher Opfer vor häuslicher Gewalt zumindest erste männerpolitische Ansätze gibt. Soviel Zukunft, soviel Aufbruch und soviel echte Geschlechtergerechtigkeit haben die Grünen noch lange nicht im Angebot.
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