Bebilderung eines von der Staatsanwaltschaft Karlsruhe kriminalisierten Artikels des Freiburger Senders Radio Dreyeckland. In der dortigen Beschriftung des Bildes wurde darauf hingewiesen, daß die im Bild zu sehende Parole bei einer Podiumsdiskussion zum Thema strittig blieb – eine Behauptung deren Wahrheit zu bezweifeln, ich keinen Anlaß habe.

Das vorstehende Foto bebilderte auch bereits einen Artikel auf der Webseite von Radio Dreyeckland vom 30. Juli 2022.

+ Da die Staatsanwaltschaft der Auffassung ist, der Artikel-Autor habe sich die in dem Bild zu sehende Parole „zu eigen“ gemacht,

und

+ da in dem Artikel der wahre Satz, „Im Internet findet sich linksunten.indymedia.org als Archivseite“, steht,

hat die Staatsanwaltschaft Karlsruhe jetzt Anklage gegen den Artikel-Autor erhoben. Er soll sich mit dem Artikel gemäß § 85 Absatz 2 Strafgesetzbuch wegen Unterstützung eines verbotenen Vereins (Vereinigung) strafbar gemacht haben. Bei dem unterstützten verbote­nen Verein soll es sich um die „Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘“ handeln.

Erster Haken an der Anklage – das Bild war folgendermaßen beschriftet: „‚Wir sind alle linksunten‘ – ob dem so ist, war auch ein Streitpunkt auf der Podiumsdiskussion über das Verbot der Internetplattform.“ (Hv. hinzugefügt) – Worin soll also die Identifikation des Arti­kel-Autors mit der (das Zueigenmachen der) in dem Bild zu sehenden Parole liegen? Der Satz unter dem Bild ist rein deskriptiv; es wird sogar berichtet, daß die Parole bei der Podi­umsdiskussion umstritten war – und auch das Foto selbst ist rein deskriptiv und vermutlich sogar wahr – ich vermute: Die Parole war tatsächlich mal an der Wand – und ist es viel­leicht immer noch.1Das Foto dürfte also zur Stilrichtung „Realismus“ gehören. (Daß der Artikel-Autor auch die Parole an die Wand gesprüht habe, behauptet auch die Staatsan­waltschaft nicht.)

Zweiter Haken an der Anklage – das Bundesverwaltungsgericht hatte 2020 klargestellt, die internet-Plattform linksunten.indmedia sei gar nicht verboten worden, sondern ‚bloß‘ der „dahinter stehenden Personenzusammenschluss“: „Regelungsgegenstand des Verbotsbe­scheids ist nicht das Verbot des unter der Internetadresse ‚http://linksunten.indymedia.org‘ betriebenen Veröffentlichungs- und Diskussionsportals, sondern das Verbot des dahinter stehenden Personenzusammenschlusses ‚linksunten.indymedia‘ als Organisation“ (BVer­wG, Urteil vom 29.01.2020 zum Aktenzeichen 6 A 1.19; https://www.bverwg.de/de/290120U6A1.19.0, Textziffer 33).

Dabei ist allerdings weder dem Bundesverwaltungsgericht, noch der Staatsanwaltschaft Karlsruhe noch dem Bundesinnenministerium, das das Verbot 2017 mit dem Anspruch verfügt hatte, auch das internet-Portal zu verbieten2, aufgefallen (oder es wurde bewußt ignoriert), daß der nämliche „Personenzusammenschluss“ nicht genauso wie die internet-Plattform hieß, sondern „IMC [Independent Media Center] linksunten“3.4

Das heißt: Abgesehen von der – von vielen in den Vordergrund gerückten Frage, ob der „Personenzusammenschluss“ vereinsförmig (siehe § 2 Vereinsgesetz5) organisiert war, gibt und gab es schon deshalb nie eine „Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘“, weil der ge­meinte „Personenzusammenschluss“ vielmehr „IMC linksunten“ hieß. –

Dies ist allerdings nicht die einzige Merkwürdigkeit an der Anklage, die einiges an Medien­aufmerksamkeit erlangt hat. – Dazu im folgenden eine kleine Presseschau.


1. Artikel auf der Webseite von Radio Dreyeckland


„Nach den Hausdurchsuchungen gegen Radio Dreyeckland am 17.01.2023 erhebt die Staatsanwaltschaft Karlsruhe nun tatsächlich Anklage. Anlass ist eine sachliche und kurze Meldung über die Einstellung des Verfahrens wegen der vermeintlichen ‚Bildung einer kri­minellen Vereinigung‘ im Fall von Indymedia Linksunten. Die Anklage der Staatsanwalt­schaft richtet sich nun gegen den Verfasser der Meldung. Das Verfahren gegen den Ver­antwortlichen im Sinne des Presserechts für die Webseite von Radio Dreyeckland, dessen Wohnung ebenfalls durchsucht wurde, ist hingegen eingestellt worden.“ (RDL vom 02.05.2034; https://rdl.de/beitrag/staatsanwaltschaft-karlsruhe-erhebt-anklage-gegen-kritische-berichterstattung)


2. Das corpus delicti


Der der Staatsanwaltschaft mißfallende Artikel ist weiterhin online und hat folgenden Wort­laut: „Bald fünf Jahre ist der konstruierte Verein Indymedia Linksunten nun verboten. Jetzt informiert die Autonome Antifa Freiburg darüber, dass das zugehörige strafrechtliche Er­mittlungsverfahren wegen ‚Bildung einer krimineller Vereinigung‘ am 12. Juli nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde. Die Staatsanwaltschaft habe keine Beweise finden können und damit keinen genügenden Anlass zur Erhebung einer öffentlichen Klage. ‚Bis heute konnte offenbar keiner der bei den linksunten-Razzien im August 2017 beschlagnahmten Datenträger entschlüsselt werden.‘ so die Autonome Antifa. Im November 2020 hatte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg schon die Durchsuchung der KTS im August 2017 im Zuge des konstruierten Vereins Indymedia Linksunten für rechtswidrig erklärt. Im Internet findet sich linksunten.indymedia.org als Archivseite. (FK)“ (https://rdl.de/beitrag/ermittlungsverfahren-nach-indymedia-linksunten-verbot-wegen-bildung-krimineller)

Auch der Artikel ist also nahezu rein deskriptiv; allein in dem Adjektiv „konstruierte“ vor „Verein Indymedia Linksunten“ liegt eine Wertung (Kritik) – diese Wertung (Kritik) ist aber zulässig – und zwar unabhängig davon, ob sie zutreffend ist oder nicht. Der Vorwurf der ‚Konstruktion‘ oder des ‚Kniffs‘ war auch an vielen anderen Stellen zu lesen, ohne daß dies zu Strafverfahren führte.


3. Artikel bei heise.de vom 04.05.2023


Auch jetzt ist der Vorwurf „Kniff“ wieder zu lesen – nämlich in dem Artikel von Martin Hol­land Razzia bei ‚Radio Dreyeckland‘: Staatsanwaltschaft erhebt Anklage wegen Link bei heise online, einem „Gemeinschaftsprojekt aller Redaktionen von Heise Medien“ (die Hei­se Medien GmbH & Co. KG verlegt unter anderem die Computer-Zeitschrift c‘t). In dem heise-Artikel heißt es:

„Bei dem Verbotsverfahren wandten die Sicherheitsbehörden einen Kniff an: Formal han­delte es sich um ein Vereinsverbot – die Betreiber wurden von den Behörden als Verein eingestuft.“


Ob es sich dabei tatsächlich um einen „Kniff“ handelte oder das Problem vielmehr schon in der Weite des vereinsgesetzlichen Vereins-Begriffs besteht, sei an dieser Stelle offenge­lassen.


Zutreffend ist aber jedenfalls die nachfolgende Darstellung von Martin Holland: Diejenigen, die Klage gegen das Verbot erhoben hatten, „scheiterten [… damit] 2020 vor dem Bundesverwaltungsgericht aus formalen Gründen, denn zur Anfechtung eines solchen Verbots sei ‚regelmäßig nur die Vereinigung‘ befugt“.

