Mit der weiten Verbreitung von Social Media wird auch vielfältig sogenannter Slacktivismus praktiziert, da sich Twitter, Facebook und Co hervorragend für diese Art des faulen Aktivismus eignen. Virtue Signaling geht oft, -aber nicht immer - Hand in Hand mit Slacktivismus. Beide Wörter sind als abwertend zu verstehen.

Aber was sind Slacktivismus und Virtue Signaling und wie äußern sie sich? Welchen Effekt haben diese „Couch-Aktivisten“ auf die Themen, für die sie sich einsetzen und warum wählen sie diese Formen der Auseinandersetzung?

Langhaarige, ungekämmte Person sitzt lustlos vor einem Laptop.
Slacktivismus und Virtue Signaling sind faul und finden meist zu Hause am Computer statt. Bild: Pexels

Was sind Slacktivismus und Virtue Signaling?

Das Wort Slacktivismus ist eine Zusammensetzung aus dem Englischen Begriff slacking (faulenzen, trödeln) und Aktivismus. Virtue Signaling ist der große, böse Bruder des Slacktivismus und geht auf die Begriffe „Tugend“ (Englisch: virtue) und signalisieren zurück.

Für die United Nations ist Slacktivismus, in einer sehr diplomatischen Beschreibung, wenn Menschen „eine Sache mit sehr einfachen Mitteln unterstützen“, aber sich nicht notwendigerweise „dem Herbeiführen einer Veränderung widmen oder hingeben“.

Slacktivismus betreiben heisst im Klartext also, etwas Einfaches, vielleicht rein Symbolisches zu tun, statt ernsthaft aktiv zu werden. Typische Beispiele dafür sind, im Internet Petitionen zu teilen, Facebook-Aufrufe zu starten, Posts und Kommentaren zu bestimmten Hashtags zu posten (#MeToo, #CancerAwarenessDay, #SupportXYZ, etc.) oder um Spenden zu bitten, ohne selbst zu spenden. Typischerweise ist es dafür unnötig, vom Sofa aufzustehen, aktiv zu werden, etwas zu riskieren oder Geld in die Hand zu nehmen.  So kann man beispielsweise sein Profilbild auf Social Media mit lustigen, farbigen Rahmen oder einer Flagge versehen, um auf ein Thema hinzuweisen. Dies kostet mitunter nur einen Click, da Facebook für bestimmte Themen bereits temporäre Rahmen oder  Symbole für das Profilbild anbietet. Ansonsten kann man ja auch Emojis in den Usernamen bei Twitter (ich weigere mich, dazu X zu sagen) einfügen, was nur ein wenig mehr Zeit kostet.

Virtue Signaling geht noch einen Schritt weiter und konzentriert sich darauf, durch eben solche Posts, Internet-Debatten und insbesondere das Ankreiden des Verhaltens anderer Personen darauf hinzuweisen, dass man selbst tugendhafter und besser ist, als andere Menschen. Typische Beispiele finden sich unter extrem religiösen Personen, aber auch bei einigen besonders lauten (Sub-)Gruppen im Internet. Dabei sind selten alle Menschen einer Gruppe beteiligt, sondern eben nur diejenigen, die sich damit besonders profilieren, dass sie Menschen abwerten, die sich anders als sie selbst zu einem bestimmten Thema eingestellt sind. Einige Eltern prahlen beispielsweise mit Lunchboxen, die sie mit extremen Aufwand für ihre Kinder produzieren, und sprechen implizit oder explizit abwertend über Eltern, die dies nicht tun. Einige extreme Veganer greifen Menschen verbal bzw. schriftlich an, die Fleisch - wie wenig auch immer - und Tierprodukte zu sich nehmen. Übermäßig devote Fahrradfahrer beanstanden die Umweltbelastung durch oder die fehlende Notwendigkeit des Autos, wo immer sich die Gelegenheit bietet, usw.

Dabei soll an dieser Stelle nicht behauptet werden, dass diese Menschen an sich nicht für eine gute Sache einstehen oder ihr Lebensstil nicht vorbildlich wäre. Die Kritik beim Virtue Signaling zielt darauf ab, dass es diesen Menschen besonders wichtig zu sein scheint, andere Menschen abzuwerten oder sich selbst auf ein hohes Ross zu setzen. Die Hauptkritik am sogenannten Virtue Signaling ist, dass es Menschen eher davon abhält, sich einer Sache anzuschließen, als Schritte in eine richtige oder bessere Richtung zu machen.

