Um festzustellen, ob die Grenzwerte bei der Bearbeitung oder Entfernung von Amalgam eingehalten oder überschritten werden, habe ich zusammen mit Prof. Martin Garbrecht (HAW Hamburg) quantitative Messungen zum Nachweis von Quecksilberdampf durchgeführt.

Hierzu wurde die bei der Entfernung des Amalgams emittierte Konzentration
von Quecksilberdampf extrahierter amalgamgefüllter Zähne in einer
geschlossenen Box mit einem geeichten Hg-Dampf-Spektrometer
quantifiziert und die ermittelten Werte mittels indikativer Messungen (Dräger-
Röhrchen) gegengeprüft.

Beim Herausbohren von Amalgam wurden dabei sehr hohe Hg-Dampf-
Emissionen
gemessen, die die derzeit zulässige MAK (0,02mg/m³) um ein
Vielfaches übertrafen.
Ob eine Entfernung oder die Bearbeitung von Amalgam bedenkenlos möglich ist, oder ob sie mit möglichen Risiken für Behandler und / oder Patienten verbunden ist, soll mit vorliegender Arbeit geklärt werden.


Ergebnisse
Nach Touchierung einer Amalgamfüllung mit dem Bohrer startet unmittelbar
die Emission von Quecksilber-Dampf, die auch nach einer Unterbrechung des
Bohrvorganges in hoher Intensität minutenlang bestehen bleibt.
Die dabei ermittelten Konzentrationen von Quecksilberdampf übertrafen die
zulässige maximale Arbeitskonzentration (MAK) bis zum 100-fachen (!) MAK-
Wert. Damit wird die OSHA PEL (zulässige Expositionsgrenze) ebenfalls weit überschritten.
Die Ergebnisse bestätigen vollumfänglich die Untersuchungen von Warwick und Young (2019).


Diskussion - Hohe Toxizität und hohe Resorptionrate bei Quecksilberdampf
Die gesundheitsschädliche Wirkung von Hg-Dämpfen ist bekannt. Auch teratogene Effekte sind im Tierversuch beschrieben. Im Gegensatz zum oral aufgenommenen Quecksilber, bei der lediglich 0,01 % der verschluckten Menge vom Körper aufgenommen wird, werden bei der Inhalation von Hg-Dämpfen bis zu 80% resorbiert.

Zahnärztliche Schutzmaßnahmen für PatientInnen (z.B. Kofferdam-Technik) schützen nicht vor der inhalativen Belastung durch entstehende Hg-Dämpfe. Ein Teil der Emissionsfahne wird, bedingt durch Verwirbelungen mit Spraykühlung, in die für Personal und PatientInnen für die Inhalation relevanten Umgebungsbereiche transportiert.

Eine Entfernung von Amalgamfüllungen wird von vielen PatientInnen gewünscht und angestrebt. Nicht nur bei bestehendem Kinderwunsch wird z.B. von vielen Krankenkassen eine Entfernung von Amalgamfüllungen ausdrücklich empfohlen. Auch veranlassen TumorpatientInnen sehr häufig, im Rahmen eines falsch verstandenen Wunsches nach „Entgiftung“, die Entfernung ihrer noch intakten Amalgam-Füllungen, werden überflüssigen inhalativen toxischen Belastungen ausgesetzt und geraten dabei häufig ungewollt in die Fänge der Scharlatanerie.

So sind amalgamgefüllte Zähne häufig Basis dubioser Entgiftungsbehandlungen („Detox“) mit Spirulina-Algen, „Homöopathie“ u.a., für die bis dato keinerlei Wirksamkeit nachgewiesen wurde.
Sowohl im Falle eines Kinderwunsches als auch im Rahmen einer
Tumorbehandlung überwiegen somit nachweislich die Risiken einer
Amalgamentfernung aufgrund nicht abschätzbarer Risiken durch die Inhalation
von Quecksilberdämpfen
.


Für Patientinnen in der frühen Schwangerschaft (3 . - 10. SSW) gilt:
Findet eine Bearbeitung von Amalgamfüllungen  im Zeitraum der teratogenetischen Determinationsperiode statt, so kann eine Schädigung der Frucht, z.B. Ausbildung einer Lippen- Kiefer- Gaumenspalte nicht ausgeschlossen werden. Teratogene Effekte nach der Inhalation von Quecksilberdampf wurden im Tierversuch nachgewiesen.