Siehe zur Kritik an der diesbezügli­chen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht (die allerdings auch schon 2017 vor Klageeinreichung hätte zur Kenntnis genommen werden können6…):

Das Leipziger Landdogma und der wirkliche Artikel 9 Absatz 1 Grundgesetz, in: de.indy­media vom 30.01.2020; https://de.indymedia.org/node/62412/ https://de.indymedia.org/sites/default/files/2020/01/Leipziger_Landdogma_0.pdf.


Aber zurück zu dem Artikel bei heise.de. – Dort wird außerdem in Erinnerung gebracht:

Mitte Januar wurden die Geschäfts-, aber auch Privaträume von Angestellten des Radios Dreyeckland (RDL) durchsucht. Begründet wurde die viel kritisierte Maßnahme mit einem Link in einem Onlineartikel. Der führte zu einem Artikelarchiv der verbotenen Internetplatt­form ‚linksunten.indymedia‘ und sei als unzulässige Weiterverbreitung gewertet worden, fasste der Sender zusammen. Gleichzeitig liefert bereits eine kurze Recherche eine Viel­zahl solcher Verlinkungen bei anderen Medien.“


Zum Beispiele berichtete Peter Nowak am 21.03.2023 in der taz: „ein Teil der Texte, die auf linksunten.indymedia veröffentlicht waren, [ist] mittlerweile in einem Archiv unter https://linksunten.indymedia.org wieder einsehbar.“ (https://taz.de/Linke-Medien/!5920120/. – Wenn ich recht sehe, fehlen nur die Artikel, die am Morgen des Tages der öffentlichen Bekanntmachung des Verbotes [25.08.2017] gepostet wurden.)


Einen screen shot der Webseite vom 25.08.2017 gibt es bei labournet.de zu sehen:

https://www.labournet.de/interventionen/solidaritaet/solidaritaet-gegen-das-verbot-von-linksunten-indymedia-widerstand-gegen-polizeistaat// https://www.labournet.de/wp-content/uploads/2017/08/indymedia_verbot.jpg.


4. MDR-Altpapier vom 04.05.2023


In der medienpolitischen Kolumne des öffentlich-rechtlichen Rundfunksenders MDR findet sich eine kurze Meldung zur Anklageerhebungen gegen den Journalisten von Radio Dreyeckland, in der es unter anderem heißt:

„Die Polizei hatte nach Erscheinen des Texts Razzien in der Redaktion und in [Fabian] Kienerts [= der Autor des RDL-Artikels] Privatwohnung durchgeführt. Und na ja, was soll man sagen: Immerhin haben sie die Wohnung nicht vorsichtshalber gesprengt.“ (https://www.mdr.de/altpapier/das-altpapier-3132.html <zweiter Absatz des Abschnittes „Altpapierkorb (Ukraine, Radio Dreyeckland, [...])“>)


5. turi2 vom 03.05.2023


Auf der Webseite turi2 (laut FAQ der Webseite: eine „Premium-Plattform der Kommunikati­onsbranche“) berichtet Tim Gieselmann:

„Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe klagt den Redakteur Fabian Kienert des links-alter­nativen freien Senders Radio Dreyeckland aus Freiburg an. Grund ist, dass er in einem Ar­tikel auf das Archiv der verbotenen linken Website linksunten.indymedia.org verlinkt hat. Damit habe er die Vereinigung unterstützt, so der Vorwurf. Ihm drohen bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe oder eine Geldstrafe.“ (In Wirklichkeit beträgt der Strafrahmen bis zu drei Jahren; es geht vorliegend um § 85 Absatz 2 [nicht: Absatz 1] Strafgesetzbuch.)


Ob Tim Gieselmann seinerseits wohl ungeschoren davon kommt, weil in dem Artikel die URL nicht als Hyperlink formatiert ist?


6. Badische Zeitung vom 02.05.2023


Die Badische Zeitung erinnert in ihrem Artikel über die Anklageerhebung an die Kritik, die es schon an den Durchsuchungen, die im Januar in Rahmen des Ermittlungsverfahren durchgeführt wurden, gab: „Sowohl der Deutsche Journalistenverband als auch die Deut­sche Journalistinnen- und Journalisten-Union Baden-Württemberg hatten die Durchsu­chung kritisiert.“ (https://www.badische-zeitung.de/radio-dreyeckland-staatsanwaltschaft-karlsruhe-erhebt-anklage-gegen-einen-redakteur--258865657.html)


Die deutschen journalistinnen und journalisten union (dju) in der Gewerkschaft ver.di (Lan­desverband Baden-Württemberg) hatte „den betroffenen Journalistinnen und Journalisten des Radio Dreyecklands ihre volle Solidarität aus[gesporchen] und fordert, solche Eingriffe in die Rundfunk- und Pressefreiheit im Sinne unserer demokratischen Ordnung im Vorfeld zu unterbinden“. „Es ist unabdingbar, dass die Medien ihre Arbeit unabhängig und ohne Einschränkungen ausüben können, um die Öffentlichkeit zu informieren und kritisch zu be­gleiten“, so die gewerkschaftlich organisierten JournalistInnen (ver.di BaWü am 19.01.2023).


Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hatte den – von ihm als „massiv“ charakterisier­ten – Eingriff in das Redaktionsgeheimnis, den die Durchsuchungen darstellten, als „völlig unverhältnismäßig“ kritisiert (SWR vom 17.1.2023).


7. nd vom 02.05.2023


Im nd vom 02.05.2023 berichtete Matthias Monroy unter der Überschrift „Redakteur von Radio Dreyeckland angeklagt. Staatsanwalt wittert journalistische ‚Einseitigkeit‘“.


8. Kontext: Wochenzeitung vom 03.05.2023


Die Stuttgarter Wochenzeitung Kontext konnte am Mittwoch in ihrem Editorial noch kurz auf die Anklageerhebung eingehen. In dem Absatz heißt es unter anderem:

„Der betroffene Journalist kommentiert dazu, dass die Staatsanwaltschaft ‚mit dem Mittel des Strafrechts bestimmen‘ wolle, wie über das (eingestellte) Verfahren gegen die mut­maßlichen ‚linksunten‘-Betreiber zu berichten ist: ‚Das ist ein skandalöser Eingriff in die Pressefreiheit.‘“ (https://www.kontextwochenzeitung.de/editorial/631/palmer-braucht-palmerpause-8843.html)

Weitere Berichte über den Fortgang des Verfahrens werden dort angekündigt.


9. taz vom 04.05.2023


Peter Nowak bringt in seinem Artikel in der taz vom 04.05.2023 in Erinnerung, daß beim Landgericht Karlsruhe noch die Beschwerden der Betroffenen gegen die Durchsuchungs­beschlüsse des Amtsgerichts Karlsruhe, die die Grundlage der im Januar durchgeführten Durchsuchungen waren, anhängig sind: „Er [Der von der Anklage betroffene RDL-Redak­ter] und seine Kolleg*innen fordern nun, dass das Landgericht Karlsruhe die Eröffnung des Verfahrens ablehnt und auch die Durchsuchungen nachträglich für nicht rechtmäßig er­klärt.“ (https://taz.de/Redakteur-verlinkt-Indymedia-Linksunten/!5928846/)


10. Perspektive. Zeitung für Solidarität und Widerstand vom 04.05.2023


Die vom Kölner Verein für politische Bildung und unabhängigen Journalismus e.V. herausgegebene Zeitung Perspektive, die einmal pro Monat auch gedruckt erscheint, schreibt auf ihrer Webseite:

„Dass oppositionelle Medien und Journalist:innen auch hier in Deutschland Opfer von Schikane durch den deutschen Staat werden können, zeigt die kürzliche Anklage der Staatsanwaltschaft Karlsruhe gegen einen Journalisten des Radio Dreyeckland, wie der Sender heute bekannt gab. Der Vorwurf lautet: ‚Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot‘. Anlass ist das Verfassen einer Kurzmeldung über die Einstellung des Verfahrens gegen die Internetplattform linksunten.indymedia wegen der vermeintlichen ‚Bildung einer krimi­nellen Vereinigung‘.“ (https://perspektive-online.net/2023/05/zahl-der-angriffe-auf-reporterinnen-in-deutschland-auf-rekordhoch/)


11. netzpolitik.org vom 03.05.2023


Sebastian Meineck schrieb am 03.05.2023 bei netzpolitik.org unter der Überschrift „Staats­anwaltschaft klagt Freiburger Journalisten an“:

„Mit einer URL kann man im Netz einfach und schnell auf eine Website zugreifen – aber man kann sich damit auch eine Anklage einfangen, wie der Fall von Radio Dreyeckland in Freiburg zeigt. Alles dreht sich um einen Link auf das Archiv des verbotenen Portals linksunten.indymedia.org.“

Die URL ist bereits auf der Webseite von netzpolitik.org als Hyperlink formatiert.


