Die dunklen Seiten der Ökonomie des Teilens
Das ist doch genial, das ist cool: Mit wenigen Mausklicks auf dem Smartphone kann man beim Zimmervermittler Airbnb eine private Unterkunft buchen, oder am Straßenrand ein Fahrrad, ein Auto oder einen Elektroroller ausleihen, und am Zielort einfach irgendwo abstellen. Allen gehört ein Teil von allem, das klingt doch wunderbar: Man muss sich um nichts kümmern, man muss sich um nichts sorgen, alles wird wie von Geisterhand erledigt, man genießt unendliche Gemeingüter. Aldous Huxleys Roman »Schöne neue Welt« ist real geworden: „Community, Identity, Stability!“
Wohnungen, Autos, Fahrräder, Elektroroller und andere Dinge zu teilen ist in den Städten längst Normalität und es ist ein Milliardengeschäft. Share Economy, also das Teilen oder eigentlich richtiger das kurzfristige Nutzen von Konsumgegenständen oder Dienstleistungen über Plattformen im Internet, ist zu einem stabilen Wirtschaftsfaktor geworden. Mehr und mehr Menschen nutzen diese simple Methode als willkommene Alternative zum herkömmlichen Konsumangebot.
Sharing: Das klingt bodenständig, nach Gerechtigkeit und sozialem Ausgleich. Doch während die einen die Sharing-Idee einladend und gemeinschaftlich finden, sprechen andere vom „Plattform-Kapitalismus“, der den Konsum nur noch mehr ankurbelt und dunkle Schatten auf unsere Gesellschaft wirft. Längst wachsen grundsätzlichere Bedenken gegen die Ökonomie des Teilens. In dem Beitrag "Fluch und Segen der Ökonomie des Teilens" im Deutschlandfunk sieht der Wirtschaftswissenschaftler Daniel Veit zwar prinzipiell viele positive Aspekte: „Das Problem ist nur, dass dieses Phänomen, das bisher eine starke Nischen-Funktion dargestellt hat, sich sehr viel breiter darstellt. Und diese starke Verbreitung führt natürlich zu Nebeneffekten für die Gesamtgesellschaft.“
Einer dieser Effekte ist, dass beispielsweise Vermittlungsportale wie Airbnb oder Uber neue Steuerschlupflöcher bieten: Denn wer will kontrollieren, ob die Vermieter oder Teilzeit-Fahrer ihr zusätzliches Einkommen auch versteuern? Veit verweist auch auf die Auswirkungen auf die Arbeitswelt: Denn einerseits biete die „Sharing Economy“ theoretisch jedem eine einfache Möglichkeit, zum Kleinunternehmer zu werden. Andererseits entstünden dabei weitgehend unregulierte Bereiche, die hart erkämpfte Arbeitnehmerrechte unterlaufen könnten. In dem Beitrag des Deutschlandfunks kommt auch Uber-Geschäftsführer Fabien Nestmann zu Wort: „Als Plattform haben wir keine Angestellten, das ist richtig – aber alle profitieren eben von solchen Plattformen, wenn Anbieter und Suchende schneller, effizienter und sicherer zusammen gebracht werden.“
Die Realität in einigen Spielarten des Sharing-Segments bestätigt allerdings die Bedenken. So sind sei etwa einem Jahr etwa 800 Rider der Firma Gorilla in Berlin im Einsatz. Über die Gorilla Plattform werden bestellte Lebensmittel, es handelt sich dabei hauptsächlich um Essensbestellungen, bis vor die Wohnungstür geliefert. Wegen der Arbeitsbedingungen und dem Betriebsklima haben die Fahrerinnen und Fahrer gestreikt und mit ihrem Protest auch die Politik auf den Plan gerufen: In dieser Woche will Bundesarbeitsminister Hubertus Heil die Geschäftsleitung und Beschäftigte besuchen und sich vor Ort über die Umstände informieren.