Eine Frau greift einer anderen im Argument an die Schulter, diese wendet sich mit einem Abwinken ab..
Angriffe wirken abschreckend. Bild: Pexels

Beide Formen des Couch-Aktivismus schaden den eigentlichen Anliegen

Die Kritik am Slacktivismus ist generell, dass man sich gut dabei fühlt, etwas getan zu haben, ohne jedoch wirklich etwas zu bewirken. Gerade Slacktivismus, der durch Likes und Kommentare von anderen Slacktivisten honoriert wird, hält Menschen davon ab, wirklich etwas zu tun, was Veränderung oder Verbesserungen bringt, da sie sich mit ihrem Slacktivismus bereits so fühlen, als hätten sie etwas getan.

Virtue Signaling führt aufgrund der Angriffsposition des Signalers dagegen wohl eher dazu, dass andere Menschen von positiven Veränderungen durch Vergraulen abgehalten werden. Kleine Schritte in die richtige Richtung werden von Virtue Signalern gerne als zu nichtig eingestuft, um zu zählen. Beispiel: Nur wer für Person Z direkt komplett zum Veganer wird, ist moralisch auf der richtigen Seite. Jeder Schritt zum Vegetarismus oder zur Reduktion von Fleischkonsum ist für den Virtue Signaler unter den Veganern nicht ausreichend und wird auch deutlich als unzureichend verurteilt. Da die Virtue Signaler das ihren Gegenübern gerne in direkten oder angreifenden Worten mitteilen, gewinnt die gute Sache an sich - Fleischkonsum aus gesundheitlichen, wirtschaftlichen, umwelt- und tierfreudlichen Gründen zu reduzieren - durch die nun assoziierte Antipathie gegenüber ihres Vertreters keine Freunde. Im Gegenteil: Der Mensch, der einer Sache zuvor vielleicht offen gegenüber gestanden hat, fühlt sich unangenehm in die Defensive gedrängt, von der es bis zu „jetzt erst recht nicht“ gar nicht weit ist.

In Extremfällen wird beim Virtue Signaling sogar suggeriert, dass das Gegenüber auch dann moralisch weniger wertvoll ist, wenn es nicht die gleichen Ansichten darüber hat, was moralisch richtiger ist. Wenn man es zum Beispiel nicht für zielführend hält, Städte radikal für Autos unzugänglich zu machen, weil es durchaus Gründe aus den Bereichen Logistik, Gesundheit und Alltag gibt, die durch eine solche Sperrung unverhältnismäßig beeinflusst werden würden, ist man für den autoablehnenden Virtue Signaler schnell nicht mehr moralisch genug und damit ethisch der schlechtere Mensch. Dass erste Schritte in Richtung Zugangsberechtigungen zur Innenstadt, Sondergenehmigungen für Fahrten, Verkehrsberuhigung, Nahverkehrsangebote oder Parkplatzreduzierung bereits in die richtige Richtung führen, ist für die Virtue Signalerin unerheblich. Es geht nicht darum, die Sache voran zu bringen, sondern sich selbst und die eigene Meinung als moralisch besser darzustellen. Dass durch die Abwertung von Teilerfolgen oder teilweisen Übereinstimmungen mehr Ablehnung für eine gute Sache entstehen könnte, ist dabei nicht weiter wichtig.

(Der Slacktivist sitzt derweil daheim und unterzeichnet eine Petition für weniger Verkehr in Stadt X, womit er seinen Teil dann auch beigetragen hat.)

Eine Frau ruft in ein Megafon und hält ein Pappschild mit dem Wort „Stop“ hoch.
Nur laut werden? Reicht das? Bild: Pexels

Slacktivismus vs. Aktivismus

Faszinierend ist, dass diese Formen des Couch-Protests so unheimlich gerne mit und gegen Menschen betrieben werden, die tatsächlich aktiv werden. Man supported die „gute Sache” mit wenig Mühe vom Sofa aus oder verteufelt die Aktionen der Gegner, die tatsächlich aktiv sind.

Damit meine ich explizit nicht, dass nur diejenigen kein Slacktivisten oder Virtue Signaler sind, die protestierend auf der Straße stehen (im Gegenteil, man könnte auch viel über Mitläufertum und Nur-Klappe-Aufreissen schreiben), denn ein vernünftiger Couch-Support ist durchaus möglich. Der Unterschied ist, dass auch dieser Arbeit erfordert, sei es durch Nachforschungen, Organisation, der Weitergabe des eigens erworbenen Geldes, als Anlaufstelle, Wissensquelle, Flyer-Ersteller, Texter, etc. und sich nicht vornehmlich auf das Wettern und Schimpfen im Netz und das Teilen von Petitionen bezieht.