Außerdem schrieb Sebastian Meineck: „Linksunten Indymedia war bis zum Verbot im Jahr 2017 ein wichtiges Informationsportal für Teile der linken Szene und eine Plattform für un­ter anderem Demonstrationsaufrufe und Bekennerschreiben. Das Innenministerium stufte die Seite damals allerdings nicht als Medium ein, sondern als Verein, um sie daraufhin mit­hilfe des Vereinsgesetzes zu verbieten. Schon damals verurteilte das etwa ‚Reporter ohne Grenzen‘ als Angriff auf die Pressefreiheit. Vergangenes Jahr wurden Ermittlungsverfahren gegen Linksunten Indymedia eingestellt; das heißt, der Vorwurf der Bildung einer kriminel­len Vereinigung ist viele Jahre später geplatzt.“

Letzteres dürfte die Sache allerdings etwas zu freundlich interpretieren, denn in dem RDL-Artikel aus dem vergangenen Sommer hieß es ja:

„Die Staatsanwaltschaft habe keine Beweise finden können und damit keinen genügenden Anlass zur Erhebung einer öffentlichen Klage. ‚Bis heute konnte offenbar keiner der bei den linksunten-Razzien im August 2017 beschlagnahmten Datenträger entschlüsselt wer­den.‘ so die Autonome Antifa.“

Das scheint mir nur zu heißen, daß sich die Staatsanwaltschaft Karlsruhe nicht in der Lage sah, den Beschuldigten eine Mitgliedschaft im BetreiberInnenkreis von linksunten nach­weisen; aber nicht, daß sie von ihrer Auffassung abgegangen ist, daß der BetreiberInnen­kreis eine kriminelle Vereinigung gewesen sei. – Sollte sich aus dem Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft etwas anderes ergeben, wäre es wünschenswert, er würde von de­nen, die ihn haben, im Wortlaut veröffentlicht.


12. taz-Blogs vom 05.05.2023


Ich selbst referiere in meinem Blog bei der taz7, was mir die Staatsanwaltschaft Karlsruhe auf Anfrage zur Begründungen der Anklage gegen den Kollegen Kienert mitteilte:

„der in der Anklageschrift erhobene Vorwurf lautet, dass der betreffende Redakteur bei der Vornahme der Veröffentlichung zumindest billigend in Kauf genommen habe, dass durch die von ihm gewählte inhaltliche Gestaltung und die darin eingebettete Verlinkung des voll­ständigen Vereinsarchivs die Bestrebungen und die Tätigkeit der verbotenen Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘ über eine bloße journalistische Berichterstattung hinaus weiter be­worben und gefördert wurden.“



a) „billigend in Kauf genommen“ = der Vorwurf bedingten Vorsatzes


„[B]illigend in Kauf genommen“ ist eine gängige Umschreibung für den sog. „bedingten Vorsatz“ – genauer ist zu sagen, daß bedingter Vorsatz das Fürmöglichhalten des Tater­folgs + dessen billigende Inkaufnahme ist8.

Wird der Taterfolg für sicher eintretend gehalten, soll sich das Willenselement sogar ganz verflüchtigen können (so die ersten beiden der drei Zitate in Anhang 3 [S. 18]) bzw. zu ei­ner reinen Unterstellung werden können (so dort das dritte Zitat).9


Zurück zum bedingten Vorsatz: Auf den Ausdruck ‚billigende Inkaufnahme‘ sollte nicht all­zu viel gegeben werden; denn das voluntative Element kann sich auch beim bedingten Vorsatz (also bei bloßem Für-möglich-halten des Taterfolgs) verflüchtigen – denn öfters verwendet der BGH auch folgende Formulierung:

„Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Abgrenzung von beding­tem Tötungsvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit ist das Willenselement des bedingten Vorsatzes gegeben, wenn der Täter den von ihm als möglich erkannten Eintritt des Todes billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen damit abfindet, mag ihm auch der Erfolgs­eintritt an sich unerwünscht sein.“
(BGH, Urteil vom 18.10.2007 zum Az. 3 StR 226/07; http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&nr=41904&anz=1&pos=0&Frame=4&.pdf, S. 6, Text­ziffer 11 mit weiteren Nachweisen)


Mit dieser Formulierung wird – unter dem Deckmantel einer Definition – die ‚Billigung‘ durch bloßes ‚sich abfinden mit‘ ersetzt. Wenn ich mich mit etwas abfinde, dann billige ich es aber keinesfalls – ich sehe vielmehr keine (für mich realisierbare) Möglichkeit, den Ein­tritt des Ergebnisses abwenden. Im Grenzfall mag dieses Nicht-Sehen daran liegen, daß ich abstrakt in Betracht kommende Abwendungsmöglichkeiten – um anderer mir wichtiger Ziele willen – nicht nutzen will. Aber darin liegt trotzdem keine Billigung des Ereignisses; ich lehne vielmehr entschieden ab, daß ich vor die Wahl gestellt bin, nur eines meiner bei­den Ziele erreichen zu können. – Konstruieren wir folgenden Fall:


Mir ist danach, einer Person eine geladene Schußwaffe an die Schläfe zu halten und dann abzudrücken. Selbst wenn ich davor und dabei ehrlich und ausdrücklich bekunde, daß ich nicht will, daß die andere Person dadurch stirbt (und ich bloß für möglich, aber nicht sicher halte, daß die andere Person stirbt), wird mich das vor einer Verurteilung wegen Tot­schlags oder Mordes nicht retten, falls die Person sehr wohl stirbt (und selbst wenn die an­dere Person – aufgrund glücklicher Umstände – überlebt, werde ich [je nach Motivlage für das Abdrückenwollen] vielleicht wegen versuchten Totschlages oder vielleicht sogar wegen versuchten Mordes verurteilt, denn, was mit Erfolg ein vollendetes Delikt ist, muß ohne Erfolg ein Versuchsdelikt sein9a [was hier aber nicht genauer diskutiert werden muß]).




b) Haben nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Karlsruhe auch die GeschäftsführerInnen und andere MitarbeiterInnen der Google Germany GmbH sowie der Google Ireland Limited bedingten Vorsatz zur Unterstützung einer verbotenen Vereinigung?


Wie verhält es sich angesichts dessen nun mit den GeschäftsführerInnen und andere MitarbeiterInnen der Google Germany GmbH sowie der Google Ireland Limited10? Haben sie bedingten Vorsatz dafür, daß durch „die Verlinkung des vollständigen Vereinsarchivs11 [von linksunten.indymedia] die Bestrebungen und die Tätigkeit der verbotenen Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘ […] weiter beworben und gefördert wurden“?12 Und genügt das dann – nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Karlsruhe – für die Strafbarkeit des Umstan­des, daß die Suche „linksunten.indymedia Archiv“ als erstes Ergebnisses die korrekte Adresse – https://linksunten.indymedia.org/– ausgibt?