Wie in anderen Wirtschaftsbereichen auch gibt es längst einen Trend zu Marktkonzentrationen. So agieren hinter den so sympathisch wirkenden und beworbenen kleinen Startups häufig Großinvestoren wie beispielsweise Goldman Sachs oder Google Venture. Denn mit zunehmender Popularität entsteht auch in diesem Bereich das, was Ökonom Veit „ökonomische Netzwerkeffekte“ nennt:„Diese Netzwerkeffekte führen dazu, dass die ‚großen Fische‘ immer gewinnen und die kleinen Fische gar nicht sozusagen die kritische Masse erreichen, um überhaupt in diesem Spiel mitspielen zu können.“ Dennoch glaubt er, dass die Bedeutung der Share Economy weiter zunehmen wird: „Die Frage wird sein, und das ist die große Herausforderung für unsere Gesellschaft, diesem in einer Art zu begegnen, dass dies nicht die positiven Errungenschaften unserer Gemeinschaftsvereinbarungen letztlich untergräbt, sondern dass es wertstiftend für uns alle stattfinden wird.“
Doch wer mit offenen Augen durch die große Stadt geht, erkennt längst wie Share Economy die Gemeinschaft nicht stützt, sondern sie ganz im Gegenteil massiv untergräbt. Die kurzfristige Vermietung von Wohnungen führt zu erkennbarer Wohnraumknappheit, in den Innenstädten mit der Folge von Teuerungswellen, massiven Verdrängungseffekten und sozialen Transformationen, der ersten Stufe auf einer Spirale zur Degenerierung und Verödung der Städte zu Spielplätzen von Billigtouristen und Hedonisten. Ihre elektrischen Spielzeuge, vom Auto bis zum Elektrofahrrad sind wahllos abgestellt, ohne Rücksicht auf Andere: Bequem und billig ist oberstes Gebot! Die Müllberge der aufwendig verpackten Mahlzeiten türmen sich in den öffentlichen Parks und Anlage, gleich neben den achtlos hingeworfenen Transportmitteln. Die Folgekosten werden der Gemeinschaft aufgebürdet mit ständig wachsenden Ausgaben für die Reinigung und Müllentsorgung, die von Nutzern verursacht werden, denen jeder Sinn für Gemeinschaft, Verantwortung und Respekt gegenüber Mensch und Natur abhanden gekommen scheint. Ein Blick nach Westen sollte uns eine nachhaltige Mahnung sein: Im Jahr 2016 wurden laut der Weltbank in Nordamerika rund 289 Millionen Tonnen Müll produziert. Für das Jahr 2050 wird für die genannte Region ein Müllaufkommen von 396 Millionen Tonnen prognostiziert. Insgesamt wird das weltweite Müllaufkommen im Jahr 2050 laut der Prognose bei etwa 3,4 Milliarden Tonnen liegen.
Share Economy ist der dunkle Vorbote der Prognose von Yuval Noah Harari, der in seinem Buch "21 Lektionen für das 21. Jahrhundert" einen wachsenden Teil der Bevölkerung durch eine "schwer zu fassende Elite bedroht sieht, die Geld, Daten und Wissen verwaltet und weltweit verschiebt":
"Diese Elite profitiert von der Globalisierung und der Digitalisierung, während alle anderen damit ruhiggestellt werden, dass sie billig in den Urlaub fliegen und dann Fotos vom Urlaubsort in den sozialen Medien posten können. Die Arbeitskraft der normalen Menschen wird hingegen immer seltener gebraucht. Man könnte sagen: Im 21. Jahrhundert kämpfen die Menschen dagegen, unsichtbar zu werden und damit ihre Würde zu verlieren."
Quellen: https://www.deutschlandfunk.de/sharing-economy-fluch-und-segen-der-oekonomie-des-teilens.724.de.html?dram:article_id=303971; https://de.statista.com/statistik/daten/studie/917588/umfrage/prognose-abfallaufkommen-weltweit-nach-regionen/; https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/gorillas-workers-collective-kagan-sumer-plattform-economy-delivery-arbeitsbedingungen-berlin-streik-li.171658; https://www.riffreporter.de/de/gesellschaft/yuval-harari-lektionen-ki
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