Weil Quecksilber nach der Inhaltion schnell aus dem Blutgefäßsystem in das Nervengewebe verschoben und dort gespeichert wird, sind weder Blut- noch Speichel- oder Urintestungen geeignet, die Belastungen durch inhalative toxische Peaks nachzuweisen, da sie in der Regel mit großem zeitlichen Abstand zu zahnärztlichen Behandlungen erfolgen und tragen somit eher dazu bei, die potentiellen Gefahren inhalativer Risiken zu verschleiern.


Konsequenzen für PatientInnen - insbesondere Schwangere, Stillende und Kinder - Trepanationsverzicht bei Schmerzen
Weil die inhalative Resorptionsrate hoch ist und keine Plazentaschranke für Quecksilber existiert, sollte zur Vermeidung von Belastungen durch Quecksilberdämpfe bei der Behandlung von Schmerzpatientinnen mit unklarer Schwangerschaftsanamnese, sowie bei stillenden Müttern wegen der möglichen Übertragung zum Säugling , auf die Trepanation amalgamgefüllter Zähne stets verzichtet und stattdessen besser eine Dekapitation des betroffenen
Zahnes durchgeführt werden.

Wenn Quecksilberdampf die Plazentaschranke passiert kann Quecksilber in
den fötalen Blutkreislauf gelangen. Bei schwedischen Frauen (n=119) wurde eine Korrelation zwischen der Zahl der Amalgamfüllungen und dem Gehalt an anorganischem Quecksilber in der Plazenta nachgewiesen . Die Konzentration in der Plazenta lag um etwa das Dreifache höher als im mütterlichen Blut.

Kinder mit amalgamgefüllten Milchzähnen sollten bei akuten Schmerzen keinesfalls Trepanationsbohrungen ausgesetzt werden, weil sie sonst wegen ihres höheren Verhältnisses von Lungenoberfläche zu Körpergewicht, sowie eines höheren Minutenvolumens einer höheren Dosis von Quecksilberdämpfen ausgesetzt sind.

Ein schnellstmögliches Verbot von Amalgam, auch aus medizin-ethischen
Gründen, möglichst flankiert von verstärkter Prävention im Bereich Ernährung, sollte nicht nur dazu beitragen die Inzidenz zahlreicher neuro-degenerativer Erkrankungen zu senken, sondern mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch die Häufigkeit angeborener Missbildungen reduzieren.


Relevante Konsequenzen für den Arbeitsschutz
Sowohl Björklung (2019), als auch Anglen und Gruninger (2015) berichten von erhöhten Gesundheitsrisiken (Infertilität, Neuropathien, Psyche) im Zusammenhang mit Quecksilberamalgam für Arbeitende im zahnärztlichen Umfeld.

Um MitarbeiterInnen vor den Quecksilberdämpfen zu schützen,
sollten zahnärztliche Arbeiten an amalgamgefüllten Zähnen (Trepanationen,
Präparationen, Amalgam-Entfernungen) daher ausschließlich unter den
Kautelen eines konsequenten Atemschutzes erfolgen (z.B. A1HgP3 von 3M).


Lit.:

Giftiges Quecksilber: EU-Kommission verbietet Verwendung von Zahn-Amalgam ab 2025
Die Europäische Kommission hat die EU-Quecksilber-Verordnung überarbeitet, um EU-Bürger und Umwelt vor giftigem Quecksilber zu schützen. Damit wird unter anderem die Verwendung von Zahn-Amalgam, für das derzeit in der EU jährlich 40 Tonnen Quecksilber verbraucht werden, vollständig verboten.
Entfernung bestehender Amalgam-Restaurationen bedenkenlos durchführbar?
Dringender Forschungsbedarf: Wie sind „dringliche zahnärztliche Indikation“ und „schonende Technik“ definiert?
Verträgt sich Quecksilber-Amalgam mit einer Schwangerschaft?
Besteht ein Risiko bei der zahnärztlichen Behandlung für das ungeborene Leben durch Quecksilberdämpfe?
Europe to Decide on Use of Mercury in Dentistry
Dental Amalgam
Time to have another look at THE ALTERNATIVE MEDICINE HALL OF FAME

Autoren:
Dr. Hans-Werner Bertelsen, Zahnarzt, Bremen
Prof. Dr.-Ing. Martin Garbrecht
Professor für Fertigungstechnik und digitale Produktion, Hochschule für angewandte Wissenschaften - HAW, Hamburg