Nun stellt die Staatsanwaltschaft Karlsruhe für den Tatvorwurf gegen Fabian Kienert (RDL) zwar nicht allein auf die Verlinkung, sondern kumulativ auf die „gewählte inhaltliche Gestal­tung“ des Artikels ab (womit vor allem die Bebilderung des RDL-Artikels gemeint ist).


Aber google.de verlinkt auch

+ sowohl den von der Staatsanwaltschaft Karlsruhe inkriminier­ten RDL-Artikel (Ist das nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Karlsruhe Beihilfe zur oder Mittäterschaft bei der Unterstützung einer verbotenen Vereinigung?)

+ als auch Bilder mit der Parole „Wir sind alle linksunten.indymedia.org“  –


und zwar auch das von Radio Dreyeckland verwendete:


Werte Damen und Herren von Staatsanwaltschaft Karlsruhe: Wie soll es Ihres Erach­tens mit Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz („Niemand darf wegen […] seiner […] politi­schen Anschauungen – benachteiligt oder bevorzugt werden.“) vereinbar sein, ein- und dasselbe Tun

+ Verlinkung des Archivs von linksunten.indymedia

und

+ Zeigen von Bildern mit der Parole „Wir sind alle linksunten.indymedia.org“

zu kriminalisieren, wenn es ein Redakteur eines – von einer gemeinnützigen GmbH be­triebenen – als ‚links‘ geltenden Radiosenders macht; aber es nicht zu kriminalisieren, wenn es von einer nicht-gemeinnützigen GmbH, die Geld damit verdient, daß sie bzw. ihre Muttergesellschaft eine internet-Suchmaschine betreibt und Werbeplatz zwischen den Suchergebnissen verkauft? Ist das nicht ein klarer Fall der Benachteiligung wegen der po­litischen Anschauung?


Nun hielte ich weder für legal noch für politisch richtig, zusätzlich zu dem RDL-Mitarbeiter noch auch google-MitarbeiterInnen zu kriminalisieren. Vielmehr bin ich der Auffassung, daß der Straftatbestand des § 85 StGB und auch die Straftatbestände der §§ 86 und 86a StGB in all diesen Fällen nicht erfüllt sind und daß diese Normen, wenn sie das in Rede stehende Tun unter Strafandrohung stellen würden, auch keine „allgemeinen Gesetze“ im Sinne des Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz wären. Vielmehr wären es dann Normen, die sich frontal („als solches“ [s. dazu Anhang 1 [S. 13]) gegen die „Pressefreiheit und die Frei­heit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film“ richten – und damit gerade keine „all­gemeinen Gesetze“ im Sinne des Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz wären. Da diese Normen – ausweislich des Strafgesetzbuches selbst – auch nicht dem Schutz der „persönlichen Ehre“ oder dem „Jugendschutz“ dienen, sondern dem Schutz des Staates, der bean­sprucht, ein „demokratischer Rechtsstaat“ zu sein13, wären diese Normen also verfas­sungswidrig, wenn sie den Inhalt hätten, den ihnen die Staatsanwaltschaft Karlsruhe an­dichtet:

Der Artikel von Fabian Kienert berichtet – wahrheitsgemäß –, daß sich unter der Adresse https://linksunten.indymedia.org/ das Archiv von linksunten.indymedia be­findet. Er sagt weder, daß es gut oder schlecht sei, daß das Archiv dort zu finden ist.

Ein Gesetz, daß diese wahre Berichterstattung unter Strafe stellt, würde sich frontal gegen die Freiheit der Berichterstattung „als solche“ (s. dazu noch einmal Anhang 1 [S. 13]) richten – wäre also kein „allgemeines“ (an der Freiheit der Berichterstattung vorbeistreichendes [s. dazu unten bei FN 15] Gesetz.

Ein solches Gesetz wäre aber auch kein Gesetz, das dem Jugendschutz oder dem Schutz der persönlichen Ehre dient (sein Zweck ist vielmehr der Schutz einer be­stimmten Staatsform [s. noch einmal bei FN 13]).

Eine solches Gesetz wäre also von keiner einzigen der drei Schranken des Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz gedeckt.


13. (M)ein Beitrag bei labournet.de


Meine Auffassung, daß der Straftatbestand des § 85 StGB in all diesen Fällen nicht erfüllt ist, habe ich in einem weiteren Text, der bei labournet.de erschienen ist, begründet:

Ein Beitrag bei labournet.de: https://www.labournet.de/wp-content/uploads/2023/05/indymedia-schulze060523.pdf.

Bei labournet.de findet sich auch eine umfassende Dokumentation der bisherigen Auseinandersetzung um das linksunten-Verbot:

https://www.labournet.de/interventionen/solidaritaet/solidaritaet-gegen-das-verbot-von-linksunten-indymedia-widerstand-gegen-polizeistaat/.


Anhang

Anhang 1:

Zum Begriff der „allgemeinen Gesetze“ in Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz


Artikel 5 Absatz 1 und 2 Grundgesetz lauten:

„(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu ver­breiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden ge­währleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“
(https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_5.html)


In seiner berühmten – aber wegen seiner Inkonsequenz zu kritisierenden – Lüth-Entschei­dung schrieb das Bundesverfassungsgericht zustimmend:

„Der Begriff des ‚allgemeinen‘ Gesetzes […] ist […] bereits während der Geltungsdauer die­ser [der Weimarer] Verfassung dahin ausgelegt worden, daß darunter alle Gesetze zu ver­stehen sind, die ‚nicht eine Meinung als solche verbieten, die sich nicht gegen die Äuße­rung der Meinung als solche richten‘, […]. Dem stimmen auch die Ausleger des Grundge­setzes zu […]. Die – so verstandene – Meinungsäußerung ist als solche, d.h. in ihrer rein geistigen Wirkung, frei; […].“
(BVerfGE 7, 198 - 230[209 f. = DFR-Tz. 30, 33]; Hv. hinzugefügt)

So weit, so richtig. Das Bundesverfassungsgericht fügt aber (an der Stelle der dritten und fünften Auslassung in vorstehendem Zitat) noch vage hinzu, daß „allgemeine Gesetze“ solche sein sollen

„die vielmehr ‚dem Schutze eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Mei­nung, zu schützenden Rechtsguts dienen‘, dem Schutze eines Gemeinschaftswerts, der gegenüber der Betätigung der Meinungsfreiheit den Vorrang hat“. / „wenn aber durch sie [die Meinungsäußerung] ein gesetzlich geschütztes Rechtsgut eines anderen beeinträchtigt wird, dessen Schutz gegenüber der Meinungsfreiheit den Vorrang verdient, so wird dieser Eingriff nicht dadurch erlaubt, daß er mittels einer Meinungsäußerung begangen wird.“
(ebd).

Damit verschwimmt der Unterschied zwischen „allgemeinen“ und ‚besonderen‘ Gesetzen i.S.v. Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz und auch der Unterschied zwischen den drei ver­schiedenen14Schranken („Vorschriften der allgemeinen Gesetze“ / „gesetzliche Bestim­mungen zum Schutze der Jugend“ / „Recht der persönlichen Ehre“) des Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz im Nebulösen. Der Begriff der „allgemeinen“ Gesetze wird so uferlos weit, was dann das BVerfG – in einem Anflug von schlechtem Gewissen – dadurch modifizieren versucht, daß es postuliert:

Die allgemeinen Gesetze müßten „ihrerseits im Lichte der Bedeutung dieses Grundrechts gesehen und so interpretiert werden, daß der besondere Wertgehalt dieses Rechts, der in der freiheitlichen Demokratie zu einer grundsätzlichen Vermutung für die Freiheit der Rede in allen Bereichen, namentlich aber im öffentlichen Leben, führen muß, auf jeden Fall ge­wahrt bleibt. Die gegenseitige Beziehung zwischen Grundrecht und ‚allgemeinem Gesetz‘ ist also nicht als einseitige Beschränkung der Geltungskraft des Grundrechts durch die ‚all­gemeinen Gesetze‘ aufzufassen; es findet vielmehr eine Wechselwirkung in dem Sinne statt, daß die ‚allgemeinen Gesetze‘ zwar dem Wortlaut nach dem Grundrecht Schranken setzen, ihrerseits aber aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieses Grund­rechts im freiheitlichen demokratischen Staat ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht be­grenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen.“
(ebd., 208, DFR-Tz. 28)


Allerdings gibt es – wie das BVerfG selbst andeutet – im Wortlaut des Grundgesetzes nicht den geringsten Anhaltspunkt für eine solche „Wechselwirkung“; die Kur muß deshalb vielmehr an der Wurzel anfangen: Der Begriff der allgemeinen Gesetze ist eng statt weit auszulegen.