Aber Vorsicht, das gilt nicht ausnahmslos (gerade im Bereich Wissen). Gerade dis Virtue Signaler sind oft gradezu eine Fundgrube an (Halb)wissen und in „ihrer“ Sache mindestens ein aktives Vorbild. Damit brüsten sie sich auch gern lautstark und sind öfters mal als Diletant*innen, Hobby-Polizist*innen und Oberlehrer*innen unterwegs. Manche mögen sich sogar aktiv an Verbesserungen, Wandel und an Aktionen beteiligen. Hier ist einfach nur die Holier-Than-Thou-Attitude (Heiliger-als-ihr-Einstellung) ausschlaggebend. Übrigens: Der normale aktive Aktivist darf natürlich auch mal mitschimpfen. Der aktive Slacktivist macht reden-statt-tun allerdings zu seiner Hauptaufgabe.

Eine Faust schlägt in einen undefinierten, roten Gegenstand.
Slacktivisten und Virtue Signaler gibt es auch auf den Gegenseiten „guter Sachen“. Bild: Pexels

Im Kampf für die schlechte Sache

Beide Formen des faulen Aktivismus gibt es natürlich nicht nur auf Seiten eigentlich positiver Anliegen. Politisch, moralisch oder anderweitig fehlgeleitete Gruppen haben auch ihren Anteil an Slacktivisten und Virtue Signalern. Dazu kommen auch Mitglieder von Gruppen mit absurd unrealistischen Ideen oder Forderungen, deren Grundidee eigentlich gut ist. Man denke an Menschen, die im Grunde gegen die Ausbeutung im Sexworkbereich und gegen Menschenhandel sind, aber statt zielführend zu agieren, einfach pauschal gegen Sexwork sind und jeden Kritiker ihrer Methoden direkt als frauenausbeutenden Freier oder Zuhälter abstempeln. Gerade in solchen Gruppen sind sehr eng gefasstes Virtue Signaling (nur wer genau meiner Meinung ist, ist tugendhaft) und Slacktivismus weit verbreitet. Doch in jedem stark polarisierten Thema findet man diese Menschen auf allen erdenklichen Seiten. Egal ob sie die Existenz von trans Menschen komplett ignorieren oder jeden ehrlichen Genderfehler als affront gegen die Persönlichkeitsrechte deklarieren - man wird im Internet viele Accounts finden, die den lieben langen Tag gefühlt nichts anderes tun, als die jeweils andere Seite anzupöbeln, Petitionen zu verbreiten und ihre moralische und geistige Überlegenheit darzustellen (s. auch meinen Artikel über Social Media Toxicity).

Frau sitzt im Schneidersitz auf einem Schemel und hält schulterzuckend die Hände hoch.
Aber warum? Bild: Pexels

Warum das Ganze?

Beide, Slacktivisten und Virtue Signaler, tragen in der Bilanz wenig bis negativ zu einer guten Sache bei. Für schlechte Sachen sind sie vielleicht ganz gut, da sie nutzlos und/oder abschreckend wirken (aber ist das notwendig?), aber für ein positives Anliegen eher ungünstig. Warum das Ganze also?

Das Gefühl „etwas getan zu haben“ und/oder sich moralisch überlegen zu fühlen, habe ich bereits erwähnt. Wer hat schon Zeit für richtige und durchdachte Arbeit an einer guten Sache?!  

Es gibt aber noch mindestens zwei Dinge, die solche Menschen in ihren eigenen Kreisen sehr gut können: Aufstacheln und Internetpunkte sammeln. Wie im Artikel zur Social Media Toxicity erwähnt, ist es wohl ein menschliches Bedürfnis, sich mit Echos berieseln zu lassen, im Recht zu sein und Applaus zu bekommen - und das Internet macht es uns leichter, solche Bedürfnisse recht aufwandsfrei zu erfüllen.

Es geht also wirklich nicht um „die Sache“, sondern schlichtweg um dir Liebkosung des eigenen Egos. Ob „ich hab was für die Ukraine getan“, weil ich eine Petition geteilt habe , oder „ich bin hundert Mal besser als dieser Fleischfresser“, weil ich mich kompromisslos und völlig unzugänglich gezeigt habe, hauptsache ich fühle mich gut, meine Follower jubeln mir zu und ich habe das Gefühl, unter den Gleichgesinnten Freunde zu haben. Egal, in welcher Abstufung - der Kollege, der jede Petition der Erde teilt, oder die Tante, die ihren tiefsitzenden Männerhass für ihren hochmoralischen Kampf gegen das Patriarchat hält, obwohl selbst jede heterosexuelle Frau in ihrer Umgebung die Flucht ergreift - es geht um das Selbstgefühl.

Der Slacktivist ruft dazu auf, die lokale Feuerwehr zu unterstützen, ohne selbst etwas für sie zu tun. Der Virtue Signaler hat einen Alert für das Wort „Holzofen“ und legt sich mit jedem an, der es verwendet, ungeachtet des Kontexts, aber dafür kompromisslos und voller Arroganz. Hinterher klopfen beide sich gedanklich auf die Schulter: „Das habe ich wieder toll gemacht.“, während das Haus weiter brennt.

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