Zutreffend ist daher die folgende Auslegung:


Die „gesetzliche Bestimmungen zum Schutze der Jugend“ und „Recht der persönli­chen Ehre“ sind die einzigen Rechtsgüter, die auch gegenüber Meinungsäußerun­gen und Medienberichterstattung Vorrang haben; diese beiden Schranken erlauben gerade ‚nicht-allgemein‘ Gesetze, die sich für diese beiden speziellen Bereiche (Ju­gendschutz; Schutz der persönlichen Ehre) auch gegen „die geistigen Wirkung“ richten dürfen.

Allgemeine Gesetze sind dagegen solche Gesetze, die ohnehin nicht durch geistige Wirkungen verletzt werden können. In diesem Sinne ist § 211 StGB (Mord) ein all­gemeines Gesetz (er kriminalisiert keine geistigen Wirkungen, sondern materielle [in dem Fall: tödliche] Schädigung); er streicht an der Meinungsäußerungs- und Be­richterstattungsfreiheit vorbei15.

Dagegen sind Gesetze, die es gerade erlauben, Meinungsäußerungen und Berichte zu bestrafen, keine allgemeinen Gesetze im Sinne von Artikel 5 Absatz 2 Grundge­setz, sondern Gesetze, die sich gegen die Meinungsäußerungs- bzw. Berichterstat­tungsfreiheit als solche richten. Denn in diesem Fall ist (anders als z.B. bei Mord) die geistige Wirkung betroffen.

„Eine Meinungsäußerung kann sehr gute Wirkungen haben, kann aber auch alle Rechts­güter von Staat und Gesellschaft schwer schädigen. Solange diese Gefährdung nur geis­tiger Natur ist, indem sie durch ungünstige Beeinflussung der Mentalität der Leser, Hörer oder Beschauer das Vertrauen zu bisher anerkannten Wahrheiten, als feststehend und richtig angenommenen Erkenntnissen oder herrschenden Sittengesetzen irgendwelcher Art erschüttert und dadurch vielleicht geistig den Boden für eine Änderung der bestehen­den Anschauungen über Recht und Sitte vorbereitet, soll sie mit Rücksicht auf die guten Wirkungen der freien Meinungsäußerung, ohne die kein menschlicher Fortschritt denkbar ist, in Kauf genommen werden. […] die Freiheit der Meinungsäußerung [hat] vor allen Rechtsgütern solange den Vorrang […], als der Angriff auf sie lediglich mit dem ideellen Mittel sachlicher Überzeugung geschieht, […] umgekehrt [hat aber] jedes Rechtsgut sei­nerseits vor der Freiheit der Meinungsäußerung Vorrang […], sobald die Meinungsäuße­rung sich nicht auf ideelle Wirkungen beschränkt, sondern gleichzeitig auch materiell Rechtsgüter verletzt oder unmittelbar gefährdet.
(Kurt Häntzschel, Das Recht der freien Meinungsäußerung, in: Gerhard Anschütz / Ri­chard Thoma [Hg.], Handbuch des Deutsches Staatsrechts. Zweiter Band, Mohr Tübin­gen, 1932, 651 - 675 [660, 661]; Hv. i.O.)

Ein Gesetz, das z.B. Brandanschläge unter Strafe stellt, ist ein allgemeines Geset­zes im Sinne des Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz. Denn es geht gegen materielle Schädigung vor.

Ein Gesetz, das z.B. allgemein das Hinweisen auf das Archiv von linksunten.indy­media oder speziell die politische Rechtfertigung von Brandanschlägen unter Strafe stellt, richtet sich dagegen gegen geistige Wirkungen (die ihrerseits materielle Fol­gen haben können – aber nicht müssen). Es ist daher kein „allgemeines“ Gesetze im Sinne von Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz, sondern – wenn wir so sagen wollen – ein ‚besonderes‘ Gesetz, das sich gerade gegen (zutreffende) Berichterstattung bzw. gegen eine (vielleicht richtige; vielleicht falsche) politische Meinung richtet.


Vgl. dazu:

„Bekanntlich hat es bis zum Lüth-Urteil des BVerfG eine Auseinandersetzung zwi­schen den formalen und materiellen Ansätzen zur Interpretation des Begriffs der ‚allgemeinen Gesetze‘ gegeben. […]. Das BVerfG hat seit dem Lüth-Urteil beide Theorieansätze auf eine nur scheinbar elegante Weise miteinander verbunden. [… Es] hat mit seiner vermittelnden Meinung die Bemühungen um die begrifflich dog­matische Konturierung der Schranken im Sinne von Art. 5 Abs. 2 GG praktisch aufgegeben und eine Wechselwirkungslehre entwickelt, die die Folgen der Auflö­sung der Begrifflichkeit durch eine von Fall zu Fall restriktiv verfahrende Interpretati­on der Schranken ziehenden Gesetze abpuffert.“16

Diese sog. Wechselwirkungstheorie kritisiert Helmut Ridder als „Schaukel-Konstruk­tion“, die zu den zusätzlichen Devisen gehört, welche den Einsatz der ‚verfassungs­mäßigen Ordnung‘ zwecks Umbildung oder Verstümmelung von Grundrechten er­leichtern“17und die dazu führe, „daß die Meinungsfreiheit nunmehr potentiell ‚leer­laufen‘ kann“18.


Anhang 2:

Das Bundesverwaltungsgericht zur Notwendigkeit der hinreichend bestimmten Bezeich­nung der Objekte von Vereinsverboten


Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23.03.1971 zum Aktenzeichen I C 54.66 betraf – wie schon in FN 4 gesagt – den rechten „Verlag Hohe Warte“.


Dieser Entscheidung hatte das Bundesverwaltungsgericht – wie dort ebenfalls bereits zi­tiert – unter anderem folgenden Leitsatz vorangestellt:

„Eine Verbots- und Auflösungsverfügung (Art. 9 Abs. 2 GG) muß die betroffene Vereinigung so bestimmt bezeichnen, daß ihre personelle Zusammensetzung im wesentlichen und in ei­ner die Vollziehung ermöglichenden Weise gekennzeichnet wird und daß die mißverständli­che Vollziehung von Verbots- und Auflösungsfolgen gegen nicht betroffene Personen aus­geschlossen ist.“
(https://research.wolterskluwer-online.de/document/787ef32e-74dd-484e-ba9c-f886697e5896)


Bezogen auf den konkreten Fall hatte das Gericht ausgeführt:

„Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 1. Juli 1964 und die Verfügung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 15. Mai 1961 werden aufgehoben, soweit sie den Kläger zu 1 (‚Verlag Hohe Warte‘) betreffen.“ (Tenor, Absatz 2)
„Die Revision des Klägers zu 1, ‚V.‘, hat Erfolg, weil die gegen ihn gerichtete Verfügung vom 15. Mai 1961 nicht bestimmt genug die Vereinigung bezeichnet, die verboten und auf­gelöst wird. […]. Die Bezeichnung ‚V.‘ ist die Firma des Verlagsinhabers Franz F. K. von B. also der Name, unter dem er als Einzelkaufmann seine Verlagsgeschäfte be­treibt (§ 1 Abs. 2 Nr. 8, § 17 des Handelsgesetzbuchs). Die gegen den ‚V.‘ gerichtete Verfügung scheint sich deshalb gegen die Person des Verlagsinhabers zu richten […]. Nun kann al­lerdings eine natürliche Einzelperson nicht nach Art. 9 Abs. 2 GG und den Vorschrif­ten des Vereinsrechts verboten und aufgelöst werden. […]. Als eine unter der Bezeich­nung ‚V.‘ verbotene und aufzulösende Vereinigung käme der Zusammenschluß des Verlagsinhabers F. v. B. mit den kaufmännischen und technischen Angestellten und Ar­beitern in Betracht, mit deren Hilfe er sein Verlagsunternehmen ‚H.‘ betreibt.
Die ‚Gründe‘ der Verfügung lassen es jedoch zweifelhaft erscheinen, ob das Verbot und die Auflösung des ‚V.‘ so gemeint sind. Denn in diesen Gründen wird weder der kaufmännische Verlagsbetrieb noch sein Bestand an Angestellten und Arbeitern angesprochen; es wird auch nicht geltend gemacht, daß sich der Verlagsinhaber und das Personal seines Betrie­bes zu verfassungsfeindlicher Betätigung zusammengeschlossen hätten. Dieser Zweifel wird verstärkt durch die folgenden Sätze aus dem Schriftsatz des Beklagten vom 8. Januar 1965 (Berufungsakten Bl. 337): ‚Der Verlag ‚H.‘ ist eine Vereinigung im Sinne des Art. 9 Abs. 2 GG insofern, als eine Mehrheit von Personen unter dieser Bezeichnung die Verbrei­tung und Durchsetzung L[udendorffs] Gedankenguts, insbesondere durch Vortragsveran­staltungen, betrieben hat. Hiergegen, und nicht gegen das unter gleicher Bezeichnung ge­führte wirtschaftliche Unternehmen des Herrn von B., richtet sich die Verbotsverfügung. […].‘ […]. Die soeben wiedergegebenen Sätze des Schriftsatzes vom 8. Januar 1965 lassen erken­nen, daß die Verfügung vom 15. Mai 1961 nach der Absicht des Beklagten unter der Be­zeichnung ‚V.‘ jedenfalls auch eine Personengruppe erfassen soll, die sich aus dem Vor­tragsleiter sowie den Rednern und Ordnern des ‚V.‘ zusammensetzt und zu der möglicher­weise auch der Verlagsleiter F. v. B. rechnen ist. Diese Personengruppe wird in den ‚Grün­den‘ der Verfügung bezeichnet als ‚Mitarbeiterstab, dem auch die für die Öffentlichkeitsar­beit (Veranstaltungen, Vorträge) Verantwortlichen angehören‘, als ‚Rednerorganisation‘ und ‚Vortragsorganisation, der neben einem Vortragsleiter mehrere Redner und örtliche Ordner angehören‘ und die ‚den Weisungen des Verlags unterworfen‘ sei. Im letzten Teil der ‚Grün­de‘ der Verfügung heißt es dann unter ‚IV. Rechtliche Würdigung (Art. 9 Abs. 2 GG), 1. Ver­einseigenschaft‘: ‚... Der ›V.‹ (Franz F. K. von B. mit seinem Mitarbeiterstab einschließlich der für den Vortragsdienst des Verlages eingesetzten Redner, politischen Einzelkämpfer und örtlichen Ordner, die mit Hilfe eines Vortragsleiters organisiert sind) und der ‚B. (L)‘ er­füllen diese Voraussetzungen‘. Diese Formulierungen stellen einerseits nicht klar, ob und gegebenenfalls inwieweit das kaufmännische Verlagsunternehmen – etwa durch das Wort ‚Mitarbeiterstab‘ – von dem Verbot und der Auflösungsanordnung erfaßt werden soll. Sie bezeichnen andererseits nicht hinreichend bestimmt die ‚Redneror­ganisation‘, die verboten und aufgelöst werden soll. Die Verfügung nennt in diesem Zu­sammenhang weder die Namen des Vortragsleiters, der Vortragenden und der Ordner, noch Orte, an denen diese Personen ihren Sitz oder an denen sie Vortragsveranstaltungen o. dgl. durchgeführt haben.“
(ebd., Textziffer 31, 34, 35, 37 und 38)


Entsprechend ist in Bezug auf den Fall linksunten.indymedia zu sagen:

„Die Bezeichnung ‚linksunten.indymedia.org‘ ist der Name und die Adresse (URL) eines Veröffentlichungs- und Diskussionsportals.19 Nun kann allerdings ein Veröffentlichungs- und Diskussionsportal (ein Medium), für das vielmehr Artikel 5 Absatz 1 und 2 Grundgesetz ein­schlägig ist, nicht nach Art. 9 Abs. 2 GG und den Vorschriften des Vereinsrechts verboten und aufgelöst werden. Als eine verbotene und aufzulösende Vereinigung käme allein der hinter diesem Portal stehende Personenzusammenschluß – also der BetreiberInnen-/Her­ausgeberInnenkreis – in Betracht. Dieser hieß aber nicht ebenfalls linksunten.indyme­dia.org, sondern IMC linksunten.20 Daher fehlt es auch in diesem Fall (wie schon im Falle „Hohe Warte“) an einer hinreichend bestimmten Bezeichnung des Personenzusammen­schlusses, der verboten und aufgelöst werden soll.“


Fehlt es aber an einer hinreichend bestimmten Bezeichnung des Verbotsobjektes, dann kann in einem späteren Strafprozeß wegen vermeintlicher Unterstützung der verbotenen Vereinigung nicht festgestellt werden, ob gerade die verbotene Vereinigung oder irgend­etwas anderes (z.B. ein Medium oder das Archiv eines Mediums) oder gar nichts unterstützt wurde (z.B. weil nicht materiell [physisch oder finanziell] „unterstützt“, sondern bloß um Sympathie geworden wurde) – bzw. das letztere kann schon (auch bei ungenauer Bezeichnung des Verbotsobjektes) festgestellt werden, nur ist diese Feststellung nicht geeignet21, eine Verurteilung zu tragen.

Abgesehen von allen anderen Gründen darf Fabian Kienert in dem Fall „Radio Dreyeck­land“ auch aus diesem Grunde nicht verurteilt werden.


Anhang 3:

Zu den unterschiedlichen Vorsatzformen sowie zur Abgrenzung von bedingtem Vorsatz und bewußter Fahrlässigkeit


Wie bereits auf S. 7 gesagt, wirft die Staatsanwaltschaft Karlsruhe dem Redakteur von Ra­dio Dreyeckland, Fabian Kienert, vor, daß er „zumindest billigend in Kauf genommen habe, dass durch die von ihm gewählte inhaltliche Gestaltung und die darin eingebettete Verlinkung des vollständigen Vereinsarchivs die Bestrebungen und die Tätigkeit der verbotenen Verei­nigung ‚linksunten.indymedia‘ über eine bloße journalistische Berichterstattung hinaus wei­ter beworben und gefördert wurden.“


Wie ebenfalls bereits gesagt, ist „billigend in Kauf genommen“ eine gängige Umschreibung für den sog. „bedingten Vorsatz“ – genauer ist zu sagen, daß bedingter Vorsatz das Für-möglich-halten des Taterfolgs + dessen billigende Inkaufnahme ist:

Bedingter (indirekter) V[orsatz …], ist gegeben, wenn der Täter es als möglich voraussieht und billigend in Kauf nimmt bzw. ernstlich für möglich hält und sich damit abfindet, dass sein Handeln zur Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes (Erfolgs) führt.“
(Köbler, a.a.O. [FN 8], 537 s.v. Vorsatz; Hv. i.O.)


Wird der Taterfolg für sicher eintretend gehalten, soll sich das Willenselement sogar ganz verflüchtigen können22 (so die ersten der beiden folgenden Zitate) bzw. zu einer reinen Un­terstellung werden können (so das dritte Zitat)23:

„Vorsatz bedeutet, dass der Täter hinsichtlich des jeweiligen Merkmals mit Wissen (kogniti­ves Element) und Wollen (voluntatives Element) handelt. Je nach Ausprägung beider Ele­mente unterscheidet man drei verschiedene Vorsatzformen: [… Bei der] Vorsatzform der Wissentlichkeit (dolus directus zweiten Grades) [… sieht d]er Täter […] es als sichere Fol­ge seines Tuns an, dass ein bestimmter Erfolg eintritt. Dann handelt er auch dann mit Vorsatz, wenn ihm dieser Erfolg zB als bloßer Nebeneffekt unwillkommen, dh insoweit kein Wollen gegeben ist.“
(Schmidt/Werner, in: Weber, Rechtswörterbuch, 29. Edition 2022, s.v. Vorsatz24)

„Direkter Vorsatz […] setzt sicheres Wissen oder ein Für-sicher-halten voraus, wobei es auf das Willenselement nicht ankommt.“
(Josef A. Alpmann / Rolf Krüger / Horst Wüstenbecker (Hg.), Alpmann Brockhaus Studien­lexikon Recht, Beck: München, 20144, 1300 - 1301 [1301], s.v. Vorsatz)

Unbedingter (direkter) V[orsatz …] liegt vor, wenn der Täter weiß oder als als sicher vor­aussieht, dass sein Handeln zur Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes (Erfolgs) führt. Z.B. A zündet eine Scheune an, obwohl er weiß, daß der Betrunkene B in ihr schläft. Hier will der A zwar nur, dass die Scheune abbrennt, sieht aber den Tod des B als sicher voraus und muss [!] ihn deshalb, wenn er handelt, notwendigerweise [!] wollen.“
(Köbler, a.a.O. [FN 8], 537 s.v. Vorsatz; Hv. i.O.; Ausrufezeichen hinzugefügt)

Wie bereits gesagt, ist „[b]illigend in Kauf genommen“ eine gängige Umschreibung für den sog. „bedingten Vorsatz“; das heißt aber – wie ebenfalls bereits gesagt – nicht, daß der bloß bedingte Vorsatz – im Unterschied zum unbedingten – keine Vorsatz wäre. Vielmehr ist beides eine Variante des Vorsatzes – und es gibt sogar noch eine dritte Variante des Vorsatzes: Der Täter oder die Täterin handelt nicht nur so, wie er/sie will, und weiß, was das Ergebnis sein wird (der Täter schlägt mit einem Hammer auf eine Ming-Vase und weiß, daß sie dadurch in Scherben zersplittern wird), sondern dem Täter oder der Täterin kommt es gerade darauf an25, daß die Vase kaputtgeht (die Täterin schlägt mit dem Hammer auf die Ming-Vase im Büro des verhaßten Vermieters, um das teure Stück im Büro des Ver­mieters, der von ihrer Miete seine Kunstsammlung vergrößert, zu zerstören).


Eine dritte Sachverhalts-Variante – und dann stellt sich die Frage, ob mit bedingtem Vor­satz gehandelt wurde:

EineE KunstsachverständigerIn bekommt die Ming-Vase, um deren Wert zu schätzen und ein Gutachten zu erstellen, sorgfältig verpackt. Nach Erstellung des Gutachtens will der/die GutachterIn die Vase dem/der Eigentümer/in zurückbringen – aber unverpackt auf der Rückbank des Autos:

Geht alles gut und kommt die Vase im ordnungsgemäßen Zustand beim Eigentü­mer/in an, dann gibt es selbstverständlich (?, vgl. aber oben bei und in FN 9a) keine Straftat.

Fällt die Vase aber während der Fahrt beim Bremsen von der Rückbank und geht kaputt – war es dann „billigende“ (?) Inkaufnahme (= [bedingter] Vorsatz) oder bloß Außerachlassung der im Verkehr gebotenen Sorgfalt26 (= Fahrlässigkeit)?

„Die in der Lit[eratur] heftig umstrittene Abgrenzung bedingten Vorsatzes von der bewuß­ten Fahrlässigkeit wird in der Rsp. [Rechtsprechung] letztlich als Wertungsfrage behan­delt.“
(Alpmann u.a. [Hg.], a.a.O. [S. 18], 1301)


Mit anderen Worten: Um die Rechtssicherheit ist es nicht gut bestellt.



1 Falls ja, dürfen gerne Fotos von dem aktuellen Zustand der Wand unter dem hiesigen Artikel gepostet werden. :-) Denn der einem Strafverfahren zugrundeliegende Sachverhalt sollte sorgfältig dokumentiert werden.

2 „Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière hat heute die linksextremistische Internetplattform ‚linksunten.indyme­dia‘ auf Grundlage des Vereinsgesetzes verboten und aufgelöst.“ (https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2017/08/vereinsverbot.html)

3 https://web.archive.org/web/20200320103618/http://links-wieder-oben-auf.net/wp-content/uploads/2020/01/Bf_11_Antrag_ans_BMI__FIN.pdf, S. 38 f.

Siehe auch

+ https://linksunten.indymedia.org/archiv/accounts/index.html

und

+ den dort genannten account „IMC linksunten“ mit einer Liste der Artikel, die mittels dieses accounts gepostet wurden.

4 Das ist deshalb wichtig, weil das Bundesverwaltungsgericht in einem älteren Fall – dem Fall des Verbots des rechten „Verlag[es] Hohe Warte“ – entschied, daß im Falle der dortige Verbotsverfügung aus dieser nicht hinreichend bestimmt hervorging, welche Struktur konkret mit der Bezeichnung „Verlag Hohe Warte“ gemeint war – und das Verbot deshalb aufhob (BVerwG, Urt. v. 23.03.1971 zum Az. I C 54.66; zu den konkreten Umständen des dortigen Falls siehe den hiesi­gen Anhang 2 [S. 16]).

Seiner damaligen Entscheidung hatte das Bundesverwaltungsgericht unter anderem folgenden Leitsatz vorangestellt: „Eine Verbots- und Auflösungsverfügung (Art. 9 Abs. 2 GG) muß die betroffene Vereinigung so bestimmt bezeichnen, daß ihre personelle Zusammensetzung im wesentlichen und in einer die Vollziehung ermöglichenden Weise gekenn­zeichnet wird und daß die mißverständliche Vollziehung von Verbots- und Auflösungsfolgen gegen nicht betroffene Per­sonen ausgeschlossen ist.“ (https://research.wolterskluwer-online.de/document/787ef32e-74dd-484e-ba9c-f886697e5896)

5 „Verein im Sinne dieses Gesetzes ist ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat.“ (§ 2 Absatz 1Vereinsgesetz; https://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__2.html)

6 Denn diese geht auf eine Entscheidung aus dem Jahre 1984 zurück: Urteil v. 13.08.1984 zum Az. 1 A 26.83.

7 https://blogs.taz.de/theorie-praxis/wie-die-karlsruher-staatsanwaltschaft-den-gesetzlichen-straftatbestand-verfaelscht-um-einen-journalisten-von-radio-dreyeckland-anzuklagen/.

8Bedingter (indirekter) V[orsatz …], ist gegeben, wenn der Täter es als möglich voraussieht und billigend in Kauf nimmt bzw. ernstlich für möglich hält und sich damit abfindet, dass sein Handeln zur Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestan­des (Erfolgs) führt.“ (Köbler, Juristisches Wörterbuch, Vahlen: München, 202218, 537 s.v. Vorsatz; Hv. i.O.)

9 Das heißt: Von der Definition, die der BGH mal gab (BGHSt 19, 295 - 299 [298]: „Vorsatz ist der Wille zur Verwirkli­chung des Straftatbestandes in Kenntnis aller seiner Tatumstände.“) bleibt – hinsichtlich des Willens – nicht viel übrig.

9a „In jedem vollendeten Vorsatzdelikt steckt der taugliche Versuch, dieses Delikt zu begehen. Es gibt zum Beispiel keinen Totschlag ohne die vorausgegangene Straftat des Totschlagsversuchs.“ (Herzberg, Setzt „vorsätzliches Handeln“ (§ 15 StGB) ein „Wollen“ der Tatbestandsverwirklichung voraus?, in: Juristenzeitung 2018, 122 - 130 [126])

10 Von den besonderen Problemen, die sich aus den unterschiedlichen Geschäftsbereichen beider Gesellschaften und dem Sitz der zweitgenannten Gesellschaft in Irland aus § 91a Strafgesetzbuch („Die §§ 84, 85 und 87 gelten nur für Ta­ten, die durch eine im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgeübte Tätigkeit begangen werden.“) ergeben, sei an dieser Stelle der Einfachheit halber abgesehen.

11 Auch die Bezeichnung „Vereinsarchiv“ ist irreführend. Denn verlinkt wurden nicht Mitgliederlisten und die Buchführung der vergangenen Jahren oder ähnliches, sondern das Archiv des von dem „Verein“ herausgegebenen Mediums, wobei es sich größtenteils um Artikel von Dritten (Nicht-Vereins-Mitgliedern) handelt.

12 Wichtig ist in dem Zusammenhang zu betonen, daß sich die Frage nach der Abgrenzung von bedingtem Vorsatz und bewußter Fahrlässigkeit ausschließlich auf der Grundlage der staatsanwaltschaftlichen Verfälschung des Straftatbestan­des des § 85 StGB stellt:

Gemäß dem wirklichen § 85 StGB ist es strafbar, den „organisatorischen Zusammenhalt oder [die …] weitere Betätigung“ bestimmter Vereine zu „unterstütz[en]“. Dies kann in Bezug auf nicht mehr existierende Vereine we­der (bedingt) vorsätzlich noch fahrlässig erfolgen, da nicht mehr existierende Vereine auch keinen organistori­schen Zusammenhalt haben und sich auch nicht mehr betätigen und schlicht und ergreifend nicht unterstützt werden können (da es an dem Unterstützungsobjekt / dem Unterstützungsempfänger fehlt).

Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe verdreht den gesetzlichen Straftatbestand dahingehend, daß auch strafbar sei, „die Bestrebungen und die Tätigkeit der verbotenen Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘ […] weiter [zu] bew[e]rben und [… zu] förder[n]“. Die „Bestrebungen“ (Die geistige Ziele) einer Vereinigung mögen auch dann noch „beworben“ werden können, wenn die Vereinigung selbst nicht mehr existiert. In Bezug auf diesen – staatsanwaltlich erfundenen – Straftatbestand, kann also sehr wohl gefragt werden, ob er etwaig (bedingt) vor­sätzlich oder (bewußt) fahrlässig ‚verwirklicht‘ wurde.

13 Alle drei genannten §§ stehen im „Titel“ „Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates“ des Strafgesetzbuches.

14 Daß die „gesetzliche Bestimmungen zum Schutze der Jugend“ und das „Recht der persönlichen Ehre“ in Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz neben den „allgemeinen Gesetze“ genannt sind, schließt aus, die „Bestimmungen zum Schutze der Ju­gend“ und „Recht der persönlichen Ehre“ unter den Begriff der allgemeinen Gesetze zu subsumieren.

15 Vgl. Ridder, Die soziale Ordnung des Grundgesetzes, Westdeutscher Verlag: Opladen, 1975, 78; wieder abgedruckt, in: ders., Gesammelte Schriften hrsg. v. Deiseroth/Derleder/Koch/Steinmeier, Nomos: Baden-Baden, 2010, 7 - 190 (95): „die ‚allgemeinen Gesetze [sind] am ‚Normbereich‘ des Grundrechts, d.h. an der in ihnen erst rechtlich aufgebauten, fest­gemachten und gesicherten Interessenstruktur (in Art. 5 GG dem ‚Interesse‘ am demokratischen Verlauf des politischen Prozesses), vorbeistreichende Gesetze“ (Hv. i.O.).

16 Ladeur, Meinungsfreiheit, Ehrenschutz und die Veränderung der Öffentlichkeit in der Massendemokratie, in: Archiv für Presserecht 1993, 531 - 536 (531 mit Nachweis der klassischen Texte) – Hv. hinzugefügt; vgl. wiederum krit. zu dem Alternativvorschlag Ladeurs: Rühl, Die Semantik der Ehre im Rechtsdiskurs, in: Kritische Justiz 2002, 197 - 212 (212); https://www.kj.nomos.de/fileadmin/kj/doc/2002/20022Ruehl_S_197.pdf).

17 Ridder, a.a.O. (FN 15), 76 bzw. 93.

18 ebd., 79 bzw. 97.

19 Vgl. noch einmal: „Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids ist nicht das Verbot des unter der Internetadresse ‚http://linksunten.indymedia.org‘ betriebenen Veröffentlichungs- und Diskussionsportals, sondern das Verbot des dahinter stehenden Personenzusammenschlusses ‚linksunten.indymedia‘ als Organisation“ (BVerwG, Urteil vom 29.01.2020 zum Aktenzeichen 6 A 1.19; https://www.bverwg.de/de/290120U6A1.19.0, Textziffer 33).

20 Siehe dazu noch einmal FN 3.

21 https://www.labournet.de/wp-content/uploads/2023/05/indymedia-schulze060523.pdf, S. 13 f.

22 Dieser Sichtweise mag bei (nahezu) Zwangsläufigkeit des Zusammenhangs von Tathandlung und Taterfolg (der – aus geringer Entfernung abgegebene – gezielte Schuß in Herz oder Kopf des Opfers wirkt tödlich) zugestimmt werden. In Bezug auf das konkrete Handeln (Schießen aus geringer Entfernung in Herz oder Kopf) ist das Willenselement aber un­verzichtbar, soll der Bereich der Strafbarkeit nicht grenzenlos sein.

Grundvoraussetzung ist jedenfalls, daß tatsächlich gehandelt und nicht nur gewünscht oder gedacht wurde. – Bei Geltung von Tat- statt Gesinnungsstrafrecht kann der bloße Vorsatz und nicht einmal die Absicht zur Tat, die Tat (im Grenzfall: den Tatversuch) selbst als Strafbarkeitsanlaß nicht ersetzen.

23 Das heißt: Von der Definition, die der BGH mal gab (BGHSt 19, 295 - 299 [298]; https://research.wolterskluwer-online.de/document/7e7627e7-3397-475c-977b-47a27d3a8204, Textziffer 7: „Vorsatz ist der Wille zur Verwirklichung des Straftatbestandes in Kenntnis aller seiner Tatumstände.“) bleibt – hinsichtlich des Willens – nicht viel übrig.

24 Gedruckt in: Klaus Weber, Rechtswörterbuch, Beck: München, 202224, 1865 - 1866 (1865), s.v. Vorsatz.

25 „Die A[bsicht] ist die gesteigerten Form des unbedingten → Vorsatzes.“ (Köbler, a.a.O. [FN 8], 5 s.v. Absicht)

26 So die Formulierung in § 276 Absatz 2 BGB, die mit leicht abgewandelter Formulierung auch im Strafrecht verwendet wird:

„In dem Strafrecht bedeute F[ahrlässigkeit] den Vorwurf, dass der Täter

+ eine objektive Sorgfaltspflicht nicht erkannt hat

oder

+ die daraus folgenden Sorgfaltsanforderungen nicht erfüllt hat, obwohl er dazu nach seinen persönlichen Fähig­keiten und dem Maß seines individuellen Könnens imstande gewesen wäre.“ (Köbler, a.a.O. [FN 8], 156 - 157 [156] s.v. Fahrlässigkeit; Hv. hinzugefügt)